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25.

Lothars Abreise stand für den nächsten Tag bevor. Noch einmal frühstückte er allein mit Jonny [wie] während seiner ganzen Anwesenheit. Mit all seinen Sinnen nahm er die köstliche Stunde in sich auf.

Jonny sah ein wenig blaß aus, und in ihren sonst so goldig schimmernden Augen lag ein trüber Ausdruck.

»Morgen um diese Zeit bist du schon fort von Wildenfels,« sagte sie leise, als sie ihm die gefüllte Tasse reichte.

Er blickte sie an und faßte ihre Hand, die er über dem Tische festhielt.

»Tut es dir sehr leid?«

Sie nickte. Tränen glänzten in ihrem Blicke. Aber sie bezwang sich tapfer.

»Es wird mir sein, als habe ich diese herrlichen Tage nur geträumt, wenn du fort bist.«

»Ich habe sie mit Bewußtsein genossen. Die Heimat wird mich nun wieder mit doppeltem Zauber locken. Noch nie habe ich so tief empfunden, daß meine Seele im Heimatboden wurzelt.«

Sie verstand nicht den Unterton in seinen Worten, aber sie fühlte doch, daß er schwerer schied als sonst. Und das beglückte sie, ohne daß sie es eingestand.

»Sie soll mich mit tausend Banden halten und bald zurückrufen, die Heimat,« sagte er mit bebender Stimme.

Er küßte und streichelte ihre Hand. Dann gab er sie frei und lehnte sich zurück.

»Ich lasse treue Herzen hier zurück, nicht wahr – du wirst meiner in Sehnsucht gedenken?«

»Gewiß, Lothar. – Großmama sehnt sich nun wieder alle Tage nach dir und deine Mutter doch auch – und ich.«

»Du zuletzt? Hast du mich am wenigsten lieb von euch dreien?«

Sie sah ihn ganz erschrocken an. Aber dann lächelte sie schelmisch.

»Soll ich mich zuerst nennen? Weißt du, was wir als Kinder in solchen Fällen sagten: Der Esel geht voran.«

»Also nur die Angst, für ein Grautier gehalten zu werden, war schuld daran – nicht, daß du mich weniger liebst?«

Ihre Augen weiteten sich und hingen einen Moment mit so schrankenloser Liebe und Hingabe an seinen Zügen, daß er die Armlehnen seines Sessels umklammerte, wie um sich selbst festzuhalten.

»Du mußt doch wissen, Lothar, daß ich dich lieb habe, wie keinen Menschen sonst auf der Welt.«

Es klang so schlicht und wahr, so ungesucht und überzeugend, daß er zufrieden war. Er fühlte, diese Mädchenseele gehörte ihm mit jeder Faser ihres Seins. Aber daß sie es offen aussprach, verriet ihm, daß sie selbst noch nicht ganz klar war über ihr Empfinden. Ein leises Ahnen dämmerte wohl zuweilen in ihr, wenn er sich zu sehr hinreißen ließ. Aber noch blieb sie sich selbst ein Rätsel. Zu lange hatte sie in ihm nur den Pflegebruder gesehen, als daß sie so schnell ganz begreifen konnte, daß ihre Herzen eigenwillig einen andern Weg gingen. Wie gern wäre er geblieben und hätte unter seinem Einflusse die köstliche Frucht vollends reifen lassen. Unsagbar süß waren solche Stunden, in denen er, der Wissende, ihren holden Unverstand langsam entweichen sah wie einen verhüllenden Nebel. Er wußte, es bedurfte nur eines heißen Wortes, um diesen Nebel zu zerreißen, der ihre Seele vor ihr selbst verhüllte, nur eines Kusses, der statt brüderlicher Zärtlichkeit die Leidenschaft des Mannes verriet. Aber beides mußte er sich versagen, es war besser für sie und auch für ihn. Die Trennung würde ihnen sonst doppelt schwer werden.

Schweigend beendeten sie das Frühstück. Dann gingen sie hinaus in den Park. Arm in Arm wanderten sie auf den verschneiten Wegen.

Sie sprachen wenig und wußten doch, daß sie sich so viel zu sagen hatten. Aber es gibt ein Schweigen, das beredter ist als tausend Worte. Dann ist der Mund still und die Seelen reden zu einander.

Als sie in das Schloß zurückkehrten, kam ihnen Grill in der Halle entgegen und meldete Lothar, daß ihn seine Großmutter zu sprechen wünsche, sobald er die Gräfin begrüßt habe.

Während Lothar seine Mutter aufsuchte, ging Jonny mit Grill hinauf.

