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Siebzehntes Kapitel.
Uneheliche Mutter und Bankert

Ich deutete bereits an, daß man bei der Festlegung neuer Bestimmungen die unverheiratete Schwangere anders behandeln müßte wie die verheiratete. Es läge allerdings kein Grund vor, bei der sogenannten »eugenetischen«, ferner der Minderjährigkeits- und Notzuchtsanzeige und der ärztlichen Anzeige irgendwelche Unterschiede zu machen. Etwas anders wäre es bei der sozialen Anzeige. Es wird zweckmäßig sein, zunächst einige Ausführungen allgemeiner Art über die unehelich Geschwängerte und ihr Kind zu machen. Der Standpunkt, daß ein Mädchen verächtlich oder gar strafbar sei, wenn es außerehelich schwanger würde, gehört zwar früheren Jahrhunderten an. Es läßt sich aber doch nicht verkennen, daß auch heute noch, in der größten Zahl der Fälle, die unehelich Geschwängerte in arge, besonders seelische Bedrängnis gerät. Es spielt da die Angst um den Verlust des guten Rufes, der Stellung, die Furcht vor strengen Eltern, auch Sorgen um eine Zukunft, die durch Verantwortlichkeiten für ein uneheliches Kind belastet würde, eine Rolle. Alle Ärzte haben daher ausnahmslos schwer darüber zu klagen, daß sie, je nach dem Grad ihrer Beschäftigung, häufiger oder seltener von solchen unglücklichen schwangeren Mädchen aufgesucht werden, die nicht mehr aus noch ein wissen. Da es sich dabei meist um ziemlich gesunde und kräftige Menschen handelt, wird der Arzt fast immer die von ihm erbetene Hilfe abzulehnen haben, weil sie verboten ist. Die meisten flüchten sich dann zu Laien-Abtreibern. Weil sie meist noch nicht geboren haben, ist der Eingriff bei ihnen erheblich schwieriger als bei Frauen, deren Teile und Geburtswege durch Geburten schon wiederholt gedehnt wurden und deshalb leichter zugänglich sind. Außerdem müssen sich diese verbotenen Vorgänge bei Unehelichen möglichst rasch, heimlich und ohne daß die Möglichkeit der Schonung und Bettruhe für sie besteht, abspielen, weil sie abhängig und beobachtet sind. So kommt es, daß diese jungen Mädchen den größten Teil der schweren Erkrankungen und Todesfälle stellen, die eine Folge verbrecherischer Eingriffe sind. Wir verlieren mit diesen Frauen, gleichviel ob sie sterben oder auf Jahre siech werden, vollkräftige Frauen im besten Gebäralter. Hauptsächlich handelt es sich um Dienstmädchen, junge Angestellte und Haustöchter. Sie sind sehr wertvoll, als Gebärkräfte und als Menschen betrachtet, es ist daher unbedingt unsere Pflicht, alle Mittel zu prüfen, die dazu dienen könnten, diesem Unheil zu steuern. Ich bin in diesem Falle wohl auch mit meinen Gegnern einig, wenn ich es ablehne, die Verhältnisse der unehelich Schwangeren zu sehr auf Kosten der Vorrechte zu bessern, die die Ehe gewährt. Ich erblicke in einer Gesundheit der Ehen die erste Voraussetzung für einen gesunden Staat und beides möchte ich nicht gefährdet sehen. Dagegen muß man, wenn man neuzeitlich, auch wenn man christlich denkt, sich unbedingt dafür einsetzen, daß die Lage der unehelich Geschwängerten und des unehelichen Kindes auf Kosten des wirklich dafür Verantwortlichen, des Schwängerers, verbessert werde. Ich will auf weite geschichtliche Rückblicke verzichten und nur kurz darauf hinweisen, daß die Zukunftsaussichten des unehelichen Kindes – des Bankerts – früher eher besser als schlechter waren als jetzt.

