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Einunddreißigstes Kapitel.

»Nun zur Sache!«
Othello.

Drei Stunden später war jedes noch so leise Geräusch am Bord des königlichen Kreuzers verstummt. Die Arbeit, erlittene Haverien auszubessern, hatte aufgehört, die meisten der Lebenden lagen ausruhend zwischen den Todten; eine gemeinsame Stille herrschte über Beiden. Nicht vernachlässigt wurde jedoch die dem Zustande der ermüdeten Matrosen so nöthige Wachsamkeit, und wenn gleich die Meisten schliefen, so waren Einige doch noch wach und strengten sich an, munter zu bleiben. Hier schritt eine schläfrige Schildwache auf dem Deck auf und ab, dort summte ein junger Offizier ein Matrosenlied vor sich hin, um auf seinem Posten nicht einzuschlafen. Tief hingegen war der Schlaf der übrigen Mannschaft, die, mit den Pistolen noch im Gürtel und den breiten Säbeln noch an der Seite, zwischen den Kanonen zerstreut umherlag. Eine Gestalt lag auf der Schanze ausgestreckt, unter dem Haupte einen Kugelkasten als Kissen. Das hörbare Athmen dieser Person bezeichnete den unruhigen Schlaf eines gewaltigen Körpers, in welchem die Müdigkeit mit dem Schmerz kämpfte. Es war der verwundete fiebernde Segelmeister, der in der erwähnten Körperlage eine Stunde der ihm so nöthigen Ruhe genießen wollte. Auf einer leeren Munitionskiste, nicht weit davon, lag noch eine, aber regungslose menschliche Gestalt, die Glieder in friedsame Haltung gelegt, das Antlitz den stillen flimmernden Sternen zugekehrt. Es war die Leiche des jungen Dumont, die man in der Absicht aufhob, sie nach der Ankunft des Schiffes im Hafen, in geweihete Erde zu bestatten. Ludlow hatte, wie es dem Zartgefühl eines großherzigen ritterlichen Feindes geziemt, mit eigener Hand über die sterblichen Ueberreste des unerfahrenen, aber tapfern jungen Franzosen, die schneeweiße Flagge seines Vaterlandes ausgebreitet.

Auf dem erhöheten Deck im Spiegel war eine kleine Gruppe Menschen zu bemerken, welche noch für die gewöhnlichen Eindrücke des Lebens empfänglich waren. Ludlow hatte nämlich, nachdem die Pflichten des Tages vollbracht waren, Alida und ihre Gefährten dorthin gebracht, damit sie eine reinere Luft, als die im Innern des Schiffes, schöpfen möchten. Neben ihrer jungen Herrin saß die kleine Negerin und nickte; der müde Alderman saß an dem Besahnmast angelehnt und gab hörbare Beweise, daß er der süßen Ruhe pflege; Ludlow hingegen stand aufrecht in der Mitte der Gruppe und schenkte dem Gespräche der Anderen seine Aufmerksamkeit, indem er jedoch von Zeit zu Zeit einen ernsten Blick auf die glatte Wasserfläche rund umher warf. Alida und der Seestreicher hatten neben einander auf Stühlen Platz genommen. Die Unterhaltung geschah in leisem Tone, die Stimme der schönen Barbérie war bebend und niedergeschlagen; ihren sonst so kräftigen und feurigen Geist hatten die Ereignisse des Tages sehr erschüttert.

»Ihr Fach hat eine Mischung des Schrecklichen mit dem Schönen, des Erhabenen mit dem Anziehenden,« sagte Alida als Erwiederung auf eine Bemerkung, welche der junge Seemann gemacht hatte. »Diese stille See, der hohle Ton der Brandung an der Küste und dieses sanfte Gewölbe über uns, sind Gegenstände, bei welchen auch ich mit Bewunderung verweilen könnte, wenn das wilde Schlachtgetümmel mir nicht verletzend noch immer in den Ohren gellte. Sagten Sie nicht, der Commandeur des französischen Schiffes sey noch ein Jüngling gewesen?«

»Ein bloßer Knabe, seinem Aeußern nach, der ohne den Vortheil der Geburt und hoher Verbindungen gewiß einen solchen Rang nicht bekleidet hätte. Daß es der Capitän selbst ist, davon sind wir überzeugt, nicht bloß durch seine Uniform, sondern auch durch seine verzweifelte persönliche Anstrengung, das falsche Manöver, welches er sich beim Anbeginn des Kampfes hatte zu Schulden kommen lassen, wieder gut zu machen.«

»Vielleicht hat er eine Mutter, Ludlow! – eine Schwester – ein Weib oder eine ....«

Alida hielt mit jungfräulicher Bescheidenheit inne, sie konnte es nicht über sich gewinnen, das Band zu nennen, das ihren Gedanken am meisten vorschwebte.

»Das alles hat er vielleicht! Solche Gefahren läuft nun einmal der Seemann, und ...«

»Und diejenigen, denen ihre Sicherheit theuer ist!« setzte mit leiser, aber ausdrucksvoller Stimme der Seestreicher hinzu.

