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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

»Wär' es gethan, wenn es geschehen ist, so wär
Es gut, man thät' es schnell.«
Macbeth.

Die Worte des unsterblichen Dichters, die wir, einer alten Sitte der englischen Literatur gemäß, den in diesem Kapitel vorzutragenden Ereignissen vorausschicken, stehen in vollkommenem Einklang mit jener auf Schiffen vorherrschenden, zu den stehenden Ordres gehörenden Maxime, welche vorschreibt, daß in jeder noch so geringen Verrichtung ungesäumte Thätigkeit nothwendig sey. Die Nothwendigkeit der Eile ist in der angeführten Stelle nur das, was auf der Oberfläche liegt; die Nothwendigkeit des vorherigen Ueberlegens ist der Hauptgedanke; denn der Dichter will eigentlich sagen, daß es nicht immer damit gethan ist, wenn die Sache geschehen ist. Uebrigens hat der Herr Verfasser auch diesen Hauptgedanken seiner Ueberschrift nicht unberührt gelassen, wie der Leser sehen wird, wenn er den Paragraph zu Ende liest. D. U. Ein stark bemanntes Schiff entwickelt gern, gleich einem starken Menschen, seine physischen Kräfte, in welchen vorzüglich das Geheimniß seiner Wirksamkeit besteht. Auch ist es natürlich, daß dies und kein anderes in diesem Fache das leitende Princip ist, da hier der unaufhörliche Kampf gegen die wilden unbeständigen Winde, die Regierung einer äußerst schwierigen Maschine auf einem höchst beweglichen Elemente durch menschliche Kraftäußerung, die zu lösenden Aufgaben sind. Wo Aufschub so leicht gleichbedeutend wird mit Tod, da vergißt man bald, daß es so ein Wort in der Sprache gebe, und die erste Wahrheit, von welcher sich alle jungen Leute, die auf der See ihr Glück machen wollen, müssen durchdringen lassen, ist die, daß während nichts mit Uebereilung unternommen werden darf, alles mit dem höchsten Grad von Thätigkeit, der sich mit Präcision vereinigen läßt, ausgeführt werden müsse.

Dem Commandeur der Coquette war die Wahrheit dieser Regel frühzeitig eingeprägt worden, und er hatte es nicht versäumt, sie bei seiner Mannszucht in Anwendung zu bringen. Daher kam es, daß bei seiner Ankunft auf dem Verdeck, nachdem er dem Besuche die Kajüte überlassen hatte, er die gleich nach seiner Rückkehr angeordneten Vorkehrungen schon ihrer Vollendung nahe fand. Da diese Manövers mit dem, was sich später ereignete, in genauem Zusammenhange stehen, so wollen wir etwas länger bei ihrer Schilderung verweilen.

Ludlow hatte dem auf dem Verdeck befehligenden Offizier die Ordres kaum ertheilt, so erschallte die Bootsmannspfeife, sämmtliche Leute zum Dienst aufrufend. Sobald die Mannschaft versammelt war, wurden die größeren Boote in der Mitte des Schiffes an Gienen angehakt und sämmtlich in's Wasser hinabgewunden. Das Hinablassen der kleineren, an den Seiten angehängten, verursachte natürlich weniger Mühe und Zeitverlust. Gleich nachdem alle Boote, mit Ausnahme des im Spiegel befindlichen, draußen waren, erschallte die Ordre: »Schwenkt die Bramsegelraaen!« Gleichzeitig mit der Ausführung dieses Befehls gingen die anderen Vorkehrungen vor sich, und ehe eine Minute verging, besaßen die oberen Stangen ihre leichten Segel wieder, und nun erging rasch hinter einander das bekannte Commando der jüngeren Offiziere: »Ueberall! Anker gelichtet, ahoi! – Gangspill-Windbäume bemannt! – Ankertau an die Kabelaaring geseist! – eingewunden!«

Das Geschäft des Ankerlichtens am Bord eines Kreuzers und am Bord eines Kauffahrteischiffes ist sowohl in Beziehung auf die Arbeit als die Schnelligkeit sehr von einander verschieden. In dem letzteren setzen ein Dutzend Leute ihre Kräfte an ein langsam und schwer zu bewegendes Bratspill, während ein brummender Koch das dicke ungeschlachte Kabel, so wie es an Bord kommt, mühsam aufschießt, und dabei von dem Muthwillen des kleinen Schelms von Kajütenjungen, der ihm beigesellt ist, mehr gehindert als unterstützt wird. Das senkrecht und unausgesetzt gehende Gangspill eines Kreuzers hingegen kennt keine Verhinderungen. Der nie ruhende Flaschenzug ist stets hülfreich, und gewandte Subalternen stehen im Kabelgat, um das massive Tau aufzuschießen, damit es die Verdecke nicht belemmere.

Als Ludlow unter seine Leute trat, fand er sie auf die oben beschriebene Weise beschäftigt. Bevor er einmal die Schanze rasch durchlaufen war, trat ihm der geschäftige, alles beaufsichtigende erste Lieutenant mit den Worten entgegen:

»Das Anker ist hereingewunden, Sir.«

»Setzen Sie die Bramsegel bei.«

Augenblicklich ward die Leinwand losgelassen, an die Raaen gespannt und mit den Bramfallen aufgehießt.

»Nach welcher Seite soll das Schiff abfallen, Sir,« fragte der aufmerksame Luff.

»Seewärts.«

Demgemäß wurden die Vorderraaen in die gehörige Richtung backwärts gebraßt, worauf der Capitän Bericht erhielt, daß das Schiff zum Laufen bereit sey.