Im Bürger- und Bauerntum zog man – abgesehen vom Erbrecht – Kind und »Kögel« ziemlich gleichmäßig nebeneinander auf. Die neuzeitliche Gesetzgebung hat zwar anerkennenswerte Versuche gemacht, den unehelichen Vater schärfer heranzuziehen, diese gehen mir aber noch immer nicht weit genug! Der neuzeitliche Bankert ist wirtschaftlich noch viel zu sehr benachteiligt, wenn man die Grundlage an Erziehung und Vermögen betrachtet, von der aus er ins Leben treten muß. Das ist um so bedauerlicher, weil die in freier Liebe und Zuchtwahl Erzeugten oft – sehr oft – den ehelichen Kindern an körperlichen und geistigen Eigenschaftswerten überlegen sind. Es wird auch hier wieder eine kräftige Quelle nicht richtig ausgenützt, die zur geistigen Blutauffrischung des ganzen Volkes dienen könnte. Ich würde mich zu sehr verlieren, wollte ich mit ins einzelne gehenden Vorschlägen kommen, ich rege daher nur kurz an: Handelt es sich darum, daß Männer höherer Kreise Töchter aus armen Kreisen zu Müttern machen, so zwinge man diese Männer, mit ihrem Selbst und ihrem Vermögen auch für ihre Tat einzustehen. Dies kann dadurch geschehen, daß die Eltern eines unehelichen Kindes vom Standesamt öffentlich bekannt gegeben werden und daß das Kind den Namen des Vaters führt! Handelte es sich dabei um einen Ehemann als unehelichen Vater, so könnte dessen gesetzmäßige Ehe – um einem Einwurf zu begegnen – dadurch nicht mehr geschädigt werden, diese wäre ja schon durch den Ehebruch innerlich zerstört. Äußere Gesichtspunkte dürften nicht davon abhalten, meinen Vorschlägen zu folgen! Es ist nicht einzusehen, warum man nicht solche Ehebrecher und Verführer durch eine öffentliche Bloßstellung abschrecken, erziehen, ja bestrafen sollte, anstatt sie noch zu schützen und, als Wölfe im Schafspelz, zur Gefahr für noch andere unerfahrene Mädchen herumlaufen zu lassen. Zweitens: Man gebe auch dem unehelichen Kind ein, wenn auch bescheidenes Erbrecht, vielleicht in der Höhe der Hälfte des Pflichtteils eines ehelichen Kindes, und ferner Anspruch auf eine tadellose Erziehung, die der des Vaters entspräche, also gegebenenfalls bei guter Veranlagung auch Anspruch auf Hochschulbildung. Das würde sehr segensreich wirken! Schließlich gebe man unehelichen Kindern unverheirateter Männer aller Stände so lange die vollen gesetzlichen Rechte eines ehelichen Kindes, bis der betreffende Vater selber heiratet und eheliche Kinder bekäme. (Ich bin mir bewußt, daß ich damit eine Art Annahme an Kindesstatt anstrebe!) Ähnlich hätte man zu verfahren, wenn es sich um Töchter höherer Stände und deren uneheliche Kinder handelte. Schwieriger wäre es schon, für den Bankert zu sorgen, wenn beide Eltern arm wären. So sehr ich die »Brutpflege in der Familie« schätze (Graßl), bin ich doch der Meinung, man wird bei der größten Zahl dieser unehelichen Kinder armer Herkunft nicht umhin können, sie für die ersten drei Jahre in staatliche Obhut zu nehmen, sobald sie von der Mutterbrust wegkommen. Ausnahmen sollten nur gemacht werden, wenn besonders günstige Verhältnisse vorlägen, die erwarten ließen, daß der Bankert mit Liebe und Sorgfalt von der Mutter oder in deren Familie großgezogen wird. Dies wird auf dem Lande häufiger der Fall sein, als in der Stadt, weil dort noch günstigere Verhältnisse dafür vorliegen.

