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Achtzehntes Kapitel.

Fass't Posten, meine Herren, und wacht.
Heinrich IV.

Am folgenden Tage hatte das Wetter ein dauerndes Aussehen. Der Wind, obgleich ein schlaffer, stand fest in Osten. Die dicke Luft bot jene nebelige Erscheinung dar, welche in diesem Klima zwar dem Herbst eigenthümlich ist, doch bisweilen auch mitten im Sommer zu sehen ist, wenn von dem Ocean her ein trockner Wind weht. Regelmäßig und eintönig war das Wälzen der Brandung an der Küste, und der Luftstrom so stetig, daß nicht der mindeste Wechsel zu besorgen stand. Die ersten Nachmittagsstunden sind der Zeitpunkt, in welchen der Fortgang unsrer Erzählung fällt.

Die Coquette lag nunmehr abermals vor ihren Ankern, genau innerhalb des Schutzes des Vorgebirgs. Die Bai hinauf sah man zwar einige kleine Segel vorüberziehen, im Ganzen zeigte die Scene jedoch an jenem längst verflossenen Tage wenig von dem regen Leben, womit sie unserer Zeit das Auge ergötzt. Die Fenster von ›Lust in Ruh‹ waren wieder geöffnet, und das Hin- und Herlaufen der Sclaven in der Villa und deren Umgebung deutete auf die Wiederankunft des Besitzer.

So verhielt es sich denn auch. Zur genannten Stunde sah man den Alderman, von Oloff Van Staats und dem Commandeur des Kreuzers begleitet, über den vor der Cour des Fées liegenden grünen Platz kommen. Der letztere schaute sehr oft nach dem Pavillon hin, und bewies dadurch, daß er sich noch immer nicht entwöhnen konnte, an die Abwesende mehr zu denken; das Innere der beiden Anderen schien sich besser in die Nothwendigkeit zu fügen, kein Zeichen der Besorgniß war an ihnen zu bemerken. Wer den Charakter des Patroon kannte, und von dem Vorgefallenen unterrichtet war, dem mußte diese Gleichgültigkeit des jungen Bewerbers, zumal da sie mit einer gewissen geheimnißvollen Theilnahme, welche auf seinem sonst so stillzufriedenen Gesicht glänzte, im seltsamen Contrast stand, auf den Verdacht bringen, daß er weniger als früher an den Nachlaß des alten Etienne, und mehr an das heimliche Vergnügen denke, welches die lebhaften Auftritte, denen er beigewohnt hatte, ihm gemacht.

»Potz Anstand und Discretion!« rief der Bürger in Erwiederung auf die Bemerkung eines der jungen Männer. »Ich wiederhole es zum zwanzigstenmal, Alida Barbérie kommt wieder zurück zu uns, so schön, so unschuldig, und, was mehr ist, so reich als jemals! auch vielleicht eben so muthwillig. Die Bagage! ihren alten Onkel und zwei ehrenwerthe Bewerber auf eine so gedankenlose Weise zu quälen! Die Umstände, meine Herren,« fuhr der schlaue Kaufmann fort, als er bemerkte, daß der Werth der Hand, über welche er zu verfügen hatte, im Preise etwas gesunken war, »haben Sie in meiner Achtung gleichgestellt. Sollte meine Nichte am Ende dem Capitän Ludlow als Gefährten in ihren weltlichen Angelegenheiten den Vorzug geben, ei nun, deßhalb würde das gute Vernehmen zwischen dem Sohne des alten Stephanus Van Staats und Myndert Van Beverout nicht schwächer werden. Unsere Großmütter waren Basen, und wenn ein und dasselbe Blut in den Adern fließt, so geziemt es sich, daß man hübsch Freundschaft halte.«

»Ich könnte nicht wünschen, auf meiner Bewerbung zu bestehen,« erwiederte der Patroon, »nachdem die Dame einen so deutlichen Wink gegeben hat, daß dieselbe ihr unangenehm« –

»Hat sich was zu winken! Nennen Sie diese augenblickliche Grille, dieses Spielen mit Wind und Fluth, wie der Capitän hier sich ausdrücken würde, einen Wink? Das Mädchen hat normännisches Blut in den Adern, und wünscht, mehr Lebhaftigkeit in die Bewerbung zu bringen. Wenn ein Handel gleich aufgegeben würde, weil der Käufer ein wenig feilscht, und der Verkäufer eine Zeit lang thut, als wollte er einen bessern Bieter abwarten, so sollte Ihre Majestät nur lieber ihre Zollhäuser ohne Weiteres schließen lassen, und sich nach anderweitigen Revenüe-Quellen umsehen. Laß Alida ihr Müthchen erst kühlen, und ich setze den jährlichen Gewinn von meinem Pelzhandel gegen Deinen Zinsertrag, wenn wir sie nicht reuevoll wegen ihrer Thorheit und willig, Vernunft anzunehmen, wiedersehen. Meine Schwestertochter ist keine Hexe, daß sie auf einem Besenstiel die Reise um die Welt machen sollte.«

»Unsre Familie hat eine Tradition,« sagte Oloff Van Staats mit schwärmerischer Extase und einem affectirten Lachen, als schenkte er selbst der närrischen Sage keinen Glauben, »daß die große Wahrsagerin von Poughkeepsie in der Gegenwart meiner Großmutter prophezeiht habe, ein Patroon von Kinderhook werde einstens eine Hexe heirathen. Mithin würde ich mich nicht sonderlich entsetzen, wenn mir die schöne Barbérie in der von Ihnen genannten Stellung zu Gesicht käme.«

»Die Vorhersagung muß schon durch deines Vaters Hochzeit erfüllt worden seyn!« brummte Myndert, der aber trotz dem, daß er sich stellte, als käme die Sache ihm lächerlich vor, dennoch nicht ganz frei war vom geheimen Glauben an die Wahrsager in der Provinz, von denen einige selbst bis zu Ende des letzten Jahrhunderts herab noch in hohem Rufe standen. »Sonst würde sein Sohn kein so gescheuter Junge geworden seyn! Doch was machen Sie denn da, Herr Capitän? Sie schauen ja nach dem Meere, als wenn Sie erwarteten, meine Nichte in Gestalt einer Seejungfer aus dem Wasser heraufkommen zu sehen.«

Der Commandeur der Coquette wies auf den Gegenstand hin, welcher seinen Blick auf sich gezogen hatte, und der, da er gerade jetzt erschien, allerdings nicht geeignet war, den Glauben seiner beiden Gefährten an übernatürliche Einwirkungen zu schwächen.

