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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Jack's Wirtschaft.

Ein schöner Sommermorgen scheint in die kleine Wohnung in der Rue des Panoyaux. Der Krämer und sein Kamerad sind schon auf. Ersterer humpelt so leise als möglich umher, fegt, räumt auf und putzt Stiefel und tritt ganz leise dabei auf, um seinen am offenen Fenster arbeitenden Gefährten nicht zu stören. Unten im Hof in den Hühnerkörben der Händler krähen die Hähne, sonst bleibt alles noch still, bis gegen fünf Uhr. Dann erschallt der Ruf:

»Frau Jakob, Frau Mathieu, hier ist das Brot.« Jacks Nachbarin tritt ihren Rundgang an. Ihr Ruf erweckt das ganze Haus, man hört Thüren zuschlagen, Kinder schreien, bald ist alles auf den Beinen, Jacks Zimmer gegenüber liegen hohe Hinterhäuser mit einer Anzahl von Fenstern. Sie sehen schwarz und düster aus, aber der Studierende merkt nichts von seiner traurigen Umgebung. Nur eins rührt ihn: Eine alte Frau, die jeden Morgen in demselben klagenden Ton von ihrem Fenster aus die Worte in die Morgenluft hineinspricht: »Die Leute, die bei dem Wetter auf dem Lande leben, müssen sehr glücklich sein.« Jack ist derselben Meinung, denn seine Gedanken wandern eine ruhige Dorfstraße entlang zu einer grünen Pforte, an der sich ein Täfelchen mit der Inschrift »Nachtglocke« befindet. Und während er noch dort weilt und auf einen Augenblick seine eifrige Arbeit unterbricht, raschelt draußen im Flur ein seidenes Kleid und der Schlüssel dreht sich im Schlosse.

»Rechts herum,« ruft Belisar, der mit Kaffeemahlen beschäftigt ist.

Der Schlüssel dreht sich nach links.

»Rechts herum, sagte ich.«

Der Schlüssel dreht sich immer mehr nach links. Der Krämer wird ungeduldig, öffnet, mit der Kaffeemühle in der Hand, die Thür, und Charlotte stürzt ins Zimmer. Belisar weicht entsetzt vor diesem Gewirr von Falten und Spitzen zurück und macht tiefe Bücklinge, während Jacks Mutter, die das struppige, ungekämmte Wesen nicht erkennt, sich unter Entschuldigungen zur Thür flüchtet.

»Verzeihen Sie, mein Herr, ich habe mich geirrt ...«

Beim Klang dieser Stimme erhebt Jack den Kopf und springt auf.

»Nein, Mama, Du irrst Dich nicht.«

»Ach Jack, mein Jack! Rette mich, beschütze mich. Dieser Elende, dem ich alles opferte, hat mich geschlagen ...! Zwei Nächte hat er außer dem Hause zugebracht und als ich ihm heute Morgen darüber Vorwürfe machte, zu denen ich wohl berechtigt bin, ist er in Zorn geraten und hat mich ...«

Das Ende des Satzes ging in einem heißen Thränenstrom unter.

Schon nach den ersten Worten hatte sich Belisar stillschweigend auf den Flur zurückgezogen; Jack stand nun vor seiner Mutter und betrachtete sie mitleidig. Wie bleich und verkümmert sie aussah!

»Oh, was habe ich in den zehn Jahren gelitten, mein Jack! Er ist ein Ungeheuer, sage ich Dir. Er verbringt sein Leben nur noch in Kaffeehäusern und Weinschenken ... Weißt Du, damals, als er das Geld nach Indret brachte, war ich auch da, und hätte Dich so gern gesehen, aber er wollte ja nicht. Und die zehntausend Franken, die ›gut Freund‹ Dir bestimmte, hat er für seine Zeitschrift verbraucht. Kann man boshafter sein? Aber er haßt Dich, weil Du ohne ihn fertig wirst. Nun, ich habe seine Wutausbrüche geduldig ertragen, aber mich zwei Nächte lang den Qualen der Eifersucht überlassen und mich, Ida von Barancy, in einem Anfall von Zorn zu schlagen, das war zuviel für meinen Stolz. Ich habe meinen Hut aufgesetzt und gesagt: ›Sehen Sie mich genau an, Herr d'Argenton, denn Sie sehen mich heute zum letzten Mal. Ich gehe zu meinem Kinde. Hoffentlich finden Sie eine andere Charlotte, ich habe dies Leben satt‹; und da bin ich nun.«

