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Zwölftes Kapitel.

»Nerissa komm: ich hab' ein Werk zur Hand,
Wovon du noch nicht weißt.« –
Kaufmann von Venedig.

Außer den Eingeweihten wußte Niemand das Geringste von den verschiedenen, in der Villa und deren Umgebung stattgefundenen Vorfällen, welche die Nacht, mit der das vorhergehende Kapitel schloß, belebt hatten. Oloff Van Staats war früh auf den Beinen, und hielt auf dem Plan einen Morgenspaziergang, um die herrliche Luft einzuathmen; ihm stieß aber nichts auf, was den Verdacht hätte erregen können, daß sich, während er schlief, irgend etwas Außerordentliches zugetragen hätte. La cour des Fées war noch verschlossen, der treue François indessen schon um die Wohnung seiner jugendlichen Gebieterin mit allerhand kleinen Verrichtungen beschäftigt, von der Art, die einer Dame von ihren Jahren und ihrem Stande Freude zu machen sich eignete. Van Staats von Kinderhook hatte so viel Romantisches in seiner Zusammensetzung, als sich nur bei einem jungen Mann von fünf und zwanzig Jahren suchen ließ, der im Rufe stand zu lieben, und von der in der Gesellschaft eingeführten Art und Weise, jene Leidenschaft kund zu geben, wirklich einigen Begriff hatte. Der Mensch war ein Sterblicher, und da die persönlichen Reize der Dame augenfällig genug waren, so entging er nicht ganz dem Schicksal, welches jugendlicher Einbildungskraft, der Schönheit gegenüber, nun einmal allgemein beschieden zu seyn scheint. Er schlich sich an die Villa heran, und wußte es durch ein behutsames, aber entscheidendes Manöver so zu machen, daß er dem Diener nahe genug kam, um ein Gespräch mit demselben anknüpfen zu können, ohne daß es das Ansehen hatte, als wenn er es gesucht hätte.

»Ein schöner Morgen und eine gesunde Luft, Monsieur François;« hob der junge Patroon an, nachdem er durch ein vornehmes Rücken seines Biberhuts den Bückling des Lakaien erwiedert hatte. »Der Aufenthalt hier ist recht angenehm in den warmen Monaten: man könnte schon wünschen, den Ort öfter zu besuchen.«

»Wenn Monsieur le Pateron der Seigneur von diesem Gut seyn werden, wird er so oft kommen, als es ihm macht plaisir,« erwiederte François, welcher sich sein vermeintliches Bon-mot um so weniger versagen konnte, als er wußte, daß es seinem Zuhörer schmeicheln würde, ohne geradezu die Auslegung zuzulassen, als ob seine Gebieterin schon eine günstige Erklärung hätte fallen lassen.

» Monsieur de Van Staats besitzen viel Güter am Fluß, und werden vielleicht un jour viel Güter am Meere besitzen, aussi

»Ich habe schon daran gedacht, ehrlicher François, das Beispiel des Alderman nachzuahmen und eine Villa an der Küste zu bauen; doch dazu ist noch Zeit, wenn ich erst mehr im Leben etablirt seyn werde! ist Deine junge Herrin noch nicht auf, François?«

» Ma foi, nein! Fräulein Alide schlafen. Es ist ein sehr guter Symptom, Monsieur Pateron, wenn junge personnes schlafen très-bien. Monsieur de Barbérie und seine ganze Familie immer sehr gut schlafen, à merveille. Oui, was anbetrifft die Schlaf, ist eine merkwürdige Familie.«

»Und doch hat diese frische, stärkende Morgenluft, die gleich Balsam von dem Meere herweht, so viel Einladendes.«

»Ohne Zweifel, Monsieur. Es ist ein miracle, wie Fräulein lieben die Luft. Niemand liebt die Luft mehr als Fräulein Alide, bah! es war groß plaisir zu sehen, wie Monsieur de Barbérie liebten die Luft!«

