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Neunzehntes Kapitel.

    »Ich, Johann Spohner,
Bin Herr und Bewohner
Vom trefflichsten Schooner
Nach Nord-Carolina.«
  u.s.w.
Küstenschifferlied.

Unsern Lesern ist Alderman Van Beverout's Charakter und der seines Freundes, des Patroons, hinreichend bekannt, um eine Schilderung ihrer Theilnahme an dem, was sich am Bord der Coquette zutrug, überflüssig zu machen. Als es kund wurde, daß das Schiff die Brigantine verfehlt habe, und keine Wahrscheinlichkeit mehr vorhanden sey, sie noch diese Nacht einzuholen, brach der Alderman in einen Ruf aus, welcher ziemlich wie ein Freudengeschrei klang.

»Was frommt es, auf dem Ocean Jagd auf Leuchtwürmer zu machen, Patroon!« raunte Myndert dem Oloff Van Staats in's Ohr. »Ich weiß von diesem Meerdurchstreicher nicht mehr, als dem Chef eines Handlungshauses zu wissen geziemt; allein Reputation gleicht einer Rakete, die man aus der Ferne sehen kann. Die Königin hat kein Schiff, das im Stande wäre, diesen Wanderer todt zu segeln, wozu also das unschuldige Fahrzeug vergeblich abmüden?« –

»Capitän Ludlow hat andere Wünsche, als die bloße Wegnahme der Brigantine;« erwiederte lakonisch der sententiöse Patroon. »Die Meinung, daß Alida de Barbérie sich am Bord derselben befinde, übt großen Einfluß auf die Bewegungen dieses Herrn aus.«

»Das ist eine komische Kälte, Herr Van Staats, da sie doch einmal mit meiner Nichte wo nicht gar schon getraut, doch so gut wie versprochen sind. Alida Barbérie übt großen Einfluß auf jenen Herrn aus! Ich möchte wohl wissen, Sir, auf wen von ihren Bekannten sie keinen Einfluß ausübe?«

»Die günstige Meinung von der jungen Dame ist unläugbar ziemlich allgemein.«

»Potz Meinung und Gunst! Soll diese Apathie, Sir, mir andeuten, daß es mit unserm Handel aus sey, daß euer beiderseitiges Vermögen nicht in eins vereinigt, daß das Mädchen nicht Ihre Gattin werden soll?«

»Lassen Sie sich was sagen, Herr Van Beverout; wer mit seinen Einkünften und mit seinen Worten haushälterisch umgeht, der braucht sich wenig nach dem Gelde anderer Leute umzusehen, und kann da, wo es nöthig ist, von der Leber wegsprechen. Ihre Nichte hat einen so entschiedenen Vorzug für einen Andern an den Tag gelegt, daß die Lebhaftigkeit meiner Bewunderung wesentlich abgenommen hat.«

»Es wäre Schade, bei so vielem Feuer dennoch seinen Zweck nicht zu erreichen; das käme mir vor, als wenn Cupido sich für zahlungsunfähig erklärte. Bei Handelsangelegenheiten, Herr Van Staats, geht nichts über Aufrichtigkeit; erlauben Sie mir daher, Sie geradezu und entscheidend zu fragen, ob in Beziehung auf die Tochter des alten Etienne de Barbérie Ihr Entschluß noch derselbe ist oder ein anderer?«

»Ein anderer und ein entschiedener;« antwortete der junge Patroon. »Ich wünschte eben nicht die Stelle meiner Mutter von einer jungen Dame ausgefüllt zu sehen, die so viel von der Welt gesehen hat. Unsre Familie liebt die Eingezogenheit und neue Moden würden meine Haushaltung in Verwirrung bringen.«