Es ist bereits erwähnt worden, daß der Wind trocken war und die Luft nebelig, oder vielmehr so angefüllt mit einem feinen Dunst, daß sie wie ein halberleuchteter Rauch aussah. Wenn das Wetter so beschaffen ist, läßt sich, zumal von einer Anhöhe, der sogenannte scheinbare Horizont Der scheinbare Horizont oder, wie die Matrosen ihn nennen, die Kimm, ist dem wahren, den Mittelpunkt der Erde durchschneidenden, entgegengesetzt. zur See nicht unterscheiden. Beide Elemente stießen so in einander, daß unsere Sinne nicht scharf genug sind, die Grenzlinie zu erkennen, wo das Wasser aufhört und das Himmelsgewölbe anhebt. In Folge dieser Unklarheit gewinnt ein jenseits der Wassergrenzlinie gesehener Gegenstand das Aussehen, als schwebe er in der Luft. Es ist selten, daß eines Nicht-Seemannes Gesichtsorgane über die scheinbare Wasserlinie hinauszusehen vermögen, wenn die Atmosphäre so eigenthümlich beschaffen ist; das geübte Matrosenauge entdeckt jedoch oft Fahrzeuge, die Anderen verborgen bleiben, weil sie sich nicht am rechten Punkte zu suchen verstehen. Es kann auch seyn, daß ein geringer Grad von Strahlenbrechung die Täuschung verstärkt.

»Hier!« sagte Ludlow, indem er eine Linie zeigte, welche zwei oder drei Stunden die hohe See hinein, mit dem Wasser in einen Punkt zusammengefallen wäre. »Schaut über den Schornstein des niedrigen Gebäudes dort auf der Ebene weg, in gerader Linie nach jener abgestorbenen Eiche am Strand, und dann hebt das Auge langsam, bis es auf ein Segel stößt.«

»Das Fahrzeug beschifft den Himmel!« rief Myndert aus. »Deine Großmama war eine vernünftige Frau, Patroon, und eine Base meiner gottseligen Ahnfrau: es läßt sich gar nicht sagen, was zwei gewitzigte alte Damen damals zusammen gehört und gesehen haben mögen, wenn in unsern eigenen Tagen noch Gesichte, wie das vor uns da oben erscheinen.«

»Ich glaube nicht mehr Neigung als Andere zu haben, unglaubliche Dinge für wahr zu halten,« erwiederte Oloff Van Staats mit unerschütterlichem Ernst, »und dennoch, wenn mein Zeugniß verlangt würde, daß jenes Fahrzeug nicht in der Luft schwimme, so würde ich Anstand nehmen, es abzugeben.«

»Sie könnten es mit vollkommener Sicherheit thun;« sagte Ludlow. »Es ist nichts mehr und nichts weniger als eine halb aufgetakelte Brigantine mit steifen Buleinen, obgleich ohne viele ausgebreitete Segel.«

Myndert verursachte diese Entdeckung sichtlichen Verdruß. Er sprach viel von der Tugend der Geduld und den Freuden des trockenen Landes; als er indessen fand, daß der Vorsatz des königlichen Offiziers unerschütterlich war, gab er nothgedrungen die Absicht zu erkennen, eben den gemachten Versuch persönlich zu erneuern. Demgemäß dauerte es keine halbe Stunde, so befand sich die ganze Gesellschaft an dem Ufer des Shrewsbury und im Begriff, sich in der Barke der Coquette wieder einzuschiffen.

»Leb' wohl, Monsieur François,« sagte der Alderman, indem er dem alten Bedienten, welcher mit trostlosem Auge am Wasser stand, ein scheidendes Kopfnicken zuwarf. »Sorg', daß die Möbel in der Cour des Fées in gutem Stande bleiben; kann seyn, daß wir sie wieder brauchen.«

» Mais, Monsieur Bèvre, meine Pflicht und, ma foi, wenn die See mehr agréable wäre, auch mein Wunsch, ist, zu folgen Fräulein Alide. Niemals Jemand von dem Hause Barbérie das Meer geliebt hat, jamais; mais, Monsieur, was soll ich machen? ich werde sterben auf dem Wasser vor Schmerz, und ich werde sterben vor ennui, wenn ich bleibe hier, c'est bien sûr

»Wohlan, so komm mit, treuer François,« sagte Ludlow. »Du sollst deiner jungen Gebieterin folgen! versuch's nur, vielleicht findest du am Ende denn doch, daß wir Seeleute ein erträglicheres Leben führen, als du Anfangs glaubtest.«

Der alte Mann machte ein Gesicht, welches, wie den innerlich belustigten, obgleich äußerlich ernsthaft bleibenden Ruderern der Barke nicht entging, ein Pröbchen von seiner Gabe des Vorgeschmacks abgab; aber seine aufrichtige Anhänglichkeit siegte über den physischen Widerwillen, und so stieg er in das Boot. Ludlow hatte Mitgefühl mit seinem Kummer und suchte ihn durch eine stumme Beifallsbezeigung aufzumuntern. Ein menschliches Herz bedarf nicht überall der Zunge, um seine Regungen zu offenbaren; bald machte sich der dankbare Diener Gewissensvorwürfe, daß er seine Abneigung gegen die See zu stark geäußert habe, da der freundliche Capitän auf ihr sein Leben zubringe, auf sie seine Hoffnungen gründe.

