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3.

Das Unwetter hatte ausgetobt. So schnell und furchtbar es gekommen, so schnell war es vorübergegangen. Der Mond schien bereits wieder friedlich zwischen den zerrissenen Wolkenfetzen hervor.

Gräfin Thea hatte in angstvoller Unruhe auf die Rückkehr ihres Sohnes gewartet. Die Unruhe steigerte sich von Minute zu Minute.

Noch hoffte sie, daß er im Dorfe Unterschlupf gefunden hatte. Daß er aber dann sofort nach dem Gewitter heimkehren würde, um sie zu beruhigen, galt ihr sicher.

Aber er kam nicht!

Nun hielt es die geängstigte Mutter nicht länger. Sie eilte hinaus in das Vorzimmer. Da stand auch Grill mit blassem Gesicht und horchte hinaus.

»Grill – rufe mir die Leute zusammen – es muß meinem Sohne ein Unfall zugestoßen sein, sonst wäre er daheim,« stieß Gräfin Thea atemlos vor Erregung hervor.

Grill rannte, so schnell sie konnte, die Treppe hinab.

Wenige Minuten später waren alle Dienstboten in der großen Halle versammelt. Gräfin Thea gab dem Hausmeister mit bebender Stimme Befehl, die Leute mit Fackeln und Windlichtern auszurüsten und die Umgegend absuchen zu lassen. So schnell es anging, wurde der Befehl ausgeführt. Der Hausmeister führte selbst den Zug an und verteilte draußen die Leute in mehrere Gruppen.

Es dauerte nicht lange, da hatte man den Verwundeten gefunden. Laute Rufe schallten durch die Nacht. Die Leute stießen wieder zusammen. Es kostete viele Mühe, den Baum und das tote Pferd soweit beiseite zu räumen, um den Grafen zu befreien. Ein leises Stöhnen zeigte dem niederknieenden Hausmeister, daß sein Herr noch lebte. Zum Glücke war es nicht weit vom Schlosse. Der Hausmeister schickte einige Leute zurück. Einer sollte die Gräfin Thea vorbereiten, ein anderer sollte sofort zum Arzt fahren. Die übrigen bekamen den Auftrag, eine Tragbahre herbeizuschaffen, denn ohne eine solche konnte man den Verwundeten nicht fortschaffen. –

Gräfin Theas Unruhe war auf das Unerträglichste gesteigert worden, als die Schreckensbotschaft eintraf. Einen Moment wankte die alte Dame und Grill sprang erschrocken heran, um sie zu stützen. Aber nur einen Augenblick währte diese Schwäche, dann lief die unglückliche Mutter, wie sie ging und stand, in die Nacht hinaus. Grill folgte ihr wie ein treuer Schatten.

Gräfin Theas Morgenrock schleifte auf dem nassen Boden – sie achtete nicht darauf. Ihre grauen Flechten hatten sich gelöst, lose Haarsträhnen fielen über ihr entsetzensstarres Gesicht. Atemlos hastete sie vorwärts und als sie bei der stumm und erschüttert dastehenden Gruppe der Leute anlangte, machte man ihr ehrfurchtsvoll Platz.

Schweigend, wie zerbrochen, sank sie neben dem leblosen Körper ihres Sohnes in die Knie und dann stöhnte sie auf – ein einziges Mal nur – aber der ganze furchtbare Schmerz ihres gemarterten Herzens kam in diesem qualvollen Laute zum Ausdruck.

Die ausgesandten Leute kamen mit der improvisierten Tragbahre herbei. Die Zähne fest zusammengebissen, ein Bild versteinerten Jammer, half Gräfin Thea selbst mit, ihren Sohn darauf niederzulegen. Sie schritt dicht neben ihm, als sich der Zug in Bewegung setzte und auf dem kurzen Wege bis zum Schlosse litt sie tausendfältig die Schmerzen ihres Sohnes mit. Ihr Kleid war mit Blut besudelt, sie hatte nicht darauf geachtet, daß sie in eine Blutlache getreten war, als sie neben ihrem Sohne niedersank. Es war ein trauriger Zug, der sich schweigend dem Schlosse nahte.