»Ich bin kein Weissager, Sir, aber zum Besten eines Sohnes meines alten Freundes Stephanus Van Staats, will ich einmal eine Prophezeihung wagen. Sie werden sich verheirathen, Herr Van Staats – ja traun! Sie werden eine Frau bekommen, Sir – was für eine? verbietet mir die Klugheit zu sagen; aber Sie mögen sich für einen glücklichen Mann halten, wenn es nicht eine ist, die Ihnen Haus und Hof, Ländereien und Freunde, Güter und Einkünfte, kurz alle solide Lebensfreuden verleidet. Es würde mich gar nicht wundern zu hören, daß die Weissagung der Prophetin von Poughkeepsie in Erfüllung gegangen ist!«

»Aufrichtig Herr Stadtrath Van Beverout, was halten Sie von den verschiedenen geheimnißvollen Dingen, die wir gesehen und gehört haben?« fragte der Patroon, so vertieft im Sinnen über die neulichen Ereignisse, daß die harten Worte seines Gefährten ihn gar nicht beleidigten, wenn er sie überhaupt gehört hatte. »Diese meergrüne Dame ist kein ordinäres Frauenzimmer!«

»Meergrün oder himmelblau!« fuhr der ungeduldige Bürger dazwischen. »Das Weibsbild ist nur zu ordinär, Sir, und das ist eben das Unglück. Hätte sie sich damit begnügt, ihre Geschäfte auf eine geräuschlose und vernünftige Weise abzumachen, und dann wieder in die See zu stechen, so würde die ganze Narrethei unterblieben, und Rechnungen nicht in Unordnung gerathen seyn, die so gut wie abgemacht waren. Herr Van Staats, wollen Sie mir ein paar unumwundene Fragen erlauben, oder haben Sie jetzt nicht Muße, sie zu beantworten?«

Der Patroon nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Was glauben Sie, daß aus meiner Nichte geworden sey, Sir?«

»Entführt.«

»Und von wem?«

Van Staats von Kinderhook streckte einen Arm nach dem freien Meere aus, und nickte abermals. Nachdem der Alderman einen Augenblick sinnend dagestanden, verscheuchte ein angenehmer Gedanke plötzlich seine üble Laune, so daß er in ein lautes Gelächter ausbrach.

»Scherz bei Seite, Patroon,« sagte er in dem freundlichen Tone, mit dem er gewöhnlich den Besitzer der hunderttausend Morgen anzureden pflegte, »dies Geschäft gleicht einer verwickelten Rechnung, ein wenig schwierig, bis man erst mit den Büchern ein Bischen bekannter ist, dann wird Alles klar und einfach. Bei Aufmachung des Vermögensbestands von Kobus Van Klinck waren Schiedsmänner, die ich nicht erst nennen mag, hinzugerufen worden. Nun war aber die Handschrift des alten Materialisten etwas undeutlich, und die Zahlen nicht ganz genau, so daß wir lange im Dunkeln herumtappten, bis wir endlich den Ort entdeckten, wo die Bilanz stehen sollte; darauf rechneten wir rückwärts und vorwärts, – denn darin besteht das Wesen des Schiedsmannsamtes – und so kamen wir am Ende vollkommen auf's Klare. Kobus war nicht sehr lichtvoll in seinen Eintragungen, und ging mit der Tinte etwas freigebig um. Man konnte sein Hauptbuch füglich ein Buch der Schwarzen Kunst nennen, denn es war voller Gekritzel und Kleckse, wiewohl letztere nicht wenig zur genügenden Aufklärung der Posten beitrugen. Indem wir drei von den größten Tintenklecksen als gleichbedeutend mit eben so vielen Orhöften Zucker gelten ließen, erhielten wir eine sehr zufriedenstellende Bilanz zwischen ihm und einem Ränkemacher von hausirendem Yankih. Und obgleich es nun schon lange her und kein Mensch mehr an dem Resultat betheiligt ist, so fordre ich doch jeden respektabeln Mann heraus, zu sagen, ob die Kleckse etwas Anderem ähnlicher sahen als Orhöften. Etwas müssen sie doch bedeutet haben, und da Kobus viel mit Zucker handelte, so hatten wir überdieß die größte moralische Wahrscheinlichkeit dafür, daß genannte Orhöfte damit gemeint waren. Also Scherz bei Seite, Patroon, wir kriegen die Muthwillige schon wieder, wenn's Zeit ist. Dein Feuer läuft mit deiner Vernunft davon, Junge, aber das pflegt bei wahrer Liebe nicht anders zu seyn, der übrigens eine kleine Zögerung nur zuträglich ist. Alida ist das Mädchen nicht, das Dir deine Lust verdirbt; diese normännischen Dirnen sind nicht schweren Fußes, wenn's zum Tanze geht, oder schläfrig, wenn die Fiddeln gestrichen werden.«