»Heben Sie das Anker vollends an Bord, und wenn es gestaut ist und die Verdecke klar, berichten Sie.«

Die kurzgefaßten, wechselseitigen Mittheilungen zwischen Ludlow und dem Zweiten im Commando genügten allen augenblicklichen Erfordernissen. Der Eine war gewohnt, seine Befehle ohne weitere Erörterung zu ertheilen; der Andere, denselben unverzüglich zu gehorchen, und nahm sich nur selten die Freiheit, eine Begründung der Ordre zu verlangen.

»Wir haben Fahrt, Sir, Anker ist gestaut, und Alles klar,« sagte Luff, nach Verlauf von wenigen Minuten.

Jetzt schien Ludlow sich aus seiner tiefen Träumerei aufzurütteln. Bisher hatte er mehr mechanisch gesprochen, denn als ein Mensch, welcher sich des Gesagten bewußt ist, oder dessen Gedanken mit seinen Worten im Zusammenhange stehen. Von nun an hingegen mußte er selbst unter seine Offiziere treten und Befehle austheilen, die minder geläufig waren, und daher Gedanken und Ueberlegung verlangten. In jedes der Boote wurde die ihm angewiesene Mannschaft hinabberufen und derselben Waffen ausgetheilt. Von der Schiffsbemannung ward auf diese Weise beinahe, wo nicht völlig, die Hälfte an die Boote abgegeben, und wie nun der Bericht von allen einging, daß sie fertig wären, ernannte der Capitän für jedes Boot einen Befehligenden, und setzte Jeglichem mit Bestimmtheit den besondern Dienst auseinander, den er zu verrichten habe.

Ein Offiziersmaat erhielt den Befehl über die Capitäns-Schlupe, deren Mannschaft durch noch ein halb Dutzend Marinesoldaten verstärkt wurde. Seine Ordres lauteten, unmittelbar auf die Runde Bucht zuzurojen, mit verbundenen Riemen hineinzufahren, und dort ein gewisses Signal des ersten Lieutenants abzuwarten; sollte er jedoch finden, daß die Brigantine Miene mache, zu entkommen, so hatte er strengen Befehl, sie ohne Weiteres und auf jede Gefahr hin zu entern und zu erobern. Mit diesem Auftrag verließ der muthvolle junge Mann das Schiff ungesäumt und steuerte nach Süd, indem er die so oft erwähnte Landzunge auswärts liegen ließ.

Hierauf ward Luff aufgefordert, das Commando der Barkasse zu übernehmen. Mit diesem schweren, starkbemannten Boot sollte er nach dem bekannten kleinen Kanal fahren, dort der Schlupe das Signal geben, und dieser zu Hülfe eilen, nachdem er sich zuvor versichert, daß die Wassernixe nicht zum zweiten Mal die enge Durchfahrt zum Entwischen benützen könne.

Die beiden Cutter vertraute Ludlow dem zweiten Lieutenant an, mit Befehl, seine Richtung zu nehmen nach der weiten Durchfahrt zwischen der Spitze des Vorgebirges, oder dem »Hook« und jener langen Insel, die sich vom Hafen von Neu-York aus mehr als vierzig Stunden nach Osten erstreckt, die ganze Küste Connecticut's gegen die Stürme des Oceans deckend. Obgleich Schiffe von tieferer Wassertracht dicht bei'm Cap vorbeifahren mußten, wenn sie die offene See gewinnen wollten, so konnte doch – und das wußte Ludlow recht gut – eine leichte Brigg, wie die Wassernixe, auch weiter nach Norden eine hinlängliche Tiefe zu ihrem Zwecke finden. Daher erhielten die beiden Cutter den Befehl, so viel Raum vom Canal als möglich zu überflügeln und den Smuggler bei sich darbietender Gelegenheit abzuschneiden. Die Jolle endlich sollte die Basis zwischen beiden Durchfahrten einnehmen, die Signale wiederholen und fleißig recognosciren.

Die verschiedenen, mit diesen Diensten beauftragten Offiziere empfingen noch ihre Instruktionen. Da fing die Coquette unter Spannsegel's Leitung schon an, nach dem Cap hinzuhalten, und als sie auf der Höhe der Spitze Hook ankamen, stießen beide Cutter und die Jolle ab, zu den Riemen ihre Zuflucht nehmend, und außerhalb der Baien angelangt, that die Barkasse dasselbe. Jedes Boot verfolgte den ihm vorgeschriebenen Lauf. Wenn dem Leser die in diesen Blättern bereits beschriebene Lage unserer gegenwärtigen See-Schaubühne noch erinnerlich ist, so wird er die Basis erkennen, auf welcher Ludlow seine Sieges-Hoffnung gründete. Indem er die Barkasse sich in dem kleinen Kanal aufstellen ließ, glaubte er die Brigantine von allen Seiten zu umschließen, denn durch den einen oder den andern der gewöhnlichen Kanäle zu entkommen, war eine Unmöglichkeit, so lange die Coquette zur See auswärts hielt. Der Dienst, welchen er von den drei nach Norden abgeschickten Booten erwartete, bestand darin, daß sie die Bewegungen des Smugglers entdeckten und im Fall es angehen sollte, denselben durch Ueberrumpelung kaperten.