Es folgte eine tiefe, beredte Stille. Alsdann hörte man Myndert undeutlich im Schlafe sprechen: »zwanzig Stück Biber und drei Stück Marder, wie die Factura zeigt.« Kaum war das Lächeln, welches Ludlow, trotz seiner ernsten Gedanken, nicht unterdrücken konnte, wieder verschwunden, so vernahm er die rauhen Töne Spannsegel's, der ebenfalls aus dem Schlafe sprach: »Munter dort, mit Euern Stoppern! der Franzmann geht schon wieder auf uns los!«

»Das ist prophetisch!« sprach Jemand laut hinter der aufhorchenden Gruppe. Ludlow drehte sich um, rasch wie die wehende Flagge sich um ihren Stock dreht, und erkannte mitten in der Dunkelheit, an der unbeweglichen männlichen Gestalt auf dem Hüttendeck dicht neben sich, die Person des – Meerdurchstreichers.

»Die Leute zusammengerufen! ...«

»Mit nichten!« unterbrach Ruderpinne die eilige Ordre, welche unwillkührlich Ludlow's Lippen entschlüpfte. »Auf Deinem Schiff muß es still aussehen, wie auf einem Wrack, in Wahrheit aber Vorkehrung und Wachsamkeit überall herrschen, selbst bis in den Vorrathskammern. Sie haben wohl daran gethan, Capitän Ludlow, munter zu bleiben, einige Ihrer Ausgucker indessen haben gerade nicht das schärfste Auge.«

»Woher kommen Sie, verwegener Mann; welches tollkühne Vorhaben führt sie zum zweiten Mal auf mein Verdeck?«

»Ich komme aus meiner Wohnung auf der See. Mein Geschäft hier ist, zu warnen.«

»Auf der See!« hallte Ludlow's Stimme zurück, den leeren Gesichtskreis, so weit es die Finsterniß erlaubte, durchschweifend. »Es ist dies wahrlich keine Zeit zum Scherzen, und Sie sollten mit Ihren Witzen diejenigen verschonen, welche ernste Pflichten zu erfüllen haben.«

»Die Stunde beruft Sie in der That zu ernsten Pflichten – zu ernsteren als Sie ahnen. Doch ehe ich mich auf Erklärungen einlasse, muß eine Uebereinkunft zwischen uns stattfinden. Sie haben hier am Bord einen Diener der meergrünen Dame; ich fordere seine Freilassung für mein Geheimniß.«

»Der Wahn, in welchem ich schwebte, ist zerflossen,« erwiederte Ludlow, einen Augenblick auf die in sich geschmiegte Gestalt des Seestreichers hinschauend. »Meine Eroberung ist ohne Werth, Sie müßten sich denn selbst für ihn zum Gefangenen stellen wollen.«

»Mein Kommen hat einen andern Zweck. Hier ist Jemand, welcher weiß, daß ich nicht zu scherzen pflege, wenn ernste Angelegenheiten dringen. Lassen Sie die Anwesenden sich zurückziehen, damit ich offen mit Ihnen sprechen könne.«

Ludlow zauderte, denn er war noch nicht von seinem Erstaunen, den gefürchteten Freihändler so unerwartet auf seinem Deck zu finden, zurückgekommen. Doch Alida und ihr Gefährte schienen mehr Vertrauen in den Fremden zu setzen: sie erhoben sich von ihren Sitzen, weckten die Negerin, stiegen die Leiter hinab und begaben sich in die Kajüte. Als Ludlow sich mit Ruderpinne allein befand, verlangte er von diesem Aufschluß.

»Der soll Ihnen nicht vorenthalten werden,« erwiederte der Andere; »denn die Zeit drängt, und was geschehen muß, muß mit seemännischer Sorgfalt und Ruhe geschehen. Sie haben mit einem der Herumstreicher Ludwig's einen harten Strauß gehabt, Capitän Ludlow, und allerdings darf Königin Anna stolz auf die Art seyn, wie ihr Schiff regiert wurde. Haben Sie bedeutenden Verlust erlitten, und sind Sie noch stark genug, einen Vertheidigungskampf zu bestehen, der Ihres Betragens an diesem Morgen würdig wäre?«

»Sie verlangen von mir Antwort auf Dinge, die ich Ihnen nicht anvertrauen kann: Sie können Verrath im Sinne haben; wer bürgt mir dafür, daß ich nicht einen Spion vor mir sehe?«

»Herr Capitän! – doch die Umstände rechtfertigen Ihren Argwohn.«

»Sie wissen, ich habe Ihr Schiff und Ihr Leben bedroht – das Gesetz proscribirt Sie!«

»Dies ist nur zu wahr,« erwiederte der Meerdurchstreicher, und unterdrückte gewaltsam seinen empörten Stolz. »Ich bin ein Smuggler, ein Proscribirter, aber ich bin ein Mensch! Sehen Sie jenen dunkeln Gegenstand, welcher die See gegen Norden begrenzt?«

»Er ist nicht zu verkennen, es ist Land.«

»Land, und das Land meiner Geburt! die frühesten, vielleicht die glückseligsten meiner Tage habe ich auf jenem langen, schmalen Eiland zugebracht.«

»Hätte ich's früher gekannt, so würden seine Bai's und Einschnitte genauer durchsucht worden seyn.«

»Die Durchsuchung würde sich belohnt haben. Eine Kanone auf diesem Deck kann den Punkt, wo meine Brigantine jetzt heimlich vor Anker liegt, leicht bestreichen.«

»Wenn Sie sie nicht seit Sonnenuntergang dorthin gesteuert haben, so ist das unmöglich. Als die Nacht herankam, war nichts rund umher zu sehen, als die Fregatte und die Corvette des Feindes.«