»Vielleicht weiß Ihre junge Gebieterin nicht, wie viel Uhr es ist, Herr François. Es wäre gut, an die Thüre, oder vielleicht an das Fenster anzuklopfen. Ich gestehe, ich würde voll Bewunderung seyn, wenn ihr glänzendes Antlitz aus dem Fenster dort die milde Morgenscene anlächelte.«

Wahrscheinlich war dies der höchste Flug, welchen die Einbildungskraft des Patroons von Kinderhook je gewagt hatte, und in der That gab der schwankende und furchtsame Blick, den er nach einer so unzweideutigen Aeußerung seiner Schwäche um sich her that, zu der Vermuthung Grund, daß er seine Kühnheit schon bereue. François, ungern sich einem Manne ungefällig zeigend, der wie Jedermann wußte, hunderttausend Morgen Landes, nebst gutsherrlichen Rechten und erklecklichem persönlichem Vermögen besaß, befand sich durch dessen Bitte in keiner geringen Verlegenheit, erinnerte sich jedoch noch zur rechten Zeit, daß die Erbin von sehr entschiedenem Charakter war, und sich in dem, was ihr beliebte, keine Vorschriften machen ließ.

»Gut, ich werde mit überaus groß plaisir anklopfen; aber... Monsieur wissen, daß die Schlaf sehr agréable ist für die junge Personen. Man hat niemals angeklopft in der Familie des Herrn de Barbérie, und ich ganz gewiß weiß, daß Fräulein Alide nicht lieben das Klopfen... Indeß, wenn der Herr Pateron es will, so werde ich seinen Wunsch... Voila Monsieur Bevre, der ohne Klopfen am Fenster erscheint. Ich habe die honneur, Sie mit Herr Al'erman allein zu lassen.«

Auf diese Weise complimentirte sich der höfliche, aber nicht weniger besonnene Lakai aus einer schwierigen Lage heraus, die ihm nach gerade, wie er beim Weggehen vor sich hin brummte, langweilig ward.

Das Aussehen und die Manier des Alderman, als er sich jetzt seinem Gaste näherte, bekundete, in Übereinstimmung mit seinem ganzen übrigen Wesen, etwas Derbes, Kräftiges, zugleich aber auch viel Bequemlichkeitsliebe und Einbildung. Ehe er zum Sprechen nahe genug herankam, räusperte er sich dreimal, und zwar so stark, als wollte er dem Patroon hörbaren Beweis von der Stärke seiner Lunge geben, und ihn zur Bewunderung der reinen Luft um seine Villa herausfordern.

»Alle Zephyr und Spaa's! hier ist die Residenz der Gesundheit, Patroon!« rief der Bürger, als er sein eigenes körperliches Wohlbefinden hinlänglich an den Tag gelegt hatte. »In solcher Luft glaubt man sich bisweilen im Stande, mit seinen Freunden jenseits des atlantischen Meeres zu Scheveningen oder im Helder ein Gespräch zu unterhalten. Ja, ja, eine breite, gewölbte Brust, solche Luft von dem Meere, dabei ein reines Gewissen und ein glücklicher Wurf im Handel, machen einem das Spiel der Lunge so leicht und unmerkbar, wie die Flügel eines Colibri. Laß sehen: in Deinem Stamm hat's wenig Achtziger gegeben; der letzte Patroon hat mit dem sechsundsechzigsten die Bücher geschlossen, und sein Vater ging nicht viel weiter als siebzig. Ich wundere mich nur, daß zwischen Euch und den Van Courtlandt's nie eine Zwischenheirath stattgefunden hat; das Courtlandt'sche Geblüt ist, schon an und für sich, so gut wie eine Lebensversicherung auf etliche neunzig.«

»Ich finde die Luft ihrer Villa eine wahre Herzstärkung, Herr Van Beverout, die man öfter zu genießen wünschen könnte,« erwiederte Jener, welcher weit weniger von der barschen Kaufmanns-Manier an sich hatte, als sein Gefährte. »Schade, daß sich nicht Alle die so treffliche Gelegenheit, hier zu athmen, zu Nutze machen.«