Nachdem die Barkasse sich entfernt hatte, kam die Coquette langsam bei dem Wind, und, das Vormarssegel an den Mast geschlagen, lag sie still, um ihren Booten die zur Erreichung ihrer verschiedenen Stationen nöthige Zeit zu lassen. Diese Absendungen hatten, wie gesagt, die Stärke der Bemannung um die Hälfte vermindert, und da die beiden Lieutenants anderweitig angestellt waren, so verblieb am Bord kein Offizier von einem Range zwischen dem des Capitäns und dem des Segelmeisters. Als das Schiff schon eine Weile zum Stehen gekommen war und die Leute Erlaubniß erhalten hatten, sich zu rühren, das heißt, über ihre Personen nach eigenem Gutdünken zu verfügen, damit sie sich durch ein sogenanntes Katzenschläfchen für den Verlust ihrer regelmäßigen Ruhe einigermaßen schadlos hielten, trat Spannsegel auf seinen Vorgesetzten zu, der über die Hängmattentücher hinweg nach der Runden Bucht schaute, und redete denselben also an:

»Eine finstre Nacht, glattes Wasser und frische Hände machen den Dienst in Booten angenehm, Sir. Die Herren sind in bester Stimmung und voller Jünglings-Hoffnungen; allein, wer jene Brigg entert, der wird, meiner geringen Meinung nach, mehr zu thun haben, als bloß an der Seite derselben hinaufzuklettern. Ich befand mich im vordersten Boot, das im letzten Kriege einen Spanier in der Mona enterte; mit leichten Füßen sprangen wir hinauf, doch Einige von uns wurden mit gespaltenen Köpfen weggebracht. – Die Vorbramstenge nimmt sich doch jetzt besser aus, Herr Capitän, nachdem wir die Takelage angezogen haben, nicht wahr?«

»Sie steht gut,« erwiederte sein nur halb zuhörender Commandeur. »Sie können sie doch noch mehr spannen, wenn Sie's für gut halten.«

»Wie Ihnen gefällig ist, Sir; mir ganz gleich. Ich mache mir nichts draus, wenn die Stenge ganz nach einer Seite steht wie der Hut eines Dorfstutzers, aber wenn eine Sache so ist wie sie seyn soll, dünkt es mich vernünftig, sie so zu lassen. Herr Luff war der Meinung, daß die Obersegeltücher besser sitzen müßten, wenn wir die Mitte der großen Raa änderten; doch es ließ sich mit der Stenge droben wenig anfangen, und wenn die Tücher, so wie sie jetzt sitzen, sich schneller abnützen, als geschehen wäre, hätten wir Herrn Luff's Rath befolgt, so bin ich erbötig, Ihrer Majestät den Unterschied aus meiner eigenen Tasche zu bezahlen, obgleich sie oft so leer ist wie eine Dorfkirche, in welcher ein jagdlustiger Geistlicher predigt. Ich war einmal dabei, als ein ächter Waldbruder die Liturgie ablas. Der Zufall wollte es, daß ein gottloser Gutsbesitzer das Kielwasser eines Fuchses verfolgte und mit seinen Hunden in Rufnähe der Kirchenfenster kam. Auf meinen Plärrhans hatte das Jagdgeschrei ungefähr dieselbe Wirkung, die ein Windstoß auf dieß Schiff haben würde, er drehte nämlich beim Winde auf; er fuhr zwar fort, Gott weiß was hervorzubrummen, allein seine Augen waren auf's Feld gerichtet, so lange die Koppel im Gesichtskreise blieb. Das war nun aber noch nicht das Schlimmste: als er wieder ordentlich zu seiner Arbeit zurückkam, versetzte er uns in die Mitte der Trauungsceremonie, In des englischen Liturgie, dem sogenannten Common Prayer Book, folgt gleich hinter den Psalmen der Confirmations-Catechismus, und auf diesen der Gottesdienst, welcher bei Trauungen abgehalten wird; diesen Theil der Liturgie nun hatte der Wind aufgeworfen, und der zerstreute St. Hubert's Priester abgelesen. D. U. denn während er anderswohin gesehen, hatte der Wind mehrere Blätter des Buches umgeweht. Ich selbst bin kein großer Jurist, aber Einige behaupteten, es sey eine wahre göttliche Schickung, daß die halbe Jugend des Dorfes nicht ihren Großpapas und Großmamas angetraut wurde.«

»Ich hoffe, die Heirath hat der Familie viel Freude gemacht,« sagte Ludlow, ließ den einen Arm sinken und stützte den Kopf mit dem andern.

»I nun, das getraue ich mir eben nicht zu sagen, sintemal der Küster das Versehen des Priesters verbesserte, ehe das Unglück unwiderruflich geschehen war. – Ich muß Ihnen doch noch den kleinen Streit erzählen, Herr Capitän, der zwischen dem ersten Lieutenant und mir über die Einrichtung des Schiffes obwaltet. Er behauptet nämlich, wir hätten das, was er den Schwerpunkt nennt, zu sehr nach vorne, und ist der Meinung, daß wenn unser Segelwerk besser rückwärts vertheilt gewesen wäre, der Smuggler uns nun und nimmermehr die Ferse gezeigt hätte, als wir ihn jagten; ich meinestheils aber fordere Jeden auf, ein Fahrzeug auf seine Wasserlinie zu legen, und ...«

»Unser Licht gewiesen!« unterbrach ihn Ludlow. »Dort erscheint das Signal der Barkasse!«

Spannsegel stellte sein Geschwätz ein, trat auf eine Kanone, schaute ebenfalls in der Richtung der Runden Bucht, und sah nun auch, wie eine Laterne, oder irgend ein anderer erleuchteter Gegenstand, dreimal langsam emporstieg und sich eben so oft dem Blicke wieder entzog. Das Signal kam von der Nähe des Landes, und die Gegend, in welcher es sich zeigte, ließ über den Zweck desselben keinen Augenblick im Zweifel.