»La mer, Monsieur le Capitaine,« erwiederte er mit einer dankenden Reverenz, »est un vaste théâtre de la gloire. Voilà Messieurs de Tourville et Duguay-Trouin, ce sont des hommes vraiment remarquables! aber, Monsieur, was die famille de Barbérie betrifft, wir immer haben gehabt un sentiment plus favorable pour la terrei

»Ich wünschte, Dein wunderliches Fräulein hätte diese Vorliebe mit der Familie getheilt,« bemerkte Myndert etwas kurz. »denn ich muß Dir nur sagen, Meister Francis, dieses Umherschiffen in einem verdächtigen Fahrzeug macht ihrem Verstande eben so wenig Ehre als«.....»Nicht verzagt, Patroon! das Mädchen will blos Deinen Muth auf die Probe stellen, und die Seeluft wird weder ihre Schönheit noch ihr Vermögen verringern. Und was Sie betrifft, Herr Kapitän, so muß ein Bischen Neigung zum Salzwasser das Mädchen in Ihrer Meinung heben.«

»Wenn die Neigung nichts weiter als das Element zum Gegenstand hätte, Sir,« war die kaustische Antwort: »aber, getäuscht oder nicht, mag Alida gefehlt haben oder blos hintergangen seyn. So dürfen wir sie nicht als das Opfer der Künste eines Niederträchtigen verlassen. Ich habe Ihre Nichte geliebt, Herr Van Beverout, und – Drauf zu gerojet, Ihr Leute; schlaft Ihr auf eurem Riemen, Kerle?«

Dieses plötzliche Abbrechen seiner Rede und der barsche Ton, mit welchem der Kapitän seine Mannschaft anfuhr, machte dem Gespräch ein Ende. Sichtlich wünschte er nicht mehr zu sagen, und bedauerte sogar die Schwachheit, so viel gesagt zu haben. Der übrige Weg zwischen dem Schiffe und der Küste wurde schweigend zurückgelegt.

»Als der Königin Anna Kreuzer das Vorgebirge Sandy Hook doublirte, nach Mittag am 6. Juni (Seezeit) im Jahre 17.., stand der Wind –» so wird in einem alten Journal, welches einer der Seekadetten hielt, und das noch existirt – »leicht stetig Süd-West ½ West.« Ferner erhellt aus derselben Urkunde, daß das Schiff präcis 7 Uhr p. m. absegelte, die Spitze von Sandy Hook West zum Süden und drei Stunden entfernt liegend. Unter der Rubrik: ›Bemerkungen‹ heißt es in dem Document, das obige Angaben enthält: ›das Schiff unter Steuerbord-Cours-Segel, von vorn nach hinten, sechs Zeichen ablaufend. – Am östlichen Bord eine verdächtige, halb aufgetakelte Brigantine einen Beilieger machend, liegt unter ihrem großen Segel, das Vormarssegel am Mast; Segeltücher leicht und hoch und der Klüver lose, Focksegel aufgegeiet. Ihre Steuerbord-Cours-Segelbäume scheinen mit Tauen versehen, die Kardeelen aufgewunden, lauffertig. Dieses Fahrzeug soll der berühmte Zwitter, die Wassernixe, seyn, befehligt von dem berüchtigten Meerdurchstreicher, demselben Spitzbuben, der uns gestern auf eine so kuriose Art entwischt ist. Unser Herrgott schicke uns nur eine Mütze voll Wind, so wollen wir seine schnelle Ferse, ehe es morgen wird, auf die Probe stellen. – Passagiere: Van Beverout, Alderman vom zweiten Stadtviertel von Neuyork in der königlichen Provinz gleichen Namens; Oloff Van Staats Esq., gewöhnlich der Patroon von Kinderhook genannt und aus derselben Colonie; endlich ein alter Kerl, der stets aussieht, als wenn er sich übergeben wollte, mit einer Art von Seesoldatenjacke bekleidet, und auf den Ruf Francis antwortend. Zusammengenommen knurrige Kumpane, obgleich sie dem Capitän ganz gut zu gefallen scheinen. – Notabene: jede nippende Welle wirkt wie ein Brechmittel auf den Burschen in der Marine-Kleidung.‹

Der im vorhergehenden Auszuge enthaltene graphische Bericht über die damalige Stellung der beiden Schiffe, übertrifft jede Schilderung, die wir davon zu geben vermöchten, und wir nehmen daher den Faden der Erzählung in dem Augenblicke wieder auf, wo jener Bericht sie stehen läßt, welcher unterm 33sten Breitengrad und im Monat Juni, wie der Leser leicht einsehen wird, nicht lange nach Sonnenuntergang fällt.

Wenn der junge Priester Neptuns, dessen Meinungen wir so eben angeführt haben, Entfernung und Lage des Vorgebirges angibt, so hat er sich dabei blos auf seine Kenntniß der Oertlichkeit verlassen müssen, denn vom Verdeck war die niedrige Sandspitze nicht mehr sichtbar. Vom Schiffe aus gesehen, war die Sonne genau bei der Mündung des Rariton untergegangen, und die Gipfel der Navesink-Berge Navesink, eine Abkürzung des ursprünglichen Namens Never-sink, niemals untergehend, weil man die Gipfel dieser Anhöhen auf der See sehr lange im Auge behält. warfen ihre Schatten weit in die See hinein. Kurz, die Nacht kam allmählich heran mit allen Merkmalen beständigen und schönen Wetters, aber zugleich einer Dunkelheit, wie sie auf dem Ocean nicht gewöhnlich ist. Bei so bewandten Umständen mußte die hauptsächlichste Sorge die seyn, daß man während der Stunden, wo die Finsterniß das gejagte Schiff dem Auge entzog, wenigstens dessen Pfad nicht verliere.

