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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

»Welch' Land, Ihr Leut', ist dies?
– – – Illyrien, Dame.«
Was ihr wollt.

Der Mensch verdankt den Ruf, den ihm die Welt gibt, eben so sehr einem gewissen zufälligen Zusammentreffen von Umständen, als seinen persönlichen Eigenschaften. Schiffen ergeht es mit ihrem Rufe nicht anders. Die Eigenthümlichkeit eines Fahrzeugs mag, wie bei Individuen, von großem Einfluß seyn auf dessen gutes oder übles Geschick; doch bei einem wie beim andern ist Manches den Zufällen des Lebens zuzuschreiben. Schwollen auch die Segel der Coquette bald von demselben Winde, welcher der Wassernixe so sehr zu Statten gekommen war, so änderte dies doch nichts in der Meinung der königlichen Matrosen in Beziehung auf das Glück der Brigantine, und erhöhete zugleich den schon befestigten Ruf des Streichers durch die Meere als eines Seefahrers, dem in den tausend Schwierigkeiten seines gefahrvollen Gewerbes die Gunst des Zufalls – nicht lächelte, sondern zu Gebote stand. Als Ludlow seinem Verdrusse über das, was er das gute Glück des Smugglers nannte, Luft machte, schüttelte Spannsegel den Kopf, und sprach damit so deutlich aus, was er meinte, daß ganze Bände es nicht bezeichnender hätten beschreiben können, und die Mannschaften der drei Boote schauten der sich entfernenden Brigantine nach, wie die Einwohner Japans vielleicht jetzt noch einem durch Dampf in Bewegung gesetzten Schiffe nachschauen würden. Vielleicht jetzt auch nicht mehr; das persische und arabische Meer haben ihre Dampfboote schon, warum sollten sie dem chinesischen lange fehlen? D. Uebers.

Da Lieutenant Luff nicht lässig in seinem Dienste war, so wußte er die Wiedervereinigung der Coquette mit ihren Booten bald zu bewirken; dagegen ging mit dem Heraufhießen der letzteren nothwendig einige Zeit verloren, was die Brigantine in den Stand setzte, die Entfernung zwischen sich und ihrem Verfolger so sehr zu vergrößern, daß sie sich, als dieser wieder segelfertig war, bereits völlig außer Schußweite befand. Nichts destoweniger gab Ludlow von neuem Befehl zum Jagdmachen, ehe er in seine eigne Kajüte eilte, um seinen Mißmuth zu verbergen.

»Ein lebendiger Profit ist die Belohnung des Verstandes eines Kaufmanns; gutes Glück sein Ueberschuß!« bemerkte Alderman Van Beverout, kaum fähig, die Freude, welche ihm das unerwartete wiederholte Entwischen der Brigantine machte, zu unterdrücken. »Mancher gewinnt Dublonen, wo er sich bloß der Dollars versah, so wie umgekehrt die Preise bisweilen, trotz des raschesten Absatzes, sich nicht halten. Ein tapferer Offizier braucht seine gute Laune nicht zu verlieren, Capitän; es giebt noch Franzosen genug; um so weniger Ursache also, wegen des unerheblichen Querstrichs bei'm Verfolgen eines Smugglerschiffes grämlich zu seyn.«

»Ich kann nicht wissen, was für Werth Sie, Herr Van Beverout, auf Ihre Nichte setzen; wäre ich aber der Onkel eines solchen Mädchens, so würde der Gedanke, daß sie das bethörte Opfer jenes scheulosen Nichtswürdigen geworden ist, mich rasend machen!«

»Potz Paroxysmen und stramme Jacken! Zum Glück sind Sie ihr Onkel nicht, und können also ruhig seyn. Das Mädchen besitzt eine franzmännische Phantasie und wühlt in des Contrebande-Händlers Kanten und Seidenwaaren herum: wenn sie ihre Wahl wird gemacht haben, erhalten wir sie zurück, und das Bischen Putz wird sie nur noch schöner gemacht haben.«

»Auswahl! O Alida, Alida! dies ist nicht die Wahl, die wir Ursache hatten, von deinem durchgebildeten Geiste und deinen stolzen Gesinnungen zu erwarten!«

»Die Ausbildung ist mein Werk; den Stolz hat sie vom alten Etienne de Barbérie geerbt,« versetzte Myndert trocken. »Aber Klagen haben noch nie einen Preis heruntergedrückt oder die Papiere in die Höhe gehoben. Wir wollen lieber den Patroon holen lassen, und ruhig mit einander berathen, wie wir auf die leichteste Art unsern Weg nach ›Lust in Ruh‹ wieder zurückfinden, ehe Ihrer Majestät Coquette sich zu weit von der Küste Amerika's entfernt hat.

