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30.

Gräfin Susanne empfing ihren Sohn in ihrem blauen Boudoir mit derselben kühlen und unbewegten Miene, wie sonst. Nachdem Lothar ihr gegenüber Platz genommen hatte, ging er sofort auf sein Ziel los.

»Ich habe soeben von Großmamas letztwilligen Verfügungen Kenntnis genommen und möchte dich davon unterrichten.«

»Bitte sehr – ich werde dir aufmerksam zuhören,« sagte die Gräfin förmlich.

Lothar sah sie mit brennenden Augen an.

»Mama – hat sich in deinem Herzen noch keine Stimme zu meinen Gunsten geregt?« fragte er bittend.

Sie sah ihn kühl erstaunt an.

»Du scheinst eine sehr geringe Meinung von meiner Willensstärke zu haben und vergißt immer wieder, welchen Schwur ich abgelegt habe. Der würde mich sogar gegen meinen Willen binden.«

Er zog die Stirn kraus und biß sich auf die Lippen. Seine Brust hob sich in einem tiefen Atemzuge.

»Du wolltest mir von Großmamas Bestimmungen sprechen,« sagte sie leichthin im Unterhaltungstone.

»Allerdings. Diese Bestimmungen betreffen nur Großmamas Dienerschaft und Jonny.«

»Ach, bitte – nenne diese junge Dame in meiner Gegenwart wenigstens Fräulein Warrens.«

Er sah sie mit schmerzlichem Zorn an. Dann fuhr er fort:

»Die Sorge für die Dienerschaft überläßt Großmama mir. Frau Grill soll bis an ihr Lebensende das doppelte Gehalt beziehen und sonst ganz nach ihrem Wunsche und Gefallen in Wildenfels ihr Leben beschließen.«

Gräfin Susanne nickte.

»Das ist nur recht und billig. Frau Grill diente Großmama ein Menschenalter. Nun bitte weiter.«

»Außerdem hat Großmama nur Fräulein Warrens bedacht. In der Voraussetzung, daß die junge Dame meine Frau wird, hat sie ihr, damit sie nicht mit leeren Händen in die Ehe tritt, die Hälfte ihres Vermögens vermacht und ihr außerdem das Brillant-Halsband mit den Smaragden zum Hochzeitsgeschenk bestimmt.«

Seine Mutter setzte sich mit einem Ruck steif empor.

»Unerhört. Das geht zu weit!« stieß sie hervor.

Lothars Gesicht blieb unbewegt.

»Es steht uns nicht zu, Großmamas Willen zu kritisieren. Sie hatte freie Verfügung über ihr Vermögen und den von ihr eingebrachten Schmuck.«

Gräfin Susanne erstickte fast vor Grimm. Endlich sagte sie heiser:

»Es müßte doch erst geprüft werden, ob diese Verfügung rechtskräftig ist und ob man sie nicht anfechten könnte.«

»Für mich ist sie jedenfalls rechtskräftig und bindend,« antwortete er bestimmt. »Und anfechten würde ich sie auch dann nicht, wenn Fräulein Warrens nicht meine Frau würde.«

Seine Mutter starrte düster vor sich hin.

»Es ist und bleibt unerhört. So mir nichts, dir nichts willst du diesem Fräulein Warrens ein Vermögen von fast einer halben Million in den Schoß werfen?«

»Ich werde ihr zukommen lassen, was nach Großmamas Willen ihr gehört.«

»Unglaublich – unglaublich! Da zeigt sich die Liebe deiner Großmutter zu dir in recht eigentümlicher Beleuchtung. Du rangierst in ihrem Herzen auf der gleichen Stufe mit Fräulein Warrens. Sehr nett.«

Gräfin Susannes Stimme war bei diesen Worten mit Hohn getränkt. Lothar sah ihr mit einem scharfen Blicke in die höhnisch funkelnden Augen.

»Du wirst mich nicht wankend machen in dem Glauben an Großmamas Liebe. Sie weiß, daß diese Verfügung ganz in meinem Sinne getroffen wurde. Uebrigens hat sie mir das Vermögen nicht entziehen wollen, denn es kommt durch meine Heirat mit Fräulein Warrens doch an mich zurück. Großmama wollte nur verhüten, daß man sagen könnte, die künftige Gräfin Wildenfels sei als Bettlerin vor den Altar getreten.«

Die Gräfin fuhr heftig auf.