»So weit ist alles in Ordnung,« rief der Capitän, verließ seinen Ort und wendete sich zum erstenmale mit wirklicher Theilnahme an dem Gespräch gegen seinen Untergebenen. »Wir wissen nun, daß sie den kleinen Kanal erreicht haben, und daß der Ausgang klar ist. Jetzt, denke ich, sind wir unserer Prise gewiß, Herr Spannsegel. Durchschweifen sie mit dem Fernrohr den Horizont genau, und dann wollen wir los auf diese prahlerische Brigantine.«

Beide griffen nun zu den Ferngläsern und widmeten diesem Theil des Dienstes mehrere Minuten. Nach einer sorgfältigen Untersuchung des Meeresrandes, von der Küste Neu-Jersey's bis zu der der Langen Insel, glaubten sie mit Grund annehmen zu können, daß außerhalb des Vorgebirges kein Gefäß von irgend einer bedeutenden Größe liege. Der Himmel war gegen Osten wolkenfreier als nahe beim Lande. Von diesem Umstand sich fest zu überzeugen, fiel ihnen nicht schwer, und doch war derselbe von großer Wichtigkeit, da er sie darüber beruhigte, daß der Smuggler nicht während der Zeit, die sie zu ihren eigenen Vorkehrungen gebraucht, die geheime Durchfahrt zum Entkommen gewählt hatte.

»Auch dies ist gut,« fuhr Ludlow fort. »Nunmehr kann er uns nicht entwischen. – Das Dreieck gezeigt!«

Drei in der eben genannten Gestalt aufgesteckte Lichter wurden alsbald zur Mick der Gaffel hinaufgehießt, was eine Ordre für die Boote war, in die Runde Bucht einzulaufen. Das Signal ward schnell von der Barkasse aus beantwortet, und gleich darauf sah man eine kleine Rakete über das Strauchwerk und die Bäume, die das Ufer umsäumten, in die Höhe steigen. Alle am Bord der Coquette lauschten gespannt, ob sie nicht einen Ton erhaschten, welcher den Tumult des Angriffs bezeichnete. Einmal kam es Ludlow und Spannsegel vor, als trüge ihnen die dicke Nachtluft das Hurrah-Geschrei der Matrosen entgegen, und ein anderes Mal hörten sie – ob in der Einbildung oder wirklich, bleibt ungewiß – den drohenden Ruf, der den Vogelfreien befahl, sich zu ergeben. Es vergingen viele Minuten in der angestrengtesten Spannung. Die ganze Galerie an der dem Lande zugekehrten Schiffsseite war mit neugierigen Gesichtern eingefaßt, wiewohl Alle sich in achtungsvoller Entfernung von dem schmalen, leichten Deck hielten, welches über den Schiffskammern lag, da der Capitän, in der Absicht, einen größern Ueberblick des Horizonts zu beherrschen, diese Stelle einnahm.

»Es ist Zeit, sie entweder schießen zu hören, oder das Sieges-Signal zu sehen!« sprach der junge Mann vor sich hin, aber ohne sich bewußt zu werden, daß er laut gesprochen, so ganz war sein Geist von dem, was vorging, eingenommen.

»Haben Sie vergessen, für ein Signal des Mißlingens zu sorgen?« fragte Jemand dicht bei ihm.

»Ha, Meister Seestreicher! Gern hätte ich Sie mit diesem Schauspiele verschont.«

»Ich habe Schauspielen dieser Art zu oft beigewohnt, um was Ungewöhnliches darin zu finden. Bei einem auf dem Ocean zugebrachten Leben konnte mir unmöglich die Wirkung unbekannt bleiben, welche ein Blick auf die See bei Nacht, mit einer finstern Küste und einem Berg zum Hintergrund, hervorbringt.«

»Sie setzen Vertrauen in Den, der an Ihrer Stelle die Brigg befehligt! Entkommt er diesmal meinen Booten, so bekehre ich mich selbst zum Glauben an Ihre meergrüne Dame.«

»Sieh! dort ist ein Zeichen ihres guten Glückes,« erwiederte der Andere, indem er auf drei an der Mündung des kleinen Kanals sich zeigende Laternen hinwies, über welchen eine Menge Leuchtkugeln schnell hintereinander abbrannten.

»Das Zeichen des Mißlingens! Laßt das Schiff abfallen! die Raaen flink in's Vierkant gebraßt! holt die Taue ein, Leute, eingeholt! Wir wollen auf die Einfahrt der Bai hinhalten, Herr Spannsegel. Den Spitzbuben hat wieder einmal ihr Glücksstern beigestanden.«

Ludlow verlor weder den gebietenden Ton des Befehlshabers, noch die Geistesgegenwart des vollendeten Seemanns; nichtsdestoweniger ließ sich in seiner Stimme der bittere Verdruß nicht verkennen. Regungslos stand der Fremde neben ihm, tiefe Stille behauptend; ihm entfuhr nicht der leiseste Siegesruf, er öffnete die Lippen nicht, weder um Freude auszudrücken noch Befremden. Es schien, als wenn die Zuversicht zu seinem Schiffe ihn gleich sehr über Triumph und über Besorgniß hinweggehoben hätte.

»Sie betrachten diesen Streich ihrer Brigantine wie eine Sache, die sich von selbst versteht, Herr Seestreicher,« bemerkte Ludlow, als sein Schiff abermals nach der Spitze des Vorgebirges in Gang gesetzt war. »Das Glück hat Sie noch nicht verlassen; indessen, da ich Land auf drei Seiten habe, und dieses Schiff mit seinen Booten auf der vierten, so verzweifle ich noch immer nicht, mit Ihrer bronzenen Göttin fertig zu werden.«

»Unsre Gebieterin schläft nie,« versetzte der Contrebande-Händler, und holte tief Athem, wie Jemand, der eine lebhafte Gemüthsbewegung lange zurückgehalten hat.

