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III.
Über Rudyard Kipling und: Wie die Welt klein ward

Einen interesselosen Gegenstand gibt es nicht auf dieser Welt, wohl aber Menschen, die sich für nichts interessieren. Nichts ist nötiger als die Langweiligen zu verteidigen. Als Byron die Menschheit in zwei Hälften teilte, in die Langweiligen und Gelangweilten, vergass er zu sagen, dass alle Vorzüge auf Seite der Langweiligen, alle Nachteile auf Seite der Gelangweilten wären, zu denen er sich selbst rechnete. In dem strahlenden Enthusiasmus des Langweiligen, in seiner feierlichen Zufriedenheit mag Poesie liegen. Der Gelangweilte ist nur Prosa. Alle Grashalme und Blätter zählen zu wollen, scheint uns sicher ein langweilig Geschäft. Aber wir finden es langweilig, nicht weil wir voll Übermut und Lustigkeit sind, sondern weil wir freudlos und langweilig sind. Der Dumme lässt sich nicht stören und zählt vergnügt seine Grashalme weiter, als wären es ebenso viel blitzende herrliche Schwerter. Er ist stärker und heiterer als wir: er ist ein Halbgott, nein – ein Gott, denn nur Götter sind es, die der Wiederholung nie müde werden: für sie ist der Sonnenuntergang ewig neu, die letzte Rose, die sie schauen, so schön und rot wie die erste, die sie erblickten

Dass in jeglichem Ding Poesie liegt, ist keine blosse Redensart oder Phrase, sondern eine ganz begründete Behauptung. Es ist nicht nur wahr, sondern nachweisbar. Es komme einer und sage das Gegenteil, oder bringe einen Beweis, der uns Lügen straft.

Da fällt mir ein gescheiter Unterredakteur ein, der vor Jahren mit einem Buch auf mich zukam, das »Herr Schmied« oder »Familie Schmied« oder ähnlich hiess, und mir sagte: »In dem steht einmal nichts von Ihrem verflixten Mystizismus« – das waren ungefähr seine Worte; mir aber war es nur ein Allzuleichtes, ihn zu überführen. Meistens ist die Sache poetisch, aber der Name nicht; im Falle Schmied hingegen ist der Name so suggestiv und poetisch, dass es einen starken Mann, ja einen Helden braucht, der es verstünde, diesen Namen würdig zu tragen. Schmied ist der Name eines Gewerbes, vor dem selbst Könige sich beugten und der fast den Ruhm des vielgepriesenen Arma Virumque beanspruchen darf. Die Schmiedsseele ist mit der Dichterseele verwandt; in viel tausend Liedern hat sie ihn gepriesen und bald sah man in jedem Schmied den Händelschen Grobschmied.

Selbst die Kinder auf dem Lande haben das unbestimmte Gefühl, dass der Schmied, in dessen Werkstätten sie an den tanzenden Funken und den betäubenden Schlägen sich erfreuen, poetischer ist als z. B. der Spezereihändler und der Schuhflicker. Die Natur in ihrer passiven Ruhe, der Mensch in seinem leidenschaftlichen Wissensdrang, das unüberwindliche Eisen, das stärkste Metall, das unheimlichste Erden-Element, das vom Rad und Pflug, vom Schwert und Dampfhammer nur überwunden wird, die Schlachtenordnung, die Schlachtenberichte, alles das steht, zwar kurz, aber deutlich auf der Visitenkarte des Herrn »Schmied«.

Unsere Romanschreiber aber benennen ihre Helden »Aylmer Valence«, was nichts sagt, und »Vernon Raymond«, was nichts sagt, wo es in ihrer Macht stünde, ihnen den berühmten Namen »Smith« beizulegen. Es würde mich nicht wundern, wenn ein gewisser Stolz, eine gewisse Kopfhaltung, ein gewisses Mienenspiel allen jenen zu eigen wäre, die sich Smith nennen. Ich hoffe, es verhält sich so. Es gibt viele Parvenüs, die Smiths aber sind sicher keine. Im dunkelsten Grauen der Zeiten sehen wir ihre Sippe im Kriege; ihre Trophäen und Namen sind überall; älter als alle Völker, führen sie schon den Hammer Thors in ihrem Schilde.

