Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

21.

Gräfin Susanne sah vom Fenster aus Lothar und Jonny fortgehen. Die Gelegenheit war günstig, einmal ganz allein mit Gräfin Thea zu sprechen. Sofort suchte sie diese auf. Im Vorzimmer saß Grill und nähte an einem Blondenhäubchen für ihre Herrin.

Susanne sagte ihr, daß sie dafür sorgen solle, daß sie ungestört mit Gräfin Thea bleibe. Dann trat sie in das Wohnzimmer ihrer Schwiegermutter.

Diese saß am Schreibtische und schloß schnell ein Schriftstück in ein Fach, als Susanne eintrat.

»Ich störe dich hoffentlich nicht, Mama, aber ich habe eine Sache von dringender Wichtigkeit mit dir zu besprechen,« sagte sie sichtlich erregt.

Gräfin Thea erhob sich. »Setzen wir uns an den Kamin, Susanne – du störst mich nicht.«

Sie ließen sich nieder. Dann sagte Susanne hastig:

»Du siehst mich in einer furchtbaren Aufregung, liebe Mama.«

Die alte Dame blickte forschend in ihre unruhigen Augen.

»Was ist geschehen?«

»Ich komme mit einer dringenden und notwendigen Forderung zu dir und hoffe auf Erfüllung.«

»Was wünschest du?«

»Mama – Fräulein Warrens muß aus dem Hause – so schnell wie irgend möglich.«

Gräfin Thea sah bekümmert in ihr Gesicht.

»Immer wieder dieses Anliegen, Susanne. Ich hoffte, du hättest dich endlich damit abgefunden. Diesen Wunsch will und kann ich dir nicht erfüllen.«

»O, du wirst selbst die Notwendigkeit einsehen, wenn du alles weißt. Ach, es hätte ja schon längst geschehen müssen. Immer ist es mir wie eine Ahnung gewesen, als müsse uns von diesem Mädchen Unheil drohen.«

Die alte Dame sah betroffen auf. »Du erschreckst mich. Welch ein Unheil könnte uns von Jonny kommen?«

»Das sollst du hören. Ich hatte vorhin eine Unterredung mit Lothar bezüglich Fräulein Warrens. Das vertrauliche Benehmen der beiden ist doch jetzt, da sie keine Kinder mehr sind, nicht mehr statthaft. Nun denke dir meinen Schrecken, als ich bemerken mußte, daß Lothar in einer Weise für Fräulein Warrens gegen mich auftrat, daß mir kein Zweifel bleibt: Entweder ist er schon in sie verliebt, oder er steht dicht davor. Anscheinend fängt es dieses Mädchen darauf an, ihn in ihre Netze zu ziehen und Herrin von Wildenfels zu werden. Sie muß so schnell als möglich fort, sonst stehe ich für nichts ein.«

Gräfin Thea hatte ihre Ruhe nicht verloren.

»Du irrst dich, wie immer, in Jonny. Sie denkt nicht einmal im Traume daran, Netze auszustellen oder Gräfin Wildenfels zu werden. Dazu ist sie viel zu bescheiden.«

»Das ist deine Meinung, nicht die meine. Aber selbst wenn sie nicht daran dächte, Lothar scheint nicht weit davon entfernt zu sein. Ich kann dir versichern, er hat in einem Tone zu mir gesprochen, der die größte brüderliche Zärtlichkeit übertrifft. Ich fürchte das Schlimmste, wenn wir nicht sofort alles tun, diesem unliebsamen Falle vorzubeugen. Und es gibt nur ein Mittel, das Unglück zu verhüten – Fräulein Warrens muß fort.«

Gräfin Thea sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Da hatte sich nun der ungestüme Feuerkopf doch hinreißen lassen, seine Gefühle zu verraten. Sie sah ihn im Geiste stehen und Jonnys Partei in leidenschaftlicher Weise nehmen. Es gehörte kein besonderer Scharfblick dazu, ihn zu durchschauen.

Sie lächelte. Nein – zum Diplomaten war Lothar wirklich nicht tauglich. Langsam hob sie den Kopf und sah ihre Schwiegertochter mit den klaren, gütigen Augen an.

»Liebe Susanne – ich könnte kein Unglück darin sehen, wenn sich Lothar mit Jonny vermählte,« sagte sie ruhig.

Susanne fuhr entsetzt auf und starrte die alte Dame als fürchte sie für deren Verstand.

»Mama!«

Gräfin Thea atmete tief auf.