»Ich verbitte mir, daß du so selbstverständlich von dieser Heirat sprichst. So lange dieser Rausch von Verliebtheit bei dir anhält, will ich dir manches hingehen lassen, aber überschreite nicht die Grenzen meiner Geduld.«

Lothar blieb ruhig.

»Du irrst dich – hier handelt es sich nicht um einen Rausch von Verliebtheit, sondern um eine heilige, tiefe Neigung, die nie enden wird. Jetzt bitte ich dich nur noch einmal um Fräulein Warrens Adresse, damit ich ihr von Großmamas letztem Willen Mitteilung machen kann. Du siehst doch ein, daß du die Dinge nicht aufhalten kannst mit der törichten Weigerung, mir ihren Aufenthalt mitzuteilen.«

»Ueberlasse es mir, an meinem Verhalten Kritik zu üben. Die Adresse erfährst du von mir nicht. Ich werde Fräulein Warrens selbst Nachricht geben, in welcher Weise sie bedacht worden ist. Mag sie meinetwegen diese unsinnig große Summe ausgezahlt bekommen – deswegen ist sie mir noch ebenso unmöglich als Schwiegertochter. Ich halte fest an dem, was ich gesagt habe.«

Lothar preßte die Hände zusammen.

»Gut – so werde ich ihren Aufenthaltsort auf andere Art zu ermitteln suchen. Du brauchst dich nicht zu bemühen, ich werde Fräulein Warrens zur Zeit selbst von Großmamas letztem Willen in Kenntnis setzen. Finden werde ich sie, das kannst du mir glauben.«

»Wir werden sehen. Mit meinem Willen soll es jedenfalls nicht geschehen.«

Lothar sah eine Weile stumm vor sich hin. Dann richtete er seine Augen mit einem sonderbaren Ausdruck auf seine Mutter.

»Noch eins, Mama. Ich muß auf unsere Unterredung in Rom zurückkommen, auf den Schwur, den du dort ablegtest. Er lautete: ›Ich schwöre dir, nie werde ich meinen Segen geben zu einer unebenbürtigen Heirat, so wahr das Wappenschild der Grafen Wildenfels rein und makellos ist, bis auf den heutigen Tag.‹ Nicht wahr – so sagtest du?«

Sie sah ihn ein wenig verwundert an.

»Gewiß – so sagte ich und du siehst, daß ich durch diesen Schwur gebunden bin. Aber was soll das?«

In Lothars Augen zuckte es auf.

»Ich wollte dich nur fragen, ob du damals an das Fräulein Warrens dachtest?«

»Allerdings – ich ahnte schon damals Unheil.«

»Und du gehst von diesem Schwur nicht ab?«

»Niemals.«

»Du bindest dich damit unbedingt für alle Zeit?«

»So ist es.«

»Wenn ich dir also nicht einen Makel auf unserem Namen nachweisen kann, gibt es für mich keine Hoffnung, deine Einwilligung zu meiner Heirat mit Fräulein Warrens zu erhalten?«

»Keine.«

»Es bleibt mir also nur übrig, einen Makel auf unserem Namen nachzuweisen, dann würde ich deine Einwilligung erhalten?«

Sie sah ihn fest an.

»Dann würdest du sie erhalten, denn dann hätte ich keine Berechtigung zu meinem Stolze. Aber denke nicht, daß du mich damit fangen kannst. Verliebte sind unberechenbar. Du wärst wohl imstande, dir irgend einen Makel aufzubürden, nur um zu deinem törichten Ziele zu kommen. Aber das wäre ungültig. In meinem Schwure heißt es: ›bis zum heutigen Tage.‹ Also es würde dir nichts helfen, wenn du unsinnig genug wärst, selbst noch irgend etwas anzustellen. Und die Chronik unseres Hauses kenne ich genau, da gibt es nicht den Hauch eines Makels. Deine Vorfahren waren alle ehrenhafte, untadelige Männer von vornehmer Denkungsart.«

»Es ist gut, Mama. Mein Wort darauf – ich denke nicht daran, etwas Unrechtes zu tun. Wir wollen beide diese Unterredung nicht vergessen.«

Sie stutzte ein wenig und sah ihn forschend an. Aber sein Gesicht war ruhig und gleichgültig.