Mit diesem Trost fand der Alderman für gut, die Unterredung für jetzt zu schließen. Wiefern es ihm gelang, den Patroon zur pflichtmäßigen Gesinnung wieder zurückzuführen, wird die Folge lehren, und wir begnügen uns diesmal mit der wiederholten Bemerkung, daß der junge Gutsbesitzer an der Spannung seiner gegenwärtigen Lage ein Wohlbehagen fand, welches er in seinem kurzen einförmigen Leben noch nie empfunden hatte.

Während Andere des süßen Schlafs genossen, brachte Ludlow den größten Theil der Nacht auf dem Verdeck zu. Gegen Morgen legte er sich auf ein Paar Stunden in den Finkenetten hin, wachte jedoch, der Wind mochte nur ein wenig stärker durch das Tauwerk sausen, oder das Schiff etwas heftiger schlingern, von seinem Schlummer auf, und bei jedem leisen Anruf des wachthabenden Offiziers an die Mannschaft hob er den Kopf in die Höhe und schaute in dem engen Horizont um sich her. Er konnte sich des Gedankens nicht entschlagen, daß die Brigantine in der Nähe seyn müsse, und die ganze erste Wache hindurch erwartete er jeden Augenblick, daß beide Schiffe in der Dunkelheit auf einander stoßen würden. Da der junge Seemann sich in dieser Hoffnung getäuscht fand, nahm er seinerseits Zuflucht zur List, um einen in Seemanövers so Erfahrenen und Gewandten durch ein Gegenmanöver zu fangen.

Als gegen Mitternacht die Wache abgelöst wurde, und die ganze Mannschaft mit Ausnahme der nicht Dienstthuenden, sich auf dem Verdeck befand, gab er Befehl, die Boote hinauszuhiessen. Dieses in gering bemannten Schiffen so mühselige und schwierige Geschäft ward am Bord des königlichen Kreuzers mittelst Raa- und Stagtakel und den Kräften von hundert Matrosen mit Leichtigkeit ausgeführt. Nachdem vier von diesen Schiffssatelliten flott gemacht waren, erhielt jedes seine, zu wichtigem Dienst bestimmte Bemannung. Zuverlässigen Offizieren vertraute Ludlow das Commando der drei kleineren, den Befehl des vierten aber übernahm er in eigener Person. Nachdem alles in Bereitschaft war, und jeder Subaltern seine besonderen Instructionen empfangen hatte, stießen sie von der Seite des Schiffes ab und rojeten in abweichenden Linien in die finstere Ferne des Oceans. Ludlow's Boot hatte indessen keine fünfzig Faden gerudert, so überzeugte er sich vollkommen von der Fruchtlosigkeit dieser Jagd, denn die Dunkelheit war so groß, daß sie die Spieren seines eigenen Fahrzeuges, selbst in dieser geringen Entfernung kaum erkennen ließ. Zehn bis fünfzehn Minuten hatten sie so nach dem Compaß in einer Richtung gerojet, die luvwärts von der Coquette führte, da befahl der junge Capitän den Leuten, das Rudern einzustellen, und schickte sich an, das Ergebniß seines Unternehmens geduldig abzuwarten.