»Sie meinen die trägen Seeleute in jenem Schiffe dort. Ja, Ihrer Majestät Diener übereilen sich selten, und was diese Brigantine in der Runden Bucht betrifft, so scheint sie nicht mit rechten Dingen ihr Einlaufen bewirkt zu haben. Wahrhaftig, ich wollte wetten, der Spitzbub dort führt nichts Gutes im Schilde, und der königliche Schatz wird sich durch seinen Besuch keiner Vermehrung zu erfreuen haben. Hör 'mal, Du, Brom da!« einem ältlichen, nicht weit vom Hause beschäftigten Schwarzen, der in seine Geheimnisse vollkommen eingeweiht war, zurufend, »hast Du etwa Boote zwischen dem Lande und jener schelmischen Brigantine hin- und herfahren gesehen?«

Der Neger schüttelte mit dem Kopf wie eine thönerne Mandarinen-Figur, und schlug ein helles Gelächter auf.

»Ich glaub', er all' seine Spitzbüberei verübt unter den Yankihs, und er nur kommt her, um sein Brot zu kaufen,« sagte der schlaue Sclave. »Na, ich von ganzem Herzen wünsch', daß 'mal auch an unsre Küste ein Kunterbuntmann kommen thät'. Da hätt' ein armer schwarzer Mensch doch Hoffnung, zu verdienen einen ehrlichen Pfennig.«

»Sie sehen, Patroon, die menschliche Natur selbst lehnt sich gegen Monopole auf. Hier hat sich einmal durch Brom's Zunge der echte Instinkt ausgesprochen, und es ist für einen Kaufmann wirklich keine leichte Aufgabe, seine Leute im Gehorsam gegen Gesetze zu erhalten, die so beschaffen sind, daß sie beständig die Versuchung erzeugen, sie zu verletzen. Nun gut, wir wollen immer das Beste hoffen, und uns bestreben als getreue Unterthanen zu handeln. Das Boot ist übrigens, in Hinsicht auf Gestalt und Takelage, gar nicht so übel, mag's herkommen, woher es will. Was meinst Du, wird der Wind diesen Morgen vom Lande wehen?«

»Nach den Wolken zu schließen, wendet er sich bald. Es wär' zu wünschen, daß Niemand drinnen bliebe, sondern die wohlthuende Seeluft, so lange sie währt, im Freien genösse.«

Der Alderman, durch den Andern auf den bevorstehenden Wetterwechsel aufmerksam gemacht, vergaß einen Augenblick lang seine Behutsamkeit, und studirte ängstlich das Aussehen des Himmels; doch bald besann er sich und rief hastig:

»Kommen Sie, kommen Sie, wir wollen zu unserm Frühstück. Hier ist der Ort, seine Zähne zu gebrauchen. Die Neger sind in der Nacht nicht müßig gewesen, Herr Van Staats, ha ha ha; ich kann Sie versichern, sie sind nicht müßig gewesen, und wir werden eine Auswahl von Leckerbissen aus der Bai und dem Flusse haben. – Jene Wolke über der Mündung des Rariton scheint in die Höhe gehen zu wollen, vielleicht bekommen wir doch noch einen Wind aus Westen.«

»Dort in der Richtung der Stadt sah ich ein Boot herkommen,« bemerkte der Andere, der nur ungern der Einladung des Alderman, ihm ins gewöhnliche Frühstückzimmer zu folgen, gehorchte. – Mir scheint es sich mit mehr als gewöhnlicher Eile zu nähern.«

»Wahr, die Ruder werden von kräftigen Armen geführt! Sollte es eine Botschaft an den Kreuzer seyn? Nein, das Boot steuert mehr auf unsern Landungsplatz zu. Diese Jersey-Fahrer werden oft zwischen Dock und ihrer eigenen Thüre von der Nacht eingeholt, daher eilen sie so. Doch jetzt, Patroon, lassen Sie uns nach dieser Magenstärkung zu den Messern und Gabeln –«

»Sollen wir die Erquickung allein zu uns nehmen?« fragte der junge Mann, der von Zeit zu Zeit einen sehnsüchtigen Seitenblick auf die noch immer geschlossenen Laden des Pavillons warf.