»Wir haben uns nicht einen Faden von unsrer Stelle bewegt, und dennoch, auf das Wort eines unerschrockenen Mannes, liegt am besagten Ort das Fahrzeug der meergrünen Dame. Sie sehen doch dort die Senkung des Strandes, gerade am nächsten Punkt des Landes? An jener Stelle nun ist die Insel vom Wasser fast ganz durchschnitten, und im innersten Punkt der von Norden einfließenden Bai, keine Meile von Ihrer Coquette, liegt die Wassernixe in Sicherheit. Auf jenem östlichen Hügel, Herr Capitän, bin ich heute Zuschauer Ihres Muthes gewesen, und obgleich meine Person verurtheilt ist, so fühlte ich doch, daß der Bann der Gesetze das Herz nicht treffen kann. Hier lebt eine Treue, welche selbst die Verfolgung der Zollbeamten nicht zu ersticken vermag.«

»Sie sind glücklich in der Wahl ihrer Ausdrücke, Sir. Ich will es nicht läugnen, daß ich glaube, selbst ein Seemann von Ihrer Geschicklichkeit müsse zugeben, daß mein Schiff gehörig regiert wurde.«

»Kein Lootse konnte zuverlässiger oder lebendiger seyn. Ich kannte ihre geringen Streitkräfte, denn die Abwesenheit Ihrer sämmtlichen Boote war mir kein Geheimniß, und ich gestehe, ich hätte gern einen Theil des Gewinnstes meiner Reise darum gegeben, heute mit einem Dutzend meiner bravsten Kerle auf Ihrem Verdeck gewesen zu seyn!«

»Ein Mann, der solcher Loyalität für die Flagge empfänglich ist, sollte überhaupt einem ehrenvolleren Berufe folgen.«

»Ein Land, welches solche Loyalität einzuflößen vermag, sollte sich nicht muthwillig durch Monopole und Ungerechtigkeiten um die Anhänglichkeit seiner Söhne bringen. Doch diese Erörterungen passen wenig zum gegenwärtigen Augenblick. Betrachten Sie mich in dieser Meerenge als Ihren Landsmann in mehr als einer Beziehung, und alles Vergangene als etwas derbe Freiheiten, die sich Freunde gegen Sie herausgenommen haben. – Capitän Ludlow, in jener dunklen, leerscheinenden Stelle der See brütet Gefahr!«

»Was für Beweise können Sie dafür anführen?«

»Eigne Anschauung. Ich habe mich unter ihren Feinden befunden, und ihre todbringenden Anstalten gesehen. Ich weiß, daß ich einen tapfern Mann zur Vorsicht ermahne, und werde Ihnen daher nichts von der Größe Ihrer Gefahr verhehlen. Sie bedürfen Ihrer ganzen Entschlossenheit, und jedes Arms, denn man wird gegen Sie mit furchtbarer Anzahl anrücken!«

»Wahr oder falsch, Deine Warnung soll nicht vernachlässigt werden.«

»Halt!« sagte der Meerdurchstreicher und hielt den Davoneilenden fest. »Laß sie fortschlafen. Sie haben noch eine Stunde, und Ruhe wird ihre Kräfte verjüngen. Vertrauen Sie der Erfahrung eines Mannes, der ein halbes Menschenleben auf dem Ocean zugebracht hat, und Zeuge gewesen ist von den stürmischsten Auftritten, vom Kampfe der Elemente bis zu allen Gattungen desjenigen Kampfes, den die Menschen erfunden haben, um sich einander zu zerstören; vertrauen Sie mir! Noch eine Stunde sind Sie sicher, dann aber schütze Gott die Unvorbereiteten, und sey er Denen gnädig, deren Lebensminuten gezählt sind!«

»Deine Sprache und Miene sind die eines Redlichen,« erwiederte Ludlow, gerührt durch die augenfällige Aufrichtigkeit des Freihändlers. »Es komme was wolle, wir werden fertig seyn. Aber immer bleibt mir die Art, wie Sie zur Kenntniß dieser Sache gekommen sind, ein eben so großes Geheimniß, als Ihr jetziges Erscheinen auf meinem Schiffe!«

»Sie sollen Beides erfahren,« antwortete der Meerdurchstreicher, und winkte seinem Gefährten, ihm nach dem Hackebord zu folgen. Hier wies er auf einen kleinen, beinahe unbemerkbaren Nachen, welcher am Fuße einer Leiter des Spiegels tanzte, und fuhr fort: »Wer so oft im Geheimen ans Ufer zu gehen hat, dem darf es nie an Mitteln fehlen. Diese Nußschale über den schmalen Streifen Landes, welcher die Bai vom Ocean trennt, tragen zu lassen, war ein Leichtes, und obgleich dort die Brandung fürchterlich brüllt, so weiß ein handfester geschickter Ruderer schon damit fertig zu werden. Ich habe mich unter dem Bugspriet des Franzosen befunden, und bin, wie Sie sehen, jetzt hier. Wenn Ihre Ausgucker nicht so munter find, als sonst, müssen Sie billig auch nicht vergessen, daß ein niedriger Dolbort, vermuffter Riem und eine dunkle Seite nicht leicht zu entdecken sind, wenn das Auge schläfrig und der Körper abgemattet ist. Jetzt muß ich von hinnen, Sie müßten es denn für gerathen halten, Diejenigen, welche nicht von Nutzen seyn können, vom Bord wegzuschaffen, ehe der Prüfungsaugenblick da ist.«

Ludlow nahm Anstand; wie gern er auch Alida an einem sichern Orte gewußt hätte, so vermochte er es doch nicht über sich, dem Smuggler unbedingt zu trauen.

