Charles Dickens
Oliver Twist.Aus dem Englischen von Julius Seybt
Charles Dickens

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundvierzigstes Kapitel.

Die endlich stattfindende Unterredung zwischen Monks und Mr. Brownlow.

Es wurde dunkel, als Mr. Brownlow mit zwei Männern aus einem Mietswagen stieg, der vor seinem Hause hielt; die letzteren halfen einem dritten Manne heraus und drängten ihn rasch durch die geöffnete Tür hinein. Der Mann war Monks.

Brownlow ging ihnen schweigend in ein hinteres Zimmer voran. Vor der Tür desselben stand Monks widerstrebend still, und die beiden handfesten Männer sahen Brownlow fragend an.

»Entweder oder,« sagte Brownlow. »Die Folgen des einen wie des andern sind ihm bekannt. Weigert er sich, hineinzugehen, so führt ihn aus dem Hause, ruft die Polizei zu Hilfe und klagt ihn in meinem Namen als Kapitalverbrecher an.«

»Wie können Sie sich unterstehen, mich so zu nennen?« fuhr Monks auf.

»Wie können Sie es wagen, mich zu einer Anklage gegen Sie zu drängen, junger Mensch?« entgegnete Brownlow, ihn sehr bestimmt anblickend. »Werden Sie unsinnig genug sein, mein Haus zu verlassen? Laßt ihn los! So, Sir. Sie können jetzt gehen – und wir können Ihnen nachfolgen. Aber ich gebe Ihnen mein Wort darauf, sobald Sie den Fuß vor die Tür setzen, sind Sie auch schon wegen Betrugs und Raub verhaftet. Ich bin fest entschlossen. Sind Sie es auch – nun wohl! – aber Ihr Blut kommt auf Ihr eigenes Haupt.«

»Durch wessen Macht bin ich auf offener Straße aufgegriffen und von diesen Schuften hierher gebracht worden?«

»Ich verantworte, was die Leute getan haben. Beklagen Sie sich über Freiheitsberaubung – es stand in Ihrer Gewalt, ihr auf dem Wege hierher ein Ende zu machen; Sie erachteten es aber selbst für rätlich, sich ruhig zu verhalten. Wollen Sie die Gesetze anrufen – tun Sie's; allein ich werde es gleichfalls tun und Ihnen keine Milde mehr zeigen, mich nicht bemühen, Sie zu retten, wenn die Sachen erst einmal vor den Richter gekommen sind.«

Monks war offenbar unentschlossen geworden.

»Entschließen Sie sich rasch,« fuhr Brownlow mit ruhiger Festigkeit fort. »Wollen Sie, daß ich Anklagen gegen Sie vorbringe, deren Ausgang ich schaudernd vorhersehe, so wissen Sie, was Sie zu tun haben; wünschen Sie Nachsicht und Vergebung von mir und den von Ihnen schwer Gekränkten, so treten Sie hinein und nehmen Sie, ohne ein Wort zu sagen, dort auf jenem Stuhle Platz, der schon zwei Tage auf Sie gewartet hat.«

Monks zögerte noch einige Augenblicke, ging indes endlich hinein und setzte sich. Brownlow befahl den beiden Männern, die Tür zu verriegeln und wieder zur Stelle zu sein, wenn er klingelte.

»Eine saubere Behandlung, die ich von dem ältesten Freunde meines Vaters erfahre,« sagte Monks, Hut und Mantel ablegend.

»Gerade weil ich Ihres Vaters ältester Freund bin, junger Mann,« erwiderte Brownlow, »weil einst die Hoffnungen und Wünsche meiner glücklichen Jugendzeit an ihn sich anknüpften und an ein holdes Wesen von seinem Blute, das in seinen jungen Jahren zu Gott zurückkehrte und mich einsam und allein hier zurückließ; – weil er, noch ein Knabe, mit mir an seiner einzigen Schwester Sterbebette kniete, an dem Morgen kniete, der sie, wenn es der Himmel nicht anders gewollt hätte, zu meinem Weibe gemacht haben würde: – weil mein wundes Herz von der Zeit an bis zu seinem Tode bei all' seinen Prüfungen und Irrtümern an ihm hing; – weil alle teure Erinnerungen an ihn mein Herz erfüllen und selbst durch Ihren Anblick erneuert werden; – das alles ist es, weshalb ich Sie jetzt nachsichtig behandle – ja, Eduard Leeford, sogar jetzt – Sie, der Sie erröten müssen, dieses Namens so unwürdig zu sein.«

»Was hat er mit der Sache zu schaffen?« fragte Monks, der verstockt und stumm-verwundert die Bewegung des alten Herrn gewahrt hatte. »Was gilt mir der Name?«

