Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.

»Was fragen diese Brausewinde
nach dem Namen König?«
Der Sturm.

Die Manhattanesen werden ohne Schwierigkeit die Stellung beider Fahrzeuge begreifen; doch denjenigen unserer Mitbürger, welche entferntere Theile der Union bewohnen, dürfte die nähere Beschreibung der Oertlichkeit willkommen seyn.

Obgleich die ungeheure Bucht, welche den Hudson und so viele minder bedeutende Ströme aufnimmt, im Ganzen durch einen Einschnitt in das Festland gebildet wird, so ist doch derjenige Theil davon, welcher den Hafen Neu-Yorks ausmacht, durch die günstige Lage der Inseln vom Meere getrennt. Von diesen Inseln geben zwei dem Bassin und selbst einer langen Strecke der Küste den vorherrschenden Charakter, die kleineren dienen meist als nützliche und schöne Theile des Hafens und der Landschaft. Zwischen der Bai von Rariton und der von Neu-York bestehen zwei Verbindungswege; der eine ist der zwischen der Insel Staten und der Insel Nassau und heißt die Enge ( the Narrows), er ist der gewöhnliche Schiffscanal des Hafens; der andere zwischen Staten und dem Festlande wird der Brennofen ( the Kilns) genannt. Die Fahrt durch diesen letzteren wählen die Schiffe, welche nach den anstoßenden Gewässern von Neu-Jersey wollen, so daß durch denselben der Zutritt zu so manchen Flüssen dieser Provinz eröffnet ist. So wie die Insel Staten viel zur Sicherheit und Bequemlichkeit des Hafens beiträgt, so wirkt die Lage der Insel Nassau wohlthätig auf eine große Küstenlinie. Nachdem sie die eine Hälfte des Hafens gegen die Stürme der offenen See gedeckt hat, kommt sie so dicht an das Festland heran, daß die Fahrt zwischen beiden hindurch nicht mehr als zwei Kabellängen beträgt; hierauf läuft sie bis zu einer Entfernung von hundert englischen Meilen ostwärts aus, und bildet so einen breiten schönen Sund. Wenn die Schiffe erst bei der vierzig Stunden von der Stadt gelegenen Inselgruppe vorüber sind, so können sie ohne Schwierigkeit das freie Meer gewinnen.

Ein Seemann begreift leicht, daß die Fluth, die in diese großen Buchten einfließt, aus verschiedenen Richtungen herkommt. Der Stromzug, welcher bei Sandy Hook (wo so viel von der Handlung unserer Erzählung vorgeht) eintritt, geht westlich in die Flüsse Jersey's, nördlich in den Hudson und östlich längs dem Seearm zwischen der Insel Nassau und dem festen Lande. Ein anderer, welcher von Montauk oder der östlichsten Spitze von Nassau einherbrauset, hebt das Bassin des Sundes, fließt in die Ströme Connecticut's und stößt auf die westliche Fluth innerhalb zwanzig Meilen von der Stadt, an einem Ort, Namens Throgmorton.

Da der Umfang der Buchten so groß ist, so sieht man leicht ein, wie der Andrang solcher breiten Wassermassen den Stromzügen in sämmtlichen engen Durchfahrten eine übermäßige Schnelligkeit mittheilen muß, indem gleichmäßige Vertheilung des Elementes ein Naturgesetz ist, und da, wo Mangel an Raum eintritt, das Gleichgewicht sich durch gesteigerte Schnelligkeit wieder herstellt. Die Fluth ist folglich längs der ganzen Strecke zwischen dem Hafen und Throgmorton heftig, an den engsten Theilen des Canals aber schießt das Wasser – dies ist fast keine poetische Hyperbel – wie ein Pfeil von seinem Bogen. Wegen der plötzlichen Biegung im Stromlauf, die zwei nicht weit von einander getrennte rechte Winkel bildet, wegen der gefährlichen Lage vieler hervorstehender und noch mehr verborgener Klippen, endlich wegen der durch Stromzüge, Gegenzüge und Strudel entstehenden Verwirrung hat dieser kritische Wasserpaß den Namen des »Höllenthors« Eine knabenhafte und an das Gemeine streifende Ziererei hat diese Durchfahrt zuweilen Hurl Gate (Wirbelthor) zu nennen beliebt: ein Name, der, ohne irgend eine Autorität für sich zu haben, weder von einem geläuterten Geschmack, noch vom gesunden Menschenverstande gutgeheißen werden kann. erhalten. Sein unglückverkündender Name mag wohl oft Schuld seyn, daß so mancher zarte Busen bange schlägt, und einen Schrecken empfindet, den die Wirklichkeit nicht rechtfertigt; inzwischen läßt sich nicht läugnen, daß er die beständige Veranlassung von Geldverlust und auch sehr oft lebensgefährlich ist. Hier war es, wo während des Revolutionskrieges eine englische Fregatte verloren ging, indem sie auf eine verborgene Klippe, den sogenannten »Topf«, so heftig stieß, daß sie sich plötzlich füllte und unterging, wobei selbst Einige am Bord ihr Grab in den Wellen gefunden haben sollen.

Aehnlich ist die Wirkung einer Fahrt zwischen den Inseln hindurch, um an dem östlichen Punkt des Sundes das freie Meer zu erreichen; doch ist die Gefahr hier bedeutend durch den Umstand verringert, daß der Sund den Stromzügen eine weit ausgedehntere Fläche darbietet, als die Bai von Rariton oder auch der Hafen von Neu-York, und der Druck mithin in demselben Verhältnisse minder heftig ist, als der Ausfluß eine größere Breite hat. Nach diesen vorläufigen Erklärungen nehmen wir den Faden unserer Erzählung wieder auf.