Aber, wie gesagt, ist dies eine Ausnahme. Meistens sind die Dinge poetisch, der Name aber nicht. In den meisten Fällen ist gerade der Name das Hindernis. Viele glauben, dass unsere Behauptung, »in allen Dingen läge Poesie«, ein literarischer Einfall, ein Wortgefecht sei. Aber gerade umgekehrt verhält es sich. Es ist ein Produkt der Literatur, ein Wortgefecht, zu behaupten, dass vieles unpoetisch sei. Signalbude z. B. ist ein unpoetisches Wort, aber das Ding an sich ist es nicht, sondern ein Gegenstand, welchen Menschen in ihrer wachenden Not und Angst um das Leben der anderen mit blutroten und grasgrünen Lichtern versehen. Das ist's, wozu es dient. Die Benennung nur ist prosaisch. Das Wort »Briefkasten« ist unpoetisch, aber nicht das Ding an sich. Es ist ein Ort des Austausches für Freunde und Liebende, die wohl wissen, dass ihre Aufträge dort in heiligem, unantastbarem, ja für sie selbst unantastbarem Verwahr sind. Diese gelben Brieftürmchen sind die letzterhaltenen Tempel. Einen Brief aufgeben und eine Ehe eingehen, sind die wenigen noch romantischen Dinge: denn um ganz romantisch, muss etwas auch unwiderruflich sein. Wir finden das Wort Briefkasten prosaisch, weil es sich nicht reimt, und wir ihm noch in keinem Gedicht begegnet sind. Aber das Ding selbst ist ganz auf der Seite der Poesie.

Ein Briefkasten heisst nur so; in Wahrheit ist er das Sanktuarum menschlichen Gedankenaustausches. Wenn Sie den Namen »Smith« prosaisch finden, so ist's, weil zu viel literarisches Raffinement in Ihnen steckt und nicht etwa, weil Sie verständig oder praktisch sind: denn der Name trieft nur so von Poesie. Wenn Sie das nicht herausfühlen, so ist es eben, weil Ihr Kopf voll ist von Geschichten und Reminiszenzen aus dem »Punch« oder den »Lustigen Blättern«, in welchem ein Mr. Smith bald ein Trunkenbold, bald ein Pantoffelheld ist. Poetisch kam alles auf uns; nur der lange und mühsame Prozess literarischer Verkünstelung verwandelte es in Prosa.

Das erste, was man zu Rudyard Kiplings Ehre sagen muss, ist, dass es sein glänzendes Verdienst war, die verlorenen Felder der Poesie wieder ausfindig gemacht zu haben. Der rohe Materialismus, der nur an Worte sich klammert, war nicht seine Sache; er drang bis zur Romantik der Dinge: er erkannte die tiefe Bedeutung des Dampfes und des Jargons. Der Dampf, wenn man will, ist nur ein schmutziges Nebenprodukt der Wissenschaft, der Jargon eine Nebenerscheinung der Sprache. Aber Kipling gehört zu den wenigen, die die geistige Beziehung dieser Dinge zueinander erkannten und wussten, dass, wo Rauch, auch Feuer ist, wo das Gemeinste, auch zugleich das Idealste blüht. Vor allem hat er uns etwas zu sagen, und seine ganz bestimmten Ansichten verraten den furchtlosen Mann, der den Dingen gern ins Auge sieht. Wer sich ein Bild von der Welt macht, der besitzt sie auch.

Was uns nun Kipling zu sagen hat, der Grundgedanke seines Schaffens, das lohnt sich, betrachtet zu werden. Er schrieb manch schlechten Vers wie Wordsworth; er sagte manch albernes Zeug wie Plato; er liess sich wie Gladstone oft von einer politischen Hysterie hinreissen, aber niemand wird an seiner Überzeugung und Ehrlichkeit zweifeln, und es bleibt uns nur die Frage: was er uns eigentlich sagen wollte. Vielleicht erraten wir es am besten, wenn wir auf die Seite seiner Bücher, die er sowohl wie seine Gegner so oft betonten, auf seine Liebe zum Militarismus hinweisen. Jedoch um den Wert eines Menschen zu ergründen, muss man nicht bei seinen Feinden, noch weniger aber bei ihm selbst anfragen.