Im Schlafzimmer des Grafen war inzwischen alles zur Aufnahme des Verwundeten vorbereitet worden. Man legte ihn sorgsam auf das Bett. Die Leute schlichen stumm und betreten hinaus, nur Grill und der Hausmeister blieben im Zimmer. Eigenhändig wusch Gräfin Thea mit zarter Sorgfalt das Blut von dem Antlitz ihres Sohnes. Sie vergaß sich selbst und ihren Jammer im Bestreben, ihm wohlzutun, ihm etwas Liebe zu erweisen.

Bange, martervolle Minuten, die sich zu Ewigkeiten dehnten, vergingen, bis der herbeigeholte Arzt eintraf.

Dann gab es ein geschäftiges Treiben. Der Arzt waltete seines Amtes. Grill war halb ohnmächtig und nicht imstande, zu helfen, so gern sie es getan hätte. Aber die Gräfin hielt sich wie eine Heldin. Sie wich nicht aus dem Zimmer und verrichtete mit zusammengebissenen Zähnen alle die kleinen Dienste, die der Arzt verlangte. Mit ihrer und des Hausmeisters Hilfe wurde der Verwundete untersucht und verbunden.

Sie sprach kein Wort, fragte nicht und weinte nicht, aber ihre Augen forschten voll brennender Unruhe in dem ernsten Gesicht des Arztes. Und als dessen Miene immer düsterer wurde, ahnte sie, daß ihr das Schlimmste noch bevorstand.

Grill hatte, ehe sie hinausging, gefragt, ob sie Lothar wecken und herbeirufen sollte. Schaudernd hatte Gräfin Thea den Kopf geschüttelt. Diesen gräßlichen Anblick wollte sie ihrem Enkel ersparen, wenn es möglich war.

Bis zum Schlusse hielt die arme Mutter tapfer aus, aber als dann die Untersuchung zu Ende und die Verbände angelegt waren, und als ein leises Stöhnen sich über die Lippen ihres Sohnes rang, da brach sie kraftlos in einem Sessel neben dem Bette zusammen.

Der Arzt flößte ihr ein Glas Wein ein und sie erholte sich schnell. Dann bot er ihr den Arm und führte sie in das Nebenzimmer mit einem bezeichnenden Blick auf den Kranken. Er gab dem Haushofmeister durch einen Wink zu verstehen, daß er den Verwundeten bewachen sollte, bis er zurückkam. Drüben führte er die Gräfin Thea zu einem Sessel. Sie sah zu ihm auf mit einer qualvollen Frage in den Augen.

»Die Wahrheit, Herr Doktor, die Wahrheit!«

Lallend rangen sich die Worte von ihren Lippen.

»Er lebt,« sagte der Arzt mit heiserer Stimme. Was er zu sagen hatte, wurde ihm schwer den leidvollen Mutteraugen gegenüber.

»Und – und?« –

Der Arzt zögerte noch immer.

»Die Wahrheit – ich will die Wahrheit,« sagte sie noch einmal und krampfte die Hände um die Sessellehne.

Da trat der Arzt an ihre Seite, um sie zu stützen.

»Beten Sie – Frau Gräfin – beten Sie – daß er nicht am Leben bleibt.«

Da fiel das Haupt der alten Dame wie leblos zurück. Aber mit übermenschlicher Anstrengung zwang sie sich wieder empor.

»Tot – oder ein Krüppel. Nicht wahr?« sagte sie leise mit den blassen Lippen kaum verständlich die Worte formend.

Der Arzt nickte nur.

Da erhob sie sich langsam und wollte wieder hinüber.

Er hielt sie zurück.

»Legen Sie erst dieses Kleid ab, Frau Gräfin – er wird vielleicht bald zum Bewußtsein kommen. Ich gehe inzwischen hinüber und lasse Sie sofort rufen, wenn er zu sich kommt.«

Grill hatte schon ein anderes Gewand für ihre Herrin zurechtgelegt. Mit bebenden Händen half sie ihr beim Umkleiden. Gräfin Thea ließ sich kaum Zeit, das Haar festzustecken. Dann eilte sie wieder hinüber.