Als der Mensch, dem in unseren Blättern so lange der nom de guerre: Ruderpinne, beigelegt worden, sich auf freier Straße sah, konnte er besser als vorher den ganzen Umfang der dringenden Gefahr abmessen, die ihm drohte. Ein einziger Blick auf die symmetrischen Spieren und weitreichenden Raaen des Schiffes belehrte ihn, daß er die Coquette vor sich sehe. Die kleine Flagge an ihrer Vorbramstenge erklärte zur Genüge die Bedeutung der Salve: beides, verbunden mit der vom Schiffe genommenen Richtung, verkündete in einer von keinem Seemanne zu verkennenden Sprache, daß man einen Höllenthor-Lootsen verlangte. Als der Meerdurchstreicher das Ende der abgelegenen Kaje erreichte, wo ein leichtes, schnellsegelndes Boot auf seine Rückkunft wartete, erdröhnte die Luft vom zweiten Kanonenschusse, ein Beweis, wie ungeduldig seine Verfolger waren, den so nöthigen Führer zu erhalten.

Heutzutage beschäftigt die Küstenschifffahrt dieser Republik einen Tonnengehalt, der dem des ganzen Handels jeder andern Nation in der Christenheit, mit der einzigen Ausnahme Englands, gleichkommt; allein zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war er noch sehr gering. Ein einziges Kriegsschiff an den Kaien, nebst zwei oder drei Briggs und Schooner vor Anker in den Flüssen, machten die ganze Parade der damals im Hafen befindlichen Seeschiffe aus. Zu diesen sind noch etliche zwanzig Küstenfahrzeuge und Flußgefässe hinzuzufügen, von denen die meisten zu jenen ungestalten, trägen Massen gehörten, welche damals in monatlangen Fahrten die Verbindung zwischen den zwei vorzüglichsten Städten der Colonie unterhielten. Es läßt sich daher leicht denken, daß der Aufforderung der Coquette, zumal in einer so frühen Stunde, nicht auf der Stelle genügt werden konnte.

Das Schiff lief nun völlig in den Meeresarm ein, der die Insel Manhattan von der Insel Nassau trennt, und wenn gleich er zu jener Zeit noch nicht so sehr wie jetzt durch künstliche Mittel verengt war, so hatte doch der Stromzug, vom Winde unterstützt, solche Gewalt, daß er das Schiff rasch mit sich fortriß. Eine dritte Salve erschütterte die Häuser der Stadt und brachte manchen würdigen Bürger an's Fenster, aber noch immer war kein vom Lande abstoßendes Boot zu sehen, noch immer kein sonstiger Anschein, daß dem Signal bald würde entsprochen werden. Der königliche Kreuzer hielt inzwischen ausdauernd hin, vollgespannt mit so vielen Segeln, als die Richtung des etwas nach vorne wehenden Windes nur immer gestatten wollte.

»Es gilt unsre eigne Sicherheit und die der Brigantine, meine Leute,« sagte der Meerdurchstreicher, indem er in's Boot sprang und die Ruderpinne faßte. »Schnell und stark gerojet! Keine Zeit ist's jetzt, die Hände in den Schooß zu legen, oder dann und wann einen Ruck zu geben, wie ein Kriegsschiff! Vorwärts, Bursche, vorwärts! kräftig und gleichzeitig!«

Leuten, die ein so gefährliches Handwerk trieben, konnten Töne dieser Art nicht neu seyn. In einem und demselben Moment schlugen ihre Riemen in die Wasserfläche, und schnell wie der Gedanke befand sich die leichte Barke im Stromzug, wo er am stärksten schoß.

Bald war man bei der kurzen Reihe von Kajen vorbei, und nach einigen Minuten glitt das Boot mit der Fluth dahin, zwischen den Anhöhen der Langen Insel und der vorspringenden Spitze, welche an jenem Theile Manhattan's einen Winkel bildet. Hier fühlte sich unser Abenteurer veranlaßt, mehr in die Mitte der Durchfahrt zu gieren, theils um den Strudeln unweit der Landspitze aus dem Wege zu gehen, theils um die ganze Stärke des Wasserzugs zu benützen. Bei Coerlers angekommen, fing er an, den breiteren, oberhalb des genannten Ortes sich ausdehnenden Wasserarm angelegentlich zu durchsuchen, um seine Brigantine zu erspähen. Wieder eine Kanone, und einen Moment nach dem Knall pfiff der Schuß in der Nähe; dann folgte der Anprall an das Wasser, und eine glänzende Staubwolke stieg plötzlich auf. Die Kugel streifte einige hundert Fuß vor ihnen die Wasserlinie, beschrieb noch ein paar immer kürzer werdende Bogen und folgte dann dem Gesetze der Schwere.

»Dieser Herr Ludlow möchte gern zwei Vögel mit einem Stein erwerfen,« bemerkte kaltblütig der Meerdurchstreicher, ohne den Kopf nach der Seite zu bewegen, um die Stellung des Schiffes auszumitteln. »Er weckt mit seinem Lärm die Stadtbewohner aus ihrem Morgenschlaf, und uns bedroht er mit seinen Kugeln. Ihr seht, Freunde, wir sind entdeckt, und können uns, zunächst dem Beistande der Dame vom seegrünen Mantel, nur auf unsre Mannsstärke verlassen. Schneller die Rieme geschlagen und tüchtig! Sie haben gerade den königlichen Kreuzer vor sich, Herr Coil; zeigen sich Boote an seiner Seite, oder sind die Penterbalken leer?«

Der angeredete Seemann führte den Hauptriem, und saß daher rückwärts, so daß er die Coquette im Gesicht hatte. Ohne im mindesten seine Anstrengung schlaffer werden zu lassen, wendete er den Späher-Blick auf's Schiff, und antwortete mit einer Festigkeit, welche bewies, daß gefahrvolle Lagen ihm nichts Ungewohntes waren:

»Seine Bootstaue hangen so lose, wie die Locken einer Meerjungfer, Ew. Gestrengen, und in seinen Tops erscheint wenig Mannschaft; indessen sind noch immer genug Spitzbuben am Bord, um uns einen zweiten Schuß nachzuschicken.«

»Die Diener Ihrer Majestät sind früh wach diesen Morgen. Noch einen Schlag oder zwei, ihr standhaften Herzen, so doubliren wir das Land und lassen sie hinter uns!«

Ein zweiter Schuß fiel dicht bei den Ruderblättern in's Wasser, dann aber wirbelte das Boot, seinem Steuer gehorchend, um die Spitze herum, und die Coquette war nicht mehr zu sehen. So wie das Land durch seine eigenthümliche Gestaltung den Kreuzer dem Blicke entzog, ward auf der entgegengesetzten Seite von Coerlers die Brigantine sichtbar. Trotz der Ruhe, welche auf den Zügen des Meerdurchstreichers herrschte, würde doch demjenigen, der seine Physiognomie gründlich verstand, der Ausdruck der Sorge nicht entgangen seyn, welcher dieselbe trübte, als er zuerst die Wassernixe ansichtig wurde. Indessen gab er seiner Unruhe, wenn er überhaupt welche fühlte, keinen Laut, um die Thätigkeit seiner Leute, von der jetzt Alles abhing, nicht zu lähmen. Als die harrende Mannschaft der Brigantine ihr Boot erblickte, änderte sie ihren Cours, und beide Fahrzeuge waren bald vereinigt.