»Fräulein Jonnychen, Frau Gräfin wünscht jetzt ganz ungestört zu sein. Sie hat jetzt zu arbeiten und dann eine wichtige Unterredung mit dem Herrn Grafen,« sagte Grill.

»Es ist gut, Grillchen. Dann bringe mir nur gleich etwas zu arbeiten in mein Zimmer. Du hast doch hoffentlich etwas für mich zu tun?«

»Wenn Sie die Spitzengarnitur nachsehen wollen, die Frau Gräfin zum Silvesterball getragen hat. Es sind so kostbare Stücke und durch das Aufnähen entsteht hier und da ein kleiner Schaden. Sie haben ja so geschickte Händchen, Fräulein Jonnychen, und meine alten Augen gehen mir jetzt leider so schnell über bei so feinen Arbeiten.«

Jonny klopfte ihr lächelnd den Rücken. »Mach doch nicht so viel Worte, Grillchen. Bringe mir die Arbeit, ich bin doch froh, wenn ich dir etwas abnehmen kann.« –

Eine halbe Stunde später trat Lothar bei seiner Großmutter ein. Sie erhob sich lebhafter als sonst und ging ihm entgegen.

»Da bin ich, Großmama. Hast du gut geschlafen?«

»Ich danke dir. So gut, als es meinem Alter zukommt. Nun setze dich her zu mir, hier an meinen Schreibtisch, ich möchte etwas mit dir besprechen.«

Er legte den Arm um ihre Schulter und führte sie zu ihrem Sessel. Dann nahm er ihr gegenüber Platz.

»Warst du mit Jonny im Parke?« fragte sie lächelnd.

»Ja, Großmama – das letzte Mal. Es ist mir sehr schwer geworden, ihr meine Gefühle nicht zu verraten.«

Sie nickte.

»Ich glaube es dir. Aber dennoch ist es besser, du gehst, ohne das entscheidende Wort zu sprechen, deiner Mutter wegen.«

»Die Rücksicht auf Mama hat mich dazu bestimmt. Sie ist ohnedies schlechter als je auf Jonny zu sprechen und geht auf in ihrem Plane, mich mit der Komtesse Liebenau zu verheiraten. Ich lasse Jonny in deiner treuen Hut und lege ihr Wohl in deine Hände.«

Gräfin Thea seufzte:

»So lange ich lebe, ist Jonny in treuestem Schutze. Aber ich bin alt, Lothar, und in meinem Alter geht man oft plötzlich den letzten Weg. Ich hoffe, daß ich deine Rückkehr noch erlebe, aber es kann auch anders kommen. In deiner letzten langen Abwesenheit habe ich manchmal gefürchtet, ich müßte fort, ohne daß ich von dir Abschied genommen und dir noch manches ans Herz gelegt hätte. Dieser Furcht möchte ich mich nicht noch einmal aussetzen. Deshalb will ich heute mit dir besprechen, was mir auf der Seele liegt und bewußten Abschied von dir nehmen – als wenn es für immer sein müßte. Nichts ist mir quälender, als der Gedanke, daß ich einmal schnell dahingerafft würde und hätte dir nicht Lebewohl gesagt.« Lothar beugte sich vor und faßte ihre Hände.

»Gott mag dich mir noch lange erhalten, liebe, liebe Großmama.«

»Wie er will, mein Lothar. Jedenfalls will ich bereit sein, wenn er mich abruft. Und dann höre mich an. Hier in meinem Schreibtische siehst du dieses kleine Extrafach, welches nur dieser Schlüssel schließt. Es ist ein kunstvoll gearbeitetes Schloß. Bitte, nimm zuerst diesen Schlüssel an dich und verwahre ihn sehr gut, es ist von Wichtigkeit, daß er dir nicht verloren geht.«

Sie reichte ihm einen kleinen Schlüssel mit vergoldetem Griffe. Lothar befestigte ihn an einem kleinen Schlüsselbunde, an dem er alle wichtigen Schlüssel aufbewahrte.