»Ihre Muschel bietet für mehr Personen als ihren Lenker nicht Sicherheit genug dar. Ziehen Sie hin, und möge Ihnen das Glück hold seyn, wenn Sie aufrichtig waren.«

»Halten Sie sich wacker!« sagte der Meerdurchstreicher, und schüttelte ihm die Hand. Dann betrat er die schwankende Strickleiter, und stieg in seinen Nachen. Ludlow bewachte seine Bewegung mit gespannter, vielleicht mit mißtrauischer Aufmerksamkeit. Nachdem der Freihändler an der Rojeklampe seinen Sitz genommen, war seine Person fast nicht mehr zu sehen, und wie nun das Boot geräuschlos dahinglitt, schwand auch der Vorsatz des jungen Commandeurs, Denjenigen, die es unangekündigt hatten nahen lassen, einen Verweis zu ertheilen. In weniger als einer Minute war der dunkle Punkt nicht mehr von der Meeresfläche zu unterscheiden.

Als der junge Capitän sich nunmehr allein sah, dachte er reichlich über das Vorgefallene nach. Die Weise des Meerdurchstreichers, der Umstand, daß seine Nachricht eine aus freiem Antrieb mitgetheilte, und an sich nur zu wahrscheinliche war, die Mittel endlich, wie er zur Kenntniß derselben gelangte, vereinigten sich, den Capitän von der Aufrichtigkeit des Abenteurers zu überzeugen. Ueberdies ist es nichts Seltenes, daß Seeleute, deren sonstiges Treiben der Flagge Ihrer Nation Nachtheil bringt, bei ähnlichen Gelegenheiten ihre angeborne Liebe zu derselben nicht verläugnen. Ihre Vergehen gleichen den Fehlern der Leidenschaft und der Versuchung, dagegen darf man ihr vorübergehendes Zurückkehren zum Guten als den unaustilgbaren Naturtrieb betrachten.

Ludlow blieb der Ermahnung des Freihändlers, das Volk ausschlafen zu lassen, eingedenk. Zwanzig Mal, innerhalb eben so vieler Minuten, zog der junge Seemann die Uhr, und steckte sie wieder ein, entschlossen, seine Ungeduld zu besiegen. Endlich stieg er hinab auf die Schanze und näherte sich der einzigen Gestalt, welche aufrecht stand. Der wachthabende Offizier war ein Knabe von sechszehn Jahren, der seine Probezeit noch nicht ausgedient hatte, und dem dieser wichtige Posten wohl nicht anvertraut worden wäre, wenn die im Dienste Aelteren nicht vom Schiffe abwesend gewesen wären. Er stand an's Gangspill angelehnt, indem er mit dem Ellbogen sich auf den Köppels stützte und die Wange auf der Hand ruhen ließ; der Körper war bewegungslos. Ludlow sah ihn einen Augenblick an, hob dann eine Schlachtlaterne ihm an's Gesicht, wo er dann fand, daß er schlief. Ohne den Delinquenten in seiner Ruhe zu stören, stellte der Capitän die Laterne wieder an ihren Ort und ging weiter. An der Fallrepstreppe stand ein Marinesoldat, das Gewehr präsentirend. Da Ludlow wenig Zoll von seinen Augen sich vorbeidrängen mußte, so konnte er leicht sehen, daß sie sich unwillkührlich öffneten und wieder schlossen, ohne Bewußtseyn dessen, was sie umgab. Auf der Bram-Back traf er eine kurze, stämmige Gestalt, frei, beide Hände quer in den Brustlatz gesteckt, und den Kopf langsam nach Westen und Süden drehend, als untersuche sie das Meer nach diesen Richtungen hin.

Ludlow stieg leise die Leiter hinauf und fand, daß es der alte Seemann war, welcher das Amt eines Ausguckers der Back bekleidete.

»Es freut mich, endlich einmal in meinem Schiffe ein Paar Augen offen zu finden,« sagte der Capitän. »Von der ganzen Wache bist Du der Einzige, der munter ist.«

»Ich habe Cap Fünfzig doublirt, Ew. Gestrengen, und der Seemann, welcher diese Reise gemacht, braucht selten von der Bootmannspfeife zweimal gerufen zu werden. In jungen Köpfen sitzen junge Augen, und wenn man tüchtig mit den Stücktaljen und Reepen hat umgehen müssen, geht außer Essen nichts über den Schlaf.«

»Und was zieht Deine Aufmerksamkeit so stark nach jener Gegend hin? Es ist doch weiter nichts sichtbar als der Seedunst.«

»In jener Richtung liegt der Franzose, Sir, – Hören Ew. Gestrengen nichts?«

»Nichts,« sagte Ludlow, nachdem er eine halbe Minute lang angestrengt gelauscht hatte, »nichts, außer dem Geräusche der Brandung am Strand.«

»Kann seyn, daß es bloß Einbildung war, aber es war ein Ton, als wenn ein Riemblatt auf eine Duft gefallen wäre; zudem ist es natürlich zu erwarten, daß der Musje Franzmann bei diesem glatten Wasser sich umsehen wird, um zu erfahren, wo wir geblieben sind. – Ich will nicht Robert Klampe heißen, wenn das Blitzen dort nicht ein Licht war!«

Ludlow schwieg, denn allerdings ward ein Licht in der Gegend, wo der Feind vor Anker lag, hin und wieder sichtbar, wie das einer bewegten Laterne. Endlich sah man es langsam niederwärts sich bewegen und verschwinden, als wenn es im Wasser erloschen wäre.