Eine Stunde lang unterbrach die Einförmigkeit der Scene nichts als das regelmäßige Wogen einer wenig bewegten See, hin und wieder einige Ruderschläge, um die Barke an ihrer Stelle zu erhalten, und dann und wann das dumpfe Hauchen eines kleinen Fisches von der Wallfischgattung, der an die Oberfläche stieg, um athmosphärische Luft einzuathmen. In keiner Himmelsgegend war irgend etwas zu sehe, kein durch die Wolken hindurchblickender Stern heiterte die Einsamkeit und Stille des öden Ortes auf. Die Matrosen nickten über ihren Riemen und unser junger Seemann war eben Willens, sein Vorhaben als nutzlos aufzugeben, als auf einmal, nicht weit von dem Fleck, wo sie lagen, ein Geräusch hörbar ward. Es war einer jener Töne, die keinem Nicht-Seemann verständlich gewesen wäre; Ludlow's Ohre hingegen brachte er so deutlichen Sinn bei, als der Uneingeweihte nur immer mittelst wirklicher Sprache hätte vernehmen können. Es war ein weinerliches Quieken, worauf das dumpfe Schnurren eines an einem harten oder straffgespannten Gegenstande sich reibenden Taues folgte; jetzt kam das gewichtige Geflatter von Segeltuch, welches, von einer mächtig wirkenden Kraft gehemmt, plötzlich verstummte.

»Hört ihr das!« rief Ludlow laut flüsternd. »Es ist die Brigantine, die ihr Gieksegel durchkajet. Vorwärts, Bursche, seht, daß alles zum Entern bereit sey!«

Von ihrem Schlummer aufgeschreckt, ließ die Mannschaft ihre Riemen sinken, daß ein Wassergeplätscher entstand, und im nächsten Augenblick wurden die Segel eines beinahe dwars über ihr Revier durch die Dunkelheit gleitenden Fahrzeuges sichtbar.

»Jetzt an Eure Ruder, Leute!« fuhr Ludlow mit dem ganzen Eifer eines in voller Jagd Begriffenen fort. »Wir stehen im Vortheil gegen ihn, er ist unser! ausgeholt, stark ausgeholt, anhaltend, Bursche, und mit Einem Schlage!«

Die geübte Mannschaft that ihre Schuldigkeit. Nur ein Moment schien es, so waren sie dicht am verfolgten Gegenstande.

»Noch ein Ruderschlag, so ist er unser!« schrie Ludlow. »Werft die Enterdreggs! – zu den Waffen! – hinüber Enterer, hinüber!«

Diese Ordres wirkten wie der Ruf der Kriegstrompete auf die Leute. Mit einem Hurrah sprangen sie aus dem Boote, das Waffengeklirr erdröhnte, und Fußgetrampel auf dem Verdeck des Fahrzeuges verkündete, daß das Unternehmen gelungen sey. Eine Minute lang war Alles regsame, wimmelnde lärmende Verwirrung. Das Geschrei der Enterer war bis in die Ferne gedrungen, Raketen stiegen schwirrend aus den andern Booten in die Höhe, deren Mannschaft mit kräftigen Lungen die Hurrahs verhundertfachte. Der ganze Ocean erschien in einem augenblicklichen Aufglühen und der Donner einer auf der Coquette gelöseten Kanone vermehrte das betäubende Getümmel. Die Coquette setzte mehrere Laternen aus, um ihren Standpunkt anzuzeigen, während in den heranrudernden Booten blaue Lichter und andere Seesignale beständig brannten, was den Schein sich nahender zahlreicher Verstärkung verbreiten und den Angegriffenen Furcht einjagen sollte.