»Sie können sich noch jetzt die Bedingungen selber stellen. Ich will Ihnen nicht verhehlen, die königlichen Zollkommissäre legen einen so hohen Werth auf den Besitz der Wassernixe, daß ich eine Verantwortlichkeit zu übernehmen wage, vor der ich in jedem anderen Falle vielleicht zurückschrecken würde. Uebergeben Sie das Schiff, und ich verpfände Ihnen das Ehrenwort eines Offiziers, daß die Mannschaft ohne weitere Untersuchung soll landen dürfen. Lassen Sie es uns, wenn Sie wollen, mit leerem Verdeck und ausgeräumten Vorrathskammern, behalten Sie Alles, nur lassen Sie uns das schnellsegelnde Schiffchen.«

»Die Herrin der Brigantine denkt anders. Sie ist mit ihrem Mantel der tiefen Gewässer bekleidet, und wird, glauben Sie mir, trotz all' Eurer Schlingen, ihre Anhänger aus dem Gebiet des Zollstempelbleies, weit aus dem Bereich der Handlothgewässer hinwegführen, ja, trotz der ganzen Flotte der Königin Anna!«

»Ich wünsche, gewisse Leute mögen diese Hartnäckigkeit nicht bereuen! Doch es ist jetzt nicht Zeit zu Wortwechseln; der Schiffsdienst fordert meine Gegenwart.«

Der Seestreicher verstand den Wink und zog sich, wiewohl ungern, in die Kajüte zurück. Wie er das Deck der Hütte verließ, stieg der Mond aus der Wasserlinie am östlichen Bord empor, und übergoß den ganzen Horizont mit seinem Lichte. Dies gewährte der Mannschaft einen hinreichend deutlichen Ueberblick des Seeraums von dem sandigen Strande des Hook an bis viele, viele Stunden in's Meer hinaus. Man überzeugte sich nun, daß sich die Brigantine allerdings noch in der Bai befinden müsse, und gestärkt durch diese Gewißheit, bemühte sich Ludlow, in der Ausübung einer mit der Aussicht auf endlichen Erfolg stets interessanter werdenden Pflicht, alle persönlichen Gefühle zu vergessen.

Es dauerte nicht lange, so hatte die Coquette den zum Auslaufen aus der Bucht dienenden Kanal gewonnen. Hier ließ Ludlow das Schiff wieder bei dem Wind bringen, und schickte Leute auf die Raaen und sämmtliche übrigen hohen Spieren, um bei dem matten ungewissen Mondstrahl so viel von dem Binnengewässer zu überschauen, als das Auge erreichen konnte; er selbst, vom Segelmeister unterstützt, gab sich an dasselbe Geschäft auf dem Verdeck. Den hinaufgeschickten gemeinen Matrosen wurden zwei oder drei Kadetten beigesellt.

»Es ist nichts drinnen sichtbar,« sagte der Capitän, nachdem er lange und mühsam mit dem Glase herumgesucht. »In der einen Richtung hier kann man wegen der Berge Jersey's nichts sehen, und dort am nördlichen Bord würden selbst die Spieren einer Fregatte mit den Bäumen der Insel Staten verwechselt werden können. – Heda, Bagien-Raa!«

Die Diskant-Stimme eines Kadetten erwiederte auf den Ruf.

»Was entdecken Sie, Sir, innerhalb des Hook?«

»Nichts zu sehen. Unsre Schlupe rudert am Lande entlang, und die Barkasse scheint vor dem schmalen Kanal zu liegen; richtig! hier ist auch die Jolle außerhalb der Romer, Wohlbekannte Klippen zwischen Coney-Eiland und der Spitze von Sandy-Hook. D. U. sie steht still unter ihren Riemen; aber nichts zeigt sich in der ganzen Länge des Coney, was wie der Cutter aussähe.«

»Bestreichen Sie mit dem Glase die Gegend noch einmal, nur etwas westlicher; untersuchen Sie die Mündung des Rariton – finden Sie nichts nach der Seite hin?«

»Ha! hier ist ein Punkt auf unserm Lee!«

»Wofür nehmen Sie ihn?«

»Wenn mich das Auge nicht sehr trügt, Sir, so hält ein leichtes Boot auf unser Schiff hin, ungefähr drei Kabellängen entfernt.«

Ludlow legte nun sein eignes Glas an, und bestrich das Wasser in der angegebenen Richtung. Nach einigen vergeblichen Versuchen entdeckte auch er den Gegenstand, und da das Mondlicht jetzt kräftiger strahlte, so hielt es nicht schwer, ihn genauer zu unterscheiden. Es war offenbar ein Boot, und da es sich dem Kreuzer näherte, so ließ sich schließen, daß es demselben eine Mittheilung zu machen habe.

Der Seemann besitzt auf seinem Wasserelement eine besondere Gesichtsschärfe, und in allen in sein Fach einschlagenden Dingen eine erstaunenswerthe Schnelligkeit des Urtheils. Ludlow erkannte auf der Stelle an der Construktion des Bootes, daß es keines von den seinigen war, daß es sich in einem Theile der Bai hielt, der für die Coquette nicht tief genug war, wodurch diese dem Boot also nicht schädlich werden konnte, und daß überhaupt bei offenbarem Streben, so nahe heranzukommen, als nur möglich, die Bewegung von der umsichtigsten Klugheit geleitet wurde. Er nahm eine Trompete zur Hand und praiete das Boot auf die bekannte, übliche Weise.

Da die Antwort gegen den Luftzug zu kämpfen hatte, so klang sie schwach, obgleich zu erkennen war, daß sie von einer äußerst kräftigen, umfangreichen Stimme herrührte, die das Instrument zu benützen vollkommen verstand.

»Ja, ja« und »ein Parlamentair von der Brigantine,« waren die einzigen deutlich vernehmbaren Worte.

Eine oder zwei Minuten ging der junge Mann schweigend das Deck auf und ab; dann befahl er plötzlich, das einzige, jetzt noch am Bord des Kreuzers befindliche Boot hinauszuhießen und zu bemannen.

