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XVI.
Mac Cabe und die göttliche Frivolität

Ein Kritiker stellte mich einmal entrüstet zur Rede mit den Worten: »Wenn sie schon Spässe machen müssen, so brauchten sie nicht so ernste Fragen für Ihren Witz zu wählen.« Ich erwiderte ihm mit ungeheuchelter Einfachheit und Befremdung: »Worüber sollte man lachen, wenn nicht über ernste Dinge.« Es ist ganz sinnlos, von profaner Spassmacherei zu reden. Jeder Spass ist seiner Natur nach profan, insofern er einem zur plötzlichen Erkenntnis bringt, dass etwas schliesslich nicht gar so feierlich ist, als es sich dünkte. Wenn nicht über Religion oder Moral gelacht wird, geht es über Polizeirichter oder Professoren der Wissenschaften her. Und man lacht mehr über Polizeirichter als über den Papst, nicht weil der Polizeirichter ein frivoleres Sujet ist, sondern im Gegenteil, weil der Polizeirichter ein viel ernsterer Stoff ist. Der oberste Bischof in Rom hat keine Rechtsgewalt in England, während uns der Polizeirichter jeden Moment seine Autorität zu fühlen geben kann. Das Volk lacht über alte Wissenschaftsprofessoren, sogar mehr als über Bischöfe, nicht etwa weil die Wissenschaft etwas weniger ernst als die Religion ist, sondern weil die Wissenschaft ihrem Wesen nach viel feierlicher und strenger ist als die Religion. Nicht ich, nicht einmal eine bestimmte Klasse von Journalisten und Spassvögeln lachen über die wichtigsten Dinge, die ganze Welt tut es. Wer die geringste Menschenkenntnis besitzt, muss zugeben, dass die Menschen mit dem grössten Ernst und gravitätischer Bedacht von Dingen reden, die absolut unwichtig sind, wie z. B. Golf, Tabak, Sakko-Anzüge und politische Parteien. Aber die ernstesten, schrecklichsten Dinge auf dieser Welt dienten von jeher zu Spässen, wie das Heiraten oder das Gehängtwerden.

Ein Mann jedoch, wie Mc. Cabe, hat diesbezüglich etwas geschrieben, was mich sozusagen persönlich anging, und da er ein Mann ist, an dessen Ehrlichkeit ich nicht zweifle, und für dessen geistige Tüchtigkeit ich die grösste Achtung hege, möchte ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, meiner Kritik freien Lauf zu gewähren. Mc. Cabe widmet einen beträchtlichen Teil seines letzten Essays (in der Kollektion, die sich »Christianity and Rationalism on Trial« betitelt) meiner Person, d. h. nicht meiner Thesis, sondern meiner Methode und er schliesst mit einer herzlichen Aufforderung, ich möge mich bessern. Ich habe grosse Lust, mich zu verteidigen, wäre es nur Mc. Cabe, noch mehr aber der Wahrheit zuliebe, die durch seinen Irrtum in dieser wie in anderen Fragen einige Gefahr läuft. Damit kein Missverständnis obwalte, lasse ich Mc. Cabe selbst sprechen:

»Bevor ich mich jedoch über Chesterton ins einzelne ergehe, erlaube ich mir allgemeine Bemerkungen über seine Methode. Er hat so ernste Absichten im letzten Grunde wie ich, und ich achte ihn dafür. Er weiss so gut wie ich, dass die Menschheit vor einem feierlichen Scheidewege steht. Einem unbekannten Ziel entgegen drängt sie sich durch alle Zeiten von einem überwältigenden Sehnen nach Glück beseelt. Heute noch schwankt sie leichtherzig genug, aber jeder ernste Denker weiss, wie wichtig die Entscheidung ist. Die Menschheit hat scheinbar den Pfad der Tugend verlassen, und den Pfad der Zeitlichkeit betreten. Wird sie im Sumpf der Sinnlichkeit untergehen und jahrelang unter dem Joch industrieller und bürgerlicher Anarchie seufzen, nur um zur Einsicht zu gelangen, dass sie den Weg verloren und zur Religion zurückkehren muss? Oder wird sie finden, dass sie schliesslich den Nebel und den Sumpf verlassen und den von der Ferne geschauten Hügel ersteigen kann, der sie in das langersehnte Utopialand führen soll? Das ist das Drama der heutigen Zeit und jedermann sollte es fassen.
