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1.

Gräfin Susanne wollte nach Ostende reisen. Es war ihr zu langweilig auf Schloß Wildenfels. Sie brauchte Bewunderer ihrer Schönheit, Geselligkeit, Schmeicheleien und Publikum für ihre neuesten Pariser Toiletten. Das alles hoffte sie in Ostende zu finden. Vor der Welt reiste sie natürlich nur dahin, um mit einigen befreundeten Familien zusammenzutreffen.

Ihr Gemahl hatte keine Lust, sie zu begleiten, er blieb lieber daheim bei seiner Mutter und seinem Sohne.

Gräfin Susanne war das sehr angenehm. Sie amüsierte sich immer besser, wenn ihr Gatte nicht dabei war, obwohl er ihr in allen Dingen freie Hand ließ. Wußte er doch, daß ihr kaltes, hochmütiges Wesen sie davor behütete, jemals die Grenzen zu überschreiten, die einer ehrbaren Frau gesteckt sind. Mochte ihre Eitelkeit Triumphe feiern – das war ihr Lebensinhalt.

Der Wagen mit einem Diener, einer Zofe und vielem Gepäck war bereits zur Stadt gefahren, die etwa eine Stunde von Wildenfels entfernt lag. Es war eine kleine Garnisonstadt.

Für Gräfin Susanne stand ein vornehm ausgestatteter Wagen bereit. Ihr Gemahl wollte sie bis zum Bahnhofe begleiten.

Sie verabschiedete sich eben in der großen hochgewölbten Halle des Schlosses von ihrer Schwiegermutter, der Gräfin Thea Wildenfels. Diese war eine sehr aristokratisch aussehende Dame mit graugemischtem Haar, feinen durchgeistigten Zügen und klaren, gütigen Augen.

Der Abschied zwischen den beiden Damen sollte herzlich sein. Beide gaben sich Mühe, einen warmen Ausdruck in ihre Worte zu legen, aber gerade der gezwungene Ton verriet, daß sich ihre Herzen nicht sehr nahe standen. Während Gräfin Susanne die alte Dame auf die Wange küßte, kam ein schlanker, etwa vierzehnjähriger Knabe den langen Gang vom westlichen Flügel hergestürmt. »Mama – du hättest wohl vergessen, mir Adieu zu sagen!« rief er vorwurfsvoll.

Gräfin Susanne wandte ihr schönes, stolzes Gesicht lächelnd ihrem einzigen Sohne zu.

»Du bist doch kein Baby mehr, Lothar, sondern schon ein kleiner Kavalier. Als solcher wirst du doch deiner Mutter das Geleit zum Wagen geben!«

Lothar sah mit seinen klaren, blauen Augen, die zu dem dunklen Haar und dunklen Wimpern einen eigenartigen Kontrast bildeten, erst zu seiner Mutter, dann zu seiner Großmutter empor. Sein von Luft und Sonne gebräuntes Gesicht rötete sich.

»Ich wußte ja garnicht, daß es schon Zeit zur Abreise war. Mein Lehrer hat mich mitten aus der Geschichtsstunde entlassen müssen, als ich den Wagen vorfahren hörte. Wie leicht hätte ich zu spät kommen können. Großmama kommt immer zu mir, um mir Lebewohl zu sagen, wenn sie verreist.«

Seine Mutter lachte. Es war kein gutes, warmklingendes Lachen, welches wohltut. Ein gereizter, spöttischer Klang lag darin.

»Ja, ja,« sagte sie halb scherzend, halb tadelnd, »Großmama verzieht dich sträflich.«

In dem feinen gütigen Gesicht Gräfin Theas zeigte sich eine leise Röte. »Den Vorwurf solltest du mir nicht machen, Susanne. Ich verziehe Lothar gewiß nicht.«

Susanne legte ihre feinbekleidete Hand auf den Arm ihrer Schwiegermutter.

»Es war ja nur ein Scherz, Mama. Du nimmst es sehr ernst mit Lothars Erziehung. Aber in Bezug auf Zärtlichkeiten verwöhntest du ihn doch wohl.«

»Liebe geben ist nicht verwöhnen, Susanne. Ein Kind braucht Liebe, um zu gedeihen.«

Susanne zuckte die Achseln und sah nach der im Hintergrunde der Kapelle emporführenden Treppe, ob ihr Gemahl noch nicht erscheine. Sie nannte im Stillen ihre Schwiegermutter sentimental, obwohl diese in ihrer klaren ruhigen Art diese Bezeichnung nicht verdiente. Der wahre Inhalt ihres Wesens war Güte und Vornehmheit.