Ich werde wohl einen Sturm der Entrüstung hervorrufen – besonders in jenen bevorzugten Kreisen, denen ich selbst entstamme und angehöre –, wenn ich nun vorschlage, auch die brachliegenden mütterlichen Gefühle unverheirateter oder verwitweter kinderloser nicht mehr junger Frauen in den Dienst der Brutpflege des ganzen Volkes zu stellen. Wenn man aber meinen Vorschlag einmal ruhig überlegen würde, würde die Empörung bald verfliegen; man würde einsehen, daß ich für beide Teile etwas Gutes bringe, sowohl für den Bankert als auch für das einsame alternde Mädchen und die kinderlose Witwe oder das kinderlose Ehepaar, die sich ein Kind annehmen sollen. Einsamkeit ist ja immer bitter für den Menschen, besonders, wenn er älter wird! Die von mir aufgerufenen Frauen mögen auch ernsthaft prüfen, ob es nicht edelstes Menschentum bedeuten würde, wenn sie sich über so ein unglückliches vernachlässigtes Kind erbarmten und es zu sich nehmen würden! Gewiß, es brächte Arbeit und Unruhe, aber auch sehr viel Glück ins Haus! Wer so ein vierjähriges Wesen zu sich nähme – bis zum Ende des dritten Jahres würde es nach meinen Vorschlägen in staatlichen Anstalten sein –, bekäme es dann, wenn es, wie man zu sagen pflegt, »schon aus dem Gröbsten heraus« ist. Selbstverständlich müßten seitens des Staates steuerliche und andere Vorteile gewährt werden. »Frauen« sollten auch die Unverheirateten von dem Tage an heißen, an dem sie ein Kind annähmen, und sie wären von den Steuerzuschlägen zu befreien, die ich später für Kinderlose vorschlagen werde. Das wären übrigens Steuerquellen, wie sie auch Grotjahn erschließen will. Gewiß hätte mein Vorschlag auch seine Schattenseiten! Wenn man einer unverheirateten Frau die Erziehung eines Kindes, das sie noch dazu nicht selber geboren hat, in die Hand legte, wäre das im gewissen Sinne ein Wagnis! Ich verlasse mich aber darauf, daß in jeder deutschen Frau reiche mütterliche Naturtriebe vorhanden sind. Mögen sie bei einem älteren Mädchen auch zunächst verkümmert sein oder scheinen, sie würden sich doch rasch wieder entfalten. Ich habe oft als Arzt Kinderlosen, deren Ehe durch zu starke Entwicklung der »Ichsucht« beider Teile in Gefahr kam, zu zerfallen, geraten, sich ein Kind anzunehmen, damit hatten sie dann einen Gegenstand gemeinsamer Sorge und gemeinsamen Glückes gewonnen. Ich habe gefunden, daß sie mit einem so jungen angenommenen Kinde in ganz kurzer Zeit so fest verwuchsen, als ob es ihr eigen Fleisch und Blut gewesen wäre. Dieser Vorgang würde sich sicherlich noch schneller und inniger abspielen, wenn es sich um eine alleinstehende Frau und ein angenommenes Kind handelte. Hoffentlich wird man nicht allzuviel ängstliche Bedenken haben, weil die Kinder, die ich anzunehmen vorschlage, in freier Liebe erzeugt wurden. Ohne dieser hier das Wort reden zu wollen, – die unglücklichen Kinder können wirklich nichts dafür! Auch ist ein Mädchen, das sich aus Liebe hingibt, noch lange keine Dirne, und selbst wenn sie eine Dirne wäre, so würde man auch darüber leicht hinwegkommen können, wenn man erführe, daß in jeder Frau zwei geschlechtliche Anlagen stecken, die, je nach der Veranlagung der Betreffenden – unter Überwiegen des einen oder anderen – wissenschaftlich (Graßl) als »Dirnenanlage« und »Mutteranlage« bezeichnet werden. Die Dirnenanlage erschöpft ihre Aufgabe in dem Anlocken des Mannes bis zum vollendeten Akt; dann beginnt das »Mütterliche« in der Frau sich zu entfalten. Die mütterlichen Triebe enden ihre Tätigkeit