»Die Familienchronik liegt drüben auf meinem Schreibtische, wenn du sie einsehen willst,« sagte sie mit einem leisen, spöttischen Beiklang. »Vielleicht findest du dann auch deinen Stolz wieder, ein Sproß dieses edlen Geschlechtes zu sein. Er scheint dir abhanden gekommen zu sein.«

»Ich bedarf ihrer nicht, Mama – nach meiner Ansicht hat ein Mensch nur das Recht, auf sich selbst stolz zu sein, wenn er es verdient. Stolz auf die Leistungen und Tugenden anderer Menschen – seien es auch die nächsten Angehörigen – ist wie ein Schmücken mit fremden Federn.«

Sie lachte hart auf.

»Das war sicher eine Sentenz deines früheren Hauslehrers. Was versteht solch ein Mensch von Traditionen. Aber beenden wir dies Gespräch, wenn du mir nichts Wichtiges mehr zu sagen hast. Ich muß mich jetzt umkleiden für die Abendtafel. Auf Wiedersehen bei Tisch.«

Er verneigte sich stumm und küßte höflich ihre Hand. Dann ging er hinaus. In seinem Zimmer angelangt, ließ er den Hausmeister zu sich rufen. Als dieser eintrat, sagte Lothar:

»Schiffler, die Posttasche wird wohl immer zuerst meiner Mutter übergeben?«

»Sehr wohl, Herr Graf. Frau Gräfin haben das so bestimmt.«

»Meine Mutter besitzt den Schlüssel dazu, nicht war?«

»Sehr wohl, der Herr Graf vermuten richtig. Einen Schlüssel besitzen Frau Gräfin, der andere ist in den Händen des Herrn Vorstehers von unserer Poststation im Dorfe.«

»Hm. Gut – ich danke Ihnen, Schiffler. Und was ich sagen wollte – in Zukunft legen Sie mir zuerst die Posttasche vor. Auch die abgehenden Postsachen will ich immer erst durchsehen, verstanden, es soll kein Brief, keine Postsendung aus dem Hause gehen, die ich nicht zuvor gesehen habe.«

»Sehr wohl. Herr Graf können sich auf mich verlassen.«

»Das weiß ich, Schiffler. Sie sind mir treu ergeben, wie meinem Vater. Es bedarf wohl keines Wortes, daß niemand etwas von meinem Befehl erfährt – auch meine Mutter nicht – ich habe meine Gründe.«

Schiffler legte beteuernd seine Hand auf das tadellose Oberhemd, das wie immer eine weiße Kravatte zierte.

»Es ist gut, Schiffler. Sie können gehen. Wie lange ist noch bis zur Abendtafel?«

»Gut eine Stunde.«

Lothar überlegte. Dann erhob er sich rasch. »Schnell einen Wagen.«

Wenige Minuten später fuhr er ins Dorf zur Poststation. Dort erzählte er dem Beamten, daß er seinen Schlüssel zur Posttasche verloren habe. Der Beamte möge ihm vorläufig, bis er sich einen neuen habe anfertigen lassen, mit der Posttasche jedesmal den Schlüssel im verschlossenen Kuvert mitschicken. Er würde den Schlüssel stets in gleicher Weise mit den abgehenden Postsachen zurücksenden.

Der Beamte versicherte höflichst seine Bereitwilligkeit.

Lothar fuhr befriedigt nach Hause. Schon am nächsten Tage ließ er sich einen Nachschlüssel anfertigen. Und Gräfin Susanne hatte keine Ahnung, daß ihr Sohn all ihre Vorsichtsmaßregeln zunichte machte.

Am nächsten Vormittag schickte Lothar sein Abschiedsgesuch ein. Danach ließ er den Rendanten und die beiden Verwalter zu sich rufen. Er teilte ihnen mit, daß er in Zukunft in Wildenfels zu bleiben gedenke und die Oberaufsicht über die Geschäfte in seine Hand nehmen wolle.

»Denken Sie nicht, meine Herren, daß ich Ihre Befugnisse in irgend einer Weise beschneiden will oder daß ich nicht mit Ihren Leistungen zufrieden bin. Ich habe nur keine Lust, draußen in der Welt ein Amt auszufüllen, das mir keine Befriedigung bringt. Wie mein Vater, will ich selbst mitarbeiten am Gedeihen meiner Besitzungen. Und ich bitte Sie, mir weiter wie bisher Ihre treuen Dienste zu weihen und mich zu unterstützen und zu belehren in Dingen, die mir noch fern liegen.«

So sagte er zum Schluß in seiner warmen, liebenswürdigen, aber bestimmten Art, die all seine Untergebenen an ihm schätzten.

