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Viertes Kapitel.
Ein litterarischer Abend im Gymnasium Moronval.

Die Kleinen sind wie die Großen – was andere erfahren haben, das kommt ihnen nicht zu nutze.

Jack war durch Maduh-Gheso's Geschichte erschreckt worden; aber sie blieb in seiner Erinnerung abgeschwächt haften, verblaßt, in der Weise etwa wie einem ein schrecklicher Sturm, eine blutige Schlacht, die man in einem Diorama gesehen, gegenwärtig bleiben.

Die ersten Monate, die er in dem Gymnasium verlebte, waren so glücklich, jedermann zeigte sich so besorgt um ihn, zeigte sich so aufmerksam und liebevoll gegen ihn, daß es ihm aus den Gedanken kam, daß Maduh's Glück ebenfalls dieses glänzende Debüt gehabt hatte.

Am Eßtische hatte er den ersten Platz inne neben Moronval, bekam Wein zu trinken, durfte vom Nachtische mitessen, während die andern Kinder, sobald das Obst und der Kuchen aufgetragen wurde, rasch von der Tafel aufstanden, als wiesen sie diese Speisen mit Entrüstung von sich, und sich mit einer Art von wunderlichem gelbem Tranke begnügen mußten, der vom Doktor Hirsch expreß für sie zurecht gebraut wurde und den Namen »Hagebutten-Brühe« führte.

Dieser erlauchte Gelehrte, dessen Finanzen sich, wenn man nach seinem Äußern schließen durfte, in einem bejammernswürdigen Zustande befanden, war der ständige Stammgast an der Moronval'schen Pensionstafel. Er brachte in die Mahlzeiten Fröhlichkeit und muntere Laune durch allerhand wissenschaftliche Mätzchen, Schnurren, Beschreibungen von allerhand Krankheitsfällen vorzugsweise unsauberer Art, auf die er in seinen zahlreichen Werken gestoßen war und die er mit einer ganz teufelsmäßigen Schneidigkeit und Wärme auftischte. Außerdem hielt er die Tischgäste auf dem Laufenden der öffentlichen Moralität, der am Ruder befindlichen Modekrankheit, und wenn er irgendwo auf einem fernen Punkte des Erdkreises auf einen Fall von schwarzer Pest oder Aussatz oder Elephantiasis stieß, so wußte er es allemal früher als die sämtlichen Zeitungen, konstatierte dies Vorkommen mit einer bedrohlichen Genugthuung und mit allerhand Kopfnicken und Kopfschütteln, was besagen sollte: »Nehmt Euch rechtzeitig in Acht, wenn so etwas sich bei uns einfinden sollte.«

Sonst war er ein äußerst liebenswürdiger Gesell und hatte als Tischnachbar nur zwei unangenehme Eigenschaften: erstlich einmal die ihm infolge seiner Kurzsichtigkeit anhaftende Ungeschicklichkeit, sodann eine wahre Sucht, alle Augenblicke dem, der neben ihm saß, einen Tropfen oder eine Fingerspitze voll von einer pulverisierten oder flüssigen Substanz, die er in einem Schächtelchen von mikroskopischer Kleinheit oder in einem ganz kleinen blauen Fläschchen von höchst verdächtigem Aussehen bei sich führte, auf seine Schüssel oder sein Glas zu schütten. Der Inhalt dieser beiden winzigen Behälter wechselte sehr oft, denn es verging keine Woche, ohne daß der Doktor eine wissenschaftliche Entdeckung gemacht hätte; im allgemeinen aber bildeten doppeltkohlensaures Natron, Alkali, Arsenik (zum Glück in unendlich kleinen Mengen) die Base dieser in Speisen dargereichten Medikamente.

Jack ließ diese vorbeugenden Gesundheitsmaßregeln über sich ergehen und wagte kein Wort darüber zu äußern, daß ihm das Alkali einen abscheulich garstigen Geschmack hatte. Von Zeit zu Zeit wurden auch die andren Lehrer und Professoren zu Tisch geladen. Ein jeder trank ein Glas auf das Wohlergehen des kleinen de Barancy, und es lohnte wirklich der Mühe, Zeuge der schwärmerischen Begeisterung zu sein, welche durch seinen Liebreiz und seine Artigkeit hervorgerufen wurde. Man mußte es wirklich mit ansehen, wie sich der Sänger Labassindre bei der geringfügigsten Äußerung, die dem Munde des »neuen Schülers« entfiel, in seinen Stuhl zurückwarf und von einem derben Lachen geschüttelt wurde, wie er sich mit einem Zipfel seiner Serviette die Augen wischte und mit derben Faustschlägen den Tisch bearbeitete.

D'Argenton, der schöne d'Argenton glättete sogar die Furchen, die auf seiner Stirn gezogen waren. Ein fahles Lächeln verrückte seinen dichten Schnauzbart; sein blaues, kaltes, perlmutterartig glänzendes Auge wendete sich mit hochmütiger Miene billigender Huld zu dem Kinde.

Jack war vor Entzücken außer sich. Er begriff das Achselzucken nicht, das Augenzwinkern nicht, wollte auch weder das eine noch das andre begreifen, womit Maduh, hinter den Tischgästen stehend, seine niedrigen Dienstleistungen verrichtete, mit der Serviette unter dem Arm, in der Hand immer irgend eine Schüssel oder einen Teller, die er blank zu putzen beflissen war.

Maduh wußte, welchen Wert diese übertriebenen Lobhudeleien hatten – er kannte die Eitelkeit, die Leere menschlicher Größe!

Auch er hatte ja auf jenem Ehrenplatze gesessen, hatte von dem Weine des Herrn und Meisters geschmeckt, war aus dem Fläschchen des Doktors gepulvert und gespritzt worden. Und diese mit silbernen Tressen besetzte Jacke, in welcher Jack sich so stolz brüstete, war nur deshalb für ihn zu groß, weil sie für Maduh zugeschnitten war.

Das Beispiel dieses Sturzes aus erlauchter Höhe hätte den kleinen de Barancy vor Stolz und Hochmut bewahren sollen, denn seine Anfänge in der Schulanstalt Moronvals waren denjenigen des kleinen Königs sehr ähnlich.

Ununterbrochene Erholungsstunden und Zerstreuungen, deren sich das Gymnasium zu des Neulings persönlichem Besten zu erfreuen hatte, unsinnige Schmeicheleien und Lobhudeleien, und bloß von Zeit zu Zeit einmal ein paar Lehrstunden bei Madame Moronval unter Anwendung ihres Systems und ihrer Methode – in dieser Weise verstrich ihm diese erste Zeit. Dazu kam, daß diese einzige Arbeit, zu der er angehalten wurde, dieser Unterricht bei Madame Moronval keinerlei Mühe oder Anstrengung für ihn in sich schloß, denn die kleine Zwergin war eine vortreffliche Frau, die nur den einzigen Fehler an sich hatte, daß sie alle, auch die einfachsten Worte nie anders als mit Übertreibung auszusprechen wußte. Sie sprach das c am Ende scharf wie ck, das w am Anfang abgerissen wie u – statt lag sagte sie: lack, statt Wagen: u-agen – »ich bin im u-agen gefahren – wir haben uns im u-agen getroffen« und zwar in einer Weise, daß man schließlich manchmal gar nicht wußte, wovon sie eigentlich redete.