Chesterton fasst es und er geht noch weiter: er glaubt, dass auch wir es verstanden. Er leidet nicht an dieser niedrigen geistigen Verschrobenheit so vieler seiner Kollegen, die uns für ziellose Ikonoklasten und geistige Anarchisten halten. Er gibt zu, dass wir einen undankbaren Krieg für Wahrheit und Fortschritt gewagt haben. Er tut dasselbe. Aber warum in aller Welt, wenn wir über die Wichtigkeit des Ausgangs übereinstimmen, warum sollten wir gleich am Anfang die ernsten Mittel beiseite werfen, die uns erlauben, die Polemik weiterzuführen? Warum, da nichts wichtiger wäre in unserer Zeit, als dass Männer und Frauen zu ernstem Denken und Sinnen und zur Erkenntnis sich aufrafften, dass sie wirklich Götter sind und das Geschick der Menschheit in ihren Händen halten, warum sollte da dies kaleidoskopische Wortspiel opportun sein?
Das Ballett in der Alhambra, und das Feuerwerk im Crystal-Palace, und Chestertons Daily News Artikel behaupten ihren Platz und haben ihren Zweck im Leben. Aber wie ein ernster sozialer Denker die Gedankenlosigkeit unserer Generation durch geschraubte Paradoxe kurieren will, wie er die sozialen Probleme eines Volkes durch literarische Taschenspielerkünste lösen will, wie er wichtige Fragen durch ein Raketenfeuer von Metaphern und unakkuraten Tatsachen erklären und schlichten und die Einbildungskraft der Urteilskraft unterschieben will, bleibt mir ein Rätsel.«

Ich zitiere diese Stelle mit ganz besonderem Vergnügen, denn es kann gar nicht genug betont werden, wie sehr ich die äusserste Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit und philosophische Haltung in Mc. Cabe, sowie an seiner Schule, anerkenne. Ich bin überzeugt, dass sie jedes Wort glauben, das sie sagen. So auch geht es mir. Aber warum ergreift ihn geheimnisvolles Zaudern, wenn er zugeben soll, dass auch ich jedes Wort glaube, das ich sage und warum will er meine geistige Verantwortung nicht zugeben, wie ich die seinige zugebe? Wenn ich es wage, die Frage direkt und bündig zu beantworten, so kommen wir auf dem kürzesten Abstecher zur Quelle des Missverständnisses.