»Wozu flattert das Signal dort noch immer?« fragte der Befehlshaber der Brigg, als er kaum noch den Fuß auf's Deck gesetzt hatte, und wies bei'm Sprechen auf den kurzen Flieger, der an der Spitze der vordersten Stenge flaggte.

»Wir haben es oben gelassen, damit der Lootse sich sputen möge«, war die Antwort.

»Hat der verrätherische Schurke nicht Wort gehalten?« rief der Meerdurchstreicher, vor Befremden einen Schritt zurücktretend. »Er hat mein Gold genommen und mir fünfzig seiner elenden Versprechungen dafür gegeben – ha! dort in dem Nachen kommt der Träge. Wendet die Brigg vor dem Winde! ihm entgegen! Augenblicke sind jetzt kostbar wie Wassertropfen in der Wüste.«

Luvwärts ging das Ruder, und die lebendige Brigantine hatte sich schon über die Hälfte nach der Seite gewendet, als wieder ein Schuß fiel, und Aller Augen sich nach der Landspitze wendeten. Der Rauch stieg über die Biegung der Insel empor, und gleich darauf wurden erst Vordersegel, dann Rumpf und Spierenwerk der Coquette sichtbar. In diesem Augenblick rief Einer, der vorne im Schiffe stand, daß der Lootse Kehrt mache und aus Kräften wieder nach dem Ufer zurückroje. Zahlreich und bitter waren die Verwünschungen, welche gegen den Delinquenten ausgestoßen wurden, doch ein Entschluß mußte auf der Stelle gefaßt werden. Beide Schiffe waren keine halbe Meile mehr auseinander, und jetzt war der Augenblick da, wo die Wassernixe alle ihre Tugenden entwickeln sollte. Das Steuer ward nun wieder in die frühere Richtung gebracht, und der schöne Bau, gleichsam als hätte er ein Bewußtsein von der Gefahr, die seine Freiheit bedrohete, lenkte mit einem Zuge wieder in seinen Cours ein, neigte sich mit einem schweren Geflatter der Leinwand in den Wind und glitt alsdann mit seiner gewohnten Elasticität vorwärts. Doch auch der königliche Kreuzer hatte unter Hunderten von Schiffen seines Gleichen nicht. Zwanzig Minuten lang würde es dem schärfsten Auge nicht möglich gewesen seyn, anzugeben, wer der verlierende, wer der gewinnende Theil sey, so gleichmäßig hielt das verfolgende wie das verfolgte Schiff den Lauf. Da indessen die Brigantine zuerst den engen, durch den Schwarzbrunnen ( Blackwells) gebildeten Durchgang erreichen mußte, so gewann sie auch zuerst die stärkere Stromschnelle, und stand daher allerdings im Vortheil. Wie gering dieser und der dadurch bewirkte Wechsel nun auch war, so schien derselbe dennoch dem wachsamen Führer der Coquette nicht zu entgehen, denn die Kanone, die eine Weile geschwiegen hatte, sandte wieder ihre Flamme und Rauchsäule. Vier Entladungen in weniger als so vielen Minuten drohten den Freihändlern ernstlichen Schaden. Schuß nach Schuß flogen durch ihre Spieren, und machten viele Risse in ihren Segeltüchern; noch ein paar solcher Angriffe mußten sie der Mittel der Vorwärtsbewegung nothwendig berauben. Diese Krisis recht gut vorhersehend, bedurfte der ausgelernte, nie rathlose Seemann, welcher sie leitete, nur einen Moment, um zu wissen, was er zu thun habe.

Die Brigg hatte jetzt fast die Spitze von Blackwells erreicht. Es war Springzeit und gerade halbe Fluth. Die Reihe blinder Klippen, welche, von der westlichen Spitze der Insel auslaufend, sich weit in dem unterhalb fließenden Arm hineinstreckte, war fast bedeckt; indessen war noch genug davon zu sehen, um ein Urtheil über die Hindernisse, welche sie der Fahrt von dem einen Ufer nach dem andern entgegensetzte, zuzulassen. Dicht an der Insel selbst hob eine Klippe ihr schwarzes Haupt hoch über die Wasserfläche empor. Zwischen dieser dunklen Steinmasse und dem Lande bot sich eine etwa zwanzig Faden breite Oeffnung dar. An den glatten, ungebrochenen Wellen, die sich durch diese Oeffnung wälzten, merkte der Führer der Brigg, daß dort der Meeresboden der Oberfläche des Wassers weniger nahe seyn müsse, als an irgend einer anderen Stelle längs des ganzen Klippenzugs. Noch einmal commandirte er: »luv das Steuer!« und ruhig vertraute er nun dem Ausgange.

Nicht eine Seele am Bord der Brigantine achtete des Schusses, welcher jetzt, als das kleine Schiff nach der engen Durchfahrt einlenkte, vom königlichen Kreuzer kam, zwischen den Masten pfiff und den Windfang beschädigte. Ein einziger Stoß gegen die Klippe wäre ihr Untergang gewesen, und die geringere Gefahr ward daher von der größern gänzlich verschlungen. Wie nun aber die Durchfahrt glücklich bewerkstelligt und der wahre Strom im andern Kanal gewonnen war, da verkündete das gleichzeitige Hervorbrechen eines Freudenrufs, wie viel sie befürchtet hatten, wie groß ihre Rettung war. In der nächsten Minute schützte sie die Spitze von Blackwells gegen die Kugeln ihres Verfolgers.