Was Moronval betrifft, so bekannte er offen, eine große Schwäche für seinen neuen Zögling zu haben.

Der pfiffige Herr hatte seine Auskünfte eingeholt. Er kannte das Hotel auf dem Boulevard Haußmann und ebenso auch alle Hilfsquellen, auf welche man dort von seiten des »lieben Freundes« zu rechnen hatte.

Daher kam es denn, daß Frau von Barancy, wenn sie Jack einen Besuch machen kam, was sich ziemlich oft ereignete, immer einen sehr warmen Empfang, immer ein Auditorium fand, das für alle die spaßigen und eitlen Geschichten, die sie mit Vorliebe zum besten gab, ein sehr aufmerksames Ohr hatte. In der ersten Zeit hatte Frau Moronval, geborne Decostère, sich beflissen gezeigt, einer so leichtlebigen Person gegenüber den Standpunkt einer gewissen Würde zu wahren. Der Mulatte hatte aber richtige Parole ausgegeben, und so bequemte sie sich denn, mit einer Unmenge von Unterschieden und Schattierungen, dazu, ihre Gewissensbedenken als ehrsame Ehefrau und geschäftskluge Handelsfrau miteinander in schicklichen Einklang zu setzen.

»Jack! Jack! Deine Mutter ist da!« rief man sofort, wenn sich die Thüre aufthat, und Ida im großen Staate nach dem Empfangszimmer schritt, Kuchenpackete und Zuckerzeug-Düten in der Hand und im Muffe. Diese Besuche waren immer festliche Ereignisse für jedermann im Hause. Man ließ sich's in Kompagnie gut schmecken. Jack verteilte von seinen Schätzen unter die ganze Zöglingschaft, und Frau von Barancy zog selbst von der einen Hand den Handschuh ab – von derjenigen natürlich, auf welcher sie die meisten Ringe stecken hatte, um ihr Teil mit von den Schleckereien zu genießen.

Das arme Geschöpf war so großmütig, Geld glitt ihr so rasch durch die Finger, daß sie mit den Kuchen noch immer allerhand andere Geschenke mitbrachte; Schnurren, Spielzeug, und alles brachte sie, wie es ihr gerade einfiel, unter den Mitschülern Jack's zur Austeilung.

Man denke sich nun, mit welch glatten Lobsprüchen, mit welchen Beifallsrufen aus Nährbauern-Munde diese maßlose Freigebigkeit begrüßt wurde! Moronval allein hatte ein mitleidiges Lächeln, das nicht frei war von einer Art neidischer Gezwungenheit über diese Art, wie für Kleinigkeiten und hohlen Tand Kleingeld in Menge verausgabt wurde, das doch irgend einem gebildeten, großmütigen, vom Geschick außer Erbe gesetzten Geiste, wie dem seinigen beispielsweise, zu großem Nutzen hätte werden können.

Das war seine fixe Idee, und soviel er Ida bewunderte, so gern er ihren Geschichten zuhörte, so war er doch immer zerstreuten Wesens, knaupelte sich fortwährend an Nägeln von unsinniger Länge, war immer von jenem Fieber durchrast, das den Geldleiher erfaßt, auf dessen Lippen ein Verlangen schwebt, und der doch nicht leiden mag, daß ein andrer es errät.

Moronvals Traum war es schon seit langer Zeit, eine Zeitschrift zu gründen, die sich mit Kolonialfragen beschäftigte. Es ging ihm darum, seinem politischen Ehrgeiz Befriedigung zu schaffen dadurch, daß er sich bei seinen Landsleuten regelmäßig in Erinnerung brachte – und sich auf diese Weise vielleicht, wer konnte es wissen? zu einem Mandat als Deputierter verhalf. Als erster Schritt hierzu schien ihm eine Zeitung oder Wochenschrift von unerläßlicher Notwendigkeit zu sein – sich ihrer dann zu entschlagen, stand ihm ja immer noch frei.

Er sprach hierüber des öftern mit seinen gleich ihm aus der Lebens-Bahn gelenkten Bekannten und Freunden, und sie gerieten sämtlich über seinem Plane, seiner Idee in Aufregung. Ha! wenn sie doch nur in den Besitz eines Zeitungsorgans hatten gelangen können! ... Es lag in all diesen Gehirnen soviel ungedrucktes Wissen aufgespeichert – es spukte in ihnen von soviel Ideen, die noch ungesprochen, von soviel andren auch, die unaussprechlich waren und sich, dank der Klarheit und Schärfe der gedruckten Typen, zur Schärfe und Klarheit des Gedankens hindurchringen würden!

Moronval hatte eine unbestimmte Ahnung, daß die Mutter des »neuen Zöglings« die sämtlichen Kosten für eine solche Wochenschrift tragen würde; aber er wollte nicht allzu geschwind auf sein Ziel lossteuern, weil er Furcht hatte, das Mißtrauen der Dame wachzurufen. Es galt, sie zu umkreisen, sie zu umhüllen, die Sache aus weiter Ferne herbeizuführen, damit ihr etwas knapp geratener Verstand die zum Begreifen nötige Zeit gewänne.

Unglücklicherweise war Madame von Barancy zufolge der Beweglichkeit ihres Sinnes und Wesens das allerungünstigste Objekt, das Moronval sich für derartige Kombinationen aussuchen konnte.

Ohne irgendwelche böse Absicht, lediglich geleitet von ihrer Harmlosigkeit und Unschuld, schwenkte sie ab von einer Unterhaltung, die ihr wenig Vergnügen bereitete, hörte sie dem Mulatten zu mit holdem Lächeln, sah ihn an mit ihren liebenswürdigen, aber zerstreuten Augen, die um so stärkeren Glanz sprühten, je weniger sie sich auf einen bestimmten Gegenstand hefteten.

»Wenn man ihr nur die Idee, zu schriftstellern, beibringen könnte!« dachte Moronval bei sich und versuchte ihr in zarter Weise anzudeuten, daß zwischen der Frau von Sévigné und zwischen der George Sand eine sehr schöne Lücke auszufüllen wäre; aber diene man doch mit Andeutungen und Winken und rede man doch durch die Blume mit einem Vögelchen, das die ganze Zeit über nichts anderes macht, als sich mit lustigem leichten Flügelschlag um sich selbst dreht!

»Sie ist kein Herkules, die arme Dame!« sprach er jedesmal bei sich, wenn er eins jener Gespräche mit ihr geführt hatte, in denen er all sein Fieber austoben, in denen er seiner redegewandten Zunge die Zügel schießen ließ, während deren Verlaufe er sich die Nägel vor Wut fast von den Fingern fraß – und sie! sie schwatzte und schwatzte, ohne auch nur das Geringste von dem zu hören, oder gar zu verstehen, worüber mit ihr gesprochen wurde.

Mit Beweisen und Gründen konnte man bei einem solchen Lerchenhirn absolut nichts ausrichten – hier half nichts als Glanz und Blendung; und damit gelangte Moronval auch zum Ziele.