Ludlow schritt in dem schmalen Gang auf der Leeseite auf und ab, blieb dann stehen, stützte den Ellenbogen auf die leeren Finkenetten und schaute lange und schweigend auf das Fahrzeug hin, das er verfolgte. Die Wassernixe lag gerade in demjenigen Theil des Horizonts, welcher einer Recognoscirung am günstigsten war. Die noch anhaltende Dämmerung hatte hier alles Blendlicht verloren, so daß Ludlow jetzt zum ersten Male seit diesem Morgen das Schiff in seinen wahren Verhältnissen sehen konnte. In die Gefühle des Jünglings mischte sich jetzt die Bewunderung des Seemanns. Die Brigantine lag so, daß ihr künstlerisch schön gebauter Körper und der herausfordernde Wurf ihres Tauwerks sich am vortheilhaftesten zeigten. Ihr Gallion hatte sich dem Winde und folglich auch den Verfolgenden zugekehrt, und da gerade eine etwas mächtigere Woge den Rumpf emporhob, so sah Ludlow, wenn anders seine Einbildungskraft ihn nicht betrog, das geheimnißvolle Bild in schwebender Stellung auf dem Schaft, dem Beschauer das Buch entgegenhaltend und mit dem Finger über die Wasseröde hinwegzeigend. Ein Schwanken des Netzes, worauf der junge Matrose sich lehnte, störte ihn aus seiner Vertiefung auf, er bog den Kopf seitwärts und erblickte den Segelmeister, der sich ihm so nahe als die Disciplin gestattete, zur Seite gestellt hatte. Ludlow wußte die Sachkenntnisse, die sein Untergebener unstreitig besaß, gehörig zu würdigen; auch ließ ihn die Betrachtung nicht gleichgültig, daß das launische Glück wenig gethan hatte, die Entbehrungen und die Dienste eines Seemanns zu belohnen, der alt genug war, um sein Vater seyn zu können.

»Es sieht aus, als wenn wir eine finstere Nacht bekommen sollten, Herr Spannsegel,« sagte der junge Capitän, indem er jedoch vornehm seine bisherige Stellung und den auf die Brigantine gerichteten Blick beibehielt. »Wir werden wohl noch die Buleinen straff anziehen müssen, ehe wir den Unverschämten dort einholen.«

Lächelnd, wie Jemand, der mehr weiß als er sagen will, schüttelte der Alte das Haupt, indem er antwortete:

»Wir können unsere Buleinen noch gar manchmal anziehen, ja auch unsere Raaen in's Viereck zu brassen haben, ehe die Coquette Am Gallion der königlichen Kriegsschaluppe war ebenfalls eine Frauengestalt als Schiffsfigur angebracht. der Weibsperson mit den dunkeln Wangen unter dem Bugspriet der Brigantine die Wahrheit wird in's Ohr raunen können. Sie und ich waren nahe genug, um das Weiße in ihrem Auge zu sehen, und die Zähne zu zählen, die sie zeigt, wenn sie so hämisch lächelt, und was hat es uns genützt? Ich bin nur ein Subaltern, Herr Capitän, und kenne meine Pflicht zu gut, um bei einem Sturm nicht zu schweigen, aber auch hoffentlich zu gut um nicht dann zu sprechen, wenn im Kriegsrath mein Vorgesetzter die Meinung seiner Offiziere zu hören wünscht; und meine ist daher eben jetzt vielleicht verschieden von der einiger Anderen im Schiffe, die ich nicht nennen mag, recht wackere Leute, obgleich sie nicht zu den ältesten gehören.«

»Und was ist denn Ihre Meinung, Spannsegel? Das Schiff, dächte ich, thut das Seinige und führt seine Segeltücher tapfer genug.« »Das Schiff führt sich auf wie ein wohlerzogenes junges Frauenzimmer in der Gegenwart der Königin, bescheiden, aber anstandsvoll; doch was hilft Segeltuch bei einer Jagd, wo die Zauberei Stürme erzeugt und dem einen Schiffe Segel wegnimmt, während sie dem anderen fliegende Drachen vorspannt! Sollte Ihre Majestät, die Gott segnen wolle, sich jemals zu dem so dummen Streich bereden lassen, dem alten Tom Spannsegel ein Schiff anzuvertrauen, und besagtes Schiff läge just in diesem Wasserpfad, auf dem die Coquette so munter vorwärts eilt, ei nun, so wüßt' ich wohl, was der Commandeur desselben schuldigermaßen thun würde –«

»Und das wäre?«

»Herum, alle Leesegel herunter und das Fahrzeug bei dem Winde drehen.«

»Das würde Sie ja südwärts führen, während das Schiff hier am östlichen Bord liegt!«

»Wer steht uns dafür, wie lange es dort liegen bleibt! Zu Neuyork erzählte man uns, daß ein Franzose, an Tonnenmaaß und Kanonenzahl mit uns gleich, weiter unten an der Küste unter den Fischerbooten herumschnuppere. Nun weiß aber niemand besser als ich, Sir, daß der Krieg halb vorüber ist, denn nicht ein halber Pfennig Prisengelder hat in diesen drei letzten Jahren meine Tasche erwärmt; – – aber, wie gesagt, wenn ein Franzose nun durchaus einmal aus seiner Tiefe heraus will, und Luft kriegt, sein Schiff in trübes Wasser hineinzusteuern, je nun, wer sonst als er kann dafür? Aus einem solchen Mißverständniß ließe sich was Ordentliches machen, Capitän Ludlow; dagegen jener Brigantine nachlaufen, heißt der Königin Leinwand ohne Nutzen verbrauchen. Meiner geringen Meinung nach wird der Boden der Coquette einen neuen Beschlag nöthig haben, ehe Sie sie fangen.«

»Das seh ich nicht ein, Spannsegel,« erwiederte der Capitän, indem er einen Blick in die Höhe warf; »alles zieht gehörig, und das Schiff ist nie mit weniger Anstrengung durch die Wellen gegangen. Wir können nicht eher wissen, wer von beiden die längsten Füße hat, als bis wir den Versuch gemacht haben.«