Der Coquette gestattete die Länge des Klippenzuges keine Cours-Aenderung, und ihre größere Wassertracht hinderte die Durchfahrt durch die Oeffnung zwischen dem schwarzen Felsen und der Insel. Dagegen setzte die Abweichung des Andern aus dem geraden Lauf die Coquette, welche stetig hinhaltend die Strudel glücklich besiegte, in den Stand, in gleicher Linie mit der Brigantine aufzukommen. Wiewohl durch das lange schmale Eiland getrennt, förderte doch der schnelle Stromzug durch beide Pässe den Lauf des einen wie des andern Fahrzeuges. Plötzlich durchzuckte den Meerdurchstreicher ein Gedanke, und fast eben so rasch gab er sich daran, dessen Verwirklichung zu versuchen. Er ließ das Steuer wieder luvab werfen, und das Bild der meergrünen Dame kämpfte nun gegen den Wasserstrom an. Wäre dieser Versuch gelungen, so würde der Triumph ihrer Anhänger vollständig gewesen seyn, da die Brigg alsdann einige der Strudel des unteren Armes und auf dem erst kürzlich befahrenen Weg die offene See erreichen konnte, während ihr minder beweglicher Verfolger gegen die Macht der Fluth zu kämpfen gehabt hätte. Allein eine einzige Minute genügte, den kühnen Seemann zu überzeugen, daß sein Entschluß zu spät kam. Der Wind war zu schwach, um ihm durch den Wasserschlund zu helfen, und vom Lande umgeben, mit einer jeden Augenblick stärker werdenden Fluth, leuchtete ihm ein, daß Verzug und Verderben hier eines und dasselbe seyn würde. Abermals folgte das leichte Fahrzeug seinem Steuer, und alle Segel, so vortheilhaft als möglich beigesetzt, schoß es die Durchfahrt entlang.

Mittlerweile war auch die Coquette nicht müßig gewesen. Durch Winde und Stromzug vorwärts getragen, hatte sie sogar ihrem Gegner einen Vorsprung abgewonnen, und da ihre höheren leichten Segel am kräftigsten bei dem Lande vorbeizogen, so ward es höchst wahrscheinlich, daß sie die östliche Spitze von Blackwells zuerst erreichen würde. Ludlow gewahrte seinen Vortheil, und traf seine Anordnungen demgemäß.

Es bedarf keiner weitläufigen Erklärung, um dem Leser die Umstände, welche den königlichen Kreuzer nach der Stadt führten, verständlich zu machen. Mit der Annäherung des Morgens war er tiefer in die Bai eingelaufen, und so wie es heller wurde, überzeugte man sich, daß kein Fahrzeug unter den Hügeln, noch in irgend einer der abgelegeneren Stellen der Bucht sich verborgen halte. Den letzten Zweifel jedoch beseitigte der Bericht eines Fischers. Dieser sagte aus, daß er ein Schiff in der mittleren Wache durch die Narrows habe fahren sehen. Die Beschreibung entsprach der Wassernixe. Er fügte noch hinzu, daß bald darauf ein schnellsegelndes Boot dieselbe Richtung genommen habe. Dieser Aufschluß genügte. Ludlow gab seinen Booten ein Signal, die Durchfahrten der Kilns und der Narrows zu schließen, und steuerte dann, wie wir gesehen haben, gerade in den Hafen.

Als Ludlow sich in der eben geschilderten Lage befand, lenkte er seine ganze Aufmerksamkeit darauf, den doppelten Zweck zu erreichen: die Erhaltung seines eigenen Fahrzeuges und die Festnahme des Freihändlers. Obgleich es noch immer nicht unmöglich war, das Spierenwerk der Brigg zu beschädigen, wenn er quer über das Land wegschießen ließ, so vereinigten sich doch verschiedene Gründe gegen den Versuch, die bis zur Hälfte verringerte Stärke seiner eigenen Mannschaft, die Gefahr den hier und da längs der niederen Anhöhen zerstreut liegenden Pächterhäuser Schaden zuzufügen, endlich die Nothwendigkeit, Vorkehrungen zur Besiegung des vor ihm liegenden kritischen Passes zu treffen. Kaum war das Schiff völlig in den Paß zwischen Blackwells und Nassau eingelaufen, so ertheilte er den Befehl, die Kanonen wieder anzubinden und die Anker klar zu halten.

»Die Anker zum Vieren fertig gehalten, Sir,« fügte er hastig seinen Ordres an Spannsegel hinzu. »Wir sind nicht in der Lage mit Ankerstock- und -Hand spielen zu können; – daß nur ja Alles in Bereitschaft sey, um beim ersten Wort fahren zu lassen; – die Enterhacken zurecht gelegt, wir wollen sie an Bord des Smugglers werfen; sobald wir ihm nahen, damit wir ihn lebendig fangen. Haben wir ihn einmal fest an seinen Ketten, so sind wir immer noch stark genug, ihn unter den Speigaten heranzuholen, und ihn mittelst der Pumpen zu fangen. – Ist das Signal wegen eines Lootsen noch aufgesteckt?«

»Wir lassen es flaggen, Sir, es muß aber ein schnelles Boot seyn, das uns in solcher Fluthschnelle einholt. Dort an dem Knie des Landes hebt das ›Thor‹ an, Capitän Ludlow!«

»So laßt es aufgesteckt; die trägen Schufte treiben sich bisweilen in der Bucht diesseits der Klippen herum, vielleicht führt uns der Zufall einen von ihnen im Vorbeifahren zu. – Sehen Sie nach den Ankern, Sir, das Schiff treibt durch diesen Kanal wie ein Rennpferd unter der Peitsche!«