»Dein Scherz kommt ungelegen, Stadtrath. Der Patroon ist mit Ihrer Nichte davongegangen, und in ihrer gegenseitigen Gesellschaft wird Beiden wahrscheinlich die Zeit auf der Reise nicht lang werden. Er ist in der mit den Booten unternommenen Expedition verloren gegangen.«

Der Alderman stand da wie versteinert.

»Verloren! Oloff Van Staats verloren, in der Expedition mit den Booten! Unglück befalle den Tag, an dem dieser kluge und reiche junge Mann der Colonie verloren ging! Sir, Sie wissen nicht, was Sie sprechen, wenn Sie eine so rasche Meinung äußern. Mit dem Tod des jungen Patroons von Kinderhook würde eine der besten und wohlhabendsten Familien erlöschen, und das dritte Besitzthum in der Provinz ohne direkten Erben gelassen seyn.«

»So niederschmetternd ist der Unglücksfall nun eben nicht,« erwiederte der Capitän mit Bitterkeit. »Der Herr hat bloß das Smugglerschiff geentert, und amüsirt sich wahrscheinlich in Gesellschaft der schönen Barbérie mit Untersuchung der Kanten und Seidenwaaren am Bord.«

Ludlow erzählte nun die Art und Weise, wie der Patroon abhanden kam. Als der Alderman sich vollkommen versichert hatte, daß der Person seines Freundes kein Leid widerfahren war, äußerte er eine eben so lebhafte Freude, als er den Augenblick vorher Bestürzung an den Tag gelegt hatte.

»Fort mit der schönen Barbérie! untersucht Spitzen und Seidenstoffe! Herrlich, vortrefflich!« wiederholte er, entzückt die Hände reibend. »Ja, da zeigt sich endlich einmal das Geblüt meines alten Freundes Stephen. Der wahre Holländer zerschlägt sich nicht den Kopf oder schneidet Gesichter, wenn der Wind sich ändert oder ein Mädchen mault, wie der merkurialische Franzose; auch flucht er nicht und macht großes Aufheben wie der aufbrausende Engländer – vor Ihnen, junger Herr, kann ich das schon sagen, Sie sind selbst von der Colonie. Nein, nein, der Holländer ist, wie Sie sehen, ein ruhiger, ausdauernder, und in der Hauptsache thätiger Sohn des alten Bataviens; nimmt seine Gelegenheit wahr, und scheut selbst nicht die Gegenwart ...«

»Wessen?« fragte Ludlow, als Jener plötzlich inne hielt.

»Nun, seines Feindes, da doch einmal alle Feinde der Königin die Feinde jedes loyalen Unterthans sind. Bravo, Oloff! bravo, Herzensjunge! Gewiß, ganz gewiß, das Glück wird dem Tapfern lächeln. Hätte der Holländer nur einen gehörigen Fußraum auf dieser Erde, mein lieber Capitän Cornelius Ludlow, so würde die Geschichte von dem Rechte auf die engen Seen, und überhaupt von den meisten Handelsangelegenheiten ganz anders klingen.«

Ludlow erhob sich von seinem Sitze; auf seinen Lippen schwebte ein bitteres Lächeln, obgleich er dem Manne wegen eines so natürlichen Triumphs innerlich nicht grollte.

»Herr Van Staats hat vielleicht Ursache, sich zu seinem günstigen Stern Glück zu wünschen,« sagte er; »indessen glaube ich doch, daß sein Unternehmen, wie kühn es auch ist, an den Künsten des verschlagenen, so sehr für sich einnehmenden Mannes, dessen Gast er jetzt geworden, scheitern wird. Uebrigens, Herr Alderman, kann und wird sich meine Pflicht nicht nach der Vorliebe Anderer richten. Dem Smuggler sind Zufall und List bisher zu Hülfe gekommen: drei Mal ist er mir entwischt, ein viertes Mal ist die Reihe vielleicht an mir. Besitzt dieses Schiff die Gewalt, den ruchlosen Räuber zu vernichten, so mag er sich vorsehen!«

Mit dieser Drohung noch im Munde verließ Ludlow die Kajüte, um auf dem Verdeck seinen Posten einzunehmen und sein unermüdliches Beobachten der Bewegungen des Gegners fortzusetzen.