Graf Joachim lag bleich mit geschlossenen Augen auf seinem Lager. Mühsam hob sich die Brust in schweren Atemzügen und zuweilen stöhnte er auf.

Seine Mutter setzte sich an sein Bette und wandte die Augen nicht von den geliebten Zügen. Der Arzt beugte sich zu ihr herab.

»Ich habe ein Telegramm an Gräfin Susanne aufgeben lassen,« flüsterte er.

Sie sah zu ihm auf.

»Sie fürchten – schon so bald? –«

Der Arzt sah ernst und voll Mitleid in ihren vergehenden Blick.

»Es könnte – ein schnelles Ende ist hier nicht ausgeschlossen.«

Sie preßte die Hände an das Herz, um den Schmerzensschrei zu ersticken. Ihr Gesicht schien versteinert in Schmerz und Leid.

Dann heftete sie ihren Blick wieder auf ihres Sohnes Antlitz. Keine Träne brachte ihr Linderung. Das tiefste Leid ist tränenlos. Aber eine Zaubermacht lag in den Mutteraugen. Sie riefen den Todwunden noch einmal ins Leben zurück.

Joachim schlug plötzlich die Augen auf. Sein Blick irrte fieberhaft und suchend umher und traf dann den der Gräfin. Jede Mutter ist wohl in solchen Augenblicken eine Heldin. Auch Gräfin Thea brachte es über sich, ihrem Sohne zuzulächeln. Aber er erkannte trotzdem die Verzweiflung, die sich hinter diesem Lächeln verbarg.

»Mutter – meine Mutter,« sagte er matt.

Sie beugte sich über ihn, die Lippen lächelten noch immer – aber die Augen brannten vor Leid.

»Mein Joachim – mein geliebter Sohn – sprich nicht – liege ganz still.«

Er sann eine Weile nach, mußte sich erst besinnen, was geschehen war. Ein Gefühl, als sei sein Geist nicht im Zusammenhange mit seinem Körper, beherrschte ihn. Aber trotzdem erkannte er mit unheimlicher Schärfe seinen Zustand. »Ah – jetzt weiß ich – der Baum – ich konnte nicht mehr ausweichen – Fafner scheute – wie steht es mit Fafner?« Die Sorge um sein Pferd schien ihn zu bedrücken.

»Er ist wohl und munter – im Stalle,« sagte die Gräfin – lächelnd. Es war eine jener frommen Lügen, die Wohltaten bergen.

»Das ist gut – ah – und da – Herr Doktor – bitte.«

Er sah den Doktor mit großen Augen an, als dieser sich über ihn beugte.

»Wie lange noch – Doktor?« fragte er fest und klar.

»Herr Graf –«

Joachims Augen zuckten unruhig.

»Ehrlich, Doktor – ich bin kein altes Weib.«

Der Arzt atmete gepreßt.

»Wo Leben ist – ist Hoffnung,« sagte er leise.

Joachims Blick erhielt etwas Starres. Aber dann lächelte er wehmütig.

»Also das Ende – arme Mutter.«

Er lag eine Weile mit geschlossenen Augen. Gräfin Thea saß mit zusammengepreßten Händen wie leblos da und sah ihn an.

Gleich darauf hob der Verwundete wieder den Blick.

»Doktor – ich habe noch – etwas zu regeln – es ist notwendig. Haben Sie etwas – nur eine Stunde noch Kraft und Klarheit – dann geben Sie es mir – bitte.«

Der Arzt verstand ihn. Er entnahm seinem Besteck ein Fläschchen und zählte einige Tropfen in einen Löffel. Die reichte er dem Kranken. Dieser dankte mit einem Blicke.

»Nun lassen Sie mich, bitte, allein – mit meiner Mutter.«

»Ich bleibe in der Nähe, wenn Sie mich brauchen – in einer Stunde kann ich Ihnen diese Tropfen noch einmal geben,« sagte der Arzt und ging hinaus.

Nun waren sie allein – Mutter und Sohn.

Joachim sah seine Mutter eine Weile stumm an. Dann bat er leise:

»Nicht lächeln, Mutter – dein Lächeln tut mir weh.«

Die Gräfin brach in die Knie und küßte ihm die Hand. Dann legte sie einen Augenblick ihr Haupt mit geschlossenen Augen neben das seine. Joachim atmete schwer.

