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Zwölftes Kapitel.
Möglichkeiten der Geburtenverminderung

Der Rechtsausschuß des Deutschen Reichstages hat sich in den letzten Jahren in zahlreichen Sitzungen mit dem Abtreibeparagraphen befaßt. Ein Antrag, dem Arzt die Unterbrechung der Schwangerschaft bis zum dritten Monat freizugeben, ist mit knapper Mehrheit abgelehnt worden (14:12). Ich kann mir diesen Antrag aber nicht ganz zu eigen machen. Ein führender Gesundheitslehrer, Professor Grotjahn, geht noch viel weiter, er verfolgt Ziele, die sicher sehr zu begrüßen sind, die aber so schnell nicht durchgeführt werden können, weil sie noch einer jahrelangen Vorbereitung bedürften. Es kommt Grotjahn besonders darauf an, die menschliche Fortpflanzung »vernünftig zu regeln« (zu rationalisieren). Grotjahns Forderungen lauten:

1. Jedes Ehepaar muß mindestens drei Kinder über das fünfte Lebensjahr hinaus hochbringen; selbst dann, wenn unerhebliche Minderwertigkeit der Nachkommen zu erwarten ist. Dann ist die Höchstzahl von drei keinesfalls zu überschreiten.

2. Jedes Ehepaar hat das Recht, die Mindestzahl um das Doppelte zu überschreiten und für jedes überschreitende Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu nehmen, die von allen Ledigen oder Ehepaaren, die aus irgendwelchen Gründen hinter der Mindestzahl zurückbleiben, beizusteuern ist. Neuerdings fordert Gr. noch obligatorische Elternschafts- oder Kinderrentenversicherung und Abstufung des Beamtengehalts nach dem Familienstande.

Ich bin gewiß der Ansicht, daß man diese neuzeitlichen Gedanken Grotjahns weiter verfolgen sollte, aber für die nächsten zehn Jahre eine Neuordnung der Dinge vornehmen müßte, wie ich sie in den jetzt folgenden Ausführungen in großen Zügen, aber scharf umreißen werde.

Diese Arbeit hat nämlich nicht etwa nur den Zweck, gegen den überlebten Paragraphen Sturm zu laufen, sie will vielmehr jetzt, nachdem die Beweise erbracht wurden, daß die Regelung der Gebärtätigkeit unseres Volkes eine unzeitgemäße, falsche war, Vorschläge machen, um sie in die richtigen Bahnen zu leiten. Daß es unbedingt notwendig erscheint, der Bevölkerung zunächst einmal etwas Luft zu geben, halte ich durch meine Ausführungen für klar bewiesen. Ich will nun zunächst die Mittel und Maßnahmen prüfend besprechen, die für eine Einschränkung der Fortpflanzungstätigkeit in Frage kommen.

Das einzige, sichere Mittel ist die Enthaltsamkeit, von der schon die Rede war. Man sollte sie unserem Volke nicht zumuten. Es bleibt für den Feinempfindenden, wenn er die Kinderzahl einschränken will, daher nur dreierlei übrig.

  1. Kenntnis zu nehmen von den Naturgesetzen, um zu wissen, unter welchen Umständen die Befruchtung am leichtesten eintritt.
  2. Ausspülung der Gebärmutter in geeigneter Weise sofort nach dem Verkehr oder Verschluß der Gebärmutteröffnung oder des männlichen Gliedes.
  3. Die Unterbrechung einer schon eingetretenen Schwangerschaft durch die ärztliche Kunst.