Mc. Cabe glaubt, dass ich nicht ernst, sondern nur komisch sei, weil Mc. Cabe den Ernst für das Entgegengesetzte von Komik hält. Aber komisch ist nur das Entgegengesetzte von Nicht komisch, das ist alles. Ob sich ein Mann in grotesker oder drolliger, oder gemessener und reservierter Weise ausdrückt, hat nichts mit moralischer Haltung zu tun, sondern ist lediglich der instinktive Ausdruck der Persönlichkeit. Ob ein Mann es vorzieht, die Wahrheit lieber in langen Phrasen als in kurzen Spässen zu sagen, ist ungefähr analog dem Umstand, ob er sie lieber auf französisch oder auf deutsch sagt; ob ein Prediger das Evangelium lieber auf ernste oder groteske Weise erklärt, kommt ungefähr dem gleich, ob er es lieber in Prosa oder in Versen tut. Die Frage, ob Swifts Ironie drollig war, ist eine sehr verschiedene von jener, ob sein Pessimismus ernst war. Sicherlich kann auch Mc. Cabe nicht behaupten, dass, so komisch Gulliver in seiner Ausdrucksweise ist, der Stoff etwa frivol behandelt sei. Ernst und Komik haben, wie gesagt, nichts miteinander zu tun, so wenig wie schwarz und dreieckig irgendeine Analogie haben. Bernhard Shaw ist drollig und ernst. George Robey ist drollig und nicht ernst. Mc. Cabe ist ernst und nicht komisch. Der Durchschnittsminister in England ist nicht ehrlich und nicht komisch oder drollig. Kurzum, Mc. Cabe ist von dem Irrtum befangen, den ich nicht selten im Klerus vorfand. Ein Dutzend Reverends haben es mir zum Vorwurf gemacht, dass ich mir Spässe über die Religion erlaube und sie haben sogar an die Autorität des so klugen Gebotes appelliert: »Du sollst den Namen des Herrn nicht eitel nennen.« Freilich bemühte ich mich, ihnen zu beweisen, dass ich den Namen Gottes keineswegs eitel nenne. Eine wichtige Frage hernehmen und einen Spass darüber machen, heisst sie nicht eitel nennen, im Gegenteil, es geschieht zu allgemeinem Nutz und Frommen und in der besten Absicht. Eine Sache eitel nennen, heisse ich, wenn man sie zum Zeitvertreib, d. h. zwecklos bespricht. Aber ein Scherz kann ungemein nützlich sein, er kann den ganzen irdischen, geschweige den überirdischen Sinn einer Frage enthalten. Und jene, die auf das zweite Bibelgebot hinweisen, können in derselben Bibel eine Unzahl Spässe finden. In demselben Buch, in dem es heisst, dass man Gottes Namen nicht eitel nennen soll, überhäuft Gott selber den Hiob mit einer Flut von schrecklichen Spässen. Dasselbe Buch, das uns dieses Gebot gibt, spricht in leichtem Ton von Gottes Lachen und Zwinkern. Und doch finden wir keinesfalls in diesem Buche Beispiele und Anhaltspunkte für das Gebot »den Namen des Herrn nicht eitel zu nennen«. Und es ist nicht schwer zu sagen, wo man dieselben findet. Die Leute (ich setzte ihnen dies mit gewohntem Takt auseinander), die den Namen Gottes wirklich eitel, d. h. umsonst nennen, sind die Herren Geistlichen selber. Wirklich fundamental frivol ist ein unbesonnener Spass kaum. Fundamental frivol ist nur die gedankenlose Feierlichkeit. Wenn Mc. Cabe sich überzeugen will, was für eine Garantie von Realität und Solidität die ernsten Reden allein bieten, der gehe eines schönen Sonntags um die Kanzeln herum, oder noch besser, ins Parlament oder House of Lords. Sogar Mc. Cabe wird zugeben müssen, dass diese Herren feierlich sind, feierlicher als ich. Und sogar Mc. Cabe wird zugeben müssen, dass diese Herren frivol sind, frivoler als ich. Warum verschwendet Mc. Cabe seine Eloquenz an die Gefahren, die uns von phantastischen paradoxen Schriftstellern erwächst? Warum ist seine Sehnsucht so gross nach ernsten und wortreichen Schriftstellern? Es gibt ja nicht soviel phantastische und paradoxe Autoren. Wohl aber eine Riesenanzahl ernster und wortreicher Schriftsteller und gerade den Anstrengungen dieser ernsten und wortreichen Herren ist es zu verdanken, dass alles, was Mc. Cabe hasst und alles, was ich übrigens selbst hasse, so energisch aufrechtgehalten wird. Wie kommt es, dass ein so intelligenter Kopf wie Mc. Cabe auf den Gedanken kommen kann, dass Witze und Paradoxe den Weg