»Deine Mutter hat Dich erzogen, junger Oloff; wenn der Kaffee nicht von einer niedlichen Hand kredenzt wirb, schmeckt er nicht. Ich verstehe Dich, und bin gar nicht böse darüber, denn diese Schwachheit ist in deinen Jahren natürlich genug. Potz Unabhängigkeit und Cölibat! so lange ein Mann die Vierzig nicht erreicht hat, darf er nicht schwören, daß er sein eigner Herr bleiben werde. Komm einmal her, Musje François! es ist Zeit, daß meine Nichte den trägen Schlaf abschüttle, und ihr weißes Gesichtchen dem Tage zeige. Wir warten auf ihre Honneurs beim Frühstück. Die Müßiggängerin Dinah läßt eben so wenig von sich sehen, als ihre Herrin.«

» Non, ganz gewiß, monsieur,« erwiederte der Diener. Mamsel Dinah nicht allzusehr die viele Beschäftigung liebt. Aber sie sind jung, Monsieur Al'erman, alle beide! Schlaf sehr gesund ist für die Jugend.«

»Was zum Kuckuck! die Dirne ist nicht mehr in ihrer Wiege; François, es ist Zeit, an die Fenster anzuklopfen. Was das schwarze Zierpüppchen anbetrifft, die schon eine Stunde lang bei ihrer Arbeit seyn sollte, so habe ich ohnedies noch ein Wörtchen mit ihr zu sprechen. Komm, Patroon, der Appetit richtet sich nicht nach der Trägheit eines eigensinnigen Mädchens; wir wollen zu Tisch. Was meinst du, wird der Wind diesen Morgen nach Westen stehen?«

Mit diesen Worten ging der Alderman voran nach dem kleinen Wohnzimmer, wo ein nettes, behagliches Mahl schon aufgetragen stand, und zum Frühstücken einlud. Zaudernden Schrittes folgte Oloff Van Staats, der sich immer noch mit der Hoffnung geschmeichelt hatte, die Fenster des Pavillons sich öffnen, und das lächelnde Gesicht die ihn umgebenden Schönheiten erhöhen zu sehen. François schickte sich an, seine Gebieterin zu wecken, und suchte in der Art und Weise, wie er dies bewerkstelligte, den schuldigen Gehorsam gegen den Onkel mit seinen eigenen Begriffen von Schicklichkeit zu vereinigen. Nach einigem Warten setzte sich der Alderman zu Tische, nöthigte seinen Gast auch heran, indem er laut gegen die Nothwendigkeit, auf die Träge länger zu warten, protestirte, und seine Rede mit moralischen Sentenzen über den Werth der Pünktlichkeit – in häuslichen wie in Handelsangelegenheiten – reichlich durchspickte.

»Die Alten,« sagte der nicht nachlassende Glossenmacher, »theilten die Zeit in Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden ein, so wie sie die Zahlen in Einer, Zehner, Hunderte, Tausende und Zehntausende eingetheilt haben; und Beides hatte seinen guten Grund. Fangen wir nun unten an, Herr Van Staats, und benutzen die Sekunden gehörig, so verwandeln wir Minuten in Zehner, die Stunden in Hunderte, und die Wochen und Monate in Tausende, ja! wenn der Handel im blühenden Zustand ist, in Zehntausende! Eine Stunde also unbenutzt vorbeigehen lassen, ist ungefähr dasselbe, als wenn man in einer verwickelten Zusammenaddirung eine wichtige Ziffer überspringt, und geht man nicht pünktlich zu Werk, so ist die Arbeit eben so gut verloren, als wenn man beim Rechnen ungenau verfährt. Ihr Vater, der verstorbene Patroon, war ein sogenannter Minutenmann. Man konnte eben so sicher darauf zählen, daß er sich mit dem Schlag der Glocke in seinem Kirchenstuhl einfand, als daß er eine gehörig durchgesehene Rechnung prompt honorirte. O, es war eine Freude, Inhaber einer seiner Noten zu seyn, die freilich seltener waren, als blanke Goldmünzen und Barren. Ich habe mir sagen lassen, Patroon, daß Du, außer dem Gut, eine stattliche Menge von portugiesischen Johannes und holländischen Ducaten Vor der Revolution hatten die Colonien außer Kupfergeld keinerlei Münze eigenen Gepräges. Die Nähe von West-Indien und der Handels-Verkehr mit Süd-Amerika brachte große Summen fremder Münze herbei und was im Umlauf war, zeigte somit größtentheils Spanisches Gepräge. geerbt habest.«