»Die Laterne ging in's Boot, Capitän Ludlow, obgleich der Kerl, welcher sie trug, ein Lümmel seyn muß!« sprach der störrische alte Backgast, schüttelte das Haupt, und fing an, das Deck auf und ab zu schreiten, mit der Haltung eines Menschen, der keine weitere Bestätigung seines Verdachtes bedarf.

Ludlow kehrte gedankenvoll, aber gelassen, nach der Schanze zurück. Ohne einen einzigen Mann zu wecken, ging er mitten durch die schnarchende Equipage hindurch; selbst den noch immer in seiner beschriebenen Stellung schlafenden Cadetten ließ er unberührt, und begab sich auf einige Minuten in seine Kajüte.

Als er wieder auf dem Verdeck zum Vorschein kam, war mehr Entschiedenheit und Vorbereitung in seinem Wesen bemerkbar.

»Es ist Zeit, die Wache aufzurufen, Reef,« flüsterte er dem schläfrigen Cadetten von der Seite zu, und that, als wenn er des Jünglings Achtlosigkeit auf seinen Posten nicht bemerkt hätte. »Das Glas ist um.«

»Schon gut, Sir, schon gut. Munter und dreht das Glas!« sprach der Jüngling zwischen den Zähnen und noch halb im Schlafe. »Eine schöne Nacht, Sir, und sehr flaches Wasser. Ich dachte eben ...«

»Nach Hause und an Deine Mutter. So machen wir's alle, wenn wir jung sind. Schon gut, Sir, schon gut; jetzt aber müssen wir an was Anderes denken. Bring' die Herren alle hier auf der Schanze zusammen.«

Jetzt, nachdem der Cadett, der Ordre gehorchend, abgegangen war, näherte sich der Capitän der Stelle, wo Spannsegel noch immer in unruhigem Schlafe lag. Die leise Berührung eines Fingers genügte, den Segelmeister auf die Beine zu bringen. Der erste Blick des Veteranen war nach dem Segelwerk, der zweite nach den Wolken und erst der letzte auf seinen Befehlshaber gerichtet.

»Ich fürchte, Deine Wunde wird steif, und daß die Nachtluft den Schmerz vermehrt hat,« bemerkte der Letztere in gütigem bedachtsamen Ton.

»Freilich läßt sich dem verwundeten Spier nicht mehr so gut trauen wie einer gesunden Stenge, Herr Capitän; da ich indessen kein Infanterist auf dem Marsche bin, so kann der Dienst im Schiffe seinen Gang gehen, ohne daß ich ein Pferd verlangen müßte.«

»Dein muthiger Geist macht mir Freude, alter Freund, zumal da wir wahrscheinlich heiße Arbeit bekommen. Die Franzosen sind in ihren Booten, und wir werden bald im Handgemenge seyn, wenn nicht alle Zeichen trügen.«

»Boote!« wiederholte Spannsegel. »Ich wollte lieber, wir könnten unter unsern ausgebreiteten Tüchern bei einer scharfen Kühlte agiren. Ein behender Fuß und eine leicht bewegliche Segellänge, darin besteht die Force dieses Schiffes, aber wenn wir's mit Booten zu thun kriegen, ist ein Marine fast ein so guter Kerl wie ein Quartiermeister.«

»Wir müssen das Glück nehmen, wie es sich darbietet. Hier ist unser Kriegsrath schon beisammen. Er besteht aus jungen Köpfen, doch ihre Herzen würden grauen Haaren Ehre machen.«

Ludlow begab sich zu der kleinen Gruppe von Offizieren, die am Gangspill versammelt stand. Hier setzte er ihnen die Veranlassung ihrer plötzlichen Zusammenberufung deutlich und bündig auseinander. Nachdem die jungen Männer die Beschaffenheit der neuen Gefahr, welche dem Schiff drohte, begriffen und jeder seine Ordres erhalten hatte, trennten sie sich und begannen thätig, aber mit der sorgfältigsten Stille, die nöthigen Vorkehrungen. Das Geräusch der Fußtritte erweckte ein Dutzend der älteren Matrosen, welche sofort sich bei ihren Offizieren einstellten.

Bei solcher Beschäftigung verfloß eine halbe Stunde fast wie ein Moment. Nach Verlauf derselben konnte Ludlow ruhig seyn, sein Schiff war bereit. Die beiden vordersten Kanonen wurden, nachdem die Kugeln herausgezogen waren, mit doppelten Ladungen Traubenhagels und Schroot versehen. Mehrere Drehbassen, eine in jener Zeit viel benutzte Waffe, wurden bis an die Mündung vollgeladen und in solche Lage gebracht, daß sie das ganze Verdeck bestreichen konnten: endlich wurde der Vormars mit reichlichen Vorräthen von Waffen und Munition versehen, und die Lunten bereitet. Sodann geschah der namentliche Aufruf der sämmtlichen Mannschaft, und nach fünf Minuten waren die nöthigen Befehle ertheilt und Jedermann an seinem Posten. Nunmehr verstummte das dumpfe Gesumme auf dem Schiffe, und tiefe Stille herrschte wieder so allgemein, daß die Brandung der zurückprallenden Wogen fast so deutlich vernommen werden konnte, als wenn man sich am Strand befunden hätte.

Ludlow und der Segelmeister standen auf dem Vorderkasteel. Alle Sinne strengte hier der Erstere an, sich mit dem Zustand der Elemente genau bekannt zu machen und die Zeichen des Augenblicks zu erhaschen. Es wehte kein Wind, nur dann und wann kam ein Hauch warmer Luft vom Lande her, gleichsam das erste Wehen der Nachtkühlte. Der Himmel war umwölkt, obgleich einige Sterne traurig durch die Dunstmassen hindurchblickten.