»Sie können die Schnelligkeit des Spitzbuben nach seiner Unverschämtheit beurtheilen. Dort liegt er und wartet auf uns, wie ein Linienschiff, das beidreht und den Feind herankommen läßt. Wiewohl ein Mann von weniger Erfahrung in meinem Fache, so habe ich doch nie eines Lords Sohn gesehen, der sich zuversichtlicher auf Avancement verlassen hätte, als die Brigantine da auf ihre Ferse. – Wenn der alte Franzose hier so mit Gesichterschneiden noch lange fortfährt, so kehrt er sein Inwendiges heraus, so daß wir ihn ordentlich zu sehen bekommen, denn diese Kerle führen nie ihre wahre Flagge, wie ein ehrlicher Engländer. – Jener Seewanderer also hat, wie ich eben bemerkte, mehr Vertrauen in seine Segel, Sir, als in die Kirche. Ich bin überzeugt, Herr Capitän, daß die Brigantine gestern den Augenblick, wo wir unsere Obersegel beschlugen, benutzt hat, um aus dem schmalen Kanal zu entkommen; denn ich gehöre nicht zu denen, welche so leicht einem Irrwischmährchen Glauben schenken, und überdies habe ich die Passage mit eigener Hand gelothet und weiß daher, daß die Sache angeht, wenn der Wind frisch über das Hackebord wegbläst; indessen, Sir, menschliche Natur bleibt menschliche Natur, und der älteste Seemann ist doch immer weiter nichts als ein Mensch; meine Schlußmeinung also ist die, daß ich jeden Tag die Jagd auf einen Franzosen, von dem ich doch weiß, was er im Schilde führt, dem Ruhme vorziehen würde, achtundvierzig Stunden lang hinter einem dieser Flieger her Koppel-Course zu machen, mit geringer Hoffnung ihm zum Anrufe nahe genug zu kommen.«

»Sie vergessen, Herr Spannsegel, daß ich mich am Bord des gejagten Schiffes befunden habe, und sein Bau und Charakter mir nicht unbekannt sind.«

»So heißt es hier im Schiffe, Sir,« erwiederte der alte Matrose, indem er, von mächtiger Neugierde getrieben, sich näher an den Capitän heranmachte, »obgleich Niemand zu behaupten wagt, etwas Weiteres davon zu wissen. Ich thue nicht gern impertinente Fragen, zumal unter der königlichen Flagge, denn mein ärgster Feind wird mir nicht nachsagen können, daß ich Weibersitten habe. Aber ich getraue mir schon zu vermuthen, daß ein Fahrzeug, dessen Bau sich so trefflich in seiner Wasserlinie ausnimmt, auch inwendig nett gearbeitet ist; hab' ich Recht?«

»Es ist vollkommen in seinem Bau und wunderbar in seiner Ausrüstung.«

»Das hat mir der Instinkt schon gesagt. Der Commandeur desselben braucht sich jedoch deßhalb nicht darauf zu verlassen, daß es nicht dennoch einmal stranden könne. Das schönste Mädchen in unserem Kirchspiel hat, wie man sagen kann, auf den Untiefen ihres eigenen hübschen Gesichts Schiffbruch gelitten, als sie einst eine überflüssige Fahrt mit dem Sohn des Gutsbesitzers machte. Es war eine schmucke Dirne, obgleich sie alle ihre alten Bekannten dwars ab unterm Wind liegen ließ, als das junge Herrchen ihrem Kiel folgte. Gut, sie hielt sich wacker genug, Sir, so lange sie ihre Flieger tragen und mit passabelm Wind fahren konnte; als aber die Bö, von der ich sprach, sie einholte, was blieb ihr da übrig, als Kehraus davon zu machen? Andere, die ihr Thun und Lassen besser geheim zu halten wissen, beeilen sich in der Regel unter solchen Umständen, unter dem Sturm-Klüver der Religion und dergleichen mehr, was sie aus dem Katechismus aufgeschnappt haben, beizudrehen, aber das triftig gewordene Fahrzeug der Armen mußte auf die Leeseite aller ehrlichen Leute treiben. Ein nettgebautes, dralles Schiffchen war das Mädchen, und ich will keinesweges schwören, daß Mistreß Spannsegel sich heute die Frau eines königlichen Seeoffiziers nennen würde, wenn Jene besser verstanden hätte, wie man in Gesellschaft Vornehmerer sein Segel zu führen hat.«

Der gute Alte holte einen tiefen Athem; möglich, daß es ein nautischer Seufzer seyn sollte, aber man hätte eher geglaubt, das Heulen des Nordwindes als den sanften Zephyr zu hören. Hierauf nahm er seine Zuflucht zu einer kleinen eisernen Schnupftabaksdose, aus welcher er sich gewöhnlich seinen Trost zu holen pflegte.

»Ich habe von dieser Geschichte schon früher gehört,« erwiederte Ludlow, der in dem nämlichen Fahrzeug ehedem als Seekadett, und mithin als Untergeordneter seines jetzigen Subalterns gedient hatte. »Doch allen Berichten zufolge, haben Sie wenig Ursache, den Tausch zu bereuen, da ihre gegenwärtige Ehehälfte im besten Rufe steht.«

»Ohne Zweifel, Sir, ohne Zweifel. Keiner im Schiffe wird sich unterstehen können, mir vorzuwerfen, daß ich einem Menschen hinter'm Rücken Böses nachsage, selbst nicht meiner Frau, über welche ich doch von Rechtswegen gerade heraussprechen kann. Ich beklage mich nicht, ich bin ein glücklicher Mann zur See, und hoffe zu Gott, Mistreß Spannsegel wird zu Hause ihren Pflichten nachzukommen wissen. – – Die Brigantine holt ihre Raaen an, und bringt ihren Fockhals auf's Deck, Sie bemerken es doch auch, Sir?«

Ludlow, der überhaupt selten den Blick von dem verfolgten Schiffe wegwandte, bejahete die Frage schweigend, und nachdem der Alte sich durch wiederholtes Nachsehen überzeugt hatte, daß jedes Segel auf der Coquette seine Dienste thue, fuhr er fort:

»Die Nacht wird immer finsterer, und wir werden alle unsre Augen vonnöthen haben, um den Schelm nicht aus dem Gesicht zu verlieren, wenn er seine Richtung ändert – aber, wie gesagt, wenn der Kommandeur jenes halb aufgetakelten Schiffes sich zu viel auf sein hübsches Aussehen einbildet, so strandet er es doch noch in seinem Stolze. Der Spitzbube hat einen verzweifelten Charakter als Smuggler, wiewohl ich meinestheils nicht sagen kann, daß ich eben so streng über dergleichen Leute denke, wie gewisse Andere. Dieses Handelsgeschäft kommt mir vor, wie eine Art von Jagd zwischen dem Witz des Einen und dem Witz des Andern; wer am dümmsten ist, muß sich's gefallen lassen, die Segel zu streichen. Nimmt die Schatzbehörde die Sache erst in ihre eigne Hände, je nun, so ist der glücklich, der entwischt, und wer sich fangen läßt, gute Prise. Ich erinnere mich noch, Herr Kapitän, daß ein Flaggenoffizier einst anders wohin sah, als seine eignen Waaren zollfrei vorübergeführt wurden, und was die Admiralsfrauen betrifft, so weiß Jedermann, daß die Contrebande sich ihrer hohen Gönnerschaft erfreut. Ich läugne nicht, Sir, daß ein Smuggler genommen, und nach der Wegnahme condemnirt werden und hierauf eine gehörige Vertheilung des Genommenen unter die Prisenmacher stattfinden soll; sondern ich will nur sagen, daß es schlimmere Leute in der Welt gibt, als einen britischen Smuggler, zum Beispiel: Franzmänner, Holländer und Dons.«

»Das sind heterodoxe Meinungen für einen königlichen Offizier,« sagte Ludlow, halb lachend, halb böse.

»Ich werde mich auch hüten, sie der Schiffsmannschaft vorzupredigen; vor seinem Kapitän jedoch kann man schon das auf eine philosophische Weise äußern, was für das Ohr eines Seekadetten gefährlich wäre. Ich bin zwar kein Jurist, weiß aber doch, was es heißt, einem Zeugen den Eid abnehmen, daß er die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen wolle. Ich wünschte die Königin, Gott segne sie, bekäme die letztere immer zu hören; gar manche ausgediente Schiffe würden dann zerhauen und bessere an ihre Stelle in See geschickt werden. Hingegen vom religiösen Gesichtspunkte aus frage ich: ist es nicht ganz gleich, ob eine Kiste mit Putzwaaren unter dem auf einer Messingplatte eingegrabenen Namen einer Herzogin, oder ob so viel Branntwein eingeschwärzt wird, als nur immer der Raum eines Kutters fassen kann?«

»Ein Mann von Ihren Jahren, Herr Spannsegel, sollte, dünkt mich, einsehen, daß es nicht einerlei ist, wenn das Staatseinkommen um eine Guinee, und wenn es um tausend Pfund beeinträchtigt wird.«

»Ich sehe hier keinen andern Unterschied, als den zwischen Detail-Geschäft und Handel im Großen, was freilich bei einer Handelsnation, zumal für die Vornehmen, keine Kleinigkeit ist. Inzwischen hat das Land gerechte Ansprüche auf seine Revenüen, daher gebe ich zu, daß ein Schwarzer ein schlechter Mensch sey, nur nicht ein so schlechter wie die, welche ich eben genannt habe, absonderlich die Holländer. Die Königin hat ganz Recht, daß sie diese Schufte zwingt, in den engen Gewässern, die Höchstihr gesetzmäßiges Eigenthum sind, die Flagge vor der unsrigen zu streichen: denn da England eine reiche Insel ist, Holland hingegen nur ein trocken gelegter Sumpf, so ist es nicht mehr als billig, daß wir zur See zu befehlen haben. Nein, nein, Sir, wenn ich auch nicht zu denen gehöre, die gleich über einen Menschen herfallen, weil er von einem Revenüe-Cutter verfolgt, den Kürzeren gezogen hat, so bilde ich mir doch ein, die angebornen Rechte eines Engländers zu kennen. Wir müssen hier, sey's mit Güte oder mit Gewalt, die Herren bleiben, Capitän Ludlow, Handel und Manufakturen beschützen, und hierin auf das besonders Acht haben, worauf es hauptsächlich ankommt.«

»Ei, Herr Spannsegel, Sie sind ja ein ausgemachter Staatsmann, dafür hätte ich Sie gar nicht gehalten.«

»Obgleich armer Leute Sohn, Herr Capitän, so bin ich doch ein freigeborner Brite, und meine Erziehung ist nicht ganz vernachlässigt worden. Ich hoffe, ich verstehe mich ein wenig auf die Constitution, so gut wie einige Vornehmere. Gerechtigkeit und Ehre sind einmal der Wahlspruch eines Engländers, deßhalb müssen wir männlich auf das sehen, worauf es hauptsächlich ankommt. Wir sind keine oberflächlichen Schwätzer, sondern ein raisonnirendes Volk; unserm kleinen Eiland fehlt es nicht an tiefen Denkern; alles zusammengenommen also, muß England seine Rechte mit hoher Hand bewachen, Sir. Da ist, zum Beispiel, der Holländer ein wahrer Wasserrabe, ein Vielfraß mit einem Schlund, der weit genug ist, alles Gold des großen Moguls zu verschlingen, wenn er's kriegen könnte, und doch ist er, die Wahrheit zu sprechen, ein Vagabund, der nicht einmal einen ordentlichen Wohnsitz auf der Erde hat. Soll nun England einer Nation von solchen gemeinen Kerlen seine Rechte aufopfern, Sir? Nein, Sir, das verbietet unsere ehrwürdige Constitution und selbst unsere Mutter-Kirche; ich bleibe also, hol' mich der Teufel, dabei, daß man sie entere, wenn sie uns irgend eins unserer natürlichen Rechte verweigern, oder die Absicht blicken lassen, uns zu behandeln, als wären wir solche schmutzige Sumpfthiere wie sie selbst.«

»Das heiß' ich raisonniren wie ein Landsmann von Newton, und mit einer Beredtsamkeit, die einem Cicero Ehre machen würde! Bei größerer Muße werde ich Ihre Ideen zu verdauen bemüht seyn, da sie eine viel zu solide Speise sind, als daß man sie in einer Minute klein kriegen könnte. Jetzt aber müssen wir auf das Schiff dort Acht geben, denn mittelst meines Fernrohrs sehe ich, daß es seine Leesegel beigesetzt hat und Reißaus zu nehmen anfängt.«

Diese Bemerkung machte dem Gespräch zwischen dem Capitän und seinem Subaltern ein Ende. Letzterer verließ die Seite des Schiffes mit jenem inneren Wohlbehagen, welches Jeder fühlt, wenn er glaubt, eine Reihe tiefer Gedanken geschickt vorgetragen zu haben.