Mitten in diesem Auftritt eines urplötzlichen Aufbrausens aus der tiefsten Stille schaute Ludlow um sich her, sich der Personen, auf die es hauptsächlich angelegt war, zu bemächtigen. Unter den andern Instructionen, welche den Mannschaften der verschiedenen Boote ertheilt worden waren, war auch die in Beziehung auf die Person des Meerdurchstreichers, und das Verbot, in die Kajüten einzudringen, wiederholt worden. Kaum sah sich daher der Capitän im unbestrittenen Besitz der Prise, so stürzte er sich hinab in die geheimen Räume des Schiffes, während ihm das Herz noch lauter klopfte, als mitten im Feuer des Enterns. Die Thüre der unter der hohen Schanze befindlichen Kajüte aufreißen, und die Treppenstufen bis zum Fußboden derselben hinabeilen, war das Werk eines Augenblicks. Doch plötzlich wich nun das Siegesgefühl vor dem der getäuschten Erwartung und der Demüthigung. Er bedurfte keines nochmaligen Umsichschauens, sich zu überzeugen, daß die rohe Arbeit und die üblen Gerüche, die seine Sinne trafen, mit der eleganten, prachtvollen Einrichtung der Brigantine nichts gemein hatten.

Von mächtigem Erstaunen ergriffen, rief er aus: »Hier ist keine Wassernixe!«

»Gelobt sey Gott!« erwiederte eine Stimme, und gleich darauf kam ein Mensch, ein wahres Bild des Schreckens, aus einer der sogenannten Staatskajüten hervor. »Gelobt sey Gott! Man hatte uns gesagt, der Seeräuber laure auf dieser Meereshöhe, und als wir das Geheul hörten, da glaubten wir, es könne von keinem menschlichen Wesen kommen.«

Wenn vorher dem Capitän das Blut alle Adern durchstürmte, so verkroch es sich jetzt in seinen Wangen, und züngelte fühlbar bis an seinen Fingerspitzen. Er gab seinen Leuten den hastigen Befehl, so schnell als möglich wieder in ihr Boot zu steigen, und Alles so zu lassen, wie sie es gefunden hätten. Eine kurze Unterredung fand nun zwischen dem Commandeur des königlichen Schiffes Coquette und dem Seemann von der Staatskajüte statt, worauf der Erstere auf's Verdeck und von da ungesäumt in seine Barke hinabeilte. Als sie von ihrer vermeintlichen Prise wegrojeten, geschah es inmitten einer Stille, die nichts unterbrach, als der Schall eines Liedes, höchst wahrscheinlich von dem wieder ermuthigten fremden Seemann, der unterdessen seinen Sitz am Steuerrad wieder eingenommen hatte, gesungen. Von der Musik ließ sich nicht viel mehr sagen, als daß sie mit dem Text harmonirte, von welchem letzteren Die in der Barke keine volle Stanze vernahmen, wenn bei diesem Geistesprodukt eines erzseemännischen Liedermachers von Stanzen die Rede seyn konnte. Unsre einzige Geschichtsquelle ist auch hier das schon angeführte Journal des Seekadetten; es kann daher leicht seyn, daß dem nautischen Dichter einige Ungerechtigkeit geschieht, aber in unserer Urkunde wird die Stelle des Küstenschifferlieds, die wir gegenwärtigem Kapitel als Motto vorgesetzt haben, als diejenige citirt, welche der am Steuerrad sang, als unsere Abenteurer ihren Rückzug machten. Viel ausführlichere Auskunft über den Küstenschiffer, als die in dem Vers enthaltene, erhielt man auch aus seinen Schiffspapieren nicht; Thatsache ist es aber, daß das Logbuch der Coquette noch weit geringere gibt. Es heißt darin: »ein Küstenschiff, genannt die ›stattliche Tanne‹, Johann Spohner, Schiffer, von Neuyork nach der Provinz Nord-Carolina segelnd, wurde um 1 Uhr Morgens geentert. Alles war wohl.« Diese Beschreibung genügte jedoch der Mannschaft des Kreuzers keinesweges. Diejenigen darunter, welche die Expedition selbst mitgemacht hatten, waren viel zu aufgeregt gewesen, als daß sie die Dinge in ihrem wahren Lichte hätten sehen sollen; und da ihnen die Wassernixe schon außerdem zweimal so merkwürdigerweise entwischt war, so trug der eben erzählte Vorfall nicht wenig dazu bei, sie in ihrer bereits gefaßten Meinung von dem Charakter derselben zu bestätigen. Viele wurden jetzt Proselyten zu dem Glauben des Segelmeisters, daß die Jagd auf die Brigantine ein durchaus vergebliches Beginnen sey.