erst mit dem Abschluß des Stillgeschäfts. Diese beiden Anlagen schlummern in jeder Frau, sie sind natürlich und nicht unsittlich. Das beste scheint mir gegeben zu sein, wenn beide Triebe sich ungefähr die Wage halten. Überwiegt nämlich die Dirnenanlage, so entstehen jene wenig zusagenden Frauengestalten, wie man sie gerade in höheren Gesellschaftskreisen so häufig antrifft; jene Gefallsüchtigen, Eitlen und Anmaßenden, die, stolz auf ihre gesellschaftlichen Erfolge und äußere Schönheit, auf Geschlechtsgenossinnen herabsehen, die eine Reihe von Kindern gebaren und im Großziehen dieser etwas versimpelten und hausbacken wurden. Dann gibt es wieder andere Frauen, in deren Geschlechtsveranlagung das Mütterliche so überwiegt, daß sie gar nicht heiraten würden, wenn man nur ohne Ehemann eheliche Kinder bekommen könnte. Unter der Gefühlskälte – ein viel erörtertes Leiden unserer Zeit – solcher »Muttertiere« verkümmert der Ehemann, der nicht zu seinem vollen Daseinsrecht kommt, wenigstens dann nicht, wenn er fein empfindet. Es ist sicher richtig, wenn ich annehme, daß gerade unter den zahlreichen unverheirateten Frauen die Dirneneigenschaften, die das Anlocken des Mannes bewirken, schwach entwickelt sind, ja nahezu ganz fehlen – darum gerade blieben sie unvermählt –, während sie andererseits oft eine besonders starke mütterliche Veranlagung haben, was sich in oft rührender Tierliebe und erhöhtem Wohltätigkeitsdrang äußert. Dies sollte man für Volk und Staat ausnutzen, anstatt es ungenützt verkümmern zu lassen. Darum weg mit all den Notbehelfen des Liebesbedarfs, den Schoßhunden, Kanarienvögeln und Katzen! Schafft sie ab und nehmt ein deutsches gesundes Kind in eure mütterliche Pflege, an euer Herz, ihr unverheirateten und kinderlosen Frauen! Handelt ihr so, dann wird es Gott wohlgefällig sein und auch euch selbst viel Glück bringen!

Kollwitz

Um alle meinen schönen Pläne ausführen zu können, müßte der Staat große Geldmittel aufbringen! Er würde sich daher nach Schultern umsehen müssen, die verpflichtet wären, diese Lasten zu tragen und die auch imstande wären, sie tragen zu können. Da eine immer wieder neue Besteuerung hohe Verwaltungskosten machen, zudem auch verärgernd wirken würde, wäre es am besten, die Geldmittel durch einen Aufschlag auf die Erbschaftssteuer aufzubringen. Diese Aufschläge hätten gleichmäßig, wenn auch nach der Höhe des Vermögens gestaffelt, doch alle Kinderlosen zu treffen, gleichviel, ob sie verheiratet sind oder nicht, gleichviel ob Mann oder Frau. Wer daran keinen Geschmack fände, dem stände es frei, der Besteuerung sich dadurch zu entziehen, daß er sich vom Staat ein Kind – wenn es sich um ein Ehepaar handelte, zwei Kinder – zur Annahme an Kindesstatt erbitten würde. Selbstverständlich wäre es mir das Allerliebste, wenn dies recht häufig der Fall wäre und die Sache nicht mit dem Geldbeutel abgemacht würde. In meinen Vorschlägen steckt nämlich auch der Wunsch, die ichsüchtige Einstellung zu bekämpfen, die in unserem grobsinnlichen Zeitalter das ganze Volksleben auf die schiefe Bahn gebracht hat. Es ist nicht einzusehen, warum man die armen und minderbemittelten Volksschichten nicht entlasten sollte, wie ja auch der Kenner und Züchter der Bienen seinen Arbeiterinnen im Stock größere Liebe und Sorgfalt zuwendet als den Drohnen. Unsere menschlichen Drohnen dürften nicht murren, wenn man sie, wie ich vorschlage, mehr als bisher heranziehen würde.


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