Es war in der That hohe Zeit, die angestrengteste Aufmerksamkeit auf die Bewegungen der Brigantine zu richten, da aller Grund zur Besorgniß vorhanden war, daß sie in der Finsterniß ihren Cours verändern und so entwischen würde. Die Coquette ward jeden Augenblick von der Nacht dichter umhüllt, der Horizont verengte sich mehr und mehr, so daß die Ausgucker oben nur noch in ungewissen Zwischenräumen die Lage des verfolgten Schiffes auszufinden im Stande waren. Während dieses gegenseitigen Verhältnisses beider Fahrzeuge gesellte sich Ludlow wieder zu seinen Gästen auf der Schanze.

»Ein kluger Mann verläßt sich auf seinen Verstand, da wo die Gewalt nicht ausreicht;« sagte der Alderman. »Ich mache keine Ansprüche auf viel Seemannskunst, Capitän Ludlow, wiewohl ich einmal eine ganze Woche in London zugebracht, und die Reise über den Ocean nach Rotterdam siebenmal gemacht habe. Es kam wenig dabei heraus, wenn wir auf unseren Fahrten die Natur bezwingen wollten. Wenn die Nächte finster waren, wie die jetzige, so fügten sich die ehrlichen Schiffer und warteten gelegenere Zeit ab; auf diese Weise waren wir stets sicher, unsern Weg nicht zu verlieren, und endlich wohlbehalten in den gewünschten Hafen einzulaufen.«

»Sie haben bemerkt, daß die Brigantine, als sie zuletzt sichtbar wurde, eben ihre Segeltücher entfaltete; wer also am schnellsten vorwärts will, muß seine Flieger gebrauchen.«

»Man kann niemals wissen, was da oben im Himmel gebraut wird, wenn das Auge die Farbe der Wolken nicht mehr unterscheiden kann. Vom Charakter des Meerdurchstreichers ist mir nicht mehr bekannt, als was das allgemeine Gerücht davon erzählt, aber nach meinem geringen Urtheil als Nicht-Seemann, so thäten wir wohl daran, damit nicht ein oder das andere hafenwärts segelnde Fahrzeug mit uns zusammenstoße, an verschiedenen Theilen des Schiffes Laternen auszuhängen, und alle weitere Bewegung bis morgen früh einzustellen.«

»Die Mühe wird uns erspart, sehen Sie nur, der Unverschämte hat selbst ein Licht ausgesetzt, gleichsam als fordere er uns heraus, ihm zu folgen! Unglaubliche Frechheit, es zu wagen, so mit einem der besten Segler der englischen Flotte seinen Scherz zu treiben! Seht zu, meine Herren, daß alle Segel voll seyen, und zieht die Tücher straff an. Geben Sie den Topleuten einen Anruf, Sir, und überzeugen Sie sich, ob Alles fest ist.«

Unmittelbar nach diesem Befehl erschallte der des wachthabenden Offiziers, der sich erkundigte, ob, wie die Ordre lautete, jedes Segel so steif als möglich angespannt sey; hierauf wurden die Tau auf's straffste angeholt, und dann folgte auf diese allgemeine Regsamkeit eine eben so allgemeine Stille.

Die Brigantine hatte allerdings, gleichsam aus Spott über den Versuch des königlichen Kreuzers, ein Licht aufgesteckt. Zwar kränkte es innerlich die Offiziere der Coquette, zu sehen, wie wenig man sich am Bord des Freihändlers aus ihrer Schnelligkeit machte, allein dessenungeachtet fanden sie sich nun eines ermüdenden, peinlichen Dienstes überhoben. Ehe dieses Zeichen erschien, sahen sie sich genöthigt, ihre Sehkräfte bis auf's Aeußerste anzustrengen, um dann und wann bei einem zufälligen Schimmer den verfolgten Gegenstand zu erspähen; jetzt aber durften sie nur zuversichtlich dem glänzenden kleinen Punkt folgen, der sich sanft mit den Wogen hob und senkte.

»Ich glaube, wir rücken ihm näher,« sprach halb flüsternd der erwartungsvolle Capitän; »denn, seht nur, an den Seiten der Laterne wird eine Zeichnung erkennbar. Halt! richtig, so wahr ich lebe, es ist ein Frauengesicht!«

»Die Ruderer der Jolle berichten, daß der Seewanderer an vielen Stellen seines Fahrzeugs dieses Sinnbild zeige, und gestern hat er ja, wie wir wissen, in unserer Gegenwart die Frechheit gehabt, es als Flagge aufzuziehen.«

»Wahr, wahr; wir rücken ihm ganz gewiß und zwar schnell näher. Nehmen Sie selbst das Glas, Herr Luff, und sagen Sie mir, ob nicht vor dem Lichte dort ein weibliches Gesicht gezeichnet ist. – Still hinten und vorne im Schiffe! – die Schelme haben sich in unsrer Richtung geirrt.«

»Ein so frech aussehendes Weibsmensch, daß man es nicht zweimal ansehen mag,« erwiederte der Lieutenant. »Mit unbewaffnetem Auge kann man ihr unverschämtes Lachen sehen.«

»Seht zu, daß Alles klar zum Entern sey. Halten Sie eine Anzahl Leute bereit, Sir, um sein Verdeck zu ersteigen: ich will sie selbst anführen.«

Diese Ordres, mit gedämpfter Stimme und rasch hintereinander ertheilt, wurden eben so schleunig ausgeführt. Mittlerweile war die Coquette ohne Schwierigkeit vorwärts gekommen, da ihre Segel durch den Nachtthau anquollen, und jeder Windhauch mit verstärkter Gewalt auf deren Flächen wirkte. Die Enterer nahmen ihre Stellungen ein, die tiefste Stille wurde anbefohlen, und als das Schiff dem ausgehängten Lichte noch näher kam, erhielten auch die Offiziere Befehl, sich ruhig zu verhalten. Um das Schiff zu commandiren, faßte Ludlow in der Besahn-Rust Posto, und rief dem Quartiermeister seine Befehle in einer Art von lautem Flüstern zu.