Eines Tags thronte Ida in dem Empfangs- und Besuchs-Zimmer auf all dem Schmuck jener Titel und jener »von und zu«, die sie, um dem ihr persönlich eigenen Adel einen Schwanz anzuhängen, Freunden und Bekannten gegenüber zu ihrem Namen fügte, da wendete sich Frau Moronval-Decostère mit der schüchternen Andeutung an sie:

»Herr Moronval möchte Sie gern um etwas bitten, er wagt es aber nicht ...«

»O! sprechen Sie! sprechen Sie!« sagte die arme Thörin, beseelt von einem so lebhaften Wunsche, den Anstaltsvorsteher sich zu Dank zu verpflichten, daß dieser Lust bekam, auf der Stelle seine Bitte um Darleihung von Geldern zur Herausgabe einer Wochenschrift vorzutragen. Aber als sehr gewitzter, sehr mißtrauischer Mensch erachtete er es doch für richtiger, klug zu handeln, schrittweis vorzugehen, »zu sondieren,« wie er, mit seinen Tigerkatzen-Augen blinzelnd, sich auszudrücken pflegte. Er begnügte sich also damit, Frau von Barancy die Bitte zu unterbreiten, am nächsten Sonntag ihm zu einem von seiner Schule veranstalteten öffentlichen Litteratur-Abende die Ehre ihrer Gegenwart zu schenken.

Auf dem Programm standen diese Litteratur-Abende verzeichnet als »Vorlesungen mit lauter deutlicher Stimme, gefolgt von Deklamationen auserlesener Stücke aus unsern besten Dichtern und Prosa-Schriftstellern«. Es erübrigt hier noch zu bemerken, daß unter diesen letzteren d'Argenton und Moronval immer an erster Stelle figurierten. Alles in allem genommen waren diese Abende eine von den Bassermann'schen Gestalten à la Moronval ausfindig gemachte Weise, auf irgend welches Publikum durch die unermüdliche und effektvolle Mittelsperson der Frau Moronval-Decostère Eindruck zu machen. Man lud einige Bekannte und Freunde ein, sowie die Pflegeväter der in der Anstalt befindlichen Zöglinge. In der ersten Bestandszeit der Schul-Anstalt fanden diese kleinen Festlichkeiten alle acht Tage statt; aber seit dem Schiffbruche, welchen Maduh's Existenz gelitten, waren die Zwischenräume, innerhalb deren sie stattfanden, um ein erhebliches weiter auseinander gerückt worden.

Und wirklich, Moronval konnte noch so fleißig darauf bedacht sein, am Kronleuchter hinter jeder scheidenden Person her eine Kerze auszulöschen – eine Gepflogenheit, in deren Folge es gegen Ausgang des Festabends hin merklich düster im Saale zu werden pflegte – er konnte noch so eifrig die Woche über auf den Fenstersimsen den Bodensatz, der sich in der Theekanne fand, auslegen und trocknen und zu kleinen schwärzlichen Päckchen häufen, – die sehr viel Ähnlichkeit mit Seetang hatten, wenn man ihn aus dem Wasser hob – er konnte, wie gesagt, Thee noch soviel trocknen und für die nächsten Litteratur-Abende sammeln, so blieben die Kosten doch noch immer viel zu beträchtlich für den gänzlichen Mangel, der in der Anstalt herrschte. Man konnte nicht einmal auf den ersprießlichen Erfolg dieser Reklame rechnen, denn in der Abendstunde, wenn die Litteratursitzungen stattfanden, war das Zwölfhäuser-Gäßchen mit seiner einzigen Laterne, die wie das eine Auge auf der Stirn irgend eines Ungetüms aussah, nicht darnach beschaffen, Spaziergänger anzulocken. Auch die kühnsten unter ihnen wagten sich niemals bis über das Gitterthor hinaus.

Jetzt handelte es sich nun darum, den Litteratur-Abenden einen neuen Glanz zu leihen.

Madame von Barancy nahm die Einladung mit Wärme an. Der Gedanke, in dem Salon einer verheirateten Frau unter einem Titel irgendwelcher Art zu figurieren, vor allem aber der Gedanke einer künstlerischen Vereinigung beizuwohnen, schmeichelte ihr außerordentlich und bedünkte ihr eine Staffel zu sein auf der Leiter, die sie aus ihrer gesellschaftlichen Sphäre und aus dem ungeregelten Dasein, das sie führte, hinausgeleiten sollte.

Ach! was war es doch für eine glänzende Festlichkeit, dieser Litteratur-Abend mit seinen »Vorlesungen mit lauter, deutlicher Stimme.« So lange die kleinen heißen Länder denken konnten, hatte man noch kein einzigesmal eine derartige Verschwendung geübt.

Zwei bunte Laternen waren an die am Garteneingange stehenden Akazien gehängt worden; die Vorhalle war mit einer Nacht-Lampe geschmückt, und mehr als dreißig Kerzen flammten in dem Salon, der von Maduh zu diesem Anlasse so tüchtig gebohnt und gerieben worden war, daß dieses außergewöhnliche Lichtmeer sich infolge Mangels an Spiegeln auf den Dielen spiegelte, welche zu dem Glanze des Spiegelglases noch all ihre schlüpfrigen und gefährlichen Eigenschaften gesellten.

Maduh hatte sich als Frottierer selbst übertroffen.

Bei diesem Anlasse muß ich bemerken, daß Moronval ganz verwirrt war über die Rolle, welche am Abend der Negerjunge spielen sollte. Sollte man ihn Dienstbote bleiben lassen, oder ihm auf die Dauer eines Tages seinen erloschenen Titel, seinen verblichenen Glanz zurückerstatten? Dieser letzte Vorschlag hatte etwas Verlockendes an sich. Wer aber würde dann das Geschirr abtragen? Wer würde die Gäste einführen und anmelden?

Maduh mit seiner ebenholzschwarzen Haut war ein ganz unschätzbares Objekt – wer sollte für ihn Ersatz sein? Die andren Zöglinge hatten in Paris Pfleger, die ein solches Erziehungssystem doch ein bischen sehr frei hätten finden können – und, meiner Treu! man gelangte schließlich zu der Überzeugung, daß der Abend der Gegenwart und des Prestiges Seiner Königlichen Hoheit des schwarzen Erbprinzen entraten müßte.

Von acht Uhr an nahmen die »kleinen heißen Länder« auf den Bänken Platz, und mitten unter ihnen leuchtete der blonde Haarschopf des kleinen von Barancy wie ein Licht auf diesem düstern Hintergrunde von dunkelfarbigen Kindern.

Moronval hatte Einladungen in Menge an die künstlerische und litterarische Welt verschickt, an diejenigen Kreise dieser Welt wenigstens, in denen er verkehrte; und aus den verschrobensten Ecken und Winkeln von Paris strömten alle Bassermann'sche Gestalten der Kunst und Litteratur und Architektur in zahlreichen Abordnungen herbei.

Sie kamen in Scharen, schweißtriefend, schlotternd, aus den Gründen von Montparnasse oder von den »Ternen«, oben auf den Bocksitzen der Omnibusse, verschlissene und doch würdige Figuren, sämtlich obskure Leute und doch strotzend von Genie, angelockt aus dem Schatten hervor, wo sie sich um ihr Leben plagten, durch das Verlangen sich zu zeigen, etwas zu deklamieren oder zu singen, um den Nachweis für sich selbst zu erbringen, daß sie noch immer am Leben seien. Und wenn sie ein paar Atemzüge frischer Luft geschnappt, das Himmelslicht zu ihren Häuptern gesehen, sich durch einen Schimmer von Ruhmesglanz gelabt und gestärkt und ein klein wenig Erfolg eingeheimst hätten, dann würden sie mit der zum Weiter-Vegetieren nötigen Kraft wieder in den herben Schlund hinuntersteigen.