Besprechen wir zunächst die Naturgesetze! Eine Befruchtung findet am leichtesten in der Woche vor, in der Woche nach und während des weiblichen Monatsflusses statt. Dieses näher zu erklären, kann ich mir ersparen. Diese Tatsache aber sollte bekannter werden. Viele Einsichtige würden sie dann berücksichtigen können; schon in der Hälfte aller Tage im Jahre würde dann der Geschlechtsverkehr bei vielen unterbleiben und die sich aus ihm ergebenden Befürchtungen könnten für diese Zeit wegfallen. Dies würde auch eine wohltätige Schonung der Frauenwelt bedeuten, die sehr zu begrüßen wäre. Zweitens: Ausspülungen der Scheide nach dem Verkehr sind sehr wirksam, besonders wenn der Spülflüssigkeit geringe Mengen von Mitteln, die die männlichen Keime abtöten (die nicht einmal sehr giftig zu sein brauchen), zugesetzt werden. Meist werden diese Spülungen aber nur unvollkommen ausgeführt, dazu noch mit viel zu wenig Flüssigkeit, ohne genügenden Druck, mit nicht tief genug eingeführtem Spülrohr, und vor allem, ohne daß die Spülende durch Auseinanderspreizen des Scheidengewölbes und der Scheidenöffnung mit den Fingern dafür sorgt, daß mit der Spülflüssigkeit alles ausgiebig herausfließen kann, was man zu entfernen wünscht. Die hierzu nötigen Handgriffe sind unschwer zu erlernen und sollten deshalb – gewiß in vorsichtiger, das Zartgefühl schonender Form – bereits den jungen Mädchen, die mannbar werden, durch Vermittlung der Schule oder durch die Mutter schon deshalb beigebracht werden, weil regelmäßige Spülungen an und für sich zur Gesundheitspflege der Frau gehören. Ein ganz sicheres Mittel sind die Spülungen aber nicht. Die Befruchtung kann, wie ich schon oben anführte, »im Augenblick« vorher erfolgt sein. Die Spülungen wirken um so besser, je rascher sie nach der Geschlechtshandlung vorgenommen werden. Es gibt unzählige Mittel, mit denen man versucht hat, den Gebärmuttermund zu verschließen. Aus naheliegenden Gründen will ich sie nicht besprechen, nur hervorheben, daß sie alle nur unsicheren Schutz gewähren und dabei für die Frau nicht ganz ungefährlich sind. Sie wirken auf die empfindliche Schleimhaut der weiblichen Teile als Fremdkörper, bringen sie zur Entzündung und zu überstarkem Fluß, können zu hartnäckigen und schmerzhaften Erkrankungen der Gebärmutter, ihrer Anhänge, der Eileiter und Eierstöcke, sogar des Bauchfells führen. Die vom Manne gebrauchten Schutzhüllen sind weniger schädlich, aber auch unsicher und für den Feinfühligen abstoßend. Ein erfahrener und gewissenhafter Arzt setzt einer Frau Schutzvorrichtungen immer nur schweren Herzens ein und nur dann, wenn es unbedingt geboten ist, was heutzutage allerdings häufiger als früher der Fall ist, weil öfter als früher Notlagen bestehen und die künstliche Unterbrechung einer Schwangerschaft so streng bestraft wird. Ich halte die ärztliche Unterbrechung, auch wenn sie häufiger erfolgt, für eine geringere Schädigung der Frau, als sie durch jahrelanges Tragen eines Schutzes hervorgerufen wird. Vom geschickten Arzt läßt sich nämlich die Unterbrechung einer Schwangerschaft bis zum dritten Monat nahezu ganz gefahrlos und ohne nennenswerten Blutverlust der Frau in zehn bis fünfzehn Minuten ausführen, ohne daß nachteilige Folgen eintreten. Was dem Geschickten und Erfahrenen leicht gelingt, kann zu einer Lebensgefahr werden, wenn es von einem Ungeschickten, Unerfahrenen oder gar einem Unberufenen vorgenommen wird, der unter Nichtachtung der wissenschaftlichen Gesetze, die keimfreies Arbeiten vorschreiben, vorgeht. Als letztes bleibt noch ein Gewaltmittel übrig. Man kann eine Frau dadurch aus jeder Fortpflanzungstätigkeit ausschalten, daß man ihr durch einen zwar im großen und ganzen ungefährlichen, aber doch nicht unerheblichen Eingriff die in der Bauchhöhle liegenden Eileiter freilegt und abbindet. Diese Behandlung wird häufig ausgeführt, wenn es sich um schwindsüchtige Frauen oder solche handelt, die aus irgendeinem Grunde nicht fähig sind, lebende und brauchbare Kinder zur Welt zu bringen, ohne selbst Schaden dabei zu nehmen. Nach gewissenhafter Prüfung des Für und Wider aller Maßnahmen, die zur Verfügung stehen, ergibt sich, daß die künstliche Unterbrechung einer Schwangerschaft durch den Arzt von überragender Bedeutung ist. Dadurch erklärt sich auch die Heftigkeit des Kampfes, der um die Frage entbrannt ist, ob man den § 218 aufheben soll oder nicht, der an sich die Unterbrechung immer verbietet.


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