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Achtes Kapitel.
Naturgesetze und § 218

Wenn ich auch die meiner Ansicht nach falsche Einstellung gewisser Kreise unseres Volkes, der sogenannten »höheren« Schichten, lebhaft bekämpfen muß, so lag es mir doch völlig fern, einen Vorwurf erheben zu wollen. Ich weiß, daß sie infolge ihrer einseitigen Bildung und kastengeistigen Auffassung gar nicht anders empfinden können, als sie es tun. Sie halten eben den Staat für eine Dauereinrichtung und erkennen nicht, daß er nur Mittel zum Zweck ist. Das Einzelwesen, die Familie waren schon lange vor dem Staate da und werden auch fortbestehen, wenn der Staat, der sie lediglich zusammenfassen soll, verfallen ist, während umgekehrt die Zerstörung der Familie den Untergang des Staates unweigerlich nach sich ziehen würde. Vor allem fehlt es meinen Gegnern meist an der Fähigkeit oder Möglichkeit und dem Willen, naturwissenschaftlich zu denken. Sie sind nicht die ersten, die diesen Fehler machten. Schon die Römer hatten den Standpunkt eingenommen, daß sich vermindernde Geburtenzahlen für ein Volk schädlich seien, und deshalb allerlei Maßnahmen ergriffen. Ich will gern zugeben, daß diese Bestrebungen unsachgemäß, zu spät und nicht gründlich genug erfolgten, ich kann aber niemals zugestehen, daß überhaupt irgendwelche staatlichen Maßnahmen über die Naturgesetze siegen könnten. Alle Völker streben dem Zustand der völkischen »Sättigung« zu; dieser Zustand ist da, wenn Geburten und Todesfälle sich die Wage halten. Dieser Zustand der Ruhe ist meist bereits ein Ausdruck innerer Schwäche, er braucht dies aber nicht zu sein und diese Schwäche sollte für das deutsche Volk auch nicht angenommen werden, weil dies jetzt unter ganz ungesunden und ungewöhnlichen Verhältnissen lebt. Man muß das deutsche Volk also entweder wieder dadurch zu größerer Gebärfreudigkeit bringen, daß man ihm bessere allgemeine Lebens- und Wohnverhältnisse schafft, oder es befindet sich doch schon in dem Zustand der »Sättigung«. Dann freilich wären alle Versuche, auch die, durch Aufrechterhaltung veralteter Strafgesetze etwas zu erzwingen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es würde dies ebensowenig gelingen, wie es seinerzeit dem Pharao unmöglich war, trotz rücksichtsloser Anwendung seiner Selbstherrschermacht, das jüdische Volk an seiner ungeheueren Vermehrung zu hindern. Die Natur spottet eben in ihrer Allgewalt aller menschlichen Bemühungen, die sie meistern wollen. Einem Rechtsgelehrten, einem Abgeordneten oder Beamten mit Durchschnittsbildung, mit denen wir es hauptsächlich zu tun haben, fehlt diese Kenntnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge, die übrigens etwa nicht meiner Forschertätigkeit entstammen, sondern längst wissenschaftlich anerkannt sind. Mit letzterem ist leider noch nicht die Selbstverständlichkeit ausgedrückt, daß alle Sachverständigen, die das entscheidende Wort – im Strafverfahren jedenfalls oft – zu sprechen haben, sich diese wissenschaftlichen Feststellungen zu eigen gemacht haben. Es wäre gewiß viel verlangt, wenn ich von den vorher genannten Männern und allen Sachverständigen diese neuzeitlichen Kenntnisse verlangte. Wünschenswert erscheint es mir jedenfalls, daß sie auf diesem Gebiet beschlagen wären, darum erörtere ich hier alles so gründlich. – Da wir einmal entschlossen sind, alles rückhaltlos zu besprechen, noch eine Behauptung in diesem Zusammenhange: Ich halte es für ein großes Unglück unseres Volkes, daß seine Beamten, die es leiten sollen, seine Richter, die im »Namen des Volkes« Recht sprechen, für diesen ihren hohen Beruf in so gänzlich ungeeigneter Weise vorbereitet werden. Die meisten Geistesarbeiter, die höheren Beamten – und die Rechtsgelehrten ganz besonders –, können die Not des Volkes oft gar nicht richtig kennen und beurteilen, weil ihre Abtrennung von dem Volkskörper viel zu vorzeitig – schon in der Schule – beginnt, um sich dann in immer größer werdender Abgeschlossenheit und Einseitigkeit zu verlieren. Zudem tritt die Verstandesbildung, weil sie sichtbare und schnellreifende Früchte trägt, auf Kosten der Sittenlehre bei ihrer Erziehung viel zu sehr in den Vordergrund! Dies gilt mehr oder weniger für die Angehörigen aller anderen wissenschaftlichen Berufe mit, die Gottesgelehrten nicht etwa ausgenommen, die manchmal über leere Kirchen klagen, ohne sich klar zu machen, daß sie diesen Zustand vielleicht selber mitverschulden. Diese hochwertigen Stände würden mit einer gründlichen Umstellung sich selbst den größten Dienst leisten und an allgemeiner Achtung nur gewinnen. In bezug auf die Ärzteschaft erwähnte ich schon, daß sie im Begriff steht, aus den gleichen Gründen, wie ich sie vortrug, das Vertrauen weiter Kreise unseres Volkes zu verlieren. Am schlimmsten steht es aber mit den Rechtspflegern! Beinahe täglich kann man in den Tageszeitungen Aufsätze lesen, die von dem Mißtrauen des deutschen Volkes zu seiner Rechtspflege handeln. Alle diese Giftfrüchte des mangelnden Verständnisses füreinander wachsen auf demselben Baum, und es wird die höchste Zeit, daß dieser umgehauen und ein besserer neuer an seine Stelle gepflanzt wird. Unsere geistigen Kreise müssen alle auch wieder mehr Gemeinschaftsgefühl bekommen und lernen, sich wieder als Diener des Volkes zu fühlen, während sie jetzt die Herren spielen. Die Beurteilungen, die ich gab, gelten gewiß nicht für alle. Ich weiß wohl, daß es zahlreiche Männer gibt, die – in meinem Sinne betrachtet – vorbildlich in ihrem Berufe tätig sind. Soweit man übrigens »völkisch« eingestellt ist, möchte ich an Friedrich den Großen erinnern, der sich, den König, als den ersten Diener des Staates bezeichnete. Mögen die von mir Angeredeten sich wieder mehr als Diener des Volkes, gemäß der Umwertung der Begriffe, betrachten. Der Staat hat drei starke Wurzeln: das Gesellschaftsleben, die Geschlechtstätigkeit und das Eigentum, das wolle man bedenken und verhüten, daß zwei dieser Wurzeln absterben, weil man sie nicht richtig pflegt.


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