Denn es war wirklich eine vegetierende, noch im Embryo-Zustande befindliche, unfertige Sippe, die eine ziemliche Ähnlichkeit mit jenen Erzeugnissen der Meerestiefen aufwies, denen um Wesen zu sein, die Bewegung, um Blumen zu werden, nur der Duft fehlt.

Es fanden sich die Philosophen an, im Vergleiche zu denen Leibniz ein Schwächling war, die aber taubstumm von Geburt waren und ihren Ideen nur durch Gebärden Ausdruck gaben, nur unartikulierte Beweisgründe aufstellen konnten. Maler, von dem Triebe, Großes zu schaffen gequält, die aber einen Stuhl so eigentümlich auf seine Füße, einen Baum so wunderlich auf seine Wurzeln stellten, daß alle ihre Bilder aussahen, wie Ansichten von Erdbeben, oder von Zwischendecksräumen von Ozeandampfern an Tagen des Sturms. Musiker, die sich als Erfinder von Zwischenspiel-Klaviaturen einen Namen zu schaffen gedachten. Gelehrte nach dem Zuschnitt des Doktors Hirsch, mit jenen verzettelten Allerhandsgehirnen, in denen es von allem möglichen herumspukt, aber niemals etwas zu finden ist, zufolge der Unordnung die dort herrscht, des Staubes, unter welchem alles vergraben ruht, und nicht zum mindesten auch deshalb, weil ein jegliches Ding dort zerbrochen, unvollständig, unfähig der geringsten Dienstleistung ist.

Dies waren die traurigen, die beklagenswerten unter diesen Existenzen, und wenn ihre unsinnigen Anmaßungen, die in so dichten Büscheln ins Kraut schossen wie das Haar auf ihren Schädeln, wenn ihr Stolz, ihre Verschrobenheiten zum Lachen reizte, so stand doch ein so großes Elend auf ihrer zerrütteten, verrotteten äußeren Erscheinung so deutlich zu lesen, daß man trotz allem vor dem Fieberglanze dieser von allerhand Wahn trunkenen Augen, vor diesen, durch Jammer und Elend verzehrten Gesichtern, auf denen all die besiegten Träume, all die erstorbenen Hoffnungen ihre Spur im letzten Augenblick ihres Erlöschens und Verschwindens eingezeichnet hatten, von Mitleid erfaßt wurde.

Neben Existenzen dieser Beschaffenheit gab es ihrer auch solche, welche sich, nachdem sie sich von der zu großen Härte, Dürre, Öde und Unfruchtbarkeit der Kunst überzeugt hatten, Rat und Hilfe bei den wunderlichsten Erwerbsquellen suchten, bei Beschäftigungen, die mit der Beschaffenheit ihres Geistes in dem ärgsten Mißklange standen – wie z. B. ein lyrischer Dichter ein Stellenvermittelungs-Büreau für männliche Dienstboten besaß, ein Bildhauer die Vertretung für eine Champagnerwein-Handlung, ein Geigenspieler eine Stellung bei der Gasanstalt übernommen hatte.

Wieder andere, minderwürdige, ließen sich von ihren Frauen ernähren, die ihnen durch ihrer Hände Arbeit die Möglichkeit schufen, ihre geniale Faulheit weiter zu pflegen. Paare solcher Art waren gemeinschaftlich erschienen, und die armen Gesponsinnen dieser Bassermann'schen Gestalten trugen auf ihren mutigen und welken Gesichtern den Barpreis, welchen sie für den Unterhalt eines genialen Herrn Gemahls dem Geschick zu erlegen hatten. Von Stolz erfüllt, ihre Männer begleiten zu dürfen, schenkten sie ihnen ein mitleidiges Lächeln, das gleichsam sagen zu wollen schien: »Seht her! Dies ist mein Werk!« und sie hatten wirklich auch Ursache, sich mit Ruhm zu bedecken, denn all diese Exemplare des männlichen Geschlechts waren in der Regel von einem außerordentlich blühenden Aussehen.

Füge man zu diesem Vorbeimarsch von menschlichen Existenzen noch zwei bis drei litterarische Antiquitäten hinzu, Fabulisten der guten Stube, alte Kostgänger von Athenäen, Prytanäen, philotechnischen und andren Gesellschaften, die immer auf der Lauer liegen nach Sitzungen und Abenden dieser Art. Ferner Statisten, unbestimmte Charaktere und Typen: ein Herr, der niemals ein Wort redete, den man aber für einen sehr starken Mann auf seinem Gebiete hielt, weil er Proudhon gelesen hatte; ein andrer, der von Hirsch eingeführt worden war und den man »den Neffen von Berzelius« zu nennen beliebte; er besaß im übrigen keinen andren Ruhmestitel, als seine Verwandtschaft mit dem erlauchten schwedischen Gelehrten und schien ein ausgemachter Dummkopf zu sein: ein Komödiant in partibus des Namens Delobelle, der, wie die Rede ging, in den Besitz eines Theaters treten sollte.

Endlich die Statisten-Stammgäste des Hauses, die drei Professoren: Labassindre im gesellschaftlichen Staatsrocke, der von Zeit zu Zeit sein »bu-uh! bu-uh!« hören ließ, um zu sehen, ob er noch im Besitz seines Leib- und Magen- C sei, denn er gedachte es im Verlaufe des Abends noch zu brauchen – und d'Argenton, der schöne d'Argenton, frisiert à la Erzengel, gebrannt und einpomadisiert, mit hellen Handschuhen, genial, streng und würdevoll, ein richtiger Pontifex maximus.

Am Eingange zum Saale stand Moronval kerzengerade und bekomplimentierte jedermann mit tiefer Verbeugung, gab hier und da mit zerstreuter Miene einen Händedruck und war im höchsten Grade beunruhigt darüber, daß die Zeit weiter und weiter vorrückte, und die Frau Gräfin – so wurde Ida von Barancy hier tituliert – noch immer nicht angelangt war.

Eine Art von ängstlicher Beklommenheit schwebte über der Versammlung. In den Ecken und Winkeln, wo man Aufstellung genommen hatte, plauderte man ganz leise. Die kleine Madame Moronval schritt von Gruppe zu Gruppe und sagte überall mit der liebenswürdigsten Stimme: »Noch fangen wir nicht an ... Es wird noch auf die Frau Gräfin gewartet.« Und auf diesen ausdrucksvollen Lippen nahm dies Wort Gräfin ganz außerordentliche Anflüge von geheimnisvoller Bedeutung, von feierlicher Gewandung und vornehmem Adel an. Und da ein jeglicher von der Versammlung sich das Ansehen zu geben trachtete, mit zu den Bestinformierten der Versammlung zu gehören, so flüsterte alles einander zu: »Es wird noch auf die Frau Gräfin gewartet.«

Das Harmonium stand weit aufgeklappt und lächelte aus allen seinen Tasten, einem riesigen Kleiderrechen gleich, die Zöglinge an, die in Reih und Glied an der Wand aufgestellt waren, lächelte den kleinen Tisch an, der mit einem grünen Tuche geschmückt war, auf dem neben einem Glase Zuckerwasser eine Lampe mit Lampenschirm stand, und der sich, unheimlich und bedrohlich wie eine Guillotine in der Frühdämmerung, auf seiner Estrade in die Höhe reckte – dazu Herr Moronval in weißer Weste und mit kraus in Falten gezogener Stirn, und Madame Moronval, geborne Decostère, die rot war wie eine Puterhenne von all dem Feuer dieses festlichen Empfangs – Maduh-Gheso endlich, der schlotternd am ganzen Leibe im Thürzuge stand – alles, ja wirklich! alles und jedes harrte der gnädigen Frau Gräfin.

