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[Vorwort]

Dem deutschen Leser ist G. K. Chesterton nicht mehr unbekannt: vor zwei Jahren gab ich gemeinsam mit Anette Kolb eine deutsche Übertragung der »Orthodoxie« heraus und Heinrich Lautensack den Roman »Der Mann, genannt Donnerstag«. Dieses dritte Buch wird, wie zu hoffen ist, viele neue Freunde im Lager der Gegner finden. Ja, dort, denn Chesterton ist ein politischer Schriftsteller gegen die politischen Parteien, ein katholischer Schriftsteller gegen die, welche heute sich Katholiken dünken und ein literarischer Kritiker ganz ohne Respekt für die falsche Würde, mit der dies Amt heute betrieben wird. Es ist charakteristisch für Chesterton, dass er seit Jahren allwöchentlich in die Daily News schreibt: deren friedvolle, nonkonformistische, abstinenzlerische Leser müssen es sich allwöchentlich gefallen lassen, dass ihnen Chesterton von drei Dingen redet, aus denen nach ihrer Ansicht die Hölle besteht, nämlich von Krieg, Katholizismus und Weintrinken.

Nennte man Chesterton originell, so würde er das sicher damit ablehnen, dass er nur von den ältesten längst bekannten Dingen spräche, die man nur vergessen habe. Worüber man sie aber vergessen hat, das erfüllt ihn mit einem Ingrimm, wie er seit Swift nicht mehr in der Literatur sich geäussert hat. Diese Kampflust, diese Heftigkeit des Angriffes, diese zur Leidenschaft erglühten Gedanken nähren sich aus einem frohen, ganz optimistischen katholischen Glauben, der gar nicht feierlich tut oder sich dumm stellt oder, und dies schon gar nicht, irgendwie künstlerische oder psychologische Werte daraus züchtet. Mag sein, es ist dies heute ein verlorener Glaube, wo der kapitalistische Geist der herrschende ist und dieser im Protestantismus sein religiöses Äquivalent besser und so sehr findet, dass unsere heutigen offiziellen Katholiken, wo immer sie Parteien bilden und öffentlich deutlich werden, bereits Protestanten geworden sind. Mag sein, es ist ein heute verlorener Glaube. Aber so lange sich Geister wie Chesterton und Claudel und hier noch einer und dort noch einer bedingungslos zu ihm bekennen, ist er immer noch die grosse Flamme des Lebens, wenn auch der Rauch der Fabrikschornsteine eine Weile lang mit seinem Grau das Leuchtende verbirgt.

Und Chesterton ist seit Swift der witzigste europäische Schriftsteller. Sein Paradox ist nicht dieses Spiel mit einem Sprichwort, einem Einfall, wie es Wilde liebt und das keine Untersuchung auf seine Richtigkeit verträgt, genommen und vergessen sein will in der Konversation eines Salons. Auch mit dem Witz Shaws hat Chestertons Paradox nichts gemeinsam im wesentlichen. Denn bei Chesterton ist es Anfang oder Schluss einer Gedankenreihe, ist es Verstärkung, Illustration und ist nie um seiner selbst willen da: man kann es nicht zitieren, man muss es an seiner Stelle lassen.

Und Chesterton ist eine grosse ethische Energie, einsam und verehrungswert in einer Zeit, die es hierin zu nichts als einem vagen Humanitätsdusel bringt, vom Weltfrieden redet und Millionen mit Mordwaffen exerziert und in der Absage des alten Tolstoi an das Leben schauspielerisch findet, dass sie irgendwo im Innersten noch immer so was wie religiös sei.

Gilbert Keith Chesterton, dieser prachtvolle Raufbold des Herrn, dieser trinkfrohe, loyale, herzliche Mann, dieser unbekümmerte, freie und frohe Mensch wurde am 29. Mai 1874 geboren.

Franz Blei


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