»Werft eine Parlamentairsflagge in's Hintertheil,« sagte er, als diese Befehle vollzogen waren, »und daß Waffen nicht fehlen! Wir wollen Wort halten, so lange man uns Wort hält, allein auf jeden Fall verlangt diese Unterredung Vorsicht.«

Spannsegel erhielt den Auftrag, das Schiff stillstehend zu halten; sein Vorgesetzter ertheilte ihm außerdem noch gewisse wichtige Instruktionen, im Fall Verrath im Spiel seyn sollte, und begab sich dann selbst in das Boot. Wenige Minuten reichten hin, letzteres und den Fremden einander so nahe zu bringen, daß man sich leicht und verständlich mittheilen konnte. Die königlichen Matrosen mußten aufhören zu rudern, während ihr Commandeur das Fernglas an's Auge setzte, sich einen zuverlässigeren Ueberblick von dem ihn Erwartenden zu verschaffen. Das fremde Boot tanzte, gleich einer Muschel auf den Wogen, so elastisch, daß es das Element, von dem es getragen wurde, kaum zu berühren schien. Vier athletische Seeleute lehnten sich über ihren Rudern, deren Blätter so lagen, daß sie das Boot im Nu vorwärts bewegen konnten. Eine Gestalt stand im Spiegel, deren Stellung und Miene keinen Augenblick zweifeln ließ, wer es wäre. An der bewunderungswürdigen Festigkeit der Haltung, an den verschlungenen Armen, den schönen, männlichen Verhältnissen und dem Anzuge erkannte Ludlow den Seemann vom indischen Shawl. Ein Wink mit der Hand veranlaßte denselben, sich näher heranzuwagen.

»Was verlangt man vom königlichen Kreuzer?« fragte der Capitän des genannten Schiffes, als beide Boote einander so nahe waren, als rathsam schien.

»Vertrauen,« war die gelassene Antwort. »Kommen Sie näher, Capitän Ludlow; ich bin mit unbewaffneten Händen hier; es ist nicht nöthig, unsere Conferenz mit Trompeten zu halten.«

Aus Scham, daß ein Boot, das zu einem Kriegsschiffe gehöre, Zaudern verrathen möchte, wurden die Leute der Jolle beordert, bis an die Riemen des Fremden hinanzurudern.

»Wohlan, Sir, Ihr Wunsch ist erfüllt, ich habe mein Schiff verlassen, und komme im kleinsten meiner Boote zur Unterredung.«

»Sie brauchen mir nicht erst zu sagen, auf welche Weise die Anderen beschäftigt sind,« erwiederte Ruderpinne, dessen unerschütterliche Gesichtsmuskeln ein kaum bemerkbares Lächeln überflog. »Sie setzen uns hart zu, Sir, und gönnen der Brigantine nur wenig Ruhe. Inzwischen ziehen Sie abermals den Kürzeren!«

»In dem glücklichen Streich, den wir diese Nacht ausgeführt haben, besitzen wir einen Vorboten günstigeren Geschickes.«

»Man versteht Sie, Sir; der Seestreicher ist den Dienern der Königin in die Hände gefallen. – Nehmen Sie sich jedoch in Acht! wenn diesem Jüngling in Wort oder That ein Leid widerfährt, so leben Welche, die die Unbill zu rächen wissen!«

»Dies sind stolze Redensarten im Munde eines Vogelfreien; da inzwischen der Beweggrund ein edler ist, mögen sie hingehen. An dem Meerdurchstreicher hat Ihre Brigg den bewegenden Geist verloren; Sie thun daher vielleicht wohl daran, Herr Ruderpinne, den Eingebungen der Mäßigung Gehör zu geben. Wenn Sie geneigt sind, zu unterhandeln, so sehen Sie Jemand vor sich, der geneigt ist, billig zu seyn.«

»So kommen wir mit entsprechenden Stimmungen zusammen, denn ich bin bereit, Bedingungen der Auslösung anzubieten, welche die Königin Anna, wenn ihr ihre Einkünfte lieb sind, nicht zu verachten braucht. Doch aus Ehrerbietung gegen Ihre Majestät will ich erst hören, was ihr hohes Belieben ist.«

»Wohlan denn! zunächst wende ich mich an Sie, als an einen Seemann, welcher die Grenzen der Leistungen eines Schiffes kennt; als solcher überlegen Sie selbst die Lage beider Parteien. Die Wassernixe ist für den Augenblick durch die Schatten der Berge verborgen, vielleicht auch durch die Entfernung und Schwäche des jetzigen Lichtes begünstigt; daß sie aber noch in den Gewässern der Bai liegt, weiß ich ganz gewiß. Eine Macht, gegen die ihr Widerstand nicht ausreicht, ist am kleinen Kanal aufgestellt; den Kreuzer sehen Sie bereit liegen, ihr den Weg beim Hook vorbei abzuschneiden. Meine Boote sind so vertheilt, daß ich auf der Stelle benachrichtigt bin, sollte sie durch den nördlichen Kanal zu entkommen suchen; kurz, ihrer Durchfahrt sind sämmtliche Ausgänge versperrt. Sobald es Morgen wird, finden wir aus, wo Sie stehen, und werden unsere Maaßregeln darnach nehmen.«

»Keine Seekarte kann Klippen und Untiefen deutlicher angeben! – – und wie wäre diesen Gefahren auszuweichen?«

»Uebergeben Sie die Brigg und ziehen Sie in Frieden. Sind Sie auch außerhalb des Gesetzes erklärt, so wollen wir uns dennoch mit dem Besitz des merkwürdigen Schiffes begnügen, in welchem Sie Ihr Unheil stiften, in der Hoffnung, daß, der Mittel zum Fehlen beraubt, Sie zu einem bessern Lebenswandel zurückkehren werden.«