sperren? Die Feierlichkeit tut es und sperrt den Weg aller neuen Anstrengungen, wo immer sie kann. Seine eigene, ihm so werte ernste Methode, seine eigne, so bevorzugte Wichtigkeit und sein geliebtes Masshalten hemmen und stauen die Pfade. Wer immer an der Spitze einer Deputation auf dem Wege zu einem Minister war, weiss, was ich meine. Wer je den Times einen Brief schrieb, weiss, was ich meine. Jeder Reiche, der dem Armen den Mund stopfen will, redet von Sachlichkeit. Jeder Minister, der nicht weiss, was er erwidern soll, redet von Wichtigkeit und Vorsicht. Jeder Leuteschinder, der gemeiner Mittel und Wege sich bedient, spricht von ernsten Methoden. Ich sagte weiter oben, dass Ehrlichkeit mit Feierlichkeit nichts zu schaffen hätten, aber ich gestehe, dass ich nicht ganz sicher bin, recht zu haben, besonders nicht, was die heutige moderne Welt betrifft. In der heutigen Welt steht die Feierlichkeit der Ehrlichkeit radikal-feindlich gegenüber, ja, Ehrlichkeit steht auf der einen, Feierlichkeit auf der andern Seite. Nur eines wagt den Angriff auf die freudig-stolze Ehrlichkeit, es ist die erbärmliche Feierlichkeit. Lasset Mc. Cabe oder irgendjemand anderen, der seine Ansicht teilt, dass Ehrlichkeit ohne eine gewisse Feierlichkeit undenkbar ist, lasset sie eine Szene ausdenken, in welcher Bernhard Shaw, Austen Chamberlain an der Spitze einer sozialistischen Deputation stünden. Auf welcher Seite würde Offenheit, auf welcher Feierlichkeit sein?

Es freut mich in der Tat ungemein, dass Mc. Cabe Bernhard Shaw und mich zugleich der Frivolität beschuldigt. Er sagte einmal, so viel ich weiss, dass er wünschte, Bernhard Shaw möchte doch seine Paragraphen als ernst oder komisch etikettieren. Ich weiss nicht, welche seiner Paragraphen die Etikette ernst beanspruchen; ich weiss aber, dass diese Stelle Mc. Cabes nur als komisch bezeichnet werden kann. Er sagt ferner in demselben Artikel, dass Shaw den Ruf hätte, immer seine Zuhörer mit Worten zu überraschen, die sie sich am wenigsten erwarteten. Ich brauche mich über die Unzulänglichkeit und Schwäche dieser Äusserung nicht länger aufzuhalten, da ich in meinem Artikel über Bernhard Shaw Ähnliches berührte. Es genüge, hier zu bemerken, dass der einzige Grund, der einen Menschen dazu bewegen kann, einem anderen zuzuhören, meiner Ansicht nach nur der sein kann, dass ersterer mit glühender Hingabe und blindem Vertrauen dem anderen zuhört in der bestimmten Annahme, dass er von ihm vernehmen werde, was er sich nicht erwartet. Es mag ein Paradox sein, aber in den Paradoxen liegt Wahrheit. Es mag nicht rationell sein, aber Rationalismus ist falsch. So viel steht fest, dass, wo immer wir einem Propheten zuhören werden, wir uns vielleicht weder auf Witz noch Geist oder Beredsamkeit gefasst machen, jedoch mit Bestimmtheit das erwarten, was wir uns nicht erwarteten. Wir mögen uns weder auf Wahrheit noch auf Weisheit gefasst machen, aber sicher auf Unerwartetes. Warum würden wir sonst hingehen? Würden wir im anderen Falle nicht besser tun, zu Hause zu bleiben und uns selbst zu belehren? Wenn Mc. Cabe bloss sagen will, dass Bernhard Shaw seinen Zuhörern immer eine unerwartete Seite und Anwendung seiner Lehre bringt, so sagt er damit nur die Wahrheit und zu gleicher Zeit, das Shaw ein origineller Kopf ist. Aber wenn er sagen will, dass Shaw je eine andere Lehre als seine eigene lehrte, so sagt er etwas, was nicht wahr ist. Es ist nicht meines Amtes, Shaw zu verteidigen; wie man weiss, stimme ich mit ihm durchaus nicht überein. Aber gewöhnlichen Gegnern wie Mc. Cabe gegenüber muss ich ihn verteidigen. Ich lade Mc. Cabe oder irgend jemanden ein, mir auch nur einen einzigen Beweis zu bringen, dass Shaw einer Satire oder Neuerung willen einen Standpunkt eingenommen hätte, der nicht mit seiner allgemeinen Anschauung in Einklang gewesen wäre. Ich habe glücklicherweise Shaws Erzeugnisse so ziemlich gut verfolgt und bitte Mc. Cabe, mir zu glauben, wenn er mir auch sonst keinen Ernst zutraut, dass es mir mit dieser Herausforderung ernst ist.