Kipling nun irrt sich in seiner Verherrlichung des Militarismus, seine Gegner aber grösstenteils ebensosehr. Der Haken ist, dass der Militarismus uns bewies, dass die meisten Menschen zahm, furchtsam und unendlich friedliebend sind, die Minorität nur stolz, feurig und unendlich kriegslustig ist. Der Berufssoldat nimmt in dem Maasse an Macht zu, als der Gesamtmut einer Gemeinde sinkt. So stieg das Ansehen des prätorianischen Soldaten in Rom in dem Maasse, als die Üppigkeit und Verweichlichung Roms wuchs und Rom entnervte. Der Soldat gewinnt die bürgerliche Gewalt in dem Maasse, als die bürgerliche Gewalt der militärischen Tugenden verlustig geht. Und wie es im alten Rom war, so ist es im heutigen Europa. Zu keiner Zeit waren die Völker militärischer, zu keiner Zeit weniger tapfer. Alle Epen vergangener Jahrhunderte besangen Waffen und Krieger. Wir aber haben gleichzeitig die fabelhafteste Vervollkommnung der Waffen und die Ausartung der Menschen erzielt. Der Militarismus verriet Roms Verfall, so wie er heute Preussens Verfall verrät.

Dies hat Kipling uns meisterhaft, wenn auch unbewusst klargelegt. Denn wer seine Schriften recht versteht, wird herausgefunden haben, dass er keineswegs dem Militärwesen den wichtigsten und anziehendsten Platz anweist. Auch glückten ihm diese Schilderungen weniger, als wenn er uns einen Brücken- und Eisenbahnarbeiter oder gar Journalisten beschrieb. Was ihn tatsächlich dort anzieht, ist nicht die Tapferkeit, sondern die Disziplin. Im Mittelalter, als noch kein König ein ständiges Heer, jeder aber Bogen und Schwert führte, war auf einer Quadratmeile Umlauf mehr Tapferkeit, als in unserer tausendköpfigen Armee zu finden. Was Kipling so begeistert, ist, wie gesagt, nicht der Mut (der ihn wenig interessiert), sondern die Disziplin, welche sein Steckenpferd wird. Die moderne Armee ist kein Wunder der Tapferkeit, dazu wird kraft der allgemeinen Feigheit keinem die Gelegenheit geboten. Aber ein Wunder der Organisation ist sie, und das ist das Kiplingsche Ideal. Der Gegenstand seiner Erörterungen ist nicht die Tapferkeit, welche Sache des Kriegers, sondern die gegenseitige Abhängigkeit und Kraft, die ebensosehr Sache der Ingenieure und Matrosen, des Maulesels und der Dampfmaschine sind. Und deshalb ist er am glänzendsten, wenn er von Ingenieuren, Matrosen, Mauleseln und Dampfmaschinen schreibt. Die wahre Poesie, die wahre Romantik, die er uns lehrt, ist die Poesie der Arbeitsverteilung und die Disziplin aller Gewerbe. Er besingt die Kunst, Frieden zu stiften, mit viel grösserer Akkuratesse als die Kriegskunst. Und seine Thesen haben Leben und Kraft. In einem gewissen Sinn ist alles militärisch, weil alles einem Befehle sich beugt. Eine eigentliche Epikureerecke gibt es nicht, wie es auch keine eigentliche Unverantwortlichkeit gibt. Wo immer man den Weg für uns bahnte, kostete es Schweiss und Unterwerfung. Wir werfen uns z. B. in einer Laune himmlischer Sorglosigkeit in eine Hängematte, aber es ist uns recht lieb, zu wissen, dass der Netzstricker dieselbe nicht in einer göttlich-sorglosen Laune strickte. Wir setzen uns aus Spass auf ein Schaukelpferd, aber es ist uns angenehm, dass der Schreiner »aus Spass« nicht vergass, die Beine anzuleimen. Weit davon, einen Soldaten, der sein Gewehr putzt, anbetungswürdig zu finden, nur weil er vom Militär ist, betonte Kipling des öfteren, dass der Bäcker, der seine Semmeln bäckt, und der Schneider, der seinen Anzug zuschneidet, so militärisch sei, wie irgendeiner.

Kipling, der einer solch vielseitigen Pflichtidee huldigt, ist natürlich Kosmopolit. Es trifft sich, dass er seine Beispiele im Britischen Reich findet, aber ein anderes täte es ebensogut, wie überhaupt jede andere höher kultivierte Nation. Was er in der englischen Armee so bewundert, fände er noch bewunderungswürdiger in Deutschland. Die Wünsche, die er für die englische Polizei hegt, fände er in Frankreich verwirklicht. Disziplin ist nicht alles, aber in allem. Und dass Kipling sie so hochhält, beweist seine Weltklugheit, die Erfahrung seines Wanderlebens, welche die Hauptanziehung seiner besten Bücher ist. Die grosse Lücke in seiner Begabung ist vielleicht sein Mangel an Patriotismus, die Unfähigkeit, sich einer Sache auf Leben und Tod hinzugeben. In jeder Hingabe aber liegt Tragik. Er bewundert England, aber er liebt es nicht: man bewundert mit dem Verstand, aber Liebe sucht nicht nach Gründen. Er bewundert England, weil es stark ist, nicht, weil es England ist. Dies sei ohne Bitterkeit vermerkt, denn der Wahrheit zuliebe muss man sagen, dass er dies selbst in seiner reizvollen Offenheit zugibt. In einem seiner interessantesten Gedichte sagt er:

»Wenn England war, was England scheint,« d. h. schwach und kraftlos, und wenn England nicht das wäre, was es (seiner Ansicht nach) ist, d. h. mächtig und klug, »wie schnell hätten wir es abgeschüttelt! Aber es ist mächtig.«

Er gibt demnach zu, dass seine Sympathie ein Resultat seiner Kritik ist. Wie weit sind wir da von der Vaterlandsliebe der Buren, die es in Südafrika zu Tode hetzte. Wenn von wirklich patriotischen Ländern wie Irland z. B. die Rede ist, kostet es ihm Mühe, seine Gereiztheit nicht laut werden zu lassen und ihr in schrillen Worten nicht Luft zu machen. Grossartig aber beschreibt er die Stimmungen des kosmopoliten Menschen, der Land und Leute gesehen, um zu:

»Bewundern und schau'n
Der weiten Welt Gau'n.«

Meisterhaft schildert er die gewisse Melancholie, die jene befällt, welche vieler Städte Bürger, vieler Frauen Freunde waren. Er ist der Liebhaber sämtlicher Nationen. Aber es mag einer im Umgang mit Frauen viel Erfahrung gewonnen haben, und doch eine erste Liebe nicht kennen; es mag einer so viel Länder als Ulysses gesehen haben und nicht wissen, was Vaterlandsliebe ist. Rudyard Kipling hat in einem berühmten Epigramm die Frage gestellt »was einer wohl von England wissen mag, der nur England kennt.« Mit grösserer Berechtigung könnte man also fragen: »Was mögen jene von England wissen, die nur die Welt kennen, denn die Welt ist so wenig England wie sie die Kirche ist.« Von dem Moment an, wo wir unser ganzes Herz an eine Sache hängen, bekommen wir die Welt, d. h. alles was sonst Interesse gebietet, zur Feindin. Die Christen verstanden es, wenn sie »von der Welt unberührt bleiben« wollten, aber die Verliebten drücken einen ähnlichen Gedanken aus, wenn sie von der seligen Weltentrücktheit reden. Geographisch ist England in der Welt, ebenso wie die Kirche, soviel ich weiss, auf der Welt ist, und sogar die verliebten Bewohner unseres Himmelskörpers. Alle aber erfuhren an sich selbst eines: dass die Welt ihnen feind wird, sobald sie ihre Liebe irgendeiner Sache weihen. Kipling kennt die Welt; er ist ein Weltmann mit all der Enge, die den Gefangenen dieses Planeten eigen ist. Er kennt England, wie ein intelligenter Engländer Venedig kennt. Er war oft in England und hielt sich dort länger auf, aber er gehört nicht dazu, so wenig er zu einem anderen Land gehört, und der Beweis hierfür ist, dass England für ihn ein Ort ist. Sobald wir aber in einem Ort Wurzel gefasst haben, schwindet der Ort und wir leben dann wie ein Baum mit der ganzen Kraft des Universum.