»Freilich gilt er Ihnen nichts,« versetzte Brownlow. »Er war aber der Ihrige, und noch glüht und erhebt mir altem Manne in so weiter Zeitenferne das Herz wie sonst, wenn ich ihn nur von fremden Lippen nennen höre. Ich bin sehr, sehr erfreut, daß Sie ihn mit einem anderen vertauscht haben.«

»Das klingt alles gar prächtig,« sagte Monks nach einem langen Stillschweigen, während dessen er sich trotzig hin und her gewiegt und Brownlow, die Augen mit der Hand bedeckend, dagesessen hatte. »Aber was wollen Sie von mir?«

»Sie haben einen Bruder, dessen Name, in Ihr Ohr geflüstert, als ich auf der Straße hinter Ihnen ging, fast allein schon genügte, Sie zu veranlassen, erstaunt und erschreckt mich hierher zu begleiten.«

»Ich habe keinen Bruder. Sie wissen, daß ich das einzige Kind war, wissen es ebensogut wie ich selbst.«

»Hören Sie, was ich weiß, und Sie werden schon anders reden, schon aufmerken auf das, was ich Ihnen sage. Ich weiß allerdings, daß Sie der einzige und höchst unnatürliche Sprößling aus der unseligen Verbindung waren, zu welcher elender Familienstolz Ihren unglücklichen Vater fast noch als Knaben nötigte.«

»Es gilt mir gleich, wie harte Ausdrücke Sie wählen mögen,« unterbrach ihn Monks mit einem höhnischen Lachen. »Sie sind mit der Sache bekannt, und das ist mir genug.«

»Mir sind aber auch das Elend und die langen Qualen bekannt,« fuhr Brownlow fort, »welche der unpassenden Verbindung folgten. Ich weiß, unter welcher Pein das unglückliche Paar seine Kette durch die ihm vergällte Welt nachschleppte; weiß, daß auf förmliche Gleichgültigkeit Beleidigungen, Widerwille, Haß und Abscheu folgten, bis sie sich endlich trennten, um fern voneinander zu leben und in andern Kreisen die lange Quälerei zu vergessen. Und Ihre Mutter vergaß sie bald, Ihren Vater aber drückte sie noch jahrelang zu Boden.«

»Was weiter, als sie sich voneinander getrennt hatten?«

»Die zehn Jahre ältere Gattin vergaß unter Zerstreuungen auf dem Festlande den jugendlichen Gatten, der daheim sein geknicktes Leben vertrauerte, bis er eine Verbindung mit neuen Freunden anknüpfte – und zum wenigsten dieser Umstand ist zu Ihrer Kenntnis gelangt.«

»Nein,« sagte Monks, die Blicke wegwendend und auf den Boden stampfend, wie jemand, der alles abzuleugnen entschlossen ist. »Nein!«

»Ihr Benehmen und Ihre Handlungen überzeugen mich, daß Sie ihn nie vergessen, nie aufgehört haben, mit Bitterkeit daran zurückzudenken. Ich rede von der Zeit vor fünfzehn Jahren, wo Sie erst elf Jahre alt waren und Ihr Vater nur einunddreißig zählte, – denn, wie gesagt, er war fast noch ein Knabe, als ihn sein Vater zu heiraten zwang. Muß ich Dinge erwähnen, die einen Schatten auf das Andenken Ihres Erzeugers werfen, oder wollen Sie es mir ersparen und mir die Wahrheit enthüllen?«

»Ich habe nichts zu enthüllen!« erwiderte Monks in offenbarer Verwirrung. »Reden Sie weiter, wenn Sie es nicht lassen können.«

»Nun wohl,« sagte Brownlow. »Die neuen Freunde waren zunächst ein Flottenoffizier, der sich aus dem aktiven Dienste zurückgezogen, und dessen Frau vor einem halben Jahre gestorben war. Sie hatten mehrere Kinder gehabt, von denen nur zwei die Mutter überlebten, beide Töchter, die eine schön und neunzehn, die andere ein Kind zwei bis drei Jahre alt.«

»Was geht das mich an?« fragte Monks.

»Sie wohnten,« fuhr Brownlow, anscheinend ohne die Unterbrechung zu beachten, fort, »in einer Grafschaft, in welche Ihren Vater seine Streifereien geführt, und wo auch er seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Bekanntschaft, vertraulicher Umgang und Freundschaft folgten schnell aufeinander. Ihr Vater war begabt, wie es wenige Männer sind – er hatte seiner Schwester Züge und Seele. In dem Maße, wie der alte Offizier ihn kennen lernte, begann er ihn wahrhaft zu lieben. Daß es dabei geblieben wäre! Doch seine Tochter tat dasselbe.«

Der alte Herr hielt inne, sprach aber bald weiter, da er sah, daß sich Monks in die Lippen biß und die Blicke an den Boden heftete.