Man muß aber nicht glauben, daß die Mannschaften der Coquette auf diese Schlüsse unmittelbar gerathen wären; dies geschah erst später, als sie mehr Muße hatten, die Sache auf ihre eigene Manier in Erwägung zu ziehen. Von dem Blitzen der Lichter geführt, vereinigten sich die verschiedenen Boote der Expedition wieder, aber die Leidenschaftlichkeit der Mannschaften war so groß, daß sie schon fast ihr Schiff erreicht hatten, ehe ihre Pulse ruhig genug schlugen, um Ueberlegung zuzulassen. Eine passende Gelegenheit, ihren erstaunten Kameraden das Geschehene zu erzählen, fanden die Abenteurer erst im Hängematten-Raum. Robert Garn, der Vormarsgast, welcher, während der Bö, von den wehenden Locken der vorüberfliegenden meergrünen Dame einen Schmiß in's Gesicht bekommen hatte, benutzte den Umstand, um seine Erfahrungen auszukramen, und nachdem er gewisse, seiner Theorie günstige Maximen aufgestellt hatte, berief er sich auf einen der Ruderer der Barke, der bereit war, an jedem beliebigen Gerichtshof in der ganzen Christenheit durch einen leiblichen Eid zu erhärten, daß er mit seinen eigenen Augen gesehen habe, wie sich die schlanken, zierlichen Umrisse, wodurch der Bau des Smugglers sich auszeichnete, in das rohere und plumpere Modell eines Küstenschiffes verwandelten.

Durch dieses glaubhafte Zeugniß so wesentlich in seinem Vortrage unterstützt, fuhr Robert also fort: »Es gibt Nichtswisser, die läugnen Euch, daß das Wasser des Oceans blau sey, weil zufällig der Mühlbach ihres Dorfes lehmig aussieht. Aber der echte Matrose, welcher Euch viel in fremden Erdstrichen gelebt hat, ist ein Mann, der die Lebensphilosophie los hat und weiß, was er als Wahrheit glauben und was er als Mährchen verwerfen muß. Daß ein Fahrzeug, wenn es hart verfolgt wird, sich verwandeln kann, so daß es gar nicht mehr wieder zu erkennen ist, davon hat man mehrere Beispiele und auch Exempel in fernen Meeren; wir brauchen uns aber nicht erst dorthin zu verlieren, um es zu beweisen, da wir es jetzt ganz in der Nähe erlebt haben. Meine eigene Meinung in Betreff dieser Brigantine ist ungefähr folgende, nämlich: ich glaube, es gab einmal einen wirklichen, lebendigen Zwitter, ganz so gebaut und zugetakelt, und wahrscheinlich auch mit einem Handel von der Art, wie ihn die gesehene Brigantine treiben soll, beschäftigt. Nun ist dem besagten lebendigen Zwitter und seiner Mannschaft in einer oder der andern verhängnißvollen Stunde ein Unglück zugestoßen, wodurch sie verdammt sind, zu gewissen Zeiten an dieser Küste zu erscheinen. Er hat indessen noch immer eine natürliche Abneigung gegen einen königlichen Kreuzer, wird aber ohne Zweifel von Solchen geleitet, die weder Kompaß noch Anstellung von Beobachtungen brauchen! Da nun dieses Alles ausgemacht ist, so ist es gar nicht wunderbar, daß die Mannschaft, als sie auf's Verdeck kam, ein ganz anderes Schiff fand, als was sie zu finden glaubte. So viel ist gewiß, als ich innerhalb Bootshakenlänge von seiner Blinden-Raanocke lag, war er ein halbzugetakeltes Schiff mit einem Frauenzimmer als Gallion-Figur, und einem so niedlichen Tauwerk, als das Auge nur sehen kann, und unten Alles so hübsch zu wie eine Tabacksdose mit verschlossenem Deckel, und doch habt Ihr Alle hier nichts gesehen, als einen geschmacklosen Schooner mit erhabenem Verdeck! Braucht's mehr, um die Wahrheit des Gesagten zu beweisen? Wer was einzuwenden hat, der spreche.«

Da Niemand widersprach, so darf man annehmen, daß die Folgerungen des Topgastes Viele zu seiner Ansicht bekehrten. Es läßt sich leicht denken, daß der ganze Vorfall geeignet war, den Meerdurchstreicher in den Augen des gemeinen Matrosen doppelt furchtbar und unheimlich zu machen.