Das Volk ward in aller Eile zu diesem Dienst durch die Pfeife zusammengebracht, während der jugendliche Befehlshaber seine Stellung auf dem Hüttendeck einnahm, bald ängstlich die Richtung der Fluth und die Lage der Strudel untersuchend, bald nach der Brigantine hinüberblickend, deren obere Spieren und weiße Segeltücher aus einer Entfernung von zweihundert Faden durch die Bäume der Insel hindurchschimmerten. Doch in solchem schnellen Stromzuge mußten Meilen kurz wie Ruthen, und Minuten wie Augenblicke vorüberfliegen. Spannsegel hatte eben rapportirt, daß die Anker klar wären, als das Schiff in parallele Linie mit der Bucht kam, wo die Fahrzeuge oft vor Anker zu gehen pflegen, um den günstigsten Zeitpunkt zur Beschiffung des Höllenthors abzuwarten. Ludlow überzeugte ein einziger Blick, daß kein Lootsenschiff drinnen lag. Einen Moment gab er den Mahnungen der schweren Verantwortlichkeit Gehör, einer Verantwortlichkeit, vor welcher ein Seemann mehr als vor jeder andern zurückschreckt, nämlich der, das Amt eines Lootsen selber zu übernehmen; er wollte in den schützenden Ankergrund einlenken, doch ein Blick auf die Spieren der Brigantine brachte ihn wieder zum Wanken.

»Wir sind dem ›Thore‹ nahe, Sir!« schrie Spannsegel mit warnungsvoller Stimme.

»Hält doch dort der kühne Seemann hin!«

»Der Schelm segelt ohne Auftrag von der Königin, Herr Capitän. Es heißt, dieser Paß habe seinen Namen nicht ohne Grund!«

»Ich bin schon durchgekommen und kenne ihn recht gut – der Kerl scheint nicht vor Anker gehen zu wollen!«

»Wenn das Weibsbild, welches ihm seinen Cours vorzeichnet, ihn sicher durchbringt, so verdient sie ihren Titel. Herr Capitän! wir fahren die Bucht vorbei.«

»Wir sind schon vorbei,« erwiederte Ludlow, schwer aufathmend. »Kein Geräusch auf dem Schiff, nicht das leiseste Geflüster! Mit Lootsen oder ohne, jetzt sinken wir oder schwimmen!«

Spannsegel hatte es gewagt, Vorstellungen zu machen, so lange die Möglichkeit, die Gefahr zu vermeiden, noch vorhanden war; nunmehr aber sah er sowohl als sein Vorgesetzter, daß Alles von ihrer Besonnenheit und Sorgfalt abhing. Geschäftig ging er unter der Mannschaft herum, überzeugte sich, ob auch jede Brasse und Bulien gehörig bemannt sey, ermahnte die wenigen jungen Offiziere zur Wachsamkeit, und wartete dann die Befehle seines Obern ab, mit der einem Seemann in kritischen Momenten so nöthigen Ruhe. Ludlow selbst fühlte die ganze Schwere der Verantwortlichkeit, die er auf sich genommen, nichts desto weniger gelang es auch ihm, ein gelassenes Aeußere zu behalten. Das Schiff befand sich unwiderruflich im Höllenthor, und keine menschliche Gewalt vermochte es davon zurückzureißen. In solchen Augenblicken der bangsten Erwartung sucht wohl der menschliche Geist sich an dem Gutachten Anderer zu kräftigen. Ungeachtet der immer wachsenden Schnelle und des bedenklichen Zustandes seines eigenen Fahrzeuges, schaute Ludlow nach seinem Gegner hin, um sich zu belehren, was dessen Entschluß sey. Blackwells lag bereits hinter ihnen, und da beide Stromzüge nun wieder vereint waren, so hatte die Brigantine bei dem Winde aufgestochen, gerade auf den gefahrvollen Paß los, und folgte jetzt genau, zweihundert Schritt entfernt, dem Kielwasser der Coquette. Dort, auf dem Vordertheil, unmittelbar über dem Bilde seiner angeblichen Gebieterin stand der kühne, männliche Seefahrer, der die Brigg regierte, mit in einandergeschlagenen Armen und festgehefteten Augen die schäumenden Klippen, die wirbelnden Strudel und die sich durchkreuzenden Stromzüge prüfend. Die zwei Offiziere wechselten einen Blick und der Freihändler zog seine Mütze; Ludlow's Höflichkeit erlaubte es ihm nicht, den Gruß unerwiedert zu lassen; dann nahm die Sorge für sein Schiff wieder alle seine Sinne in Anspruch. Vor ihnen lag eine blinde Klippe, über welcher sich die unaufhörlichen Wogen schäumend zerarbeiteten und brüllend zerbarsten. Einen Moment lang schien's, als berühre das Schiff seinen Untergang, im Nu aber war es glücklich vorbei.

»Luvwärts die Brassen angeholt!« sagte Ludlow mit jenen rückgehaltenen Tönen, die eine erzwungene Ruhe bezeichnen.

Unmittelbar darauf rief auch der Meerdurchstreicher: »Luv!« so daß man sehen konnte, er nehme die Bewegungen des Kreuzers zu seiner Richtschnur. Dichter an den Wind kam das Schiff, doch nicht in gerader Linie mit dem Strome durfte es steuern, da dieser sich plötzlich bog. Der durch das entgegengesetzte Treiben von Wind und Fluth bedeutend verlängerte Wasserweg des Schiffes ließ dasselbe, obgleich mit ungeheurer Heftigkeit luvwärts gedrückt, quer über den Stromzug schießen, während eine Klippe, über welche das Wasser wüthend stürzte, unmittelbar die Lauflinie durchschnitt. Zu dringend schien die Gefahr zur Beobachtung nautischer Etikette, daher schrie Spannsegel, ohne auf des Capitäns Commandowort zu warten, das Schiff müsse back geworfen werden, sonst wäre es verloren.