Jack hatte sie, ohne sie zu unterbrechen, angehört; als sie geendet, nahm er sie bei der Hand und sprach sanft, aber ganz würdevoll:

»Ich danke Dir, Mama, daß Du gekommen bist, Du fehltest mir noch, um mein Glück zu vervollständigen. Aber nimm Dich in acht, ich lasse Dich nicht wieder von mir.«

»Ich fortgehen ... wieder zu dem Menschen zurückkehren? Niemals! Du sollst sehen, wie hübsch wir nun zusammen leben werden, ich will von jetzt ab für Dich sorgen. Sieh' Dein Zimmer an, wie eng und kahl sieht es aus, nun, seit ich bei Dir bin kommt es mir wie ein Paradies vor.«

Diese Anspielung auf die Wohnung, die er und Belisar prächtig fanden, flößte Jack einige Sorge für die Zukunft ein, aber er hatte keine Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen; in einer halben Stunde mußte er in die Fabrik und vorher war noch allerhand zu besprechen und einzurichten. Er ging hinaus, um den Krämer um Rat zu fragen, der noch immer geduldig vor der Thür auf und ab schritt.

»Belisar, meine Mutter will bei mir bleiben, wie sollen wir uns einrichten?«

Belisar erbebte bei dem Gedanken: Nun ist's mit dem Kameraden aus und aus der Hochzeit wird nichts. Aber er ließ sich nichts merken, sondern war nur darauf bedacht, seinem Freunde aus der Verlegenheit zu helfen. Sie kamen endlich überein, daß Jack das Zimmer mit seiner Mutter weiter bewohnen solle, während Belisar seine Waren bei Frau Weber unterbringen und für sich selbst ein anderes Stübchen suchen wollte. Dann traten sie wieder ein. Jack stellte seiner Mutter seinen Freund Belisar vor, holte dann seine drei oder vier ersparten Louis aus dem Tischkasten und händigte sie seiner Mutter ein.

»Wenn Du Dich aber nicht mit dem Mittagessen quälen magst, Mama, so kann Frau Weber nachher alles Nötige besorgen.«

»Nein, das ist meine Sache. Freund Belisar soll mir nur die Kaufleute bezeichnen. Du sollst sehen, was für ein hübsches kleines Mittagessen ich Dir herrichten werde.«

Mit diesen Worten legte sie ihr Tuch ab, streifte die Ärmel hoch und steckte die Schleppe hoch. Jack war entzückt, sie so entschlossen zu sehen, küßte sie herzlich und ging fröhlicher als sonst davon: Wie leicht erschien ihm heute die Arbeit!

Die schiefe Stellung seiner Mutter hatte seine Zukunftspläne so oft gestört; er schämte sich zuweilen, seiner Cäcilie dieses Geschöpf, das jeder andere verachten mußte, zur Schwiegermutter zu geben!

Nun war alles gut. In seiner Freude handhabte Jack die schwere Balanzierstange in der Schmiede mit solcher Leichtigkeit, daß es selbst seinen Kameraden auffiel. Als er aber nach Feierabend die Oberkampfstraße hinaufschritt, ergriff ihn plötzlich Furcht. Würde er sie noch vorfinden? Aber nach dem ersten Schritt, den er in sein Zimmer that, blieb er wie gebannt stehen. Das gründlich gereinigte Zimmer erschien ihm, nun es von Belisar's Hüten befreit und mit einem gemieteten Bett und Toilettentisch geziert war, größer und behaglicher.

Große Blumensträuße standen überall umher, ein weißgedeckter, mit einer schönen Pastete und zwei Weinflaschen besetzter Tisch prangte in der Mitte. Ida selbst war in dem hellen Morgenanzug, dem kleinen Häubchen, unter dem ihr frisches, strahlendes Gesicht hervorschaute, kaum wiederzuerkennen.