Da sie indes nicht kam, und nicht kam, und es sehr kalt war, ließ sich d'Argenton bereit finden, sein »Glaubensbekenntnis der Liebe« herzusagen, das alle Anwesenden auswendig konnten, da sie es schon mindestens fünf- bis sechsmal mitangehört hatten.

Vor dem Kamin stehend, mit energisch nach hinten gestrichenem Haar, den Kopf in so hoher Haltung, daß es aussah, als vergeudete er seine Verse an die Verzierungen des Plafonds, deklamierte der Poet mit einer Betonung, so aufdringlich, so pöbelhaft, wie es das ganze Ding selbst war, das er sein Dichtwerk nannte – und unterließ es nicht, nach jeder packenden Stelle eine Pause zu machen zu dem Zwecke, den Ausrufen der Bewunderung und des Beifalls Zeit zur Entfaltung und die Möglichkeit zu lassen, sich bis zu ihm hin fortzupflanzen.

Der liebe Himmel weiß es, daß die Bassermann'schen Gestalten vom Schlage Moronvals mit derlei Ermutigungsphrasen nicht geizig sind.

»Unerhört!« ...

»Unvergleichlich!« ...

»Überwältigend!« ...

»Victor Hugo in neuerer Fassung!«

Und was von allen Ausrufungen, die hörbar wurden, am erstaunlichsten klang:

»Goethe mit Gemüt und Herz!«

Ohne sich dadurch beirren zu lassen, angespornt vielmehr von diesen Lobesergüssen, fuhr der Poet mit ausgestrecktem Arme und mit der Gebärde und Miene eines die Welt beherrschenden Cäsar zu deklamieren fort:

»Und allem Spott und Hohn gemeiner Menge
Zum Trotze glaub' ich an die Liebe – glaube ich an Gott.«

Sie trat herein.

Der Lyriker, dessen Augen noch immer gen Himmel schauten, wurde sie gar nicht gewahr. Aber sie – sie sah ihn, die Unglückliche! und von diesem Augenblick an war es um sie, war es um ihr Leben geschehen! ...

Er war ihr niemals anders als im Überrock, im Hut, angekleidet für die Straße und nicht für den Olymp, vor Augen gekommen; dort aber, in jenem fahlen Lichte der Milchglasglocken, das seinen blassen Teint noch blässer erscheinen ließ, im schwarzen Frack, in perlgrauen Handschuhen, gläubig an die Liebe, wie er gläubig war an Gott, hier übte er auf sie eine verhängnisvolle, eine übermenschliche Wirkung.

Er entsprach all ihrem Sehnen, allen ihren Träumen; er war die Antwort auf jene tierisch-dumme Gefühlsduselei, die den Boden von jenen Dirnenherzen füllt; auf jenen Drang nach reiner Luft und Idealen, der eine Vergeltung zu sein scheint für das Dasein, welches sie führen; auf jene unklaren, wirren Regungen, die sich nach ihren Begriffen in einem einzigen, sehr schönen Worte zusammenfassen, das aber auf ihren Lippen den pöbelhaften und entwürdigenden Ausdruck annimmt, den sie allem leihen, was über ihre Lippen gelangt – in jenem Worte: »Der Künstler!«

Ja! von dieser ersten Minute an gehörte sie ihm an, war sie die Seine; von dieser Minute an zog er ein in ihr Herz, ganz und gar, ganz so, wie er dort stand, mit seinem harmonischen Haarscheitel, mit dem gebrannten Schnurrbart, dem gestreckten und zitternden Arme, mit all' dem poetischen »Blech«, das ihm anhaftete. Sie sah weder ihren kleinen Jack, der ihr einmal über das andere mal in trostloser, verzweifelter Weise winkte und zunickte und Kußhändchen zuwarf – noch sah sie den Herrn und die Frau Moronval, die beide sich tief bis zur Erde verneigten – noch sah sie alle die neugierigen Blicke, die sich an diesen neuen Gast hefteten, an diese junge, frische Erscheinung, die in ihrer Sammtrobe und in dem kleinen, weißen, rosigen, getollten, mit Tüllbarben, die sich schärpenartig um sie schlangen, geschmückten Theaterhütchen so vornehm, so elegant aussah.

Bloß ihn – niemand anders, nichts andres als ihn!

Lange nachher sollte sie sich dieses tiefen Eindrucks entsinnen, den auch in der Folgezeit nichts zu ändern vermochte – lange nachher noch sollte sie ihn wiedersehen, wie im Traume, ihren großen, ständigen Dichter, so wie sie ihn zum ersten mal erblickte dort mitten im Saale von Moronvals, der ihr an jenem Abend unermeßlich, glitzernd und funkelnd von tausenden von Kerzen, erschien. Ach! er konnte ihr allen nur möglichen Kummer, alles erdenkliche Herzeleid zufügen, konnte sie demütigen, verletzen, ihr Leben vernichten und ein anderes noch, das kostbarer, köstlicher war als ihr Leben – und doch war er niemals imstande, die Blendung dieser Stunde aus ihrem Geiste und Gemüte zu verwischen ...

»Sie sehen, meine Gnädige!« sagte Moronval mit seinem erlesensten Lächeln, »wir haben in Erwartung Ihrer Ankunft das Präludium gespielt ... Der Herr Vicomte Amaury d'Argenton war eben dabei, uns seine prachtvolle Dichtung, das »Glaubensbekenntnis der Liebe« zu recitieren ...«

Vicomte! ... Er war Vicomte!

O! nun erst gar!

Sie wendete sich schüchtern, errötend wie ein junges Mädchen, an ihn:

»Fahren Sie fort, mein Herr! ich bitte Sie darum ...«

Aber d'Argenton mochte nicht. Der Eintritt der Gräfin hatte den schönsten Effekt seiner Dichtung zerschnitten, einen Effekt, der unbedingt sicher war, und für solcherlei Dinge kennt man keine Verzeihung! Er verneigte sich und sagte mit ironischer Höflichkeit:

»Ich bin zu Ende, meine Gnädige!«

Dann mischte er sich unter die Anwesenden, ohne sich weiter mit ihr zu beschäftigen.