Gräfin Thea liebte freilich ihren Sohn und ihren Enkel anders, als Susanne ihr Kind liebte. Diese hatte nie viel Zärtlichkeit übrig, weder für ihr Kind, noch für ihren Mann. Sie war zu sehr mit ihrer eigenen Persönlichkeit beschäftigt, liebte zu sehr sich selbst, als daß sie noch einem andern Wesen besonderes Interesse zu widmen imstande gewesen wäre.

Da soeben Graf Joachim Wildenfels die Treppe herabkam, beugte sich Susanne zu ihrem Sohne nieder und küßte ihn.

»Adieu denn, kleiner Mann. Sei brav, solange Mama nicht zu Hause ist. Belästige Großmama nicht zu viel.«

Lothar sah mit einem fast traurigen Blicke in das unbewegte Antlitz seiner Mutter.

»Adieu, Mama. Gute Reise – und komme gesund wieder heim. Und wegen Großmama brauchst du dir keine Sorge zu machen. Wenn ich hundertmal am Tage zu ihr käme – es wäre ihr nicht lästig, gelt, Großmama?«

Er trat zu der alten Dame und legte mit ungestümer Zärtlichkeit seinen Arm um ihre Taille. Sie strich zärtlich über das wellige, ziemlich kurz gehaltene Haar und nickte ihm zu.

Ein mokantes Lächeln huschte um Susannes Lippen. Ihrem Wesen lagen alle Gefühlsergüsse fern. Graf Joachim trat zu ihnen.

Er war eine vornehme Erscheinung von etwa vierzig Jahren. Aus seinem schöngeschnittenen Gesichte leuchteten dieselben tiefblauen Augen, wie aus dem seines Sohnes. Auch er hatte das dunkle, leicht gewellte Haar, die langen dunklen Wimpern. Aber seine Züge waren etwas zu weich – weicher noch als in dem Gesichte seines jungen Sohnes. Um Lothars Mund und Kinn bildete sich schon jetzt ein charakteristischer energischer Zug, der seinem Vater völlig fehlte. So ähnlich sich Vater und Sohn auf den ersten Blick waren, so verschieden wirkten sie bei näherer Betrachtung.

Graf Joachim war eine etwas haltlose Natur. Sein verstorbener Vater, ein Mann wie aus Stahl und Eisen, hatte das frühzeitig erkannt und weil ihm jede Schwäche ein unverstandener Begriff war, suchte er diesen Charakterfehler seines Sohnes durch übertriebene Strenge auszumerzen. Aber er schoß über das Ziel hinaus. Statt seines Sohnes Leichtsinn und Haltlosigkeit zu bessern, trieb er ihn durch seine Unduldsamkeit dazu, allerlei Torheiten heimlich zu begehen. Je strenger ihn der Vater hielt, je ärger trieb er es im stillen. Als Joachim vierundzwanzig Jahre alt war, hatte ihn sein Vater, ohne nach seinen Wünschen zu fragen, mit Komtesse Susanne Hagenau verheiratet. Joachim war damals in einer rätselhaften seelischen Bedrückung gewesen und hatte sich fast willenlos in alles gefügt. Komtesse Hagenau schien Joachims Vater die passendste Lebensgefährtin für seinen Sohn. Trotzdem sie erst achtzehn Jahre zählte, war sie vollendete Weltdame, deren kühle Selbstbeherrschung ihm genug Garantien bot, daß sie seinen Sohn nach seinen Wünschen beeinflussen würde.

Es schien auch, als habe er das rechte getroffen. Joachim schien nach seiner Verheiratung – ja – schon während der Verlobungszeit – ein ganz anderer geworden zu sein. Gräfin Thea hatte sich freilich gegen diese Verbindung gesträubt. Sie kannte ihren Sohn besser, wußte, daß er mit Liebe eher zu leiten war, als mit Strenge und Kälte. Von mancher Torheit hatte sie ihn abgehalten durch liebevolles Zureden. Sie wußte, daß Susanne eine gefühllose Person war, und daß Joachim ein sehr liebebedürftiges Herz hatte.