»Sie war am Schlusse des Jahres mit Ihrem Vater verlobt, feierlich verlobt, Ihr Vater der Gegenstand der ersten, treu-innigen, glühenden, einzigen Liebe eines arglosen, unerfahrenen Mädchens.«

»Ihre Erzählung wird lang,« bemerkte Monks, unruhig hin- und herrückend.

»Sie ist eine wahre und traurige,« versetzte Brownlow, »und Geschichten dieser Art pflegen lang zu sein; wenn sie von ungetrübtem Glücke handelte, so wäre sie ohne Zweifel sehr kurz. – Endlich starb einer der reichen Verwandten, dessen Einfluß zu verstärken Ihr Vater von Ihrem Großvater geopfert worden war, und hinterließ ihm seine Panacee für alles Wehe – Geld. Er mußte nach Rom eilen, wo der Erblasser gestorben war und seine Angelegenheiten in großer Verwirrung hinterlassen hatte, erkrankte selbst am Tage nach seiner Ankunft und starb nach einiger Zeit, ohne für eine letztwillige Verfügung Sorge getragen zu haben, so daß sein ganzes Vermögen Ihrer Mutter und Ihnen zufiel, die mit Ihnen nach Rom eilte, sobald sie in Paris die Kunde seines Todes erhalten.«

Monks hielt hier den Atem an und hörte Brownlow in großer Spannung zu, obgleich er die Blicke nicht nach ihm hinwandte. Als Brownlow schwieg, veränderte er seine Stellung, wie wenn er sich plötzlich erleichtert fühlte, und fuhr mit dem Tuch über sein glühendes Antlitz. Brownlow sprach langsam und die Blicke fest auf ihn heftend weiter: »Bevor er außer Landes ging und als er London berührte, kam er zu mir.«

»Davon habe ich nie gehört,« unterbrach Monks in einem Tone, der Unglauben ausdrücken sollte, doch mehr auf eine unangenehme Überraschung hindeutete.

»Er kam zu mir und ließ unter andern Gegenständen ein von ihm selbst gemaltes Bild des unglücklichen Mädchens, seiner Verlobten, zurück, das er in andern Händen nicht zu lassen wünschte, auf seiner eiligen Reise aber nicht wohl mitnehmen konnte. Er war fast zu einem Schatten zusammengeschwunden, sprach verstört von begangenem Ehrenraube und Verderben, das er angerichtet, und kündigte mir an, daß er entschlossen wäre, sein ganzes Vermögen, ob auch mit großem Verluste, in bares Geld umzuwandeln, Ihrer Mutter und Ihnen einen Teil seiner neu zu erwerbenden Erbschaft auszusetzen, und das Land zu verlassen – ich wußte nur zu wohl, daß er nicht allein gehen würde –, um es nie wieder zu sehen. Mehr bekannte er sogar mir, seinem alten Jugendfreunde, nicht, dessen starke Zuneigung in der Erde wurzelte, die sie bedeckte, die beiden so teuer gewesen war. Er versprach mir, zu schreiben und mir alles zu sagen, und mich dann noch ein – das letzte Mal hienieden, wiederzusehen. Ach, es war schon das letzte Mal. Ich bekam keinen Brief und sah ihn nicht wieder. Als ich vernahm, daß er tot war, begab ich mich nach dem Schauplatze seiner – wie die Welt es nennen würde – sündlichen Liebe, um, wenn ich meine Befürchtungen wahr geworden fände, dem verirrten Mädchen ein mitleidiges Herz und eine Zuflucht anzubieten. Allein die Familie hatte vor einer kurzen Zeit ihre Angelegenheiten geordnet und war bei Nacht abgereist, niemand wußte wohin.«

Monks atmete freier und blickte mit einem triumphierenden Lächeln umher. Brownlow rückte seinen Stuhl näher zu ihm und sagte: »Als Ihr Bruder – ein verlorner, schwacher, in Lumpen gehüllter Knabe – nicht durch Zufall, sondern durch eine höhere Fügung in meinen Weg geworfen und von mir gerettet wurde –«

»Wie!« rief Monks in heftiger Spannung aus.