Die arme Frau, wie sich das Herz ihr zuschnürte, wie sich das Herz ihr füllte mit wirrer, unbestimmter Trauer! Vom ersten Worte an hatte sie ihm mißfallen, und schon dieser Gedanke war ihr unerträglich. Es bedurfte der herzigen Artigkeiten, der zärtlichen Liebkosungen des kleinen Jack, der glücklich war, seine Mutter zu sehen, der stolz war auf den Erfolg, den sie im Saale hatte; es bedurfte all der Liebenswürdigkeiten, mit denen Herr und Frau Moronval sie überschütteten, all der eifrigen Aufmerksamkeit, die ihr von allen Seiten geschenkt wurde; es bedurfte jener wohlthuenden Empfindung, ganz sicher die Königin des Festes zu sein, um jenen Kummer zu verwischen, der sich bei ihr dadurch verriet, daß sie auf Zeit von fünf Minuten stumm dasaß – ein Umstand, der bei einer Natur wie der ihrigen ebenso außergewöhnlich wie beruhigend wirkte.

Nachdem sich die Unruhe, die durch ihren Eintritt verursacht worden, gelegt hatte, nahm ein jeder den ihm zugewiesenen Platz ein für die auf dem Programm stehende »Vorlesung mit lauter, deutlicher Stimme.« Die souveräne Constant, welche als Begleitung ihrer Herrin erschienen war, ließ sich auf der hintersten Bank, dicht neben den Schülern, nieder. Jack hatte sich auf den Sessel seiner Frau Mama gestützt, die den Ehrenplatz inne hatte; neben ihm saß Moronval und streichelte ihm mit väterlicher Liebkosung über das Haar.

Das Publikum bildete schon eine recht imposante Versammlung, die wie anläßlich einer Preisverteilung in Reih und Glied auf Sesseln saß. Endlich nahm Frau Moronval-Decostère das ganze Tischchen, die ganze Estrade, das ganze Lampenlicht für sich in Beschlag und fing an, eine ethnographische Studie des Herrn Moronval über die mongolischen Rassen vorzulesen.

Es war eine lange, langweilige und öde Abhandlung, eines von jenen Werken geistiger Nachtarbeit, die man in den gelehrten Gesellschaften, von drei bis fünf Uhr in der Dämmerstunde verliest, um die schriftführenden Mitglieder in sanften Schlaf zu lullen.

Schwerenot! bei der Methode Moronval-Decostère hatte man nicht einmal die Möglichkeit, seine Zuflucht zum Schlummer zu nehmen, konnte dieses laue und eintönige Regengüßchen nicht, ohne es zu fühlen, über sich niedergehen lassen. Man mußte hören, war zum Hören gezwungen. Die Worte drangen einem in den Schädel wie mittelst eines Drillbohrers, Silbe für Silbe, Buchstaben für Buchstaben, und die schwierigsten von ihnen zermarterten einem manchmal im Vorbeiziehen Ohren und Sinne.

Was die Anstrengung und Mühe, die durch dieses Zuhören verursacht wurde, auf den Höhepunkt setzte, das war der instruktive und Schrecken einflößende Anblick, welchen Madame Moronval-Decostère darbot, wenn sie in der vollen Ausübung ihrer Methode begriffen war. Sie riß den Mund weit auf, um ein O zu sprechen, zog ihn krumm und schief und in die Länge, verrenkte ihn unter krampfhaften Anstrengungen. Und dort hinten, auf den Bänken dicht an der Wand, mühten sich acht Kindermünder ab, ganz dieselbe Mimik zu üben, ahmten ihrer Frau Professorin nach in allen ihren wunderlichen Verrenkungen und brachten zur Darstellung, was dieses fürtreffliche System als »bildliche Darstellung der Worte« bezeichnet. Diese acht kleinen, in schweigsamer Bewegung begriffenen Kinnladen brachten eine ganz phantastische Wirkung hervor. Mamsell Constant war vor Verwunderung und Schreck hierüber ganz starr.

Aber die Gräfin sah nichts von dem allen. Sie sah ihren Dichter, die Arme über die Brust gekreuzt, mit irre blickenden Augen, gegen die Salon-Thüre gelehnt stehen.

Er träumte.

Wie fern, wie entrückt, wie von hinnen geeilt man ihn fühlte! Sein gen oben gerichtetes Haupt sah aus, als ob es Stimmen hörte!

Von Zeit zu Zeit senkte sich sein Blick, stieg wieder hernieder zur Erde, aber ohne daß er geruhte, irgendwo dort zu weilen. Die Unglückliche lauerte auf ihn, hoffte auf ihn, erbettelte ihn beinahe, diesen schweifenden Blick – aber immer umsonst. Er glitt ohne Teilnahme, ohne Interesse über jedermann hier, einzig und allein sie ausgenommen. Der Stuhl, auf welchem sie saß, schien für ihn leer zu sein, und die arme Frau war so trostlos, so verwirrt über diese Gleichgiltigkeit, daß sie Moronval zu dem glänzenden Erfolg seiner gelehrten Abhandlung zu beglückwünschen vergaß, die eben inmitten von Beifallsklatschen und unter dem gemeinsamen Gefühl einer namenlosen Erleichterung zu ihrem Ende gelangt war.

Nach dieser Stunde ausdrucksvollen Vorlesens kam der Vortrag eines Gedichtes von d'Argenton, zu welchem Labassindre auf dem Harmonium die Begleitung spielte. Diesmal hörte sie zu, von A bis Z, das schwöre ich Euch, und alle abgeschmackten Redensarten, alle sentimentalen Trivialitäten, die in diesen Versen standen, fanden den Weg zu ihrem Herzen, aufgereiht, tremuliert, moduliert nach den schleppenden, langgezogenen Tönen des Instruments. Atemlos, bezaubert, umwogt von dieser harmonischen Flut, saß sie da.

»Wie schön! wie schön das ist!« sagte sie, sich zu Moronval wendend, der sie mit einem Lächeln anhörte, gallsüchtig und neidisch, als sei ihm die Galle ins Blut getreten.

»Stellen Sie mich doch dem Herrn d'Argenton vor!« bat sie, sobald der Vortrag zu Ende war ... »Ach, verehrter Herr! das ist zu prächtig, zu erhaben! Wie glücklich sind Sie, ein solches Talent zu besitzen!«

Sie sprach mit halblauter Stimme, stotternd, lallend, nach Worten suchend – sie, die sonst so schwatzlustig, so überreich an Worten war. Der Dichter verneigte sich leicht, kalt bis ans Herz hinan, als sei ihm diese tiefempfundene Bewunderung völlig gleichgiltig. Nun fragte sie ihn, wo seine Dichtungen käuflich zu haben seien.

»Sie sind nicht käuflich, meine Dame,« gab d'Argenton zur Antwort mit feierlicher und gekränkter Miene.

Ohne es zu wollen, hatte sie den empfindlichsten Punkt dieses auf das Prokrustes-Bett gestreckten Stolzes berührt, und noch einmal wendete er sich von ihr ab, ohne sie auch nur angesehen zu haben.

Aber Moronval benützte den Umstand.

»Du mein Gott, ja! so steht es eben mit der Litteratur ... Solche Verse finden nicht einmal einen Verleger ... Das Talent, das Genie bleiben vergraben, verkannt, darauf angewiesen, in den Ecken und Winkeln zu glänzen ...«

Und sogleich ergänzte er die Rede:

»O! Wenn man eine Wochenschrift besäße!«

»Dann muß man eben eine haben!« gab sie lebhaft zur Antwort.