»Ich will dir etwas sagen, liebes Kind. Meine Ansichten über Adel der Geburt und der Seele kennst du. Jonny hat keinen Fehler, als daß sie arm und bürgerlich ist. Nach Reichtum braucht ein Wildenfels gottlob nicht zu heiraten. Und Jonny ersetzt den Adel der Geburt durch den des Herzens.«

Gräfin Susanne beugte sich weit vor. »Mama – deine seltsame Vorliebe für dieses Mädchen grenzt an das Unglaubliche,« stieß sie mit unterdrückter Heftigkeit hervor. »Ich verstehe dich nicht. Nie – niemals würde ich meine Einwilligung geben. Außerdem habe ich andere Pläne mit Lothar, ich habe bereits die künftige Gattin für ihn erwählt. Komme doch zur Vernunft und überlege dir, was du eben gesagt hast. Du bist wie verblendet, wenn es sich um Fräulein Warrens handelt, es ist, als ob sie dich verhext oder verzaubert hätte.«

Gräfin Thea lächelte gutmütig überlegen.

»Warum nicht gar, Susanne? Gottlob sind wir über die Zeit des Hexenglaubens hinaus, sonst würdest du wohl gar über die arme Jonny ein hochnotpeinliches Gericht halten lassen.«

Susanne sprang auf und ging erregt auf und ab. »Wie kannst du scherzen in solch einer Angelegenheit! Verstehen wir uns denn gar nicht mehr, nicht einmal dann, wenn es sich um Lothars Wohl und Wehe handelt?« fragte sie außer sich und so erregt, wie sie Gräfin Thea noch nie gesehen hatte.

»Liebes Kind – wo eines Menschen Wohl und Wehe liegt, können wir mit unsern kurzsichtigen Augen nicht erkennen. Darüber entscheidet eine höhere Macht, der wir alle untertan sind. Aber soweit Menschenaugen sehen können, scheint es mir sicher, daß Lothars Glück durch eine Verbindung mit Jonny weniger gefährdet ist, als wenn er sich nach deinem Wunsch mit der reizlosen, blutarmen und kaltherzigen Komtesse Liebenau vermählte. Das ist doch wohl die Frau, die du ihm zugedacht hast?«

»Woher weißt du das?«

Gräfin Thea lächelte fein.

»Meine alten Augen sind noch scharf. Ich sah und hörte gestern mancherlei.«

»Nun, du kannst es ja auch wissen. Komtesse Liebenau ist die vornehmste und beste Partie. Du weißt, ihre Mutter ist eine Prinzessin aus regierendem Hause.«

»Deshalb scheint mir das magere und fischblütige Komteßchen noch lange nicht die passende Frau für unsern ungestümen, heißblütigen Lothar.«

»Vielleicht gerade. Sie würden sich ergänzen.«

Gräfin Thea seufzte. Sie dachte an die Ehe ihres Sohnes mit Susanne. Da sollten auch zwei grundverschiedene Naturen sich ergänzen. Der Versuch war kläglich gescheitert. Und doch war Susanne wenigstens noch eine schöne, gesunde Frau gewesen. Aber sie verriet nichts von diesen Gedanken.

»Vielleicht auch nicht,« sagte sie nur.

Susanne blieb vor ihr stehen. »Laß uns nicht nutzlos streiten. Jedenfalls bitte ich dich inständig, laß Fräulein Warrens von Wildenfels fortgehen. Du kannst ja auch so in großherzigster Weise für sie sorgen. Aber entferne sie. Ich ertrüge es nicht, wenn mir Lothar dieses Mädchen als Schwiegertochter aufzwingen würde, ich ginge daran zugrunde.«

Gräfin Thea seufzte tief und schmerzlich.

»Versündige dich nicht, Susanne. Ich habe meinen Sohn geliebt – heißer, inniger hat eine Mutter nie ihr Kind geliebt – und ich habe ihn hergeben müssen in der Blüte seiner Jahre, ehe er ein volles Lebensglück genossen hatte – und ich habe es ertragen müssen. Wie kleinlich scheint mir deine Angst. Sei mir nicht gram darum – aber wenn ich wüßte, daß Lothars Glück von einer Verbindung mit Jonny abhängt – ich selbst würde sie ihm in die Arme legen. Es ist ein so nichtiges Beginnen, eines Menschen Vorsehung spielen zu wollen.«

Susanne wandte sich schroff ab und trat an das Fenster. Finster starrte sie durch die Spitzenvorhänge ins Freie.

Endlich wandte sie sich mit düsterm Gesichte wieder um.