»Von mir,« wiederholte Brownlow. »Ich sagte es Ihnen, daß Sie schon aufmerken würden auf das, was ich Ihnen zu sagen gedächte. Ja, von mir – ich sehe, Ihr schlauer Verbündeter hat Ihnen meinen Namen verschwiegen, obwohl er nicht annehmen konnte, daß Ihnen derselbe bekannt wäre. Während sich Ihr Bruder als Kranker und Wiedergenesener in meinem Hause befand, erkannte ich zu meinem lebhaften Erstaunen seine große Ähnlichkeit mit dem erwähnten Bilde. Schon im ersten Augenblicke, als ich ihn sah, erinnerten mich seine Züge an einen alten Freund, nur daß mir alles unbestimmt blieb, wie wenn ich mir Traumbilder vergeblich deutlich und klar vor die Seele zurückzurufen suchte. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß er mir entführt wurde, ehe ich seine Geschichte kennen lernte –«

»Warum nicht?« fragte Monks hastig.

»Sie wissen es sehr gut.«

»Ich?«

»Sie leugnen vergeblich und sollen bald sehen, daß ich noch mehr weiß.«

»Sie – Sie können nichts gegen mich beweisen,« stotterte Monks. »Tun Sie's, wenn Sie's imstande sind.«

»Wir werden sehen,« sagte der alte Herr mit einem durchdringenden Blicke. »Der Knabe wurde mir entführt, und meine Bemühungen, ihn wieder aufzufinden, waren vergeblich. Da Ihre Mutter tot war, so konnten Sie allein, wenn irgend jemand, das Geheimnis enthüllen, und da Sie, wie ich gehört hatte, auf Ihrer Pflanzung in Westindien sich aufhielten – wohin Sie nach Ihrer Mutter Tode gegangen waren, um den Folgen Ihres ruchlosen Lebenswandels hier in England zu entgehen – so reiste ich Ihnen nach. Sie hatten sich unterdes wieder entfernt, und man glaubte, daß Sie sich in London befänden, doch vermochte niemand genauere Nachweisungen zu geben. Ich kehrte zurück. Ihren Geschäftsführern war Ihr Wohnort vollkommen unbekannt; sie sagten, daß Sie ebenso geheimnisvoll kämen und gingen, wie Sie es immer getan hätten, bisweilen wochen- und monatelang nicht erschienen und aller Wahrscheinlichkeit nach mit den schandbaren Menschen sich umhertrieben, denen Sie sich zugesellt, seit Sie ein trotziger, unlenksamer Knabe waren. Ich hörte nicht auf, sie zu befragen, in Tätigkeit zu erhalten. Ich durchwanderte die Straßen bei Nacht wie bei Tage, allein meine Mühe war bis vor zwei Stunden fruchtlos, wo ich Ihrer endlich zum ersten Male ansichtig wurde.«

»Und da Sie mich nun aufgefunden haben,« nahm Monks, sich dreist erhebend, das Wort, »was mehr? Betrug und Raub sind volltönende Worte – und gerechtfertigt, wie Ihnen scheint, durch die eingebildete Ähnlichkeit eines kleinen Landstreichers mit der Pinselei eines längst Verstorbenen. Allein Sie wissen nicht einmal, ob aus der Verbindung des letzteren mit dem erwähnten Mädchen ein Kind entsproß – wissen das nicht einmal!«

»Ich weiß es freilich erst seit vierzehn Tagen,« erwiderte Brownlow, gleichfalls aufstehend. »Sie haben einen Bruder, wissen es und kennen ihn. Es war ein Testament vorhanden, das Ihre Mutter vernichtete, die Ihnen bei ihrem Tode das Geheimnis und den sündigen Gewinn hinterließ. Das Testament nahm Bezug auf ein Kind, das Ihrem Vater noch geboren werden möchte; es wurde geboren, Sie trafen mit ihm zusammen, und seine Ähnlichkeit mit Ihrem Vater erweckte böse Ahnungen in Ihnen. Sie suchten seinen Geburtsort auf, wo Beweise, lange unterdrückte Beweise seiner Geburt und Herkunft vorhanden waren. Sie vernichteten sie, und, wie Sie Ihrem jüdischen Schand- und Schuldgenossen sagten, sie liegen jetzt auf dem Grunde des Stroms, und die alte Hexe, die sie seiner Mutter nahm, fault in ihrem Sarge. Unwürdiger Sohn, Lügner, Feigling, der du nachts mit Räubern und Mördern in finstern Gemächern verkehrst, – der du durch schändliche List an dem kläglichen Tode einer Unglücklichen schuld bist, deren Wert Millionen von deinesgleichen aufwog, – der du von deiner Wiege an dem Herzen deines Vaters nur Bitterkeit und Galle warst, – du, in dessen angefaultem Innern die schlechtesten Leidenschaften so lange eiterten, bis sie einen Ausbruch in der scheußlichen Krankheit fanden, die dein Antlitz zu einem Spiegel deiner teuflischen Seele gemacht hat, – Eduard Leeford, setzst du mir auch jetzt noch Trotz entgegen?«

»Nein, nein, nein!« stöhnte der durch so gehäufte Beschuldigungen überwältigte Feigling.