»Ja! aber das Geld?«

»Nun! das Geld hierzu wird sich schon finden lassen! ... Es ist doch gar nicht möglich, solche Meisterwerke im Schatten stehen zu lassen!«

Sie war außer sich vor Empörung und sprach sehr beredt, jetzt wo der Dichter nicht mehr zur Stelle war.

»Vorwärts nun! die Sache ist im Schusse,« sprach Moronval bei sich, und da er mit seiner hinterlistigen Bosheit die schwache Seite der Dame begriff, erzählte er ihr von d'Argenton und war beflissen, ihn mit jenen romantischen und sentimentalen Farben zu umgeben, die, wie er sah, von ihr geliebt wurden.

Er machte ihn zum modernen Lara, zu einem Manfred, schilderte ihn als edle, stolze, unabhängige Natur, welcher die Härten des Schicksals nichts anzuthun vermöchten. Er arbeitete für den Lebensunterhalt und weigerte sich, vom Staat oder von der Regierung jegliche Hilfe anzunehmen.

»O! das ist recht ...« sagte Ida. Dann fragte sie, ewig beunruhigt und gequält durch dieses Wappenschild, das ihr im Kopfe spukte und das sie dem und jenem, unrechter und verkehrter Weise zuerkannte:

»Er ist vom Adel; nicht wahr?«

»Von sehr hohem Adel, meine Gnädige ... Vicomte d'Argenton, Abkömmling einer der ältesten Familien der Auvergne ... Sein Vater, der durch einen ungetreuen Intendanten zum Ruin gebracht wurde ...«

Und nun trug er einen alltäglichen Roman auf mit dem Zubehör unglücklicher Liebe für eine Hofdame, eine Geschichte von Briefen, die dem Gemahl durch eine eifersüchtige Marquise gezeigt worden waren. Sie ward nicht müde, nach Einzelheiten zu fragen, – und während sie beide auf den näher zusammengerückten Fauteuils saßen und flüsterten, schien derjenige, von welchem sie sprachen, nichts von diesem Treiben zu merken, und der kleine Jack, der ganz besorgt darüber war, seine Mutter so lebhaft in Anspruch genommen zu sehen, zog sich zwei, drei ungeduldige Reden zu: »Aber, Jack! verhalte Dich doch ruhig ... Jack! Du bist ja ganz unausstehlich!« – bis er sich schließlich, mit geschwollenen Lippen, feuchten Augen, in eine Ecke des Saales flüchtete und sich dort ausweinte.

Während dessen nahm die Sitzung ihren Fortgang.

Jetzt fing einer von den Zöglingen, ein kleiner Senegal-Neger, braun wie eine Dattel, mitten auf der Estrade eine Dichtung von Lamartine »Das Gebet eines Kindes bei seinem Erwachen« zu deklamieren an, und zwar in folgender Weise mit mehr als kreischendem Organ:

»O Du d'oben, den ich Vate' nenne,
Zu dem in heißem Flehen ich entb'enne –
De' Glück und Segen jedem spendet,
De' allem stets das 'echte sendet,
Des 'uhm und Eh' die E'de singt –
Zu dem empo' das Beten alle' d'ingt –
De' t'eu ob meine' Mutte' wacht –
Ihm – ihm sei f'omm mein f'omm Gebet geb'acht.«

woraus sehr wohl zu ersehen war, daß die Natur allen Methoden, sogar der Methode Moronval-Decostère, Hohn spricht.

Hierauf kam der Sänger Labassindre, nach zahlreichen Bitten und auf allgemeines Verlangen, »seinen Ton zum Besten zu geben,« wie er sich ausdrückte. Er probierte ihn zuerst zwei- bis dreimal, gab ihn dann ohne Rücksicht, ohne Zaudern preis in solcher Tiefe, mit solchem Schall, daß die Glasfenster des Salons und seine Mauern, die dünn waren wie Pappkarten, darob in allen Fugen erzitterten, und Maduh-Gheso, aus dem Hintergrunde der Küche hervor, wo er mit der Zubereitung des Thees beschäftigt war, voll rasender Begeisterung mit einem entsetzlichen Kriegsgeschrei antwortete.

Er liebte den Lärm, dieser Maduh!

Es ereigneten sich auch Zwischenfälle komischer Art.

Mitten unter dem größten Schweigen, während ein fremder Fabulist, der es sich, wie er freimütig eingestand, zur Aufgabe gemacht hatte, die Lafontaine'schen Fabeln in neuer Auflage zu bringen, der den »Derwisch und der Mehlnapf« und eine Umschreibung von »Pirette und der Milchtopf« deklamierte, entspann sich ganz am Ende des Saales zwischen dem Neffen von Berzelius und dem Manne, welcher Proudhon gelesen hatte, eine Auseinandersetzung. Man tauschte lebhafte Worte aus; es regnete sogar Ohrfeigen; und mitten in dem Drängen und Stoßen fiel es Maduh außerordentlich schwer, das mit Kuchen und Fruchtsäften beladene große Tablett gerade zu halten, das er vor den gierigen Augen der »kleinen heißen Länder,« denen etwas zu reichen ausdrücklich verboten war, vorbei trug. Es wurde ihnen indes zu zwei oder drei malen des Abends eine Portion Hagebuttenbrühe verabreicht.

Moronval und die Gräfin setzten ihre Unterhaltung fort, und der schöne d'Argenton, welcher schließlich die Aufmerksamkeit, deren Ziel er war, gewahr wurde, stand ihnen gegenüber in sehr stolzer, erhabener Haltung und schwatzte und ließ es an hochtrabenden Redensarten und stolzen Gebärden nicht fehlen, in der Absicht gesehen und gehört zu werden.

Er schien in sehr heftigem Zorn entbrannt zu sein. Gegen wen war er wohl so ergrimmt?

Gegen niemand und gegen jedermann.

Er gehörte zu jener Rasse von verbitterten, der Phantasie entkleideten Wesen, die von überallher zurückgekommen sind, ohne jemals irgend wohin gegangen zu sein, die gegen die Gesellschaft, gegen die Sitten, gegen die Geschmacksrichtung ihrer Zeit predigen, indes sie Sorge tragen, sich immer außerhalb der allgemeinen Verderbnis zu setzen.

In diesem Augenblicke hatte er den Fabulisten beiseite genommen, der als friedsamer Untervorsteher, im Bureau irgend eines Ministeriums angestellt war, und sagte zu ihm mit gehässiger, verächtlicher, bedrohlicher Miene:

»Seien Sie still ..., ich kenne Sie ... Sie sind auch einer von der versumpften Dantonisten-Sorte ... Alle Laster des letzten Jahrhunderts habt Ihr an Euch und zum Besitz seiner Grazie werdet Ihr niemals gelangen.«

Der Fabulist senkte überwältigt, gedemütigt, das Haupt.