Dies sei jedoch alles in Paranthese erwähnt. Was mich heute zu diesem Artikel führt, ist Mc. Cabes Aufforderung an mich, nicht so frivol zu sein. Ich halte mich an den Text dieser Aufforderung. Es liess sich natürlich viel darüber sagen. Aber es liegt mir vor allem daran, auf Mc. Cabes Irrtum hinzuweisen; so glaubt er, dass ich mit dem Schwinden des religiösen Gefühls eine zunehmende Sinnlichkeit befürchte; ganz im Gegenteil bin ich geneigt, eine Abnahme der Sinnlichkeit zu prophezeien, weil ich eine Abnahme der Vitalität befürchte. Ich glaube nicht, dass der Materialismus unseres Westens die Anarchie heraufbeschwören wird. Ich frage mich, ob wir genug Lebensmut und Kraft besitzen werden, um uns Freiheit zu verschaffen. Es ist ein ganz altmodischer Irrtum, zu glauben, dass wir den Skeptizismus verdammen, weil die Zucht durch ihn verdrängt wird, wir verdammen ihn, weil er des Lebens Triebkraft untergräbt. Der Materialismus zerstört nicht nur jeden Zwang; er selbst ist der grosse Zwangsmeister. Die Mc. Cabesche Schule verteidigt die politische Freiheit, aber verneint die geistige Freiheit, d. h. sie schafft Gesetze ab, die übertreten werden können und stellt Gesetze auf, die man nicht übertreten kann.

Die wissenschaftliche Zivilisation, in welcher Mc. Cabe sein Vertrauen gesetzt, hat einen grossen Fehler: sie ist nämlich fortwährend darauf aus, die Demokratie oder Macht des gewöhnlichen Mannes, an die Mc. Cabe auch glaubt, zu vernichten. Wissenschaft heisst soviel wie Spezialismus, Spezialismus soviel wie Oligarchie. Wenn es einmal Sitte sein wird, bestimmten Menschen bestimmte Erfolge in der Physik und Astronomie zuzutrauen, so öffnet man damit dem ebenso berechtigten Wunsch Tür und Tor, bestimmte Menschen mit der Regierung und Gesetzgebung zu betrauen. Wenn man es ganz in der Ordnung findet, dass ein einziges Insekt das ausschliessliche Studium eines bestimmten Menschen werde, und dieser bestimmte Mensch das einzige Forschungsrecht über dieses eine Insekt bekomme, so ergibt sich daraus die harmlose Schlussfolgerung, weiterzugehen und zu sagen, dass die Politik von einer bestimmten Persönlichkeit allein getrieben werden solle und dass diese allein das Recht habe, sich ihr zu widmen. Wie ich es schon einmal in diesem Buch betonte, ist der Sachverständige aristokratischer als der Aristokrat, weil dieser ein Mann ist, der nur gut zu leben weiss, während der Sachverständige der Mann ist, der es besser weiss. Aber wenn wir Umschau halten über den Fortschritt, den unsere wissenschaftliche Zivilisation gemacht hat, sehen wir überall die Überhandnahme der Spezialisten in den allgemeinen Ämtern. Ehedem sangen die Männer im Chor und um den Tisch herum; jetzt steht einer auf und singt aus dem absurden Grund, dass er es besser kann als wie die anderen. Wenn die wissenschaftliche Zivilisation den angetretenen Weg weiterschreitet, was sehr wahrscheinlich ist, so wird in Zukunft nur noch Einer lachen, weil er es besser kann als alle anderen.