»Fasse dich, meine Mutter – sei stark – du hast schon soviel für mich getan – nun auch noch das. Ich brauche deine Hilfe, Mutter – du mußt gut machen – was ich verbrochen. – Wolltest immer wissen, was mich verändert hat. – Die Schuld – Mutter – die Schuld – jetzt will ich beichten – du wirst verzeihen – du – gute Mutter – du wirst gut machen.«

Die Gräfin hob den Kopf und sah ihn an.

»Sprich nicht, wenn es dir Schmerzen macht,« bat sie, fast vergehend.

»Nein, nein – eine Wohltat – ich muß – sonst ist es zu spät. Versprich mir – daß du gut machen willst, bitte!«

»Ich verspreche es dir, mein Sohn, bei meiner grenzenlosen Liebe zu dir – ich schwöre dir, daß ich alles tun werde, was du von mir verlangst.«

Ein tiefer Atemzug hob seine Brust. Dann fragte er leise:

»Wo ist der Rock, den ich trug – in der Brusttasche steckt ein kleiner Schlüssel.«

»Der Schlüssel liegt schon hier bei den andern Sachen, wir haben alles aus der Tasche genommen.«

»Nimm den Schlüssel – Mutter – und geh hinüber ins Nebenzimmer, in meinem Schreibtische links oben ist ein Fach. Oeffne es mit diesem Schlüssel und bringe mir die kleine Kassette, die du dort findest.«

Gräfin Thea erhob sich und ging, seinen Wunsch zu erfüllen. Mit der Kassette in der Hand kehrte sie zurück. Joachim öffnete sie mit einem Druck auf eine Rosette und nahm ein Kästchen heraus. Das reichte er seiner Mutter.

»Oeffne es,« bat er.

Sie tat es und sah verständnislos auf ein kostbares Halsband, welches mit Brillanten und Smaragden von seltener Schönheit besetzt war. »Das Halsband – es ist – wie sonderbar – wie kommt es in diese Kassette?« stammelte sie betroffen.

Er faßte wieder in die Kassette und zog ein Schriftstück hervor. Das gab er seiner Mutter, sie mit brennenden Blicken betrachtend.

»Oeffne – und lies – es erklärt alles – ich brauche dann nicht mehr viel zu reden.«

Gräfin Thea las die Aufschrift: »An meine Mutter, Gräfin Theodora Wildenfels, geb. Gräfin Solnau. Nach meinem Tode zu öffnen.«

Die alte Dame brach in den Sessel nieder und öffnete mit zitternden Händen das Schreiben. Während sie las, sah Joachim unverwandt in ihr Gesicht. Er sah das Erschrecken in ihren Zügen, sah Blässe und Röte darüber hinjagen und ein tiefer Seufzer entfloh seinen Lippen. Da blickte sie auf und faßte seine Hand.

»Mein Sohn – mein armes, liebes Kind,« sagte sie erschüttert.

Seine Augen strahlten auf.

»Du verdammst mich nicht, Mutter, wendest dich nicht voll Abscheu von mir?« fragte er leise.

Sie beugte sich hernieder zu ihm und küßte ihn mit zuckenden Lippen.

»Wenn du eine Schuld auf dich geladen hättest, tausendfach größer als diese – ich würde dich nicht verdammen. Eine Mutter kann alles verzeihen. Ach, wärst du doch früher voll Vertrauen zu mir gekommen, ich hätte dir tragen helfen, hätte mit dir zusammen gut zu machen gesucht.«

Er seufzte wieder tief auf.

»Ich konnte nicht, Mutter. Immer hoffte ich, selbst zum Ziele zu kommen. Seit fünfzehn Jahren habe ich alles versucht – erfolglos – es ist, als wären sie vom Erdboden verschwunden. Aber vielleicht hast du nun mehr Glück. Nicht wahr, du versprichst mir, nach ihnen zu suchen und mein Unrecht gutzumachen?«

Er faßte ihre Hand und sah ihr mit brennenden Augen ins Gesicht.