»Die Nacht ist so dunkel, man sieht uns ganz gewiß nicht!« bemerkte der junge Seemann zu dem ihm zur Seite stehenden Zweiten im Commando. »Man hat unbegreiflicherweise unsere Stellung mißverstanden. Bemerken sie doch nur, wie das gemalte Gesicht immer deutlicher wird – schon sind sogar die Locken unterscheidbar. – Luv, Sir, luv! wir wollen ihn auf der Windseite entern.«

»Der Narr muß einen Beilieger gemacht haben!« versetzte der Lieutenant. »Ja, ja, Hexen haben zuweilen keinen gesunden Menschenverstand! Können Sie sehen, in welcher Richtung sein Gallion liegt, Sir?«

»Ich sehe nichts als das Licht. Es ist so finster, daß kaum unsre eigenen Segel sichtbar sind – und doch glaube ich, das sind seine Raaen, ein wenig vor uns, dort auf unsrer Lee.«

»Es ist unsre unterste Spier; ich habe sie zum zweiten Gang bereit legen lassen, im Fall der Schurke sollte wenden wollen. Laufen wir nicht mit zu vollem Segel?«

»Etwas anluven könnt Ihr – luv an, sonst zerschmettern wir ihn!«

Der Capitän eilte, nachdem er diesen Befehl gegeben hatte, nach vorne, wo er die Mannschaft zum Ueberspringen in's feindliche Schiff bereit fand, und sie mit schnellen Worten über ihr Verhalten unterrichtete. Die Brigantine sollten sie nehmen, es koste, was es wolle, aber Gewalt nur dann brauchen; wenn sie ernstlichen Widerstand fänden. In die Kajüten sollten sie nicht eindringen – dies Verbot wurde dreimal eingeschärft – und der junge Mann drückte den großmüthigen Wunsch aus, daß das Leben des Meerdurchstreichers selbst auf jeden Fall geschont und derselbe lebendig gefangen werden möchte. Ludlow hatte kaum seine Instruktionen ertheilt, so befand man sich dem Lichte schon so nahe, daß jeder Zug in dem spöttischen Gesicht der meergrünen Dame deutlich gesehen werden konnte. Vergebens schaute sich der junge Capitän nach den Spieren um, damit er daraus schließen könne, in welcher Richtung das Vordertheil der Brigantine liege; der entscheidende Augenblick war gekommen, er mußte das Uebrige dem Glücke anvertrauen.

»Steuerbord angerennt! – Hinüber dort, ihr Enterer, hinüber! Ausgeholt mit den Hacken, tüchtig herangezogen, ihr Leute! Das Steuer nach Backbord – dicht – daß ihr heran könnt – heran! – wacker!« Hell, voll und ermuthigend erschallten diese Commando-Wörter des jungen Capitäns, und mit jedem neuen Rufe gewann seine gewaltige Stimme an Tiefe, an Männlichkeit.

Mit einem kräftigen Hurrah sprangen die Enterer in die Takelage. Leicht und schnell gehorchte die Coquette ihrem Steuer: ein Hinneigen zu der Stelle, wo das Licht glänzte, ein Zirkelschlag nach dem Winde, und im nächsten Augenblick lag ihre Seite dicht am verfolgten Gegenstand. Man warf die Enterdreggen. Die Leute gaben ein zweites Hurrah, und dann hielt jeder an Bord den Athem an sich, voll gieriger Erwartung des Kraches, der auf das Zusammenstoßen der beiden Schiffsrümpfe nun gleich erfolgen mußte. In diesem Augenblick der athemlosen Spannung stieg das Frauenantlitz nicht weit von ihnen in die Luft empor, schien ihren Versuch spöttisch zu belächeln, und verschwand alsbald. Ohne Anstoß segelte die Coquette recht nach vorne, und kein Krachen, kein Geräusch, als das dumpfe Spühlen der Wogen ward hörbar. Die schweren Enterhaken fielen rauschend in die See, und der königliche Kreuzer segelt schnell und unaufgehalten über die Stelle hinweg, wo man die Leuchte gesehen hatte. Ein zufälliger Schimmer in den Wolken erhellte einen Gesichtskreis von mehreren hundert Fuß, allein er bot dem Blicke nichts dar, als das unruhige Element, und das darauf schwimmende stattliche Schiff der Königin Anna.

Das Gefühl getäuschter Erwartung war das einzige, Allen gemeinschaftliche, im Uebrigen aber die Stimmung so verschieden, als die Gemüther Derjenigen, welche den Vorgang mit angesehen hatten. Der Haupteindruck war allerdings für die Annahme, daß die Brigantine ein natürliches Schiff sey, ungünstig, und wenn sich erst ein solcher Wahn in den Unwissenden festgesetzt hat, so ist es nicht leicht, ihn wieder auszutilgen. Selbst Spannsegel, wie eingeweiht er auch in die Künste der Zollgesetz-Verächter zu seyn schien, meinte, der Fall gehörte nicht zu den gewöhnlichen Schlichen mit schwimmenden Lichtern oder falschen Zeichen, vielmehr hielt er denselben für einen Beweis, daß man hin und wieder wohl auch Andere als regelmäßig zum Seeleben Eingeübte auf dem Ocean antreffe. Capitän Ludlow hatte wahrscheinlich eine verschiedene Ansicht von der Sache, erachtete es jedoch für überflüssig, sich gegen seine Untergebenen, die gehorchen mußten, sie mochten denken was sie wollten, in eine Erklärung einzulassen. Eine geraume Zeit schritt er mißmuthig auf der Schanze auf und ab, und gab dann seinem nicht besser gelaunten Offizier die nöthigen Befehle. Die leichteren Segeltücher der Coquette wurden nunmehr eingezogen, das Tauwerk der Leesegel wieder ausgeschoren, und die Spieren befestigt. Hierauf drehte man das Schiff in den Wind, holte die großen Segel ein, beschlug das Vormarssegel an den Mast, und blieb so liegen in Erwartung des Tagesanbruchs, um den Bewegungen alsdann mehr Bestimmtheit zu geben.


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