Ich glaube kaum, dass ich dies besser und bündiger zum Ausdruck bringen kann als Mc. Cabes persönliche Worte es vermögen. Ich gebe den wörtlichen Text: »Das Ballett in der Alhambra und das Feuerwerk in Crystal Palace und Chestertons Daily News Artikeln haben ihren Platz auf dieser Welt.« Ich wollte, meine Artikel hätten einen so ehrenvollen Platz als die erstgenannten Dinge. Aber fragen wir uns jetzt, im Geiste der Liebe, wie Chadband sich ausdrücken würde, was ist denn das Ballett in der Alhambra? Es ist eine Institution, in welcher eine gewisse Klasse von Menschen in rosa Kleidung eine Funktion verrichtet, die wir gewöhnlich als Tanz bezeichnen. Nun war in allen Staaten, die von der Religion beeinflusst waren, in den christlichen Staaten des Mittelalters und in manchen rudimentären Völkern das Tanzen eine Funktion, die von jedermann verrichtet wurde und dessen Ausübung nicht nur einer bestimmten berufsmässigen Klasse von Menschen vergönnt war. Es durfte Einer tanzen und brauchte deshalb kein Tänzer zu sein; es durfte Einer tanzen, ohne Spezialist, ohne mit der rosenroten Kleidung angetan zu sein. Und je mehr Mc. Cabes Zivilisation fortschreitet, d. h. die religiöse oder echte Zivilisation abnimmt, desto geschulter und rosenfarbiger werden die Menschen, die tanzen, desto grösser die Zahl derer, die nicht tanzen. Wenn Mc. Cabe ein Beispiel will, so denke er an das allmähliche Verschwinden des alten europäischen Walzers oder Partnertanzes, den man durch den schrecklichen orientalischen Tanz, den sogenannten »skirt-dance« ersetzte. Darin liegt die ganze Dekadenz, dass fünf Menschen, die etwas zum Vergnügen trieben, einer Person den Vorrang geben, die es um Geld tut. Wenn nun Mc. Cabe sagt, dass das Ballett in der Alhambra und meine Artikel ihren Platz auf dieser Welt haben, so muss ich ihn darauf aufmerksam machen, dass er nach Kräften dafür sorgt, dass der Tanz, der eigentliche Tanz, keinen Platz auf der Welt findet und verschwindet. Die Tatsache allein, dass Mc. Cabe glaubt, das Tanzen sei etwas, was nur ein paar bezahlte Frauen in der Alhambra ausüben, ist eine Illustration zu dem Prinzip, das ihm wahrscheinlich die Religion als ein Gut bezeichnet, das ausschliesslich ein paar honorierten Herren in weisser Krawatte zukommt. Beide Dinge sollte man nicht für uns tun: wir sollten sie selber ausüben. Wäre Mc. Cabe wirklich religiös, so wäre er glücklich. Wäre er wirklich glücklich, so würde er tanzen.

Kurz und gut, ich möchte sagen, dass es nicht so wichtig ist, dass das Ballett in der Alhambra seinen Platz behauptet, sondern dass es von ungeheuerer Wichtigkeit, ja von tragischer Bedeutung ist, dass Mc. Cabe nicht seinen Platz in dem Alhambra-Ballett hat. Die Freude, anmutige Posen zu wechseln, die Freude, seine Glieder nach der Musik zu drehen, die Schleier zu schwingen, auf einem Bein zu stehen, all das sollte von rechtswegen Mc. Cabe und mir zukommen und überhaupt jedem normalen und gesunden Bürgersmann. Wahrscheinlich würden wir uns zu diesen Kundgebungen nicht herablassen; aber nur weil wir erbärmlich modern und rationalistisch sind. Wir lieben uns nicht nur mehr als unsere Pflicht; wir lieben uns mehr, als wir die Freude lieben.