»Der Erbe hat keine Ursache, seinen Vorfahren Mangel an Bedachtsamkeit vorzuwerfen.«

»Klug geantwortet; kein Wort zu viel, keins zu wenig; ein Grundsatz, welchen alle rechtliche Leute bei'm Abschluß ihrer Geschäfte befolgen. Wird so ein Kapital klüglich verwaltet, so kann es das Fundament zu einem Gute werden, von Tausenden der besten Holländer oder Engländer bevölkert! Potz Wachsthum und Volljährigkeit! Wir in den Colonien, Patroon, werden doch auch endlich einmal zum reifen Mannesalter kommen, wie unsere Vettern auf den Deichen der Niederlande, oder unsere englischen Beherrscher zwischen ihren Schmiedeeisen. – Erasmus, schau doch einmal nach der Wolke dort über dem Rariton, und bring' mir Nachricht, ob sie in die Höhe steigt.«

Der Neger kam mit der Kunde zurück, das Dunstgewölk rühre sich nicht von der Stelle, zugleich aber als Anhang berichtete er seinem Herrn, daß das Boot, welches Patroon zuerst sich nähern gesehen, das Werft erreicht hätte, und einige von der Mannschaft den Hügel heraufkämen nach der Villa zu.

»Im Namen der Gastfreundlichkeit, laß sie kommen,« erwiederte der Alderman mit biederherzigem Tone; »was gilt's, es sind ehrliche Pächter aus dem Innern, welche die Nacht hindurch gearbeitet haben und nun hungrig sind. Geh und sag' dem Koch, daß er ihnen das Beste vorsetze, und heiße sie willkommen. Und, hör 'mal, Bursch! wenn sich ein wohlhabender Freisasse unter ihnen befinden sollte, so führ' ihn her zu uns, er mag mit uns hier am Tisch sitzen. Dies ist kein Land, Patroon, wo man was darnach frägt, ob ein Mann grobes oder feines Tuch, ob er eine Perüke oder bloß sein eigenes schlichtes Haar trage. – Was gafft denn der Kerl so?«

Erasmus rieb sich die Augen, grinste so gewaltig, daß die Doppelreihe seiner perlenweißen Zähne von einem Ohr bis zum andern sichtbar ward, und gab dann seinem Herrn zu verstehen, daß sein Halb-Bruder, der Neger Euclid, derselbe, welchen unsere Leser bereits kennen, eben in das Haus eintrete. Diese Nachricht brachte in dem Prozeß des Kauens, in welchem der Alderman eben begriffen war, eine plötzliche Stockung hervor. Aber ehe er noch Zeit gewinnen konnte, seine Verwunderung zu äußern, öffneten sich zwei Thüren zugleich, und François erschien an der einen, während das gleißendschwarze, zweifelvolle Antlitz des Sclaven aus der Stadt die Oeffnung der anderen verdunkelte. Myndert's Augen rollten ein paarmal hin und her, von der einen auf die andere Erscheinung, ohne vor bösen Ahnungen die Sprache gewinnen zu können, denn die zerstörten Züge beider dienenden Wesen lieferten ihm Anzeichen, die ihn sich auf unwillkommene Zeitung gefaßt halten hießen. Nach der Beschreibung, die wir sogleich liefern werden, mag der Leser urtheilen, ob der schlaue Bürger nicht sattsame Ursache zu erschrecken hatte.