»Nun, was sagst Du dazu?« rief sie, ihn umarmend.

»Herrlich!«

»Nun, Bel hat mir tüchtig geholfen, er ist so gefällig!«

»Wer, Belisar?«

»Ja, mein kleiner Bel und Frau Weber auch, ich habe sie beide zum Essen eingeladen.«

»Donnerwetter und das Geschirr?«

»Ich habe einiges gekauft und mir aus der Wirtschaft nebenan einige Teller geborgt, diese Levindrés sind sehr gefällig. Aber das ist noch nicht alles, mein Jack. Sieh die Pastete ... Ich habe sie am Börsenplatz gekauft, wo man sie um fünfzehn Sous billiger bekommt. Ein weiter Weg; ich konnte schließlich nicht mehr und habe mir einen Wagen nehmen müssen.«

Das war sie ganz und gar. Zwei Franken für einen Wagen bezahlen, um fünfzehn Sous zu sparen!

Übrigens bewies sie, daß sie die besten Quellen kannte. Die Brötchen waren aus der Wiener Bäckerei, Kaffee und Nachtisch vom Palais Royal.

Jack hörte ihr bestürzt zu. Sie bemerkte es und fragte sorglos:

»Ich habe wohl zuviel ausgegeben, aber was willst Du, es fehlte allerhand und Du sollst sehen, wie vernünftig ich sein werde.«

Sie zog ein dickes, grünes Heft aus der Kommode und schwenkte es triumphierend.

»Sieh, das schöne Ausgabebuch habe ich von Frau Leveque gekauft.«

»Leveque, Levindré, Du kennst also schon alle Hausbewohner?«

»Gewiß, die Frau hat eine kleine Leihbibliothek, das ist sehr schön, denn man muß doch stets auf dem laufenden bleiben. Einstweilen habe ich ihr das Ausgabenbuch abgekauft, das darf in keinem ordentlichen Haushalt fehlen.«

Sie wurde durch die Ankunft Belisars, der Frau Weber und ihres Kindes unterbrochen. Nichts kam der Liebenswürdigkeit gleich, mit der Ida ihre Gäste empfing und es ihnen behaglich zu machen suchte. Frau Weber taute bald auf und der Kleine empfand nicht die geringste Scheu, sich mit Pastetenteig vollzustopfen; nur Belisar war nicht besonders aufgelegt und wußte auch, weshalb. Wenn man sein Glück schön in der Hand zu haben glaubt und es wird plötzlich ins Ungewisse entrückt, das ist sehr schmerzlich.

Als die Gäste sich entfernt hatten, sah Ida mit Erstaunen, wie Jack eilig den Tisch abräumte und dicke Schulbücher herbeibrachte.

»Was willst Du denn?«

»Arbeiten!«

»Weshalb denn?«

»Ach richtig. Du weißt ja noch nichts.«

Nun enthüllte er ihr sein Geheimnis und seine Pläne, denn bis dahin hatte er mit ihr noch nicht darüber gesprochen. Er kannte ihren flatterhaften, dämonischen Sinn zu genau, um ihm seine Hoffnungen anzuvertrauen, die sie dann sicherlich d'Argenton mitgeteilt hätte.

Aber nun seine Mutter ganz und gar bei ihm war, konnte er ihr nach Herzenslust von Cäcilie erzählen. Aber ach, sie verstand ihn kaum, begriff seine ernste, heilige Liebe nicht. Die Liebe hatte für sie nicht dieselbe Bedeutung, wie für ihn. Seine Erzählung rührte sie, wie der dritte Akt im Gymnase-Theater, wenn die Auserkorene die Erklärung des geschniegelten, geputzten Liebhabers in Empfang nimmt.

»Wie reizend, wie reizend!« rief sie ein über das andere Mal, »das erinnert ja beinahe an Paul und Virginie.«

Zum Glück war Jack, wie alle Liebenden, so von seiner Liebe erfüllt, daß er die albernen Bemerkungen seiner Mutter nicht hörte und nicht merkte, wie sie im Stillen das harmlose kleine Liebespaar bemitleidete.


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