»Eine stillere Nacht als diese hat über Amerika noch nicht geruht,« sprach der Alte mit gedämpfter Stimme und vorsichtiger Miene, und schüttelte dabei zweifelnd den Kopf. »Ich gehöre zu denen, Herr Capitän, welche der Meinung sind, daß die halbe Kraft aus dem Schiffe ist, wenn sein Anker draußen hängt.«

»Bei einer geschwächten Mannschaft ist es vielleicht besser, wenn die Leute keine Raaen zu handhaben, noch Bulienen zu spannen haben; wir können unsre Aufmerksamkeit ungetheilt der Vertheidigung widmen.«

»Das ist nicht viel besser, als wenn man zum Falken sagen wollte, er könne mit beschnittenen Flügeln besser kämpfen, weil er sich dann nicht durchs Flügen abzumühen brauche. Die Natur eines Schiffes ist Bewegung, und das Verdienst des Seemanns besteht in wohlberechneter, rascher Handhabung – doch, was helfen Klagen, sie lichten kein Anker, füllen kein Segel! Was ist Ihre Meinung, Capitän Ludlow, von einem zukünftigen Leben und von allen den Dingen, die man gelegentlich zu hören bekommt, wenn man zufällig vor Topp und Takel in eine Kirche geräth?«

»Die Frage ist so grenzenlos wie der Ocean, mein guter Freund, und eine gehörige Antwort würde uns in Abstraktionen verwickeln, tiefer als irgend ein Problem in unsrer Trigonometrie. – War das nicht ein Ruderschlag?«

»'s war Geräusch vom Lande her. Na, ich bin kein sonderlicher Schifffahrer in den krummen Windungen der Religion. Jedes neue Argument ist eine Sandbarre, oder eine Untiefe, die mich zwingt zu wenden und wieder abzufallen, sonst hätte vielleicht ein Bischof aus mir werden können, wenigstens läßt sich nicht beweisen, daß so was unmöglich gewesen wäre. – Eine düstre Nacht, Herr Capitän, so sparsam mit ihren Sternen. Ich habe noch immer gefunden, daß nichts Gutes von einer Expedition kam, welche nicht vom natürlichen Lichte beschienen wurde.«

»Um so schlimmer für Diejenigen, welche Böses gegen uns im Sinne führen. Dies war doch ganz gewiß der Ton eines Riems in der Rojeklampe!«

»Er kam von der Küste, man konnte hören, daß es kein Seeton war,« erwiederte ungestört der Segelmeister mit unverwandt nach dem Himmel gerichtetem Auge. »In der Welt, in welcher wir jetzt leben, Herr Capitän, geht es seltsam genug her, doch die, auf welche wir lossteuern, ist noch unbegreiflicher. Es heißt, über uns segeln Welten, wie Schiffe in heiterer See, und Einige glauben sogar, wenn wir von diesem Planeten Abschied nehmen, so reisen wir nach einem andern, wo wir, je nachdem unsre Handlungen hier beschaffen gewesen, Anstellung erhalten, was ungefähr dasselbe wäre, als wenn man, mit einem Dienst-Certificat, in ein anderes Schiff versetzt wird.«

»Ganz dasselbe,« erwiederte der Andere, sich weit über den Poller weglehnend, um sicherer den geringsten Ton vom Ocean her zu vernehmen. »Horch! doch nein, ein Meerschwein schnaubte nur.«

»Der Stärke nach war es der Hauch eines Wallfisches. An der Küste dieser Insel ist kein Mangel an großen Fischen, und die Leute, die auf den sandigen Dünen hier nach Norden zerstreut wohnen, sind kühne Harpuniere. Einst segelte ich mit einem Offizier, welcher jeden Stern am Himmel nennen konnte, und gar oft saß ich während der mittleren Wachen ganze Stunden bei ihm und hörte ihm zu, wenn er von ihrer Größe und Beschaffenheit erzählte. Er war der Meinung, daß alle diese Luftwanderer, seyen's nun Meteore, Kometen oder Planeten, von einem einzigen Steuermann geführt werden.«

»Da er dort war, mußt' er's wohl wissen.«

»Nein, das kann ich eben nicht von ihm sagen, obgleich auf unsrer eignen Erde wenig Leute tiefer in die hohen Breiten vorgedrungen sind als er, sowohl auf der einen wie auf der andern Seite des Aequators. Da hat Jemand gesprochen, hier in gerader Linie mit jenem niedrigen Stern!«

»War's kein Wasservogel?«

»Keine Möve – ha! da haben wir den Gegenstand, just innerhalb des Steuerbord Kluverbaumreeps. Dort kommt der Franzmann in seinem Stolze angezogen! Wohl dem, welcher die Schlacht überlebt und sich seiner Thaten rühmen kann!«

Von ihrem hohen Fluge schnell zurückgerufen, kehrten des Segelmeisters Gedanken zur dringenden Gegenwart zurück; er eilte vom Vorkasteel hinab und musterte die Mannschaft. Ludlow blieb allein zurück. Ein leises Geflüster durchflog das Schiff, wie das Gemurmel eines entstehenden Sturms, dann war Alles still wie der Tod.