Der Globetrotter lebt in einer engeren Welt als der Bauer; er lebt immer in einer Art Lokalatmosphäre. London ist ein Ort, den man mit Chikago, Chikago ein Ort, den man mit Timbuktu vergleichen kann. Aber Timbuktu ist kein Ort, denn die Menschen dort betrachten es als das Universum und atmen Weltluft. Der Reisende in seinem Salondampfer kennt alle Menschenrassen; er denkt über die Dinge, welche die Menschen untereinander scheiden: die Mode und Tracht; über die Mode, die Ohrringe in der Nase, wie die Afrikaner, oder in den Ohren, wie die Europäer, zu tragen, über die blaue Farbe, mit der die Alten sich anmalten, oder die rote Farbe, mit welcher unsere modernen Britten sich schminken. Der Bauer in seinem Krautfeld hat gar nichts von der Welt gesehen; aber er denkt an jene Dinge, die uns Menschen aneinander binden: an Hunger, kleine Kinder, Frauenschönheit, an die vorübereilenden Wolken, ob sie gut oder drohend hersehen. Kipling ist trotz all seiner Verdienste ein Globetrotter; er besitzt die Geduld nicht, Teil eines Ganzen zu werden. Einen so echten bedeutenden Menschen kann man nicht kurzweg des zynischen Kosmopolitismus zeihen, dennoch wird er bei ihm zur Schwäche. In einem seiner schönsten Gedichte »The Sestina of the Tramp« sehen wir sie am deutlichsten: er lässt seinen Helden sagen, dass er alles auszuhalten vermag, was Hunger und Schrecknis betrifft, nur nicht ewig an einem Ort zu leben. Je lebloser, trockener und staubiger ein Ding ist, desto mehr kommt es herum: so der Staub, die Distelwolle und der Oberkommissär Süd-Afrikas. Fruchttragende Dinge sind etwas sesshafter, wie die reichen Obstbäume am fruchtbaren Nilschlamm. In unserm Jugendeifer kam uns das Sprichwort: »Gewälzter Stein bemoost nicht«, ziemlich albern vor. Wir hätten gerne gefragt: Wer will denn Moos sammeln? Doch alte Jungfern nur. Trotzdem dämmert uns jetzt, dass das Wort nicht so unrecht hat. Der rollende Stein dröhnt in seinem Fall von Fels zu Fels, aber er ist leblos: das Moos ist still, weil es lebt.

So viel ist sicher, dass Forschungen und Welterweiterungen unsere Welt kleiner machten. Der Telegraph und das Dampfboot machen die Welt kleiner. Das Teleskop verkleinert die Welt, das Mikroskop nur vergrössert sie. Nach nicht allzulanger Zeit wird die Welt im Streit sich spalten zwischen den Teleskopisten und Mikroskopisten. Erstere erforschen das Weite und leben in einer kleinen Welt; letztere erforschen kleine Dinge und leben in einer unermesslichen Welt. Es ist zweifelsohne begeisternd, mit einem Automobil um die Welt zu sausen, Afrika als einen Staubwirbel, China wie ein blitzendes Reisfeld zu schauen. Aber Arabien ist kein Staubwirbel und China kein blitzendes Reisfeld. Alte Kultur mit merkwürdigen Tugenden liegt gleich Schätzen dort begraben. Wenn wir sie verstehen wollen, müssen wir sie mit der Einfalt eines Kindes und der grossen Geduld eines Dichters betreten und nicht als neugierige Touristen. Solche Länder erobern, heisst so viel als sie verlieren. Der Mann aber, der in seinem Küchengarten steht, das offene Wunderland vor sich, das ist der Mann mit weitsichtigen Ideen. Sein Sinnen erschafft die Entfernung; das Automobil zerstört sie sinnlos.

Der moderne Mensch betrachtet die Welt als einen Globus, um den man leicht herumkommen kann: er denkt ungefähr wie eine Schullehrerin. Der merkwürdige Fehler, den man mit Cecil Rhodes begeht, zeigt es zu Genüge. Seine Feinde sagen ihm nach, dass er vielleicht geniale Ideen hatte, aber ein schlechter Mensch war; seine Freunde sagen ihm nach, dass er vielleicht kein guter Mensch, aber voll grosser Ideen war. Und in Wahrheit war er kein wesentlich schlechter Charakter, eine geistvolle Persönlichkeit mit vielen guten Absichten, aber mit auffallend engen Gesichtspunkten. Es liegt nichts besonders Grosses darin, die Landkarte rot anzumalen; ein reines Kinderspiel. Man kann ebenso leicht in Kontinenten als in Kieselsteinen denken. Die Schwierigkeit tritt erst dann ein, wenn es gilt, die Substanz beider zu erforschen. Rhodes' Prophezeiungen von dem Widerstand der Buren ist ein herrlicher Beleg dafür, was grosse Ideen nützen, wenn es sich nicht um kosmopolitische Weisheit, sondern darum handelt, ein paar zweibeinige Menschen zu verstehen. Und neben all dem Wahn dieses kosmopolitischen Planeten spinnt sich das reelle Leben des kleinen Mannes mit seinen kleinen Interessen weiter, unbeachtet und unbekümmert. Er schaut lächelnd, vielleicht mit seiner schönen Reichtumspolitik auf die Motorzivilisation hernieder, die Zeit und Raum triumphierend niederrennt, alles und nichts sieht, und zum Schluss selbst das Sonnensystem einfangen wird, nur um an Sonne und Sterne nichts Besonderes zu finden.


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