»Ich verspreche es dir, mein Sohn. Nicht ruhen und rasten will ich, bis ich deine Schuld gesühnt habe.«

»Dank, heißen Dank, meine Mutter. Und nicht wahr – wenn du sie, glücklicher als ich, gefunden hast – und wenn du Annie noch einmal im Leben gegenüberstehst – dann sage ihr – ich habe sie geliebt – wie ich nie vorher und nachher ein Weib geliebt habe. Du hast sie gekannt, Mutter – aber du weißt nicht, welch feine, stille Seele sie war. Damals – ja – damals war ich glücklich – drunten am See – als ich sie im Arme hielt. Wie sie zitterte, Mutter – wie sie mich ansah mit den lieben, guten Augen. Damals vergaß ich alles – Vaters Strenge – meinen Namen, meine Geburt – ich war nichts als ein glücklicher Mensch. – Und dann – dann habe ich sie selbst hinausgetrieben – vielleicht in Not und Elend – Mutter – das hat an mir gezehrt – mehr als alles andere.«

Er schwieg erschöpft und schloß die Augen.

Seine Mutter sah mit heißem Erbarmen und unendlicher Liebe in sein Gesicht und streichelte seine Hand.

»Da konntest du freilich nicht glücklich werden mit Susanne. Auch wenn sie eine andere gewesen wäre, hätte es dir nichts geholfen.«

»Nein – in meinem Herzen lebt Annies Bild – und es wird bis zum letzten Atemzuge in mir leben. Daß Susanne kalt und hochmütig war, hat mir das Leben mit ihr eher erleichtert. Sie forderte nichts, was ich nicht geben konnte. Eine Fremde ist sie mir geblieben – mein Vater hatte wahrlich gut für mich gewählt.«

Die letzten Worte klangen unendlich bitter.

»Verzeihe deinem Vater, Joachim. Er hat immer dein Bestes gewollt. Wenn er geahnt hätte, wohin er dich mit seiner Strenge getrieben – er würde manches anders gemacht haben. Aber nie hätte er seine Einwilligung gegeben zu deiner Verbindung mit Annie Horst. Er war in dieser Beziehung noch strenger als in jeder andern.«

»Und du, Mutter? Hättest du eingewilligt, wäre dir das bürgerliche Mädchen als Schwiegertochter willkommen gewesen?«

Gräfin Thea sah mit leidvollen Augen zu ihm nieder.

»Dein Glück hätte mir mehr gegolten, als törichte Standesvorurteile.«

Ein schattenhaftes Lächeln huschte um seinen Mund.

»Dann wirst du sie auch an dein Herz nehmen, wenn du sie findest. Denk immer daran, Mutter – was du ihr Gutes tust, – das tust du mir. Und alle Liebe, die du ihr erweisest, wird meine Schuld geringer machen.«

»Sei ruhig, mein Joachim – wie eine Tochter soll sie mir sein, das gelobe ich dir mit heiligem Eide.«

Er atmete auf, wie von einer Last befreit.

»Heißen Dank – nun kann ich ruhig meine Augen schließen – für immer.«

»Joachim!«

Es war ein herzzerreißender Klang in diesem einen Worte und er sah matt zu ihr empor.

»Klage nicht, Mutter. Gönne mir die Ruhe. Ich habe furchtbar gelitten.«

Müde schloß er die Augen. Sein Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an.

Die Gräfin rief entsetzt nach dem Arzte, nachdem sie das Halsband und das Schreiben wieder in der Kassette geborgen hatte. Der Arzt flößte dem Verwundeten noch einmal die belebenden Tropfen ein. Seine Augen öffneten sich wieder und wurden klarer.

»Hole mir Lothar – Mutter. Nicht wahr, Doktor, es ist Zeit zum Abschiednehmen?«

Der Arzt antwortete nicht und sah ihm in seine Augen.

Gräfin Thea war hinausgeeilt. Leise trat sie in Lothars Schlafzimmer und weckte ihn.

»Lothar, mein lieber Junge – komm – werde munter – steh auf.«

Lothar setzte sich erstaunt im Bette auf und rieb sich die Augen.