Die Herren versicherten ihm, daß sie sich seines Entschlusses freuten. Augenscheinlich war es ihnen angenehmer, mit Lothar geschäftlich zu verhandeln, statt wie bisher mit Gräfin Susanne, die ihren Sohn in ihrer kalten, hochmütigen Weise vertreten hatte.

Lothar schüttelte ihnen die Hände und besprach noch einiges mit ihnen. Dann entließ er sie.

Unruhig ging er, als er allein war, im Zimmer auf und ab. Seine Gedanken suchten in schmerzlicher Sehnsucht und Ungeduld Jonny da draußen in der Welt. Wo mochte sie weilen, und wie würde sie die Trennung von Wildenfels ertragen haben? Ihre Gedanken weilten sicher unablässig in der alten Heimat. Was mochte sie von ihm denken? Ob sie wirklich glaubte, daß er sich mit einer anderen verloben würde? Er hatte ihr ja nicht in klaren Worten seine Liebe erklärt. Aber wenn sie ihn liebte, wie er sie – mußte sie da nicht auch das Unausgesprochene verstanden haben? Und wie hatte dann die falsche Nachricht von seiner bevorstehenden Verlobung auf sie gewirkt? Galt ihr Schmerz, ihre Verzweiflung nur der Trennung von Wildenfels? Nein – nein, er wußte es – er galt auch dem Gedanken, daß er sich mit einer anderen verlobte. Vielleicht war ihr durch diese Nachricht erst zum Bewußtsein gekommen, was er ihr war. Lothar kannte Jonny nur zu gut, um mit seinen Vermutungen nicht das Richtige zu treffen.

Aber gerade darum wußte er auch, wie elend Jonny zu Mute sein mußte. Hatte sie doch keinen Menschen, zu dem sie mit ihrem Leid flüchten konnte. Er grollte seiner Mutter, daß sie ihm Jonnys Aufenthalt nicht verriet. Wenn sie ihn kannte, mußte sie sich doch sagen, daß sie damit das Schicksal nicht aufhalten konnte, sondern ihm nur eine nutzlose, unerträgliche Marter bereitete. Um nur irgend etwas zu tun, ging er nochmals zu Grill hinüber. Er teilte der alten Frau mit, was seine Großmutter über sie bestimmt hatte.

Sie dankte ihm mit tränenden Augen. Er wehrte ab.

»Mir brauchen Sie nicht zu danken, Grill, es ist mir eine Freude, Ihnen sagen zu können, daß Sie nun ganz nach Wunsch und Behagen hier leben können. Niemand hat Ihnen etwas zu sagen, und wenn Sie einen besonderen Wunsch haben, wenden Sie sich nur an mich. Aber nun zu etwas anderem, Grill. Bitte, beschreiben Sie mir doch einmal das Aeußere dieser Frau Doktor Brinkmann.«

Grill tat es gewissenhaft.

»Haben Sie sie sprechen hören?«

»Ja, Herr Graf.«

»Sprach sie irgend welchen Dialekt?«

»Nein – nicht eigentlich – aber der Tonfall war anders als hier in unserer Gegend.«

»Hm – der Zug 11 Uhr 30 Min. ist der Berliner Schnellzug. Sprach die Dame wohl wie eine Berlinerin?«

»Nein – in Berlin bin ich ja oft genug mit der hochseligen Frau Gräfin gewesen – da sprechen die Leute anders.«

»Also ist die Reise jedenfalls noch weiter gegangen. Nun – ich danke Ihnen, Grill – und sprechen Sie mit niemand über die Angelegenheit.«

»Herr Graf brauchen mir das nicht zu sagen.«

Lothar nickte ihr zu und ging hinaus.

Sein Kopf arbeitete wie der eines Detektivs. Aber er hatte zu wenig Anhaltspunkte, um auf Jonnys Spur zu kommen. Polizeiliche Hilfe wollte er keinesfalls in Anwendung bringen. Vielleicht brachte ihm die Posttasche Aufschluß. Da seine Mutter nicht ahnte, daß er sie kontrollierte, war sie vielleicht in irgend einer Weise unvorsichtig. Einige Tage wollte er es abwarten. Brachte er nichts in Erfahrung, dann wollte er die Hilfe eines Detektivs in Anspruch nehmen, so unangenehm ihm dieser Gedanke auch war. Aber abgesehen von seiner eigenen Sehnsucht und Unruhe, durfte er Jonny nicht länger als unbedingt nötig, in der Verbannung lassen.

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