»Halt dicht beim Winde!« ertönte Ludlow's Gebieterstimme. »Alles hinauf! – Halsen und Schoten aufgestochen! – Das große Marssegel herumgeholt!«

Das Schiff schien seiner Gefahr so bewußt zu seyn, wie die vernunftbegabten Wesen auf seinem Verdeck. Seine Backen zitterten von der schäumenden Klippe zurück, und wie die Segel erst den Wind auf ihren Kehrseiten auffingen, so halfen sie das Gallion in die entgegengesetzte Richtung bringen. Es war kaum eine Minute vergangen, so war das Schiff back gelegt, und in der nächsten der Gang geschehen und die Segel wieder gefüllt. Kurz, aber alle Kräfte ansprechend, war die Anstrengung; kaum hatte jedoch Spannsegel wieder einen Augenblick Zeit, vorwärts zu schauen, so rief er abermals:

»Hier ist wieder ein Schreihals dicht vor der Schiffsseite; luv, Sir, luv, sonst sind wir d'ran!«

»Laß ganz fallen vor dem Wind!« lautete nun das Commando Ludlow's in tiefen Tönen. »Laßt die Schoten los! – Werft alles back, vorn und hinten! – Weg mit den Raaen, wacker, Ihr Bursche!«

Wahrlich, keine dieser Anstalten war überflüssig. Den Gefahren der ersten Klippe so glücklich entgangen, hatte das Schiff nunmehr einen treibenden, brüllenden Wasserkessel, welcher, da das Element förmlich darin zu sieden scheint, »der Topf« heißt, so gerade vor sich, daß fast nicht abzusehen war, wie man sich ihm werde entziehen können. Doch die Gewalt der Segeltücher bewährte sich in dieser angstvollen Lage. Die Bewegung vorwärts ward gebrochen, und da der Stromzug das Schiff noch immer nach der Luvseite trieb, so berührte seine Seite die sich wälzenden Wogen erst da, wo die blinden Klippen, die eigentlich den Kessel bilden, aufhörten. Das nachgebende Fahrzeug hob und senkte sich in dem bewegten Elemente, gleichsam als wollte es den Mahlstrom durch Huldigung besänftigen. Der tiefgehende Kiel blieb unverletzt.

»Schießt das Schiff noch zwei Längen seiner selbst nach vorne, so berührt es den Strudel!« schrie der unablässig aufmerksame Segelmeister.

Einen einzigen Augenblick schaute Ludlow unschlüssig um sich her. Von allen Seiten drehte sich das brüllende Gewässer im Kreise, und im Verhältniß, wie das Schiff sich dem Vorsprung näherte, welcher den zweiten Winkel dieses furchtbaren Passes bildet, verloren auch die Segel ihre Kraft. An den Gegenständen auf dem Lande merkte er, daß er dem Ufer zugetrieben werde, und nun blieb ihm nur des Seemanns letzte Zuflucht übrig.

»Laßt beide Anker fahren!« war die Schluß-Ordre.

Dem Sinken der Eisenmassen in das Wasser folgte das betäubende Geknarre der ablaufenden Kabel. Der erste Versuch, den Lauf des Schiffes zu hemmen, schien den ganzen Bau mit Zerstörung zu bedrohen, denn er erbebte von den höchsten Stengentopps bis zum Kiel. Aber die Riesentaue gaben wieder einen Ruck, daß die Cylinder, von denen sie abliefen, heftig rauchten. Dem Fahrzeug theilte die plötzliche Hemmung eine Wirbelbewegung mit, und es gierte fürchterlich nach dem Ufer zu. Als man sich mit dem Steuer dieser Bewegung widersetzte, und die sämmtliche Mannschaft sich anstrengte, kräftigen Einhalt zu thun, drohte es allen Zwang zu durchbrechen, so daß wirklich Jedermann am Bord erwartete, das Kabel kappen zu hören; allein in diesem Augenblick füllten sich die Obersegel, und da man jetzt so zu liegen kam, daß der Wind über das Hackebord ging, so brach er größtentheils die Kraft des Stromzuges durch seine Gegenkraft. Das Schiff gehorchte nun seinem Steuer und kam zum Stehen, während das Wasser seinen Schaft umschäumte, so wüthend, daß es das Aussehen hatte, als triebe das Schiff vor starkem Winde durch die Wogen dahin.

Die Zeit, von dem Moment an, wo die Coquette in's ›Höllenthor‹ einfuhr, bis zu dem, wo sie unterhalb des ›Topfes‹ vor Anker ging, schien, ungeachtet die Entfernung nicht viel weniger als eine Meile betrug, nur eine Minute gewesen zu seyn. Ueberzeugt, daß sein Schiff nunmehr zum Stehen gebracht sey, wendeten sich Ludlow's Gedanken mit Blitzesschnelle wieder nach dem eigentlichen Zweck der Fahrt.

»Die Enterhaken klar gehalten!« rief er eifrig. »Herbei zum Ausholen und Heranziehen! – ausgeholt!«

Damit jedoch der Leser die Bedeutung dieser plötzlichen Ordre besser kennen lerne, kehre er, wir bitten ihn, mit uns zum Eingang des gefährlichen Passes zurück, und begleite auch die Wassernixe in ihrem gewagten Unternehmen, ohne Lootse hindurchzukommen.

Wir verließen sie, wie sich der geneigte Leser erinnert, bald nach ihrem fehlgeschlagenen Versuche, gegen den Strom an der westlichen Spitze von Blackwells anzukämpfen. Jener Versuch bewirkte weiter nichts, als daß er dem verfolgenden Theil den Vorsprung sicherte und den Commandeur der Brigg überzeugte, daß ihm nichts anders übrig bleibe, als dem Lauf des Kreuzers zu folgen; denn, wollte er auch vor Anker gehen, so würden die Boote ihn umschlossen und gefangen genommen haben. Als daher beide Fahrzeuge auf der Höhe der östlichen Spitze der Insel erschienen, lief die Coquette voraus, ein Umstand, welchen der erfahrene Freihändler keinesweges bedauerte, vielmehr wußte er sich denselben dadurch zu Nutze zu machen, daß er durch Nachahmung der Bewegungen seines Gegners sich eine günstige Einfahrt in die unzuverlässigen Stromzüge sicherte. Ihm war das Höllenthor nur durch seinen furchtbaren Ruf unter den Schifffahrern bekannt, und ohne den lehrreichen Vorgang des vorangeeilten Kreuzers hätte er sich daher blos auf seine allgemeine Kenntniß von der Gewalt des Elements verlassen müssen.