Das an sich schon magere und lange Gesicht des Lakaien schien noch einmal so lang gedehnt, und der Unterkinnbacken dreimal so dünn und eingefallen als gewöhnlich. Die blaßblauen, herausstehenden Augen waren weit aufgerissen, und drückten eine Verwirrung und Verwilderung aus, die durch die Beimischung von schmerzlicher innerer Bewegung nichts weniger als gemildert wurde. Die beiden Arme waren in die Höhe gehalten, und die flachen Hände vorwärts gestreckt, während die Schultern sich so sehr den Ohren näherten, daß das Bischen Symmetrie, womit die Natur den armen Teufel in diesem Theil seines Körperbaues bedacht hatte, vollends verschwand.

Auf der andern Seite stand der Neger, schuldigen, verdrießlichen und listigen Blickes. Sein Auge wanderte schräg bei seinem Herrn vorbei, als wollte es dessen Person umgehen, in gleicher Weise wie seine, sogleich von uns zu berichtenden Worte den Verstand seines Herrn zu umgehen suchten. In den Händen hielt er eine wollene Mütze, die er zwischen den krampfhaft sich bewegenden Fingern zerdrückte, und einer seiner Füße, gestemmt auf die Ferse beschrieb zitternd Halbkreise mit der Zehe.

»Wohlan!« schrie Myndert, indem er bald den Einen, bald den Andern anblickte: »Was gibt's Neues aus den Canadas? – Ist die Königin gestorben, oder hat sie die Kolonie den Vereinigten Provinzen zurückgegeben?«

»Fräulein Alide!« rief oder stöhnte vielmehr François.

»Die arme, stumme Bestie!« murmelte Euclid.

Beiden, Myndert und seinem Gast, gleichsam von einer und derselben Lähmung getroffen, fielen Messer und Gabel aus den Händen. Der Letztere erhob sich unwillkührlich von seinem Sitze, während der Erstere seine Corpulenz nur noch fester in den seinigen eindrückte, wie Jemand, der sich gefaßt hält, einem heftigen, unerwarteten Schlage alle physische Entschlossenheit, die er nur aufzubieten vermag, entgegenzusetzen.

»Was ist's mit meiner Nichte? – Was ist's mit meinem Wallach? – Hast Du die Dinah gerufen?«

» Sans doute, monsieur!«

»Und hast Du den Schlüssel des Stalls behalten?«

»Ich ihn gehen ließ, nie.«

»Und Du hießest sie ihre Herrin wecken, wie?«

»Sie gab keine Antwort, du tout

»Die Thiere wurden doch gefüttert und getränkt, wie ich's befahl, was?«

»Sie nie ihr Futter nahmen besser!«

»Du gingst selbst in's Zimmer meiner Nichte, sie zu wecken, sag'!«

» Monsieur hat raison

»Was zum Teufel ist der Armen zugestoßen?«

»Er hat seinen Appetit verloren ganz, und ich glaube, es wird dauern lang, ehe er wieder kriegt den Appetit.«

»Meister Francis, ich will wissen, was Monsieur de Barbérie's Tochter geantwortet hat.«

»Fräulein nicht hat geantwortet, monsieur, pas une syllabe

»Alle Schnäpper und Medicamente! der Schönen muß auf der Stelle zur Ader gelassen werden.« –

»Es ist zu spät dafür, Masser, auf Ehre.«

»Die halsstarrige Dirne! Das kommt von ihrem Hugenotten-Blut, einer Race, die lieber Haus und Hof im Stich lassen wollte, als den Ort ihres Gottesdienstes ändern.«

»Die Familie de Barbérie ist ehrenvoll, monsieur, aber der grand monarque verlangte ein wenig zu viel. Wahrlich die dragonnade Man nannte unter Ludwig XIV. la conversion des Dragonnades die abscheuliche Maßregel, nach Aufhebung des Edikts von Nantes, in die Dörfer und Städte, in welchen es besonders viel Hugenotten gab, so lange Dragoner einzuquartieren, bis sie die Ketzerei abschworen oder die Flucht ergriffen und die Häuser leer ließen. Das war das erste, und obgleich der gute François es für ein schlechtes hält, das sanfteste Mittel in dieser schrecklichen Bekehrungsgeschichte. Der Uebers. war ein schlechtes Mittel, Christen zu machen.«

