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36.

Befriedigt fuhr Gräfin Susanne nach Hause. – Am nächsten Morgen, als sie ihre Schokolade nahm, ließ sie Lothar, der am frühen Morgen wieder in Wildenfels eingetroffen war, um eine Unterredung bitten. Sie empfing ihn sofort.

Er begrüßte sie artig, ganz wie sonst, mit einem Handkuß und fragte, ob sie wohlgeruht habe.

Sie bot ihm einen Sessel an.

»Du warst zwei Tage in der Stadt, Lothar? Ich hörte, du seiest heute morgen zurückgekehrt. Hast du dich gut unterhalten?« fragte sie liebenswürdig, als liege nichts zwischen ihnen.

Lothar setzte sich nieder.

»In der Stadt war ich nur vorübergehend, Mama. Ich war verreist.«

Sie stutzte und sah ihn ein wenig unbehaglich an.

»Verreist? Wie soll ich das verstehen?« fragte sie und etwas in seinem Gesichte beunruhigte sie plötzlich.

Er sah sie fest an.

»Ich war – in Jena – Mama.«

Sie fuhr entsetzt empor, alle Farbe wich aus ihrem Gesichte.

»In Jena? Was wolltest – wie kamst du auf diese Idee?« stotterte sie.

»Ich habe dort im Hause der Frau Doktor Brinkmann Jonny gefunden – und ich bin gekommen, dir zu sagen, daß ich mich mit ihr verlobt habe.«

Sie sprang auf und blieb hochaufgerichtet vor ihm stehen.

»Dagegen protestiere ich – diese Verlobung ist ungültig!« rief sie zornig und empört.

Er blieb ganz ruhig.

»Sie ist vollkommen gültig, Mama. Einen Einspruch kannst du nicht erheben, da ich Herr meines Handelns und unabhängig bin. Aber ich bitte dich herzlich, stelle dich nicht länger auf diesen feindlichen Standpunkt. Auch deinen Schwur brauchst du nicht länger zwischen uns zu stellen. Ehe du noch ein Wort über diese Angelegenheit verlierst, lies bitte dieses Dokument. Ich habe heute früh Kenntnis davon genommen. Von seinem Vorhandensein wurde ich durch Großmama unterrichtet. Auch ich hatte, wie sie, gehofft, daß ich das Dokument ungelesen würde vernichten können. Aber du hast diesen unseligen Schwur meinem Lebensglück gegenübergestellt und mich damit gezwungen, dir ein Geheimnis preiszugeben, das wohl besser begraben geblieben wäre. Ich hätte es dir und mir gern erspart, aber du ließest mir keine Wahl.«

Er hatte sehr ernst gesprochen. In seinem bleichen Gesichte zuckte schmerzliche Erregung. Man sah ihm an, daß die Aufklärung des Geheimnisses ihn sehr erschüttert hatte.

Etwas von seiner Stimmung teilte sich seiner Mutter mit. Stumm und betreten nahm sie das Schriftstück aus seiner Hand. Sie setzte sich an das Fenster und begann zu lesen.

Lothar stand ihr gegenüber an dem Kamin gelehnt und beobachtete ihr Gesicht. Röte und Blässe wechselten in jäher Folge darauf. Zorn und Entrüstung, Schrecken und Scham stritten sich in ihren Zügen um die Herrschaft, während sie las. Als sie nun zu Ende war, ließ sie das Schriftstück wie entgeistert aus ihren Händen fallen und lehnte den Kopf mit geschlossenen Augen zurück. Ihr Gesicht war fahl und um den Mund lag ein bitterer, verächtlicher Zug. Lothar hatte seine Mutter nie so gesehen. Impulsiv trat er an ihre Seite und beugte sich über sie.

»Mama – liebe Mama – verzeihe mir. Ich hätte dich gern geschont. Aber nun siehst du wohl selbst, wir sind alle arme irrende Menschen, gleichviel ob wir im Bürgerhause oder im Schlosse geboren worden sind. Ich bitte dich, urteile milde über meinen armen Vater. Er hat menschlich gefühlt, aber er hat auch unsagbar schwer gebüßt.«

Gräfin Susanne sprang plötzlich auf und lief wie gejagt im Zimmer umher.

»Nie – nie verzeihe ich ihm das. Ich – die Gattin eines Diebes – ich, die ich so stolz war auf den unbefleckten Namen unseres Geschlechtes. Ach – ich schäme mich – schäme mich furchtbar – mein Gatte ein Dieb – der Vater meines Sohnes ein Ehrloser. O pfui, pfui über ihn, mich schaudert, daß ich seinen Namen trage.«

Sie lehnte sich verzweifelt an die Wand und barg den Kopf in den Händen. Der Inhalt ihres Lebens, ihr Stolz darauf, daß sie eine Gräfin Wildenfels war, ging in dieser Stunde jämmerlich in die Brüche.

Lothar legte seine Hände auf ihre Schultern.

»Mama, ich bitte dich, sei nicht so hart. Wir sind doch alle nur Menschen und wissen nicht, ob uns das Schicksal nicht eines Tages schuldig macht.«

Sie wandte sich heftig um und machte sich mit zornig blitzenden Augen von ihm los.