Wenn daher Mc. Cabe sagt, dass er den Alhambra-Tänzen (und meinen Artikeln) ihren Platz im Leben anweist, so glaube ich, sind, wir berechtigt, zu sagen, dass bei der Natur seiner Philosophie und seiner so beliebten Zivilisation er ihnen einen recht unzulänglichen Platz anweist. Denn, wenn ich dem zu schmeichelhaften Vergleich nachgehen darf, so hält Mc. Cabe die Alhambra und meine Artikel beide für etwas recht Absurdes und Komisches, für etwas, das eine gewisse Klasse von Menschen wahrscheinlich um Geld ausführt, um ihm Unterhaltung zu verschaffen. Aber wenn er je das Göttliche, Elementare und Menschliche des Tanzes erkannt hätte, so wäre ihm zum Bewusstsein gekommen, dass der Tanz nichts Frivoles, sondern etwas unendlich Ernstes, und die einzig würdige, schickliche und dezente Art ist, eine bestimmte Art von Gefühlen zum Ausdruck zu bringen. Und ebenso, wenn er wie Shaw und ich die Natur des Paradoxes begriffen hätte, hätte er erfahren, dass das Paradoxon nichts Frivoles, sondern etwas sehr Ernstes ist: eine Art herausfordernde Freude, die mit dem Glauben zusammenhängt. Ich betrachte eine jede Zivilisation, die nicht einen lärmenden Tanz ihr eigen nennt, vom rein menschlichen Standpunkt aus als eine defekte Zivilisation. Und ich behaupte, dass ein Mensch, der nicht unter der einen oder anderen Form gewohnt ist, aufrührerischen Gedanken nachzugehen, vom rein menschlichen Standpunkt aus betrachtet, eine defekte Geistesverfassung besitzt. Es ist müssiges Gerede, wenn Mc. Cabe sagt, dass das Ballett ein Teil seiner Existenz ist: er sollte ein Teil des Balletts sein, tut er es nicht, so bleibt er ein halber Mann; es ist müssiges Gerede, wenn er sagt, dass er nichts dagegen hat, wenn sich Humor in die Diskussion mischt: er selbst sollte Humor in jede Diskussion hineinbringen; denn solange ein menschliches Wesen keinen Humor besitzt, ist es nur halbwegs menschlich. Summieren wir das alles ganz einfach: wenn Mr. Cabe mich fragt, warum ich Frivolität in die menschlichen Fragen hineinbringe, so antworte ich ihm: »weil Frivolität ein Teil der menschlichen Natur ist.« Wenn er mich fragt, warum ich Paradoxe, wie er es nennt, in ein philosophisches Problem bringe, so antworte ich ihm: »weil alle philosophischen Probleme dazu neigen, paradox zu werden.« Wenn er beanstandet, dass ich das Leben so ausgelassen behandle, so antworte ich ihm, dass das Leben selbst ausgelassen ist. Und ich behaupte, dass die ganze Welt, wenigstens so wie ich sie sehe, vielmehr einem Feuerwerk aus der Alhambra gleicht als seiner eigenen Philosophie. Über die ganze Erde schwebt eine intensive geheime Freuden-Atmosphäre, gleichwie am Vorabend des »Guy Fawkes«-Tages. Die Ewigkeit ist die Vigilie eines grossen Ereignisses. Wenn ich zu den Sternen hinaufsehe, kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass es die Raketen eines Schulknaben sind, die in ihrem unaufhörlichen Fall am Himmel schweben.


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