Aber ihr Widerspruch hatte nichts geholfen. So war diese Ehe zustande gekommen. Graf Joachim war ein artiger, ritterlicher Gatte, der seiner Frau umso ruhiger allen Willen ließ, als sie seine Person nicht in Anspruch nahm. Joachims Vater war sehr zufrieden gewesen mit dem Erfolge seines Experimentes. Es war unleugbar eine große Veränderung in Joachims Wesen zu bemerken.

Aber seine Mutter hatte diese Veränderung nicht mit Befriedigung erfüllt. Im Gegenteil, sie machte ihr heimlich große Sorge. Sie allein hatte auch bemerkt mit den scharfen, sorgenden Mutteraugen, daß Joachim schon in der Zeit kurz vor seiner Verlobung ein anderer geworden war. Ungleichmäßig und gedrückt, nicht mehr in froher Laune überwallend, fast scheu und unruhig war er ihr erschienen. Sie hatte ihn einige Male in liebevoller Weise gefragt, ob ihm etwas fehle, ihn etwas bedrücke. Danach hatte er sich stets eine Zeit lang zusammengenommen, ohne je auf ihre Frage eine rechte Antwort zu geben.

Joachim war ihr einziges Kind – er war so recht ein Sorgenkind von Anfang an gewesen. Aber umso zärtlicher umfaßte ihn ihr Herz. Sie litt fast mehr unter der kalten, liebeleeren Ehe, die er führte, als er selbst. Sorgend suchten ihre Augen wieder und wieder in seinen Zügen.

Joachims Vater hatte noch erlebt, daß ihm ein Enkel geboren wurde. Es gelüstete ihn danach, auch an dem Enkel seine Erziehungstheorien zu erproben. Aber ehe er dazu kam, einen Einfluß auf den Knaben auszuüben, war er gestorben. Seit seinem Tode hatte sich Joachim inniger denn je an seine Mutter angeschlossen, während sein Verhältnis zu seiner Frau immer förmlicher wurde. Mit seiner Mutter und mit seinem Sohne lebte er in herzlicher Gemeinschaft. Seine Frau war ihm im Herzen eine Fremde. – – –

Graf Joachim half seiner Gattin in den Wagen. Lothar stand neben ihm und küßte seiner Mutter die Hand. Seinen Vater umarmte er herzlich, obwohl dieser nur bis zum Bahnhofe fuhr.

Dann stieg Joachim selbst ein und der Wagen fuhr davon. Lothar sah ihm eine Weile nach. Dann sprang er mit zwei Sätzen die Freitreppe empor. Oben unter dem Portale stand Gräfin Thea. Lothar umfaßte sie stürmisch. So war auch Joachim als Kind oft zu ihr gekommen, Liebe heischend, Liebe gebend. So ausbrüchlich hatte er auch den Regungen seines Herzens Ausdruck gegeben. Sie drückte Lothar fest an sich und sah ihn ernst an.

»Tut es dir nicht weh, daß Mama auf lange Wochen fortgeht?«

»Weißt, du, Großmama, ich habe von Mama auch nicht viel, wenn sie zu Hause ist. Manchmal sehe ich sie kaum bei den Mahlzeiten. Freilich – wenn Papa mit abreiste – dann wäre ich viel mehr betrübt. Ich habe ja dich und Papa.«

Diese Worte kennzeichneten zur Genüge, welche Stellung Gräfin Susanne im Herzen ihres Sohnes einnahm. Er empfand nach Kinderart sehr genau, daß die Mutter nicht viel Liebe für ihn hatte. Ihr kaltes, spöttisches Wesen scheuchte ihn zurück, wenn er sich ihr liebevoll nahen wollte. So suchte er bei Großmutter und Vater die Liebe, die er zum Gedeihen brauchte. Und da fand er sie in reichstem Maße. Fest umschlungen gingen die beiden in die Halle zurück.

»Jetzt muß ich aber wieder ins Schulzimmer, Großmama, meine Geschichtsstunde ist noch nicht zu Ende. Der Herr Kandidat wird schon warten.«

»So geh, mein lieber Lothar.«

»Ich habe noch eine Stunde Latein nach der Geschichtsstunde. Aber dann bin ich frei – dann darf ich doch zu dir kommen?«

Er lief mit schnellen Schritten wieder den teppichbelegten Gang nach dem Schulzimmer zurück. Liebevoll blickte Gräfin Thea dem schönen Jungen nach. Dann stieg sie sinnend die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sich im westlichen Flügel ihre Zimmer befanden.

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