»Laß mich – komm mir nicht mit solchen leeren Redensarten. Was für Hinz und Kunz paßt, ist nicht auf uns anzuwenden. O – es ist furchtbar, furchtbar, diese Schmach drückt mich zu Boden.«

Sie stöhnte auf und warf sich, das Gesicht verbergend, in einen Sessel. So saß sie lange Zeit. Lothar wagte es nicht, sie zu stören. Er wußte, dieses unnahbare, stolze Frauenherz litt jetzt unsägliche Qualen. Endlich hob sie langsam das Gesicht zu ihm empor und sah ihn mit einem bitteren Ausdruck an.

»Du hast gesiegt – ich werde dir meine Einwilligung zu deiner Verlobung nicht mehr versagen. Fräulein Warrens steigt jetzt herab zu Dir.«

»Mama!«

Sie wehrte ihn heftig ab.

»Laß mich – sprich jetzt nicht zu mir. Laß mich allein – ich muß erst sehen, was ich aus den Trümmern meines Lebens retten kann. Mein Stolz ist gebrochen. Da – nimm dieses entsetzliche Schriftstück und vernichte es, damit unsere Schande nicht über die Mauern von Wildenfels hinausdringt – es wäre mein Tod.«

Sie reichte mit abgewandtem Gesichte Lothar das Dokument. Er nahm es stumm an sich und ging hinaus, da er sah, daß jetzt nicht mit ihr zu reden war. Zunächst setzte er ein Telegramm an Jonny auf.

»Mamas Einwilligung erhalten. Alles gut – ich komme, sobald ich hier abkommen kann. Brief folgt. Dein Lothar.«

Als das besorgt war, ging er hinüber in das Wohnzimmer seiner Großmutter. An ihrem Schreibtisch, unter den Augen seines Vaters las er das Dokument noch einmal durch, ehe er es vernichtete. Es lautete:

 

»Meine inniggeliebte Mutter!

Für den Fall, daß mich der Tod einmal schneller abruft als ich erwarte, will ich Dir in diesen Zeilen eine Beichte ablegen. Einem Menschen muß ich mein Herz eröffnen – und Du, geliebte Mutter, stehst mir am nächsten. Du wirst mich auch am mildesten richten.

Du fragst mich seit Jahren, warum ich so verändert bin gegen früher. Ich hatte nie den Mut, Dir meine Schuld einzugestehen. Wußte ich doch, wie sehr ich Dich betrüben mußte. Aber ehe ich sterbe, muß ich diese Last von meiner Seele wälzen.

Du erinnerst dich des Rendanten Horst. Er mußte mit seiner Familie Wildenfels verlassen, weil aus seiner Obhut ein wertvolles Brillant-Halsband verschwunden war. Dies Halsband war mit den übrigen Pretiosen in den feuersicheren Wandschränken des Rentamtes aufbewahrt. Nur der Rendant und mein Vater besaßen die Schlüssel zu diesen Schränken, sowie zu der Tür, die aus dem Schlosse in das Rentamt führt.

Horst mußte unter dem Verdachte des Diebstahls von Wildenfels fort. Er war unschuldig, Mutter – der Dieb war ich. –

Du weißt, wie streng der Vater war – um meines Leichtsinnes willen. Nie zahlte er einen Pfennig Schulden für mich, ich mußte mit meinem Wechsel auskommen. Er war reichlich genug bemessen – aber ich stand in einem teuren Regiment, hatte leichtsinnige Freunde und kam nie aus. Daß Vater nichts für mich zahlte, war überall bekannt, ich hatte fast nirgends Kredit. Um mich aus einer fatalen Klemme zu befreien, versuchte ich es mit dem Spiel. Und ich verlor auf Ehrenwort eine enorme Summe.

Ich kam nach Hause, um zu beichten. Du weißt, wie sehr ich den Vater fürchtete. Er konnte unerbittlich hart sein und ich wußte nicht, ob er mir helfen würde.

In meiner Herzensangst kam ich erst zu Dir, aber ich wagte es nicht, Dich zu betrüben. Helfen konntest Du mir kaum so schnell, als es sein mußte. Auch hattest Du Vater Dein Wort gegeben, mir nie auszuhelfen.