Die Gesinnungen unter den Offizieren auf der Schanze waren von einer andern Art. Der erste und zweite Lieutenant sprachen heimlich mit einander und sahen dabei ernst aus; ein Paar Seekadetten, welche an der Expedition Theil genommen hatten, unterhielten sich flüsternd mit ihren Kameraden, und brachen dann und wann in ein schlecht verborgenes Kichern aus; doch griff das Lachen nicht um sich, und wurde endlich ganz unterdrückt, da der Capitän seine gewöhnliche würdevolle und gebieterische Miene beibehielt.

Ehe wir in unsrer Erzählung fortfahren, ist es vielleicht nicht unpassend, zu erwähnen, daß die ›stattliche Tanne‹ zur gehörigen Zeit die Landspitzen von Nordcarolina wohlbehalten erreichte, ihre Passage über die Sandbarre von Edenton, ohne an den Grund zu stoßen, bewirkte, den Fluß hinanstieg und an dem Ort ihrer Bestimmung glücklich ankam. Hier fing die Mannschaft bald an, entfernt zu verstehen zu geben, daß sie unterwegs ein Zusammentreffen mit einem französischen Kreuzer bestanden habe. Da nun aber das brittische Reich zu allen Zeiten, selbst in seinen abgelegensten Winkeln seinen Ruhm zur See mit der eifersüchtigsten Sorgfalt bewachte, so ward das Ereigniß bald zum Gegenstand des Gesprächs in den entlegeneren Theilen der Kolonie, und es dauerte keine sechs Monate, so enthielten die Londoner Zeitungen einen glänzenden Schlachtbericht, in welchem die Namen der ›stattlichen Tanne‹ und des Johann Spohner dem Tempel unsterblichen Ruhmes um ein Erkleckliches näher gerückt wurden.

Wenn Capitän Ludlow sich überhaupt jemals auf eine genauere Darstellung des Vorfalls einließ, als die, welche er in sein Logbuch hatte eintragen lassen, so haben wahrscheinlich die Herren Admiralitätsräthe es nicht mit dem Anstand verträglich gefunden, solche Darstellung zur Oeffentlichkeit gelingen zu lassen.

Doch wir kehren von dieser Abschweifung, welche nur in sehr mittelbarer Verbindung mit dem Faden unserer Erzählung steht, zu dem zurück, was sich ferner am Bord des Kreuzers zugetragen.

Nachdem die Boote wieder eingehißt waren, erhielt die Mannschaft, mit Ausnahme Derjenigen, die zur Wache gehörten, Erlaubniß, sich in ihre Hängematten zurückzuziehen, die Lichter wurden herabgelassen, und im Schiff herrschte allgemeine Stille, wie vorher. Auch Ludlow suchte seinen früheren Ruheort an den Finkenetten wieder auf, und schlummerte bis zur Ablösung der zweiten Wache; ob sein Schlummer durch Träume nicht angenehmer Art gestört wurde, ist uns nicht bekannt, wir halten es aber für sehr wahrscheinlich.

Ungeachtet die wachthabenden Offiziere und die Ausgucker während der noch übrigen Nachtzeit die strengste Wachsamkeit beobachteten, so ereignete sich doch nichts, was nöthig gemacht hätte, die zwischen den Kanonen ausgestreckten Matrosen aufzuwecken. Der Wind blieb schlaff, aber stetig, die See flach und der Himmel bewölkt, ganz wie zu Anfang der Nacht.


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