»Was habt Ihr gemacht mit der Ehre? ... Was habt Ihr gemacht mit der Liebe? ... Und Eure Werke, wo sind sie? Nette Nummern das, Eure Werke!«

Hier verwahrte sich der Fabulist mit Grimm:

»Aber! erlauben Sie ...«

Der andere aber erlaubte nichts – und dann, was konnte ihn übrigens hierbei interessieren, was dieser Fabulist dachte? Er schwatzte ihm über den Kopf hinweg, kanzelte ihn von weitem und von oben herunter. Er hätte es am liebsten gesehen, daß das ganze Frankreich als Auditorium anwesend gewesen wäre, um ihm tüchtig die Leviten lesen zu können. Er hielt von Frankreich nichts mehr, hatte all sein Vertrauen zu ihm verloren ... Frankreich galt ihm als ein Land, das verdorrt, verloren, ruiniert war ... Es wäre nichts mehr aus ihm zu holen, weder was Treu und Glauben, noch was Gedanken und Begriff anginge. Er hätte seit langem schon den festen Entschluß gefaßt, in diesem Lande keine Stunde mehr zu leben, sondern auf und davon gehen, überm Meere, in Amerika, eine neue Heimat zu suchen.

Während dieser Rede hielt sich der Poet zu drei Vierteilen in einer unwiderstehlichen Positur; und zwar deshalb, weil er unbestimmt erriet, ohne es zu sehen, daß ein Blick der Bewunderung auf ihm haftete. Er hatte jene Empfindung, die man abends auf den Feldern hat, wenn der aufgehende Mond sich plötzlich hinter einem erhebt, einen mit seinem Lichte magnetisiert und zwingt, den Blick zurück nach seiner schweigsamen Gegenwart zu wenden: thatsächlich umgaben ihn diese wie Pfeile nach ihm gezielten Augen mit dem Strahlenglanz einer Glorie. Er erschien schön, solchermaßen er es zu scheinen wünschte.

Allmählich schloß sich Schweigen im Saale um diese feierliche und Aufmerksamkeit heischende Stimme. Aber Ida von Barancy war diejenige von allen, welche die meiste geistige Sammlung aufwies. Dieses geschickt in die Unterredung hineingeworfene freiwillige Exil in Amerika war ihr eiskalt ans Herz getreten. Binnen einer einzigen Minute waren die dreißig Kerzen des Salons Moronval verschwunden, und in der Trauer ihrer Gedanken verlöscht. Was sie noch vollends um ihre Hoffnung brachte, war, daß der Poet, nachdem er sich über seine Abreise schlüssig geworden, sich vor seiner Einschiffung in einem heftigen Ausfall gegen das französische Frauentum erging, dessen Leichtsinn, Verderbtheit und Plattheit im Lächeln er nicht minder verdammte, wie die Käuflichkeit seiner Liebe.

Er redete nicht mehr, er donnerte, gestützt auf den Kamin, das Gesicht nach der Menge hin gewandt, und schonte weder seiner Stimme, noch seiner Worte.

Die arme Gräfin, die so sehr eingenommen von ihm war, daß sie sich gar nicht denken konnte, ihm eine gleichgiltige Person zu sein, glaubte zu verstehen, an wen er seine Rede richtete.

»Er weiß, wer ich bin,« sagte sie bei sich und beugte unter der Wucht seiner Verwünschungen das Haupt.

Ringsumher machte bewunderndes Geflüster die Runde.

»Welch ein Feuer! er ist niemals so schön gewesen!«

»Welch ein Genius!« sagte Moronval ganz laut, und mit leiserer Stimme setzte er hinzu: »Welch ein Windbeutel!«

Aber Ida bedurfte solchen Ansporns nicht. Die Wirkung war hervorgebracht.

Sie liebte!

Was den Doktor Hirsch anbetrifft, welcher immer auf der Suche nach pathologisch-merkwürdigen Fällen war, so lag für ihn ein Fall von augenblicklichem In-Brand-Geraten vor, dessen Beobachtung gewiß der merkwürdigen Momente die Menge bot. Aber der Direktor Hirsch widmete seine Aufmerksamkeit in diesem Augenblicke ganz anderen Dingen. Er versuchte die zwischen dem Neffen von Berzelius und dem Manne, welcher Proudhon gelesen hatte, schwebende Angelegenheit beizulegen oder vielmehr aufzustacheln. Labassindre mengte sich auch dazwischen, und nun gab es ein Gezischel und übergeschäftiges Gethue voller Trostlosigkeit und Verzweiflung, ein Hin- und Hergerenne, allerhand wichtige Bücklinge und Komplimente, einen ganzen Versöhnungsapparat zu dem Zwecke, zwei Schlingel, die nicht die mindeste Schneide dazu hatten, dazu zu bringen, daß sie die Plempen gegeneinander zogen oder sich mit Pistolen traktierten. Übrigens machte sich niemand darüber Kopfschmerzen; solcherlei Affairen, die in den litterarischen Abenden des Gymnasiums Moronval durchaus keine Seltenheit waren, arrangierten sich immer gerade dann, wenn sie sich aufs ernstlichste zuspitzten. Sie stellten lediglich den Abschluß dieser kleinen Versammlungen dar, wo sich dann ein jeder dieser problematischen Geister, an denen das Leben sein Mütchen gekühlt hatte, so lange an den Marmor des Kamins zu stützen, oder vor das Harmonium zu stellen pflegte, als es ihm zur Offenbarung seines Genies notwendig zu sein bedünkte.

Vor einer Stunde schon hatte Frau Moronval soviel Barmherzigkeit im Schrein ihres Herzens gefunden, um Jack und zwei bis drei ihrer »heißen Ländchen« – und zwar diejenigen, welche die kleinsten von allen waren – in ihre Betten zu schicken; diejenigen, welche noch munter bleiben mußten, gähnten und rissen die Augen weit auf in ihren Höhlen, gleichsam hypnotisiert von dem, was ihre Augen gesehen, ihre Ohren vernommen hatten.

Man ging auseinander.

Die vom Winde zerfetzten Papierlaternen schaukelten sich noch über der Gartenpforte. In dem Gäßchen war's unheimlich: sämtliche Häuser lagen im Schlafe; nicht einmal ein Polizist vergönnte ihm zur Belebung seines schmutzigen Pflasters einen Rundengang. Aber zwischen diesen lärmenden, noch immer deklamierenden und diskutierenden Gruppen hatte niemand Achtung, weder auf die unheimliche Kälte der Nacht, noch auf den feuchten Nebel, welcher sich herniedersenkte.

Als man auf die Avenue hinaustrat, machte man die Wahrnehmung, daß die Fahrzeit der Omnibusse abgelaufen war. All' diese armen Teufel faßten nun tapfer ihren Entschluß. Die Schimäre mit der goldigen Schuppenhaut erhellte und kürzte ihnen den Weg, heizte ihnen ein und, über das öde Paris zerstreut, kehrten sie mutvoll zurück zu dem finstern Elend und Jammer des Lebens.

Die Kunst ist ja ein so großer Magier! Sie erschafft eine Sonne, die für alle scheint gleich jener anderen! und solche, die sich ihr nähern, sogar die Armen, sogar die Häßlichen, sogar auch die Wunderlichen nehmen ein wenig von ihrer Wärme und ihrem Strahlenkranz mit hinweg. Dieses unklugerweise geraubte Himmelsfeuer, das die gescheiterten, vornehmen Existenzen im Grunde ihrer Augäpfel hüten, macht sie manchmal wohl furchtbar, zumeist aber lächerlich. Ihr Dasein indessen empfängt hiervon eine erhabene Fröhlichkeit, eine Verachtung des Bösen, eine Grazie im Leiden und Dulden, welche kein anderes Elend zu kennen und zu besitzen pflegt.


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