»Jedes Wort,« rief Brownlow aus, »jedes Wort, das zwischen dir und dem über alles schändlichen Bösewicht gewechselt worden, ist mir bekannt. Schatten an der Wand haben dein Geflüster vernommen und meinem Ohr zugeführt: der Anblick des unschuldigen, verfolgten Kindes hat selbst das Laster ergriffen und ihm den Mut und fast die Wesenheit der Tugend verliehen. Ein Mord ist begangen, an welchem du mindestens moralisch teilgenommen hast!«

»Nein, nein,« unterbrach Monks. »Ich – ich weiß nichts davon. Ich ging eben, um zu erfahren, was Wahres an der Sache wäre, als Sie mich mit sich fortführten. Die Veranlassung der Tat war mir unbekannt – ich glaubte, sie wäre nur durch einen gewöhnlichen Streit gegeben worden.«

»Sie war keine andere, als die teilweise Enthüllung Ihrer Geheimnisse,« sagte Brownlow. »Wollen Sie dieselben jetzt ganz offenbaren?«

»Ja, ich will's!«

»Alles vor Zeugen wiederholen, und eine wahrhafte Aufzeichnung durch Ihre Namensunterschrift beglaubigen?«

»Auch das verspreche ich.«

»Ruhig in meiner Wohnung verweilen, bis es geschehen ist, und sich mit mir an den Ort begeben, den ich für den geeignetsten halte, dem Dokumente die vollkommenste Gültigkeit zu verschaffen?«

»Wenn Sie darauf bestehen, will ich auch das tun.«

»Sie müssen noch mehr tun, dem guten unschuldigen Kinde Ersatz leisten. Sie haben die Verfügungen Ihres väterlichen Testaments nicht vergessen. Bringen Sie dieselben, soweit sie Ihren Bruder betreffen, zur Ausführung, und gehen Sie dann, wohin es Ihnen beliebt. Sie dürfen einander in dieser Welt nicht mehr begegnen.«

Während Monks auf- und abging und der Aufforderung Brownlows und listigen Ausflüchten, zwischen Furcht und Haß schwankend, nachsann, wurde plötzlich die Tür aufgeschlossen und geöffnet, und herein trat in heftiger Aufregung Mr. Losberne.

»Er wird ergriffen, wird heute abend ergriffen werden!« rief er.

»Der Mörder?« fragte Brownlow.

»Ja, ja. Sein Hund hat die Polizei auf die Spur geführt. Sein Schlupfwinkel ist von allen Seiten umstellt, und die Behörden haben hundert Pfund ausgesetzt.«

»Ich lege noch fünfzig zu und will es auf der Stelle mit meinen eigenen Lippen verkünden. Wo ist Maylie?«

»Harry – er warf sich, sobald er Sie mit dem jungen Menschen im Mietswagen sah, zu Pferde und sprengte fort, um sich den Verfolgern des Mörders anzuschließen.«

»Hörten Sie nichts von dem Juden?«

»Er wird in diesem Augenblick bereits festgenommen sein.«

»Haben Sie Ihren Entschluß gefaßt?« fragte Brownlow Monks leise.

»Ja. Sie – Sie werden mich nicht ausliefern?«

»Nein. Aber Sie bleiben hier, bis ich zurückkehre. Ihre Sicherheit hängt einzig davon ab.«

Brownlow und Losberne entfernten sich, und die Tür wurde wieder verschlossen.

»Was haben Sie ausgerichtet?« fragte Losberne flüsternd.

»Soviel ich hoffen konnte, und mehr. Veranstalten Sie auf übermorgen abend die Zusammenkunft. Wir werden ein paar Stunden früher da sein, aber Ruhe bedürfen, besonders die junge Dame, die vielleicht größerer Festigkeit benötigt sein möchte, als Sie und ich jetzt voraussehen können. Doch mir kocht das Blut in den Adern, das arme ermordete Geschöpf zu rächen. Wohin muß ich meine Schritte richten?«

»Eilen Sie nur zuvörderst nach dem Polizeiamte; ich will hier bleiben.«

Die Herren nahmen hastigen Abschied voneinander, beide in einem unbezähmbaren Fieber von Aufregung.

 


 << zurück weiter >>