»Was ist denn – Großmama, es ist doch noch ganz dunkel. Warum soll ich denn aufstehen?«

»Komm schnell, mein liebes Kind. Und sei recht tapfer und ruhig. Dein armer Papa ist krank. Weißt du – erschrick nicht – er ist gestürzt – mit Fafner. Und nun möchte er dich sehen.«

Mit einem Ruck war Lothar aus dem Bette. Sein frisches Gesicht war blaß geworden und die Augen blickten erschrocken.

»Großmama – sag es mir – ist es schlimm?«

»Ja, mein Lothar.«

In fliegender Hast warf Lothar einige Kleidungsstücke über. Seine Großmutter half ihm mit zitternden Händen. Und dann schritten sie, eng umschlungen, hinüber in das Krankenzimmer.

Ehe sie eintraten, flüsterte die Gräfin: »Bleibe recht ruhig, Lothar. Stark mußt du sein, damit du Papa nicht noch mehr Herzeleid machst.«

Er schluckte tapfer die Tränen hinunter. »Ich weine ganz gewiß nicht, Großmama,« sagte er mit bebender Stimme.

Und er hielt Wort, der kleine Mann. So sehr er erschrak beim Anblick seines Vaters, er ließ die Tränen nicht heraus, die ihn im Halse würgten. Graf Joachim sah mit umflorten Augen auf seinen Sohn und legte seine Hand auf das junge Haupt.

»Sei stark und fest, mein Sohn – und treu dir selbst. Gott segne dich,« sagte er eindringlich, wie beschwörend.

Der Arzt hatte das Zimmer verlassen, als Lothar mit seiner Großmutter eintrat. Der Knabe küßte des Vaters segnende Hand.

»Papa – lieber Papa – du wirst doch wieder gesund?« brach es angstvoll über seine Lippen.

Eine Träne schimmerte in Graf Joachims Augen.

»Mein lieber Junge – mein geliebtes Kind,« murmelte er, und der Schmerz, von seinem Kinde fort zu müssen, übermannte ihn. Dann aber faßte er sich und wandte sich seiner Mutter zu.

»Wenn du das Werk nicht vollenden kannst, Mutter – dann soll Lothar alles wissen – dann soll er – gutmachen. Bewahre meine Aufzeichnungen – für ihn – wenn es sein muß.«

Sie beugte sich über ihn und küßte seine Augen.

»Dein Wille soll geschehen – und sei ruhig – wir werden sie finden – und alles sühnen – alles,« flüsterte sie.

Der Arzt trat leise wieder ein. Ein Blick in Joachims Gesicht verriet ihm, daß das Ende nahe sei. Er gab der Gräfin, auf Lothar zeigend, einen Wink.

Sie verstand ihn und faßte erschreckt nach dem Herzen. Joachim schien bewußtlos. Liebevoll führte sie Lothar bis zur Türe.

»Gehe in dein Zimmer, mein Kind – ich komme nachher zu dir. Papa muß jetzt Ruhe haben.«

Gehorsam ging Lothar hinaus. Sie sah ihm nach mit starrem Blicke.

»Er soll seinen Vater nicht sterben sehen,« dachte sie erschauernd. Dann trat sie wieder an das Bett ihres Sohnes. Der Arzt zählte den Puls des Kranken und trat mit ernstem Gesichte zurück. Noch einmal schlug Joachim die Augen auf.

»Mutter!«

Sie beugte sich über ihn. »Mein Sohn?«

Er lächelte. »Annie – süßes blondes Kind – wie golden dein Haar – wie ich dich liebe – du, mein Sonnenstrahl,« flüsterte er.

Und dann klärten sich noch einmal seine Sinne.

»Mutter – meine Mutter – Lothar und du – ihr beide – ach – schuldlos sein – schuldlos und Annie –«

Er brach ab – ein langer, schmerzlicher Seufzer – das Auge brach. Graf Joachim war tot.

Gräfin Thea drückte ihm mit sanfter Hand die Augen zu – dann sank sie ohnmächtig neben dem Bette nieder, ohne einen Laut. Bis zu diesem letzten Liebesdienste hatte ihre Kraft ausgereicht. Nun war sie zu Ende damit.

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