Das Gallion der Coquette war der See zugekehrt, ihr Spiegel daher nothwendig dem Lande. Die Entfernung von Letzterem betrug keine Meile, und eine heftige Deining, welche die Gewässer auf dem weit in's Meer sich erstreckenden Strand unaufhörlich bewegte, gab dem Rumpfe des Schiffes die Richtung. Der Windfang im Vordertheil versperrte die schwachschimmernde Aussicht, daher Ludlow auf dem Bugspriet über Bord hinausging, um einen freien Gesichtskreis nach dem ihm so wichtigen Theile des Oceans zu bekommen. Hier hatte er noch keine Minute gestanden, so erblickte er zuerst verworren, dann aber deutlich, eine Reihe dunkler, sich langsam dem Schiffe nahender Gegenstände. Von der Stellung seines Feindes nunmehr genau unterrichtet, kehrte er innerhalb des Schiffsbords zurück und stieg zu den Leuten hinab. Im nächsten Augenblick befand er sich wieder auf dem Vorkasteel, das er gemächlich quer durchschritt, allem Anschein nach so unbefangen, wie Jemand, der in der erfrischenden Nachtkühle spazieren geht.

In einer Entfernung von hundert Faden machte die dunkle Reihe von Booten Halt, und fing an, eine andere Linie zu bilden. Gerade jetzt wurden die ersten Stöße des Landwindes fühlbar, und der Spiegel des Schiffes machte eine leise Bewegung seewärts.

»Kommt ihm mit dem Besahnsegel zu Hülfe! Laßt die Obersegel los!« flüsterte der junge Capitän dem unterhalb Stehenden zu. Flugs vernahm man das Flattern des losgemachten Segels. Das Schiff drehte sich noch mehr vom Lande ab, und nun stampfte Ludlow mit dem Fuße auf's Verdeck.

Ein rundes grelles Licht schoß über die Bugsprietspier hinweg, und den längs der Wasserfläche sich dahinwälzenden Rauch überflügelte ein pfeifender Kugelregen. Ein aus Commandorufen und Schmerzensgeschrei gemischter Lärm folgte; achtlos, sein Herannahen länger geheim zu halten, pflügte der Feind jetzt die Meereswogen mit lauten, gehäuften Ruderschlägen; der Ocean blitzte, und drei oder vier Bootstücke erwiederten das empfangene verhängnißvolle Feuer. Noch hatte Ludlow den Mund nicht geöffnet. Stets allein auf seinem erhöhten, ausgesetzten Posten, beobachtete er mit der einem Befehligenden geziemenden Ruhe die Wirkung beider Feuer. Wild und triumphirend war das Lächeln seines zusammengepreßten Mundes, als die augenblickliche Verwirrung unter den Böten den Erfolg seines eigenen Angriffes verrieth; als er aber das Zersplittern einer Planke unter sich, das tiefe Stöhnen gleich darauf und das Geklapper leichterer, durch das Geschoß längs des Verdecks dahingetriebener Gegenstände vernahm, gewann Wuth und Rache die Oberhand.

»Gebt es ihnen!« schrie er mit heller, ermunternder Stimme, welche die Mannschaft von seiner Gegenwart und seiner Sorgfalt für sie gleich sehr überzeugte. »Zeigt ihnen, wie Engländer schlafen, Bursche! Redet sie an, von Topps und Deck!«

Der Ordre ward gehorcht. Das noch übrige Bugstück ward abgefeuert, und gleich hinterdrein folgte eine Entladung sämmtlicher Musketen. In demselben Augenblick wimmelte es unter dem Bugspriet des Schiffes von Booten, und nun erhob sich das lärmende Geschrei der Enterer.

In den nächsten Minuten herrschte verworrenes Getümmel und die verzweiflungsvollste Thätigkeit. Zweimal füllte sich Vordertheil und Bugspriet mit düsteren Rotten, deren grimmige Gesichter bei'm Blitzen der Pistolen aus der Finsterniß hervorguckten und wieder verschwanden, und zweimal säuberten Pike und Bajonett den Raum. Erfolgreicher war ein dritter Versuch, und schon stürmten die Angreifenden das Deck des Vorkastells. Nur einen Augenblick dauerte der Kampf, obgleich Viele stürzten und die enge Wahlstatt bald vom Blute schlüpfrig war. Der Seemann aus Boulogne-sur-mer focht an der Spitze seiner Landsleute, und jetzt, wo Alles auf dem Spiele stand, kämpften, wo der Haufen am gedrängtesten war, Ludlow und Spannsegel wie der gemeinste. Die überlegene Menge siegte, und ein Glück war's für den Commandeur der Coquette, daß der plötzliche Fall eines tödlich Verwundeten ihn aus seiner Stelle drängte und er auf's Verdeck hinabstürzte.

Kaum wieder auf den Beinen, munterte der junge Capitän durch seine Stimme die Leute auf, und wie ein Echo hallte das kräftige Hurrah zurück, welches so oft der letzte Lebenshauch des kämpfenden Seemannes ist.

»Sammelt Euch in den Gängen und ihnen entgegen!« war sein neubeseelender Ruf. »Sammelt Euch in den Gängen, Ihr Herzen von Eichen!« wiederholte Spannsegel, mit eifriger, aber geschwächter Stimme. Die Leute gehorchten, und Ludlow sah, daß er noch immer eine Macht aufbringen konnte, die des Widerstandes fähig war.

Beide Parteien hielten einen Moment inne. Das Feuer von den Topps belästigte die Enterer, und die Angegriffenen zögerten mit dem Eindringen. Aber wie von einem gemeinsamen Impuls angetrieben, stürzten sie dann beide auf einander, und das Treffen am Fuße des Fockmastes war entsetzlich. Im Rücken der Franzosen ward der Haufe immer dichter, und kaum fiel Einer in ihren Reihen, so wurde sein Platz schon durch einen Andern ausgefüllt. Die Engländer wichen und Ludlow machte sich Bahn durch die Masse hindurch und zog nach der Schanze zurück.