»Potz Schlagfluß und Uebereilung! Du hättest den Roßarzt sollen holen lassen, dem kranken Thiere zu helfen, Du schwarzer Hund!«

»Ich ging zum Henker, Masser, zu retten die Haut, denn er war zu geschwind todt.«

Das Wort todt brachte eine plötzliche Pause hervor. Der vorhergehende Dialog folgte so wüthend rasch auf einander, und die Fragen und Antworten, wie auch die Ideen des Hauptwortführers, geriethen in solche Verwirrung, daß Letzterer einen Augenblick wirklich nicht wußte, ob es Barbérie die Schöne, oder einer der Flamländischen Wallache war, welcher die letzte Schuld der Natur bezahlt hatte. Bis jetzt hatte der Patroon, theils aus eigener Bestürzung, theils durch den Wirrwar der drei Sprechenden nicht zu Worte kommen können; er benutzte die eingetretene Pause, um seine Meinung abzugeben.

»Es ist klar, Herr Van Beverout,« sagte er mit einem Beben in seiner Stimme, das seine inneren Besorgnisse bekundete, »daß sich irgend ein unangenehmes Ereigniß zugetragen hat. Es ist vielleicht besser, daß der Neger und ich uns wegbegeben, damit Sie François mit mehr Ruhe über das, was Jungfer Barbérie zugestoßen ist, befragen können.«

Den Alderman weckte dieser anständige und besonnene Vorschlag aus einer tiefen Betäubung. Er verbeugte sich dankend und erlaubte Herrn Van Staats, sich zurückzuziehen; Euclid wollte diesem folgen, allein er erhielt einen Wink zu bleiben.

»Es könnte seyn, daß Du mir noch Antwort zu geben hast,« sprach der Stadtrath mit einer Stimme, die viel von dem Umfang und der Tiefe, die sie sonst auszeichnete, verloren hatte. »Bleib' dort stehen, Kerl, und warte, bis ich mit Dir rede. Und nun, François, laß mich endlich hören, warum meine Nichte sich weigert, ihr Frühstück in meiner und meines Gastes Gesellschaft einzunehmen.«

» Mon dieu, monsieur, das kann ich unmöglich beantworten. Die Gesinnungen der demoiselles sind nie entschieden.«

»So geh' und sag' ihr, daß meine Gesinnung entschieden ist, gewisse Vermächtnisse und Clauseln abzuschneiden, welche zu ihrem Besten gemacht waren, und zwar mit Hintansetzung der Gerechtigkeit gegen andere Verwandten, die sogar meinen Namen führen.«

» Monsieur werden sich besinnen. Fräulein Alide ist so junge Person.«

»Alt oder jung, mein Entschluß ist gefaßt. Fort nach Eurem Cour des Fées, und sagt das dem trägen Zieräffchen. – Wohlan, du lauernder schwarzer Dämon dort, Du hast also doch das arme Pferd geritten!«

»Aber, monsieur, denken Sie doch nach, je vous en prie. Fräulein soll sich nie wieder verstecken, jamais; ich stehe Ihnen dafür.«

»Was schnattert denn der Kerl da!« rief der Alderman, dessen Unterkinn fast dieselbe Länge erreichte, welche dem Gesicht des Lakaien einen so ergreifenden Ausdruck innigen Schmerzes gab. »Wo ist meine Nichte, Sir; und was soll diese Anspielung, als wäre sie abwesend?«

»Die Tochter von Monsieur de Barbérie ist nicht da!« schrie François, dessen Herz zu voll war, um mehr sprechen zu können. Der alte, seine Herrschaft von Herzen liebende Diener legte die Hand auf die Brust, mit dem Aussehen aufrichtigen Leidens; doch bald erinnerte er sich, daß er stehe in der Gegenwart seines Vorgesetzten, verbeugte sich mit einer tiefen Condolenz-Miene, kämpfte wacker gegen sein inneres Ergriffenseyn, und erreichte die Thüre so glücklich, ohne seiner männlichen Festigkeit eine Blöße gegeben zu haben.