Nachdem die Coquette den andern Gang genommen hatte, begnügte sich der ruhig beobachtende Abenteurer damit, seine Vordersegel flach gegen den Mast zu schlagen. Von jetzt an schwamm die Brigg im Strome hin und her, ohne in ihrem Laufe einen Schritt vor- noch rückwärts zu thun, und hielt sich so in sicherer Entfernung von dem Schiffe, welches ihr auf diese Weise gewissermaßen als Lootse oder als Warnungszeichen dienen mußte. Mit der pünktlichsten Sorgfalt wurde auf die Segel Acht gegeben, und haarscharf hielt man auf die gleichmäßige Schwebung des zarten Baues, daß die Mannschaft es jeden Augenblick in ihrer Gewalt hatte, durch eine Wendung nach dem Stromlauf das Schwajen zu vermindern. Man folgte hierauf der Coquette, bis sie vor Anker lag, und der Ruf am Bord derselben, mit den Enterhaken auszuholen, geschah, weil die Brigantine dem Anschein nach gerade auf die breite Seite ihres Gegners loszusteuern schien.

Als der letzten Ordre Ludlow's nachgekommen wurde, stand der Freihändler auf dem niedern Hüttendeck seines kleinen Fahrzeugs, keine fünfzig Schritte vom Capitän entfernt. Seinen festen Mund umspielte ein Lächeln der Gleichgültigkeit, als er schweigend seiner Mannschaft ein Zeichen mit der Hand gab. Sie gehorchten, indem sie die Raaen herumbraßten und sämmtliche Segel sich füllen ließen. Mit Pfeilschnelle schoß die Brigantine vorwärts, und die nutzlosen Enterhaken der Feinde schlugen plätschernd auf die Wasserfläche.

»Vielen Dank für den Lootsendienst, Capitän Ludlow!« rief der kühne und im Erfolg glückliche Seemann vom Shawl, während sein Schiff, gleich stark von Wind und Strom gezogen, sich schnell vom Kreuzer entfernte. »Sie werden mich auf der Höhe von Montauk finden, da Geschäfte uns noch an der Küste halten. Unsre Herrin hat indessen ihren blauen Mantel angethan, und es werden nicht viele Sonnen untergehen, so sehen wir uns nach tieferen Gewässern um. Laß das Schiff Ihrer Majestät Dir bestens empfohlen seyn, denn sie besitzt wirklich keins, das schöner wäre oder schneller segelte!«

Das Innere Ludlow's ward von den mannigfaltigsten Gedanken bestürmt. Da die Brigantine unter seiner Batterie lag, so war der erste Impuls, die Kanonen zu gebrauchen; allein im nächsten Augenblick überzeugte er sich, daß, ehe die Geschütze klar gebracht werden könnten, die Entfernung sie unnütz machen würde. Schon war er im Begriff, den Mund zu öffnen mit der Ordre das Kabel zu kappen, da fiel ihm die Schnelligkeit der Brigg ein, und er schwieg. Ein plötzliches Aufspringen der Kühlte bestimmte ihn endlich: da er fand, daß das Schiff seinen Standpunkt zu behaupten im Stande war, so befahl er den Leuten, das Ganze der ungeheuern Ankertaue durch die Klüsgaten hinauszulassen, und der Fesseln los, ließ er die Anker im Boden, bis sich eine Gelegenheit darbieten würde, sie wieder herauszuholen.

Die Loslassung des Kabels durch die Klüsen hatte mehrere Minuten gekostet; als daher die Coquette wieder, mit allen Segeln beigesetzt, die Verfolgung von Neuem begann, steuerte die Wassernixe bereits außerhalb Schußweite. Indessen hielten beide Schiffe hin auf ihrem Lauf, so nahe als möglich in der Mitte des Stromes, ihre Sicherheit dem guten Glück vertrauend, da an beider Bord Keiner war, der den Canal genauer kannte.

Beim Vorüberfahren vor den zwei kleinen Inseln, die nicht weit von dem Höllenthore liegen, ward man ein Boot gewahr, welches sich auf den königlichen Kreuzer zu bewegte. Es stand ein Mann darin, der auf das noch immer von der Stenge wehende Signal hinzeigte und seine Dienste anbot.

»Sag' mir,« fragte Ludlow angelegentlich, »hat die Brigantine, die Du dort siehst, einen Lootsen aufgenommen?«

»Nach ihren Bewegungen sollte ich es nicht glauben. Sie kam dicht bei der versunkenen Klippe vor der Mündung der Flushing-Bai vorüber, und brauchte das Loth dabei, denn ich habe selbst den Lothmannsgesang So wie fast alle Commandos der untergeordneteren Offiziere und die verschiedenen Rufe der Matrosen selbst, so pflegt besonders der Mann, welcher das Loth wirft, die Tiefe des Bodens in einer Art von Singsang anzugeben. D. U. gehört. Ich bot dem Schiffführer meine Dienste an, aber der Kerl segelt nicht, er fliegt, und was Signale anbetrifft, so scheint er auf keine anderen als seine eigenen zu achten.«

»Bring' uns hinan zu ihm, und fünfzig Guineen sind Deine Belohnung!«

Der gemächliche Lootse, welcher eigentlich eben erst aus einem erquickenden Schlaf erwacht war, riß die Augen weit auf; das vorgehaltene Versprechen schien seine Lebensgeister zu erneuern. Nachdem er eine Menge Fragen gethan und Bescheid darauf erhalten hatte, fing er an, bedächtiglich alle Zufälle und Möglichkeiten, die noch vorhanden wären, ein Schiff mit einer der Oertlichkeit unkundigen Mannschaft aufzubringen, an den Fingern abzuzählen.