»Was hat es mit diesem Schlüssel für eine Bewandtnis, Großmama?«

»Das sollst du jetzt hören. Wenn ich sterben sollte, ehe du heimkehrst, so findest du nach deiner Rückkehr hier in diesem Fache eine kleine, feuersichere Kassette. In dieser Kassette liegt ein verschlossenes, an dich adressiertes Kuvert und jenes Halsband, welches in einer für Horst so verhängnisvollen Weise verschwunden war. Dieses Halsband sollst du Jonny an dem Tage überreichen, da sie deine Frau wird. Sie soll es als Hochzeitsschmuck tragen. Doch das nebenbei. Die Hauptsache ist das Kuvert. Darin befindet sich ein versiegeltes Dokument und ein Schreiben von mir an dich. Gib mir dein Wort, daß du alles, was ich in diesem Schreiben von dir verlange, tun willst. Du kannst es mir bedingungslos geben. Außer einigen testamentarischen Verfügungen enthält es nur noch die Angabe, was du mit dem Dokument beginnen sollst. Du weißt, ich würde nichts von dir verlangen, was dir nicht zum Heile gereichen würde.«

»Mein Wort darauf, Großmama, dein Wille soll erfüllt werden bis ins kleinste.«

»Danke dir, mein lieber Junge. Nun bin ich über diesen Punkt beruhigt. Ein besonderes Testament werde ich nicht machen, ich weiß, daß du nicht an meinen Verfügungen drehen und deuteln wirst. Und wenn ich dich nun nicht mehr wiedersehen sollte – Gottes Segen mit dir, mein geliebtes Kind. Du hast mir den früh verlorenen Sohn ersetzt, hast mein altes Herz mit Freude erfüllt und mir Liebe gegeben in reichem Maße. Der Himmel möge dir ein ungetrübtes Glück bescheeren, das soll mein letztes Gebet, mein letzter Wunsch sein. Ob du bei mir bist oder nicht, wenn ich zur letzten Ruhe gehe, mein letzter Atemzug wird ein Segenswunsch für dich sein.«

Lothar kniete erschüttert neben ihr nieder und zog sie fest an sich, als wolle er sie nie von sich lassen.

»Großmama – du hast meinem Leben Inhalt gegeben, von dir habe ich Liebe – nur Liebe erfahren. Ohne dich hätte ich darben müssen, denn mein Herz ist immer liebebedürftig gewesen. Nie, nie werde ich das vergessen. All deine goldenen Worte und Lehren, deine gütige Weisheit, dein menschliches Verstehen, sind als unvergänglicher Schatz in mein Herz gepflanzt worden, sie haben mein Leben reich gemacht. Dir und Wetzel verdanke ich es, daß ich nicht ein verkümmerter, verknöcherter Geselle geworden bin, der des Lebens wahren Wert nie erfaßt hätte. Was ich bin, danke ich euch. Und aus deiner Hand empfange ich nun auch noch das höchste Glück – ein reines, gemütvolles und liebenswertes Weib, ein herrliches Geschöpf, das du mit liebevoller Hingabe aufgezogen hast zu einer wahrhaft ebenbürtigen Gefährtin für mich. Du hast all die köstlichen Eigenschaften in ihr zur Blüte gebracht, die mich beglücken werden.«

»Das walte Gott, mein Lothar. Ich habe nicht soviel Verdienst dabei als du denkst. Aus einem edlen Metall kann man edle Gebilde formen. Aber eine ebenbürtige Gemahlin wird dir Jonny sein im edelsten Sinne des Wortes, denn sie ist ein Adelsgeschöpf trotz ihres bürgerlichen Namens. Und damit wollen wir dieses Gespräch beenden. Nur eins noch: Bleibe dir selbst getreu in allen Lebenslagen. Nichts rächt sich mehr als Untreue an sich selbst.«

Er küßte sie innig. »Dein Wort soll unvergessen sein, Großmama. Hoffentlich finde ich dich wieder, wenn ich heimkehre.«

»Wie Gott will, ich bin jetzt bereit und habe mein Haus bestellt. Verwahre den Schlüssel gut – vielleicht birgt er dein Lebensglück.«

Er erhob sich und führte sie auf ihren Wunsch zum Kamin hinüber.

»Nun geh, mein Lothar, du hast mit deinen Beamten und mit deiner Mutter noch manches zu ordnen. Auch möchte ich jetzt allein sein und diese Stunde in mir ausklingen lassen, als wäre es wirklich die Abschiedsstunde gewesen.«

Er umarmte sie noch einmal stumm und ungestüm, sein ganzes starkes Empfinden lag in dieser Umarmung. Dann ging er schnell hinaus.

Einsam streifte er wohl eine Stunde im Freien umher. Auch er fühlte das Bedürfnis, etwas in sich ausklingen zu lassen. Wie eine bange Ahnung lag es auf seiner Seele, daß er seine Großmutter nicht mehr finden würde, wenn er heimkehrte. Und da fühlte er erst voll und ganz, wie teuer sie ihm war. Es wurde ihm sehr schwer, von Wildenfels fortzugehen, nicht nur Jonnys wegen.

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