Der Windwechsel begünstigte ganz entschieden die Brigantine. Durch ihn kam sie luvwärts zu stehen, und erhielten beide Schiffe eine solche Stellung, die es dem verfolgten möglich machte, aus seiner eigenthümlichen Bauart den größten Vortheil zu ziehen. Als daher Ludlow seinen Standpunkt erreichte, sah er, wie das leichte Fahrzeug Alles dicht an den Wind gepraßt und einen solchen Vorsprung gewonnen hatte, daß fast jede Aussicht, es wieder in den Bereich seiner Batterien zu bekommen, abgeschnitten war, es müßte denn einer von den zur See so häufigen Wechseln entschieden zu seinen Gunsten wirken. Es blieb mithin wenig sonst zu thun übrig, als Segel über Segel beizusetzen, um die Brigg während der stark herankommenden Nacht wo möglich im Auge zu behalten. Doch ehe die Sonne noch die Wasserfläche berührte, war der Rumpf der Wassernixe bereits dem Gesicht entschwunden, und als der Tag sich schloß, von ihren luftigen Umrissen nichts mehr sichtbar, als ihre obersten dünnen Spieren. Wenige Minuten nachher hüllte sich der Ocean in Finsterniß ein, und die Regierer des königlichen Kreuzers mußten nun die Jagd auf's Gerathewohl fortsetzen.

Wie viel Seeweg die Coquette in den Nachtstunden zurückgelegt haben mochte, geht ans unserer Quelle nicht hervor; wir erfahren bloß, daß sich dem forschenden Commandeur derselben am andern Morgen ringsherum nichts als ein leerer Horizont dargeboten habe, nichts außer der Seemöve, die mit breitem Fittig dicht über den unstäten grünen Wogen dahinflog. Diesen und manchen folgenden Tag hindurch fuhr der Kreuzer fort, den Ocean zu pflügen, bald raumschoots mit so vielen vollen Segeln, als die langen Bäume nur immer spannen konnten, bald in hohler See stampfend und gegen widrige Winde sich zerarbeitend, als wäre das Schiff erpicht, die Hindernisse zu besiegen, welche selbst die Natur seinem Fortschreiten entgegenschleuderte. Dem guten Alderman drehte sich Alles im Kreise herum; ehe eine Woche verflossen war, wußte er nicht mehr, in welcher Richtung das Schiff steuerte; indeß wartete er geduldig ab, was daraus werden sollte, und glaubte endlich Grund zur Vermuthung zu haben, daß man sich dem Ziele der Fahrt nähere. Die Anstrengungen der Matrosen ließen merklich nach, und das Schiff durfte seinen Lauf unter weniger Segel fortsetzen.

Am Nachmittag eines dieser arbeitfreien Tage sah man François sich herausschleichen, von einer Kanone zur andern wanken, um die Stelle in der Mitte des Schiffes zu erreichen, wo er in der Regel bei gutem Wetter saß, um frische Luft zu schöpfen. Er schien dieses Plätzchen deßhalb gewählt zu haben, weil er es sich hier bequem machen konnte, ohne sich einerseits zu viel Freiheit gegen Vornehmere zu erlauben, oder andererseits die rohere Heerde, das heißt, die gemeinen Matrosen, in Versuchung zu bringen, sich zu viel Freiheit gegen ihn herauszunehmen.

»Ah!« rief der Lakai, den Seekadetten anredend, der dem Leser bereits unter dem Namen Hopper bekannt ist, » voilà die Land! quel bonheur! Ich werde so froh seyn! das Schiff ist sehr agréable, zu sehr; aber Sie wissen, Monsieur Aspirant, ich bin nicht marin. Was ist die Name der Land?«

»Man nennt es Frankreich,« versetzte der Kadett, der gerade Französisch genug verstand, um des Anderen Sinn zu verstehen; »ein sehr gutes Land – für die, welche es leiden können.«

» Ma foi, non!« rief François halb erstaunt, halb entzückt, einen Schritt zurücktretend.