»Du weigerst dich also, Fräulein Warrens zu entfernen?«

»Ja, sie bleibt hier, Wildenfels ist ihre Heimat.«

Susanne lachte rauh und heiser auf. »Sie scheint dir teurer zu sein, als wir alle, auf dein Haupt die Folgen.«

»Gott mag alles zum Besten wenden, Susanne. Was hülfe es, wollte ich das arme Kind verbannen? Lothar würde es gar nicht dulden. Und wenn er Jonny wirklich mit andern als brüderlichen Augen betrachtet, dann wäre ihre Entfernung eher ein Mittel, die Flammen emporschlagen zu lassen, die du ersticken willst. Nichts ist geeigneter, die Liebe erstarken zu lassen, als Mitleid.«

»So soll ich tatenlos zusehen, wie sich das Unheil über uns zusammenzieht?«

»Das Unheil? Es kann ja auch das Glück sein.«

»Mit dir ist nicht vernünftig zu reden, du bist verblendet. Aber das sage ich dir, bleibt Fräulein Warrens hier, dann werde ich mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, dafür sorgen, daß Lothar nicht nach Wildenfels zurückkehrt, bis die Gefahr für ihn beseitigt ist. Entweder trennst du dich von Fräulein Warrens oder du siehst Lothar nicht wieder, bis er verheiratet ist.«

Gräfin Thea wollte etwas entgegnen, aber sie preßte die Lippen aufeinander. Ihr Blick flog hinüber zu ihrem Schreibtische. Ein Seufzer hob ihre Brust.

»Wir wollen uns nicht länger darüber ereifern, Susanne. Jeder tue, was er für das Rechte hält. Gott wird alles so führen, wie er es bestimmt hat. Laß uns das Weihnachtsfest in Frieden feiern – vielleicht ist es das letzte, welches mir beschieden ist. Nach dem Feste geht Lothar bald nach Rom. Mindestens auf ein Jahr kommt er nicht nach Hause. Ein Jahr entscheidet viel. Wer weiß – am Ende heiratet er weder Jonny noch die Komtesse Liebenau, sondern eine andere.«

Susanne ging nachdenklich im Zimmer auf und ab. Zeit gewonnen – alles gewonnen, sagte sie sich. In diesen kurzen Wochen jetzt würde sich Lothar schwerlich gleich an Jonny binden, selbst im schlimmsten Falle nicht. Und dann – Gräfin Thea war sehr alt – alte Leute sterben meist schnell – und wenn sie nicht mehr war – dann würde es ein leichtes sein, Jonny zu entfernen. Auf jeden Fall aber wollte sie Lothars Aufmerksamkeit immer wieder auf Komtesse Liebenau richten.

Auch Gräfin Thea wollte vor allen Dingen Zeit gewinnen und die Sache nicht auf die Spitze treiben. Kam Lothar nach Jahresfrist zurück und war seine Liebe zu Jonny unverändert, dann konnte er selbst sein Schicksal mit junger, starker Kraft entscheiden. Jetzt galt es nur, Lothar zu warnen. Er mußte vorsichtig sein, daß sich der Verdacht seiner Mutter nicht verstärkte, sonst verbitterte sie sich immer mehr gegen Jonny.

Die beiden Damen tauschten nur noch einige formelle Redensarten, dann ging Susanne verstimmt in ihre Gemächer zurück.

Gräfin Thea setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und zog das Schriftstück nochmals hervor, das sie bei Susannes Eintritt verschlossen hatte. Nach kurzer Ueberlegung schrieb sie noch einige Worte dazu. Dann entnahm sie jener Kassette, die sie in der Sterbestunde von ihrem Sohne erhalten hatte, das Dokument, welches seine Beichte enthielt. Sie hatte es vor langen Jahren frisch versiegelt. Mit dem von ihr verfaßten Schreiben steckte sie es in ein großes Kuvert und versah dieses mit der Aufschrift:

»An meinen Enkel Lothar, Erbgraf von Wildenfels und Neuendorf. Nach meinem Tode zu öffnen.«

Dann verschloß sie das Kuvert in der Kassette und barg diese wieder in ihrem Schreibtische. In demselben Fache lag das verhängnisvolle Halsband. Sie nahm es heraus und betrachtete es sinnend. Langsam ließ sie es über ihre Hand gleiten. Ihr Blick trübte sich. Sie sah empor zu dem Bilde ihres Sohnes.

»So Gott will, trägt es Jonny an ihrem Hochzeitstage, mein Joachim – dann ist alles – alles wieder gut,« sagte sie leise und schloß das Halsband wieder fort.

.


 << zurück weiter >>