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Siebentes Kapitel.
Überbevölkerung und Kriege

Ich werde niemals mit jemand zusammengehen können, der ein »Erstarken« in einer bis ins Aschgraue gesteigerten Bevölkerungsziffer erblickt, weil ich darin den Keim zu neuen Kriegen erblicken müßte, die geführt werden würden, um mit Giftgasen und Kanonen dem deutschen Volk die alten, teilweise so gefährlichen Grenzen zurückzuerobern, ihm die frühere Weltgeltung zurückzugewinnen, die es wahrlich nicht kriegerischen Erfolgen, vielmehr seinen Leistungen in Kunst und Wissenschaft, seinen erfolgreichen Anstrengungen um die Weiterentwicklung des ganzen Menschengeschlechts verdankte. Diese Weltgeltung ist gar nicht verloren gegangen, selbst nicht durch den verlorenen Krieg und die Welthetze gegen den deutschen Geist. Auch die Verkünder der Lehre von der guten Wirkung der Kriege auf die Menschheit irren sich. Moltke hat zwar gesagt, »ohne den Krieg würde die Welt versumpfen und sich in Materialismus verlieren«. Er dichtet dem Kriege ferner an, daß er »Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit entwickelte«. Der große »Schweiger« hätte auch diese seine Ansicht besser verschweigen sollen, die Tatsachen reden nämlich eine ganz andere Sprache. Im Altertum, vielleicht noch im Mittelalter, mochte ein Krieg so ähnlich wirken, wie Moltke es sagte, weil es noch Mann gegen Mann ging, aber dies gilt nicht mehr für die neuzeitliche, scheusälige Kriegsbestie. Ich wollte übrigens Moltke gern rechtgeben, wenn er behauptete, daß bei einem Teil des Volkes »Mut und Entsagung. Pflichttreue und Opferwilligkeit« im Kriege entwickelt werde. Der »Prolet« hat, wie schon der Proletarier, der Plebejer des alten Roms, wie ein Löwe gefochten, das zu Hause gebliebene Proletariat hat gedarbt, »Schlange gestanden« und gehungert. Aber vorwiegend entartete und ichsüchtige Angehörige der besitzenden Stände haben in der Etappe und in der Heimat den Vorschriften ein Schnippchen geschlagen, haben gepraßt, geschoben und sich bereichert und damit den berüchtigten Dolchstoß in den Rücken unseres ganzen Volkes geführt. Ihre Handlungsweise, ihre niedrige Gesinnung hat unsere Volksseele so zu vergiften vermocht, daß dies heute noch nicht überwunden ist. Die glänzende Tapferkeit zahlloser Offiziere, besonders des stehenden Heeres, soll nicht im mindesten angezweifelt werden. Wir haben deshalb festzustellen, daß der letzte Krieg kein Stahlbad, kein Gesundbrunnen, sondern eine schwere Giftquelle für unser gesamtes Volk gewesen ist.

Alle kriegslustigen Gedankengänge sind gewißlich völlig überlebt, das Zeitalter der Heeresherrschaft (Militarismus) ist endgültig vorbei. Doch ich habe mir vorgenommen, meine geistigen Gegner im Bereich ihrer eigenen Gedankenwelt aufzusuchen und zu schlagen! Ich behaupte: Wenn man auf dem Standpunkt steht, daß durch hohe Bevölkerungszahlen die Wehrkraft eines Volkes gesteigert wird, so irrt man sich. Unser Nachbarstaat Frankreich geht uns in den Zahlen des Geburtenrückgangs weit voraus. Schon 1896 gab es in diesem Lande 1,8 Millionen gänzlich kinderloser Familien, 2,6 Millionen mit nur einem Kinde, denen nur 6,1 Millionen Familien mit zwei und mehr Kindern gegenüberstanden. Auch ein Vergleich der Gesamtzahlen des deutschen und des französischen Volkes fiel erheblich zuungunsten des letzteren aus. Dagegen hat sich die Behauptung, der Geburtenrückgang Frankreichs erweise ein Erschlaffen des Volksgeistes, als grundfalsch erwiesen. Das französische Volk hat sich so brav geschlagen wie das deutsche, hat den Hauptanteil der kriegerischen Leistungen der Gegenseite getragen und eine Widerstandskraft seelischer Art gezeigt, die Bewunderung abnötigt. Ob wir so schwere Belastungsproben – deutsche Heere standen zeitweilig dicht vor Paris, diese Hauptstadt selbst war schweren Angriffen ausgesetzt, wir haben jahrelang wertvollste Teile Frankreichs besetzt gehalten –, ob wir dies alles ebenso ertragen hätten, ist unbewiesen, weil es uns – Gott sei Dank! – erspart blieb. Jedenfalls geht klar aus dem Gesagten hervor, daß ein großer Geburtenüberschuß, eine durch ihn erzielte große Volkszahl, die eine Aufstellung besonders großer Heere ermöglicht, noch keine Bürgschaft für den Sieg bietet.

Kollwitz: Mutter und Kind (Radierung)

Der letzte Krieg ist schon mit ganz anderen Waffen ausgekämpft worden als frühere. Man verdankte den Sieg übrigens vorwiegend den scharfen geistigen Waffen der Staatsmänner, denen es auf der Gegenseite gelungen war, eine übermächtige Vereinigung von Staaten gegen uns zu bilden und die öffentliche Meinung der ganzen Welt gegen uns zu bewegen. Damit war unser Untergang trotz allen Heldenmutes besiegelt. Es ist sehr wohl denkbar, ja wahrscheinlich, daß ein neuer Krieg mit wieder ganz anderen Mitteln geführt werden würde, wahrscheinlich mit chemischen oder elektrischen Waffen, daneben wieder mit der Waffe der Abschnürung des Gegners von allen Zufuhren. Dann könnten wir erleben, daß ein paar hundert Männer als Führer der Kriegswerkzeuge des ganzen Kampfes genügten, daß andererseits ein Volk infolge kriegerischer Absperrung um so eher durch Hungersnot zur Ergebung gezwungen werden würde, je zahlreicher es wäre. Die Aussichten der Bestrebungen, die darauf abzielen, die Völker Europas in einem großen Staatenbund eng zu vereinen, werden zweifelnd betrachtet; daß dieser Gedanke sich rasch ausbreitet, ist aber zweifellos. Dies beruht darauf, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte mit aller Gewalt die beteiligten Völker in die Richtung dieser Gedankengänge drängen. Auch die schärfsten Beurteiler des Völkerbundes müssen zugeben, daß es ihm trotz seines kurzen Bestehens gelungen ist, sehr viel Zündstoff in der Welt zu beseitigen, ehe Kriegsbrände entstanden. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß diese Einigungsbestrebungen rascher vorwärts kommen werden, als man glaubt. Die Folge hiervon wäre eine allgemeine Abrüstung in Europa und ein endgültiges Begräbnis des Militarismus, wenigstens der Form, die das Aufstellen großer Heere für wünschenswert hält.


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