»Nun, so nennen Sie es Holland, wenn Ihnen dieses mehr zusagt.«

» Dites-moi, sagen Sie mir, Monsieur Hoppére,« fuhr der Lakai fort, und berührte mit zitterndem Finger den Arm des unbarmherzigen jungen Schelms; » est-ce la France

»Man sollte glauben, ein Mann von Ihrer Beobachtungsgabe müßte dies selbst einsehen. Sehen Sie den Kirchthurm nicht und das Schloß im Hintergrund nebst dem verworren gebauten Dorfe dicht dabei? Jetzt schauen Sie einmal nach jenem Gehölz: dort ist eine Allee, so gerade wie das Kielwasser eines Schiffes bei glatter See, und eine, zwei, drei, richtig! zwölf Statuen, mit einer einzigen Nase für das ganze Dutzend.«

» Ma, foi, dort ist nichts, nicht Gehölz, nicht château, nicht Dorf, nicht statue, nicht Nase; doch, Monsieur, ich bin alt: est-ce la France

»Ei was, wenn Sie nicht sonderlich sehen können, so schadet das gar nichts; ich will Ihnen, während wir entlang fahren, alles haarklein erklären. Jenen Abhang dort sehen Sie doch; er sieht aus wie eine Musterkarte mit grünen und gelben Streifen, oder wie ein Signalbuch, wo die Flaggen aller Nationen neben einander stehen – gut, das ist les champs; und dieser schöne Wald, den man mit seinen regelmäßig gestreckten Aesten fast für ein Regiment Marine-Rekruten halten möchte – Sie sehen ihn doch, den Wald? gut, das ist: la forêt

Mehr konnte die Leichtgläubigkeit des warmherzigen Lakaien nicht verschlucken. Mit einem Blick des Bemitleidens und der Würde zog er sich zurück, während der junge Zögling der See einem hinzutretenden Kameraden lachend seinen boshaften Scherz erzählte.

Inzwischen segelte die Coquette vorwärts. Schloß, Kirche und Dorf des Kadetten verwandelten sich bald in einen niedrigen sandigen Strand, mit einem Hintergrund von verkrüppelten Tannen, die an verschiedenen Stellen auseinander traten, und den ermüdeten Blick auf die bequeme Wohnung und die zahlreichen Außengebäude irgend eines wohlhabenden Pächters fallen ließen, hin und wieder auch auf die zierlichere Villa eines Gutsbesitzers. Gegen Mittag hob sich der Kamm eines Hügels aus der See, und genau nachdem die Sonne hinter dieser Berggrenze untergegangen war, fuhr das Schiff bei dem sandigen Vorgebirge vorbei und ging an der Stelle vor Anker, von der es nach der Rückkehr des Capitäns vor seinem Besuch in der Brigantine die Reise angetreten hatte. Ludlow und der Alderman stiegen hierauf an der Schiffsseite hinab und ruderten weiter nach der Mündung des Shrewsbury. Wiewohl es schon beinahe finster war, ehe sie das Ufer erreichten, so konnte der Erstere doch noch bei dem scheidenden Schimmer entdecken, daß in der Bai, nicht weit von der Linie seiner Pinasse, ein Gegenstand von ungewöhnlichem Aussehen schwamm. Die Neugierde vermochte ihn, darauf loszusteuern.

»Alle Kreuzer und Wassernixe!« rief zankend der Stadtrath, als sie nahe genug waren, das schwimmende Ding zu erkennen. Dieses eherne Mensch umspuckt uns, als hätten wir ihr Gold gestohlen! Lassen Sie uns Fuß an's Land setzen. Nichts geringeres als eine Deputation des Stadtmagistrats soll in Zukunft mich wieder aus meiner Wohnung locken.«

Ludlow schmiß das Ruder des Bootes über und lenkte so den Lauf wieder nach dem Flusse. Er bedurfte nun keiner weiteren Erklärung, durch welche List er bei der Nase herumgeführt worden war. Die genau in's Gleichgewicht gerichtete Tonne, die geradestehende Spier und die ausgelöschte Laterne von Horn mit den darauf gemalten Zügen des boshaft lächelnden Bildes dienten als eine nur zu unmittelbare Erinnerung an das falsche Licht, das die Coquette in der ersten Nacht nach dem Antritte der Jagd auf die Brigantine aus ihrem Cours gelockt hatte.


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