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Zwanzigstes Kapitel.
Künftige Richtlinien des Reichsgesundheitsrates

Ohne vorgreifen zu wollen, glaube ich doch, weil ich jahrelang alle diese Fragen praktisch behandelt und beinahe ein Jahr lang auf das gründlichste und nach allen Richtungen hin betrachtet und durchforscht habe, berechtigt zu sein, Vorschläge für die Aufstellung der Grundsätze, die durch den Reichsgesundheitsrat erfolgen sollten, zu machen. – Die Bearbeitung würde zweckmäßig in einem Ausschuß erfolgen, dem am besten zwei Volkswirtschaftler, ein. Rechtsgelehrter, fünf praktische Ärzte (von denen vier jünger als fünfzig Jahre und noch in der Kassenpraxis tätig sein müßten), schließlich zwei beamtete Ärzte (darunter ein Hochschullehrer) mit dem Präsidenten des Reichsgesundheitsrates als Vorsitzendem anzugehören hätten. Die Richtlinien wären immer für die nächsten drei Jahre in Kraft zu setzen, im letzten Halbjahre der Laufzeit erneut zu prüfen, gegebenenfalls abzuändern. Es würde nicht nötig sein, Beschränkungen der Eingriffe in bezug auf das Alter der Schwangerschaft vorzunehmen, ebensowenig brauchte man irgendwelche Unterschiede bei den Frauen, die zu behandeln wären, zu machen.

Zunächst zur Festlegung der sogenannten eugenetischen Anzeige:

Hier würden fast ausschließlich die Ärzte zu Worte kommen und zu entscheiden und festzulegen haben, wann mit Sicherheit anzunehmen wäre, daß Keime (deren Wachstum unterbrochen werden sollte) infolge ererbter Krankheiten und Anlagen nicht imstande sein würden, sich zu Kindern zu entwickeln, »die körperlich oder geistig ein selbständiges und nützliches Leben führen könnten« (Winter).

Zweitens: Die Notzuchts- und Minderjährigkeitsanzeige. Sie wäre vorwiegend von dem Rechtsgelehrten abzufassen, der im Ausschuß ist. Als Laie auf diesem Gebiet gestatte ich mir nur einen kurzen Hinweis: Als Notzucht sollte ein Vorgang nur dann gelten, wenn er zur Anzeige gebracht ist. Dann sollte das Untersuchungsverfahren tunlichst in zwei Wochen Klarheit schaffen. Wäre dies unmöglich, sollte es genügen, wenn ein gerichtlicher Sachverständiger bescheinigte, daß es ihm »wahrscheinlich« erschiene, daß tatsächlich Notzucht vorliege.

Drittens: Bei der Feststellung der sozialen Anzeige hätten in erster Linie Volkswirtschaftler im Ausschuß, die Wohlfahrtsbeamten des Staates und der Gemeinden im Leben das Wort. Letztere hätten zu prüfen, wie die Wohnungsverhältnisse lägen, wie sie gegebenenfalls zu bessern wären, wie die Einkommensverhältnisse wären, und vor allem hätten sie festzustellen, ob die betreffende Frau gesetzlichen Anspruch auf eine Unterbrechung ihrer Gebärtätigkeit hätte und dies dann zu bescheinigen. Die Gesichtspunkte sind bereits ausgiebig erörtert. Hand in Hand mit den Wohlfahrtsbeamten hätten dabei die praktischen Ärzte zu arbeiten und die Wohnverhältnisse besonders noch nach den Gesetzen der Gesundheitslehre zu betrachten. Könnten sie sich mit den Wohlfahrtsbeamten nicht einigen, wäre ein Amtsarzt hinzuzuziehen, dessen Stimme den Ausschlag geben würde. Die Möglichkeit, eine Berufungsmöglichkeit an eine übergeordnete Stelle zu schaffen, müßte ins Auge gefaßt werden, damit Mißgriffe verbessert werden könnten.

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Viertens: Die ärztliche Anzeige müßte allein von den Ärzten im Gesundheitsratsausschuß ganz genau wissenschaftlich festgelegt werden. Im Leben hätten dann drei Ärzte (ein Praktiker, ein Facharzt und ein Amtsarzt) gemeinsam jeden Fall zu prüfen und festzustellen, ob die Grundsätze des Reichsgesundheitsrates bei einer Schwangerschaft in dem betreffenden Falle eine Unterbrechung gestatteten oder nicht. Die Möglichkeit eines zweiten Rechtszuges, vielleicht durch Gutachten von Hochschullehrern, zu schaffen, wäre zu erwägen.


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