»Wozu das Gebet der Kirche ohne Zweifel mitwirken soll! Nun hören Sie auch mein Anerbieten, Capitän Ludlow. Sie haben die Person eines von Allen, die der Dame vom meergrünen Mantel folgten, hochgeliebten Menschen in Ihrer Gewalt; und wir, wir haben eine Brigg, die der Obergewalt der Königin Anna in den Gewässern dieser Hemisphäre vielen Abbruch thut: liefern Sie den Gefangenen aus, und wir versprechen, diese Küste zu verlassen, um nie wiederzukehren.«

»Das wäre ein schöner Traktat, er würde einem Tollhäusler Ehre machen! Mein Recht auf den Hauptanstifter des Uebels aufgeben, und dagegen zum Unterpfand das unverbürgte Wort eines Subalternen annehmen. Das viele Glück, Herr Ruderpinne, hat Ihren Verstand getrübt. Was ich anbiete, biete ich deswegen an, weil ich einen unglücklichen und merkwürdigen Menschen, wie der, welcher mein Gefangener ist, nicht auf's Aeußerste treiben möchte, und – kann seyn, daß ich noch andere Gründe habe; aber mißverstehen Sie meine Milde nicht: sollte es nöthig seyn, um uns Ihres Fahrzeuges zu bemächtigen, Gewalt anzuwenden, so dürften die Gesetze weniger Nachsicht gegen Ihre Uebertretungen haben. Handlungen, welches unser schonendes System jetzt als verzeihlich betrachtet, könnten leicht zu Verbrechen werden!«

»Es wäre unbillig, wollte ich Ihnen Ihr Mißtrauen verargen,« antwortete der Smuggler, indem er sichtlich das Gefühl verwundeten Stolzes niederkämpfte. »Das Wort eines Freihändlers muß nothwendig im Ohre eines königlichen Offiziers nur geringe Geltung haben. Wir sind in verschiedenen Schulen erzogen, und sehen daher dieselben Gegenstände unter verschiedenen Farben. Ich habe Ihren Vorschlag nun gehört, und weise ihn, für Ihren guten Willen dankend, schlechterdings und ohne die geringste Hoffnung zu lassen, von mir ab. Wohl urtheilen Sie richtig, unsere Brigantine ein merkwürdiges Schiff zu nennen! ihres Gleichen an Schönheit, wie an Schnelligkeit, schwimmt nicht auf den Meeren. Beim Himmel, ich könnte eher das Lächeln des holdesten Weibes auf Erden verschmähen, als dem leisesten verrätherischen Gedanken gegen diesen Juwel nautischer Vortrefflichkeit Raum schenken! Sie haben das Schiff schon viele Male gesehen, Capitän Ludlow, bei Stürmen und Windstille, mit seinen Fittigen ausgebreitet und mit gesenkten Flügeln, bei Tag und bei Nacht, in der Nähe und in der Ferne, leicht dahinfliegend und kämpfend: sagen Sie selbst mit seemännischer Offenherzigkeit, ist es nicht ein Kleinod, das einem Matrosenherzen theuer seyn muß?«

»Ich läugne weder des Fahrzeugs Verdienste noch seine Schönheit; nur Schade, daß es keinen bessern Ruf genießt.«

»Ich wußte es, daß Sie ihm Ihr Lob nicht würden versagen können; doch ich werde kindisch, wenn von der Brigg die Rede ist. Nun denn, Sir, ein Jeder hat seine Meinung gesagt, also zum Schluß: ich trenne mich eher von meinem Augapfel; ehe ich meine Einwilligung hergebe, die kleinste Stenge dieses lieblichen Gebäudes zu verlassen. Wollen Sie andere Auslösung für den Jüngling? Was meinen Sie zu einem Unterpfand in Gold, welches verfallen seyn soll, wenn wir unseres Versprechens nicht eingedenk bleiben.«

»Sie verlangen Unmöglichkeiten. Wenn ich mich überhaupt zum Unterhandeln verstanden, und somit den Pfad der Autorität verlassen habe, so geschah es, wie gesagt, deßhalb, weil ein gewisses Etwas im Wesen des Meerdurchstreichers ihn über den gemeinen Haufen der ungesetzmäßigen Händler hinweghebt. Die Brigantine, oder nichts.«

»Lieber mein Leben als die Brigantine! Sir, Sie vergessen, daß unser Schicksal unter einer Schutzherrin steht, welche die Anstrengungen Ihrer ganzen Flotte verlacht. Sie meinen, wir seyen eingeschlossen und mit Wiederanbruch des Lichtes bleibe nur noch die leichte Arbeit, ihren eisenbeschlagenen Kreuzer dwars ab vor uns zu stellen und uns zu zwingen, uns auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Hier, diese ehrlichen Seeleute könnten Ihnen sagen, wie hoffnungslos Ihr Vorhaben ist. Durch alle Eure Flotten hat die Wassernixe bereits die Daggen gelaufen, und noch hat kein Schuß ihre Schönheit entstellt.«

»Nun, es ist doch nicht so unbekannt, daß ein Bote, aus meinem Schiffe geschickt, ihr einige Glieder mitnahm!«

»Der Stenge fehlte die Bestätigung unserer Gebieterin,« fiel Jener ihm in's Wort, mit einem verstohlenen Blick auf die leichtgläubige, aufmerksam zuhörende Mannschaft des Bootes. »Aus Unbesonnenheit griffen wir sie einst aus der See auf und modelten sie zu unseren Zwecken, ohne uns erst aus dem Buche belehren zu lassen. Nichts, was nach geziemendem Rathserholen unser Deck berührt, ist versehrbar. Ihre Miene verräth Unglauben, und ich wundre mich nicht darüber; Sie wissen es nicht besser. Doch wenn Sie die Dame der Brigantine nicht hören wollen, so schenken Sie Ihr Ohr wenigstens Ihren eigenen Gesetzen. Welches Verbrechens können Sie den Seestreicher beschuldigen, daß Sie ihn als Ihren Gefangenen zurückhalten?«