»Angenommen,« sagte er, »daß er sich in der Mitte des Canals hält, und dadurch mit heiler Haut beim Weißen Stein und Frösche White Stone and Frogs, der vulgäre Name des sogleich näher zu bezeichnenden Punktes Throgmorton. vorbeikommt, so muß er doch ein wahrer Hexenmeister seyn, wenn er weiß, daß die ›Treppenstufe‹ ihm gerade in dem Wege liegt, und daß ein Schiff nordwärts absteuern muß, wenn es nicht auf Klippen kommen will, die es gewiß so fest halten, als wenn es darauf angemauert wäre. Sodann hat er es noch mit den ›Scharfrichtern‹ zu thun, die so nett gelegen sind, als nur immer nöthig ist, um unser Gewerbe im Gange zu halten. Den ›Mittelgrund‹ weiter östlich will ich gar nicht erst in Anschlag bringen, und rechne auch wenig darauf, da ich ihn oft selbst vergebens aufzufinden suchte. Muth, edler Capitän! wenn der Kerl derjenige ist, den Sie genannt haben, so werden wir ihn näher besehen können, ehe die Sonne untergeht, denn gewiß, wer ohne Lootsen wohlbehalten durch's ›Thor‹ gekommen ist, der hat so viel Glück gehabt, als einem Menschen an Einem Tage billig zu Theil werden kann.«

Das Gutachten des guten Lootsen bewährte sich nicht. Trotz aller ringsum im Verborgenen lauernden Gefahren, setzte die Wassernixe ihren Lauf fort, und zwar immer schneller, so wie der Wind mit der Sonne mächtiger blies, und so frei von allem Schaden, daß die, welche das Geheimniß ihrer furchtbaren Lage kannten, von Erstaunen erfüllt wurden. Und in der That setzte sich den Anhängern der meergrünen Dame, auf der Höhe von Throgmorton angekommen, eine Gefahr entgegen, der sie bei all' ihrer Geschicklichkeit unterlegen hätten, wenn der Zufall ihnen nicht zu Hülfe gekommen wäre. An diesem Punkte nämlich erweitert sich der verengte Seearm in das Bassin des Sundes. Unmittelbar davor lockt den Seefahrer eine breite Durchfahrt, während, den schmeichelnden Aussichten des Lebens gleich, zahllose Hindernisse versteckt im Hinterhalte liegen, die dem Unachtsamen und Unwissenden ein frühes Ziel bereiten.

Dem Meerdurchstreicher war die Mannigfaltigkeit der Labyrinthe und Gefahren, welche Untiefen und Klippen dem Seemanne entgegensetzen, durch lange und wohlbenutzte Erfahrung bekannt. Er hatte den größten Theil seines Lebens damit zugebracht, sich durch jene hindurchzuwinden, diesen auszuweichen. So scharf und durchdringend war sein Auge in der Auffindung gefahrverkündender Merkmale geworden, daß kein noch so schwaches Kräuseln der Oberfläche, keine noch so leise Nüancirung der Meeresfärbung seiner Beobachtung entging. Auf der Vorbramsegelraa seiner Brigantine sitzend, hatte er, gleich nachdem sie das Thor glücklich hinter sich hatten, den Paß recognoscirt und seinen Leuten unten das nöthige Commando ertheilt, mit einer Technik und Entschiedenheit, wie der regelmäßig zur Seefahrerkunde gebildete Führer der Coquette sie nicht übertraf. Als nun aber sein Blick, bald nachdem das Fahrzeug die Spitze von Throgmorton doublirt hatte, die weite Ausdehnung des vor ihm liegenden Sundes umfaßte, so hielt er dafür, von nun an sey eine so besondere Sorgfalt wie bisher überflüssig. Ein schwerfällig gebautes, langsam segelndes Küstengefäß nahm, keine volle Seestunde vor der Brigg einher, die Richtung nach Osten, und noch weiter in der Ferne erschien eine der leichten Schlupen jener Gewässer, die sich westwärts näherte. Ungeachtet der Wind beiden gleich günstig war, so hatten sie dennoch die gerade Linie verlassen und steuerten nach einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zu, welcher sich bei einer über eine Meile nördlich vom unmittelbaren Cours liegenden Insel befand. Eine so klare Andeutung, daß der Lauf hier eine veränderte Richtung nehme, konnte ein Seemann wie unser Abenteurer natürlich nicht übersehen. Die Wassernixe ward jetzt vom Winde abgehalten und ihr leichteres Segelwerk niedriger gesetzt, um den königlichen Kreuzer, dessen obere Leinwand deutlich über das Land hervorragte, näher kommen zu lassen. Sie kam, und bald gewahrte man, wie auch sie einen abweichenden Pfad einschlug, so daß kein Zweifel mehr übrig blieb, welcher Lauf gewählt werden müsse. Rasch wurde nun die Brigg mit allen ihren Tüchern, selbst bis auf die Leesegel, beladen. Sie war noch weit ab von der Insel, so liefen beide Küstenfahrer an einander vorbei und wechselten dann wieder ihren Cours, auf die Weise, daß Jeder denjenigen wählte, welchen vor ihrer Vereinigung der Andere genommen hatte. Diese Manövers lieferten den Verfolgten einen so deutlichen Beweis, als ihn ein Seemann nur wünschen kann, daß sie sich in ihren Berechnungen nicht geirrt hätten. Als sie daher die Insel erreichten, luvten sie in das Kielwasser des Schooners ein, und fast an der Grenze der Durchfahrt sprachen sie den Küstenfahrer, der ihnen versicherte, daß von nun an ein sicherer Weg vor ihnen läge.

Solcher Art war die berühmte Fahrt des Meerdurchstreichers durch die vielfältigen und verborgenen Gefahren des östlichen Canals. Für diejenigen, welche die Geduld hatten, ihm Schritt für Schritt durch alle Labyrinthe und Schrecken desselben zu folgen, mag das Ereigniß das Außerordentliche verloren haben: allein, verbunden mit dem Ruf, in welchem jener kühne Seefahrer bereits vorher gestanden hatte, und sich in einem Zeitalter zutragend, wo die Menschen geneigter waren, an das Wunderbare zu glauben, als in dem unsrigen, mußte es nothwendig dazu beitragen, seinen Ruf zu erhöhen, und auch einer ohnehin schon um sich greifenden Meinung Bestätigung geben, daß die Contrebande-Händler unter dem besonderen Schutze einer Macht ständen, welche weit mehr zu sagen habe, als die Königin Anna sammt allen ihren Dienern.


 << zurück weiter >>