»Zieht Euch zurück, Leute!« schrie er laut und kräftig, daß seine Stimme das Getümmel und die Verwünschungen der Kämpfenden übertönte. »In den Raum! Hinunter zwischen die Kanonen! hinunter, hinter Eure Brustwehren!«

Die Engländer verschwanden wie durch Zaubergewalt. Einige schwangen sich über das Laufstag, Andere flohen hinter die Stücke und Viele eilten durch die Luken. Jetzt versuchte Ludlow sein letztes, verzweiflungsvolles Mittel: vom Konstabel unterstützt, brachte er die Lunten auf die als äußerste Zuflucht in Bereitschaft gehaltenen Drehbassen. Das Verdeck wurde in Rauch eingehüllt, und als dieser sich hob, erschien der vordere Theil des Schiffes so öde, als wenn er nie von einem Menschen betreten worden wäre. Fort waren Alle, bis auf die Gefallenen.

Ein Schrei und lautes Hurrah rief die Vertheidigenden wieder zusammen, und abermals führte Ludlow persönlich seine Mannschaft gegen das Bram-Deck. Nun kamen einige der Angreifenden aus ihren Schlupfwinkeln hervor und das Treffen erneuerte sich. Ueber den Köpfen der Streitenden segelten jetzt blendende Feuerkugeln, die hinter ihnen mitten im Gedränge niederfielen. Ludlow erkannte alsbald die Gefahr, und bemühte sich, mit seinen Leuten vorwärts zu dringen, um die Bugkanonen, von denen eine noch geladen war, wieder zu erreichen. Allein jetzt barst eine Granate auf dem Verdeck hinter seinem Rücken, und die unmittelbar folgende Erschütterung im Schiffsraum war so gewaltig, als wenn der Boden des Fahrzeuges abzuspringen drohte. Die erschrockene und geschwächte Schiffsmannschaft begann zu wanken, und einem neuen Angriff mit Granaten folgte ein ungestümer Andrang des Feindes, dem es gelang, seine Reihen durch fünfzig Mann aus dem Boote mit einem Male zu verstärken. Nunmehr sah sich Ludlow von seinem in Masse weichenden Haufen zum Rückzuge gezwungen.

Die Vertheidigung nahm jetzt den Charakter hoffnungslosen, verzweiflungsvollen Widerstandes an. Immer lärmender ward der Feind, und es gelang ihm, die Tops fast gänzlich zum Schweigen zu bringen, da er vom Bugspriet und der Sprietsegel-Raae ein heftiges Gewehrfeuer hinaufschickte.

Die Ereignisse drängten eines das andere weit rascher als sie sich erzählen lassen. Der Feind war im Besitz des ganzen Vordertheils des Schiffes bis zu den Vorluken. In diese aber hatte sich der junge Hopper mit einem halben Dutzend Mann geworfen, und da ein anderer Cadett mit einigen Leuten gerade über der Oeffnung Posto gefaßt hatte, so thaten diese dem Feinde noch einigen Einhalt. Ludlow warf einen Blick hinter sich und dachte schon daran, sein Leben in der Kajüte selbst so theuer als möglich zu verkaufen. Dieser Blick wurde festgehalten durch die Erscheinung des boshaft lächelnden Gesichts der meergrünen Dame, die über das Hackebord emporstieg. Ein Dutzend dunkler Gestalten sprang jetzt auf's Hüttendeck, und dann erschallte eine bis in's Innerste dringende Stimme:

»Nicht gewichen!« riefen die zu Hülfe Herbeigekommenen, und: »nicht gewichen!« hallte es von der Mannschaft wieder. Das geheimnißvolle Bild glitt auf dem Deck entlang, und Ludlow erkannte die athletische Gestalt, die sich neben demselben Bahn durch den Haufen brach.

Ohne Geräusch, nur daß das Stöhnen der Verwundeten und das Geröchel der Sterbenden die entsetzliche Stille unterbrach, ging der Angriff vorüber; es war ein Augenblick nur, aber einer, welcher dem verheerenden Durchzug einer Windsbraut glich. Die Mannschaft der Coquette wußte, daß ihr Verstärkung gekommen war, und die Angreifenden wichen vor dem neuen, unerwarteten Feind zurück. Die Wenigen, welche sich unterhalb des Vorkasteels betreffen ließen, wurden ohne Schonung niedergemacht, und die über ihm wie die im Winde treibende Spreu von ihrem Posten weggejagt. Lebendige und Todte sanken zugleich in's Meer und grausenvoll war der Ton der Wogen, wie sie sich über den Gefallenen wieder schlossen. In unglaublich kurzer Zeit befand sich auf dem ganzen Deck der Coquette kein Feind mehr – doch nein, ein einziger unglücklicher Nachzügler schwebte noch auf dem Bugspriet. Eine kräftige behende Gestalt sprang auf der Stenge ihm entgegen: der Streich war nicht sichtbar, wohl aber die Wirkung desselben; das Opfer fiel hülflos in die See. Gedrängte Ruderschläge verkündeten die eilige Flucht der Feinde, und ehe die Engländer noch Muße hatten, sich von der Vollständigkeit ihres Sieges zu überzeugen, hatte die auf dem Meere gelagerte Finsterniß die fliehenden Boote ihren Blicken entzogen.


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