Zufällig sprachst Du mit Grill über ein Brillant-Halsband, das Dir zu eng war und Kopfweh verursachte. Du sagtest, das Du es nie wieder tragen wolltest. Ich weiß nicht, wie es kam – aber meine Augen hefteten sich, wie magnetisch angezogen, auf das Halsband. Die Brillanten und Smaragden blitzten verlockend, das Halsband war wertvoll genug, mir aus allen Nöten zu helfen. Kurzum – ich holte mir in der Nacht die Schlüssel aus Vaters Arbeitszimmer. Er bewahrte sie in einem Geheimfach seines Schreibtisches, dessen Verschluß ich kannte. Und dann schlich ich mich in das Rentamt und entwendete den Schmuck. Ich hoffte, ihn bald auf demselben Wege zurückzubringen, sobald es mir gelungen sein würde, das Geld anderweitig aufzubringen. Ich war mir trotzdem bewußt, ein Unrecht zu begehen, hoffte aber, daß nie ein Mensch etwas davon merken würde. Ich war ja sicher, daß Du das Halsband nicht mehr tragen würdest. Und das Etui hatte ich vorsichtshalber zurückgelassen. Am nächsten Tage reiste ich ab. Vorher hatte ich noch eine Zusammenkunft mit Annie Horst. Ach, meine Mutter – ich liebte dieses engelsgleiche Geschöpf mit großer Innigkeit. Ihr Besitz hätte mich gut und glücklich gemacht. Aber ich wußte, daß mein Vater nie seine Einwilligung zu einer Heirat mit ihr geben würde. Annie wußte es auch – aber unsere Liebe war zu tief und zu stark, als daß uns dieser Gedanke zu einem freiwilligen Verzichte hätte bringen können. Wir hofften, wie alle Liebenden in solchen Fällen, auf ein Wunder.

Ich ahnte nicht, daß ich Annie an diesem Tage zum letzten Male sehen würde.

Noch an demselben Tage kehrte ich in meine Garnison zurück, verpfändete das Halsband und deckte meine Schuld.

Ich bemühte mich fortgesetzt, das Geld zu beschaffen, um das Halsband auszulösen und an seinen Platz zurückbringen zu können. Es dauerte aber länger, als ich dachte, und ein unseliges Verhängnis ließ Dich nach dem Halsband verlangen, weil Du es ändern lassen wolltest. Ich war wie vom Schlage getroffen, als ich vom Vater einen Brief bekam, worin er mir mitteilte, daß Horst entlassen sei – weil aus seiner Obhut ein kostbares Halsband verschwunden sei.

Ich kam nach Hause – sofort – um dem Vater alles zu gestehen – aber Scham und Angst schlossen mir den Mund. Nun wollte ich Horst aufsuchen, um ihm meine Schuld zu beichten und ihn zu bitten, mir zu verzeihen. Er war so ein vortrefflicher Mann – vielleicht half er mir, alles auszugleichen, wenn ich mich ihm offenbarte und ihm für später volle Rechtfertigung versprach. Auch trieb mich Angst und Sehnsucht, nach Annies Verbleib zu forschen.

Da brachte ich in Erfahrung, daß Horst mit seiner Familie ausgewandert war.

Mutter – verachte mich nicht – ich konnte auch jetzt Vater nicht beichten. Zu groß war von kindauf meine Angst vor seiner Strenge und Härte. Aber ich war wie zerbrochen und wurde ein anderer Mensch von Stund an. Unsagbar schwer habe ich gebüßt, jede Minute meines Lebens war Reue und Buße. Ich leistete keinen Widerstand, als mich Vater mit Susanne vermählte. Annie war ja doch für mich verloren. Und mir war alles so gleichgültig, außer meiner Schuld.

Unablässig forschte ich nach Horst, um an ihm gut zu machen. Aber erst mußte ich Vaters wegen sehr vorsichtig sein, und als er gestorben, war Horsts Spur vollends verloren gegangen. Wird es mir je gelingen, mein Unrecht gut zu machen? Ach, meine Mutter – ich würde keine Ruhe im Grabe finden, wenn meine Schuld nicht gesühnt würde. Deshalb bitte ich Dich – sollte ich vor der Zeit abgerufen werden – forsche Du weiter nach Horst und seinen Angehörigen. Ueberhäufe sie mit Liebe und Güte, wenn Du sie gefunden hast, mache gut, was ich verbrach – vor allem an der süßen, blonden Annie. Liebste Mutter – sie war mein Sonnenschein, mein besseres Ich, meines Herzens höchste Lust. Bis an mein Ende werde ich ihrer in Liebe gedenken. Nimm sie an Dein Herz, wenn Du sie gefunden hast und sage ihr, daß ich sie geliebt bis zum letztem Atemzuge. Sühne meine Schuld, geliebte Mutter, – auf daß meine Seele Frieden finde.

Und gelingt es Dir nicht, dies Werk zu vollenden, dann sollst Du meinem Sohne Lothar diese Zeilen geben. Er wird seinen unglücklichen Vater nicht verdammen und meine Schuld sühnen mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote stehen. – – –

Das Halsband lege ich zu diesen Zeilen – es hat mich oft gemahnt an meine Schuld. Wenn Du Annie findest – sie soll es tragen zum Andenken an mich. Wenn es ihren weißen Hals umschlingt, wird meine Schuld gesühnt sein.

Leb wohl, meine treue, geliebte Mutter – ich weiß, Du wirst mir verzeihen. Deine Liebe ist größer als meine Schuld.

Dein Sohn Joachim.«

 

Lothar erhob sich und sah lange in das heitere, sonnige Gesicht seines Vaters über dem Schreibtische.

»Vater – deine Schuld hat mein Glück begründet – Annies Tochter wird das Halsband tragen – du bist entsühnt. Meine Liebe bleibt dir – ich habe dir nur zu danken, nicht zu richten,« sagte er leise.

Dann trat er an den Kamin und verbrannte das Dokument.

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