Gerechtigkeit gegen den Charakter des Aldermans Van Beverout verbietet uns, es unerwähnt zu lassen, daß der Schmerz, den ihm der plötzliche Tod eines seiner flämischen Wallache verursachte, in Folge der so unerwarteten Nachricht von der unerklärlichen Abwesenheit seiner Nichte, viel von seiner Stärke verlor. Euclid hatte zehn Minuten lang die Tortur wiederholter Fragen, Drohungen, ja selbst Verwünschungen auszustehen; allein als nun unmittelbar nach des François Berichterstattung das Aufsuchen begann, gelang es dem listigen Sclaven, sich so gänzlich unter seine übrigen halben Blutsverwandten zu verlieren, daß auch sein Verbrechen größtentheils in Vergessenheit kam. La Cour des Fées war natürlich der erste Ort, wohin die Suchenden sich wendeten; die schönste Zierde davon fehlte. Die kleinen Außenzimmer, des Tags gewöhnlich von François und der Negerin Dinah, und Nachts nur von Letzterer bewohnt, fand man ganz so, wie man erwarten konnte, sie zu finden. Das Bedientenzimmer lieferte Beweise, daß es von seiner Bewohnerin eilig verlassen worden, obgleich man deutlich genug sehen konnte, daß sie sich zur gewöhnlichen Stunde zur Ruhe begeben hatte. Die meisten der Dienerin angehörenden Kleinigkeiten waren zwar verschwunden, indeß lagen doch noch einige Kleidungsstücke nachlässig im Zimmer umher zerstreut, was hinlänglich bewies, daß die Abreise eine unvorhergesehene war.

Dahingegen befanden sich das Schlafgemach, Ankleidezimmer und der kleine Salon der schönen Barbérie in der höchsten, fast in einer gesuchten Ordnung. Kein Stück Geräth am unrechten Ort, keine Thüre halb offen, kein geöffnetes Fenster. Man war offenbar durch den gewöhnlichen Ausgang aus dem Pavillon gegangen. Das Bett war unberührt, denn glatt und faltenlos lagen die Decken noch. Kurz, es war alles so vollkommen in der gewohnten Ordnung, daß der Alderman, von einem mächtigen natürlichen Gefühl gedrungen, seine Nichte beim Namen rief, und sie aufforderte, doch ihr loses Verstecken-Spiel aufzugeben. Es war rührend zu sehen, wie der Alte bald nach dem einen, bald nach dem andern Winkel schaute, als müsse das neckende Mädchen daraus hervortreten. Vergebens! Hohl tönte die Stimme in den verödeten Gemächern; man wartete, man lauschte umsonst, keine scherzende lachende Antwort erwiederte den Ruf.

»Alida!« schrie der Bürger endlich noch einmal, »komm hervor, Kind; ich vergebe Dir ja Dein loses Spiel; alles, was ich von Enterbung gesprochen habe, war eitel Scherz. Komm hervor, Schwesterkind, und küß' Deinen bejahrten Onkel!«

Der Patroon wendete sich weg, als er einen Mann, der seines weltlichen Sinnes halber so bekannt war, der Macht der Natur nachgeben sah, und der Eigentümer der hunderttausend Morgen vergaß, von Mitleid hingerissen, den eignen Kummer.

»Lassen Sie uns von hinnen,« sagte er, den Bürger sanft beim Arm nehmend, und ihn hinwegführend. »Ein wenig Nachdenken wird uns in Stand setzen, zu entscheiden, was zu thun sey.«

Der Alderman nahm den Rath an, doch verließ er den Pavillon nicht eher, als bis er die Kabinette und Schränke untersucht hatte, und diese Nachsuchung beseitigte vollends jeden Zweifel über den Schritt, den die junge Erbin gethan hatte. – Ihre Kleider, Bücher, Zeichenmaterialien und Musikinstrumente waren verschwunden.


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