»Sein gefürchteter Name: der Streicher durch die Meere, wäre Befugniß genug, ihn selbst einem Heiligthume zu entreißen,« erwiederte Ludlow lächelnd. »Sollte auch kein unmittelbares Verbrechen erweislich seyn, so kann seine Festnehmung keine Strafe nach sich ziehen, da er nicht unter dem Schutz der Gesetze steht.«

»Das ist die Gerechtigkeit, um die Ihr Euch so viel wisset! Mit Autorität bekleidete Spitzbuben vereinigen sich, einen abwesenden Menschen, der sich also nicht vertheidigen kann, zu verurtheilen. Doch wenn Sie glauben, mit Straflosigkeit Gewalt üben zu dürfen, so wissen Sie, daß es Menschen gibt, die an dem Wohle jenes Jünglings auf's innigste betheiligt sind.«

»Thörichtes Ausstoßen von Drohungen!« sagte der Capitän lebhaft. »Wenn Sie mein Anerbieten annehmen wollen, so sprechen Sie; verwerfen Sie es, so verantworten Sie die Folgen.«

»Ich will die Folgen verantworten. Können wir uns aber auch nicht als Sieger und nachgebende Partei verständigen, so bleibt es uns doch unbenommen, als Freunde zu scheiden. Geben Sie mir die Hand, Capitän Ludlow, ein Gruß, der sich für zwei tapfere Männer geziemt, wenn sie auch wüßten, daß sie einander in der nächsten Minute nach dem Herzen zielen werden.«

Ludlow zögerte. Aber der Vorschlag geschah mit einer so männlichen und offenen Miene, und die Haltung des Freihändlers, während er sich über den Dolbort seines Bootes herüberlehnte, war so erhaben über sein Geschäft, daß der Capitän, ungern mürrisch erscheinend oder minder höflich als der Andere, sich gezwungen sah, einzuwilligen und seine Hand in die ihm dargebotene legte. Der Smuggler benützte diese Vereinigung der Hände, die Boote näher aneinander zu ziehen, und zum Erstaunen Aller, die die Handlung mit ansahen, schwang er sich kühn in die Jolle und saß nach einem Augenblick dem königlichen Offizier dicht gegenüber.

»Dies sind nicht Dinge für jedes Ohr,« sagte der entschlossene, selbstvertrauende Seemann mit gedämpfter Stimme, nachdem er auf die beschriebene plötzliche Weise die örtliche Stellung der Verhandelnden geändert hatte. »Gehen Sie offenherzig mit mir um, Capitän Ludlow: ist Ihr Gefangener seinen trüben Gedanken überlassen, oder genießt er den Trost, zu wissen, daß Andere sich für sein Geschick interessiren?«

»Es fehlt ihm nicht an Mitfühlenden, Herr Ruderpinne; er besitzt das Mitleid des schönsten Weibes in Amerika.«

»Ha! die schöne Barbérie gesteht, daß sie ihn achte! errathe ich es?«

»Unglücklicherweise sind Sie der Wahrheit nur zu nahe. Das bethörte Mädchen scheint nur in seiner Gegenwart zu leben. Sie hat die Rücksicht auf die Meinung Anderer so sehr hintenangesetzt, daß sie ihm in mein Schiff gefolgt ist.«

Ruderpinne horchte mit der höchsten Spannung. Von jetzt an verschwand alle Aengstlichkeit aus seinen Zügen.

»Wer so begünstigt ist, mag immerhin auf einen Augenblick selbst die Brigantine vergessen!« rief er mit der ganzen, ihm natürlichen Sorglosigkeit. »Und der Alderman?«

»Besitzt mehr Besonnenheit als seine Nichte, da er sie nicht allein gehen ließ.«

»Genug, Capitän Ludlow; mag folgen was will, wir scheiden als Freunde. Fürchten Sie nicht, Sir, die Hand eines Proscribirten noch einmal zu berühren; sie ist ehrlich, freilich auf eigene Weise, aber mancher Pair und Fürst hat seine Hand nicht so rein gehalten. Gehen Sie liebreich mit jenem muntern, raschen, jungen Seemann um, ihm fehlt die Ueberlegung eines bejahrteren Hauptes, aber das Herz ist die Güte selbst. Auf Gefahr meines Lebens würde ich das seinige schützen, allein die Brigantine muß gerettet werden, auf jede Gefahr hin. Adieu.«

Starke Rührung war in der Stimme des Seemanns vom Shawl, trotz seiner männlichen Sprache, vernehmbar. Ludlow's Hand herzlich drückend, kehrte er leicht und ohne zu wanken, wie Einer, der auf der See zu Hause ist, in seine eigene Barke zurück.

»Adieu!« rief er nochmals, und winkte seinen Leuten, in der Richtung des seichten Wassers, wohin das Schiff ihm offenbar nicht folgen konnte, zu rojen. »Kann seyn, daß wir uns wiedersehen; bis dahin Adieu.«

»Wir werden uns gewiß wiedersehen, und zwar sobald es Tag geworden.«

»Glauben Sie das nicht, tapferer Herr. Unsre Gebieterin steckt sich die Spieren unter'n Gürtel, und fährt ungesehen bei einer Flotte vorbei. – Des Seemanns Segen begleite Sie; günstiger voller Wind, sichere Landung und ein freundlicher Heerd! Behandeln Sie den Knaben gütig, und mit Ausnahme Ihres bösen Vorhabens gegen mein Schiff, möge der Sieg Ihre Flagge stets umschweben.«

Die Matrosen beider Boote senkten gleichzeitig ihre Riemen in's Wasser, und bald lag zwischen beiden Parteien ein so weiter Raum, daß sie einander nicht mehr hören konnten.


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