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IX.
Die Launen des Herrn George Moore

Herr George Moore begann seine literarische Laufbahn mit der Veröffentlichung seiner »Bekenntnisse«. Es wäre daran nichts weiter auszusetzen, wenn er sie nicht sein ganzes Leben lang fortgesetzt hätte. Er ist ein Mann von starker geistiger Veranlagung und zeigt eine rhetorische flackernde Überzeugung, die reizt und gefällt. Er befindet sich in einem konstanten Zustand »vorübergehender Ehrlichkeit«; er bewundert alle bewunderungswürdigen modernen und überspannten Köpfe, bis diese es kaum mehr aushalten konnten. Alles, was er schreibt (man muss es voll und ganz zugeben), trägt den Stempel urwüchsiger Geisteskraft. Sein Bericht über die Beweggründe, die seinen Austritt aus der katholischen Kirche veranlassten, sind womöglich der glänzendste Tribut, der seit Jahren der Kirche gezollt wurde. Denn gerade jene Schwäche, die Moores glänzende geistige Eigenschaften lähmt, eben jene Schwäche ist es, welche die katholische Kirche zu ihrer besten Zeit am stärksten bekämpft. Moore hasst den Katholizismus, weil er das Spiegelhaus, in dem er lebt, einwirft. Moores Abneigung gegen den Glauben an die geistige Existenz von Wundern und Sakramenten ist nicht so gross wie seine fundamentale Abneigung gegen den Glauben an die Existenz des »Nächsten«. Er hadert mit diesem Leben wie Walter Pater und alle Ästheten: er grollt, dass das Leben nicht ein Traum ist, den man nach Belieben formen kann. Nicht das Dogma von der Wahrheit des »anderen Lebens«, sondern das Dogma von der Realität und Wirklichkeit dieser Welt ist's, was ihn aus dem Gleichgewicht bringt. Die Tradition des Christentums (immer noch die einzige in Europa, die einen Zusammenhang hat) ruht auf zwei oder drei Paradoxen und Geheimnissen, die in Beweisgründen leicht angefochten, ebenso leicht aber im Leben plausibel gemacht werden können. Der scheinbare Widersinn von Hoffnung und Glaube z. B. sagt: dass je hoffnungsloser eine Lage ist, desto mehr Hoffnung der Mensch hegen soll. Stevenson verstand dies und deshalb kann Herr Moore Stevenson nicht verstehen. Das Paradoxon von Barmherzigkeit und Ritterlichkeit sagt: dass je schwächer ein Ding ist, desto mehr wir es achten sollen, je hilfloser, desto mehr es den Mut der Verteidigung einflössen soll. Thackeray verstand dies und deshalb versteht Herr Moore Thackeray nicht. Eine der praktischsten und überzeugendsten Mysterien in der christlichen Tradition, ein Mysterium, welches die katholische Kirche besonders hervorhebt, ist der Begriff von der Sündhaftigkeit des Stolzes. Der Stolz ist eine Charakterschwäche, er saugt Frohsinn, Wunder, Ritterlichkeit und Energie auf. Die christliche Tradition versteht das; deshalb versteht Herr Moore die christliche Tradition nicht. Denn es verhält sich mit der Lehre von der Sündhaftigkeit des Stolzes noch seltsamer, als man glauben möchte. Nicht nur ist die Demut kräftiger, gesünder und klüger als der Stolz; auch die Eitelkeit ist viel klüger und praktischer als der Stolz. Die Eitelkeit ist gesellig; der Stolz ist einsam und unzivilisiert. Die Eitelkeit ist ruhig; sie sehnt sich nach dem Applaus der Menge. Der Stolz ist passiv: ihm genügt der Beifall eines Einzigen, und den hat er bereits. Die Eitelkeit hat Humor: sie kann den Spass sogar über die eigene Person vertragen. Der Stolz ist langweilig und stumpf, er versteht kaum zu lächeln. – Und das ist der wesentliche Unterschied zwischen Stevenson und George Moore, der, wie er uns mitteilt, Stevenson beiseite gedrückt hat – zwar sehe ich nicht recht, auf welche Weise – aber immerhin ist es diesem gut bekommen, denn er war klug genug, eitel und nicht stolz zu sein. Stevenson hatte eine windige Eitelkeit. Moore besitzt einen staubigen Egoismus. Deshalb konnte Stevenson mit sich selbst und über sich selbst lachen, so wie er auch Spass an seiner eigenen Eitelkeit hatte, während die glänzendsten Resultate von Moores Grössenwahn uns verschlossen blieben. Wenn wir die feierliche Narretei des einen mit der fröhlichen Narretei des anderen vergleichen, der sich, seine Bücher und Kritiker verlacht, so wird es uns leicht, in seine Philosophie Einblick zu bekommen, die ihm doch einige Lebenslust ermöglichte, während Moore stets auf der Suche nach einer neuen Lebensfreude ist. Stevenson sah ein, dass die Lebenskunst und Weisheit in der Fröhlichkeit und Demut liegt. »Egoismus« nennt sich das Medusenhaupt. Die Eitelkeit sieht es im Spiegelbild der anderen und lebt weiter: der Stolz ergründet es für sich allein und wird zu Stein.

Es ist dies nicht von nebensächlicher Bedeutung, weil es die schwache Seite eines Schaffens beleuchtet, das nicht ohne eine gewisse Kraft ist. Moores Egoismus ist nicht nur eine blosse Schwäche, sondern eine sehr einflussreiche und ästhetische Schwäche. Wir würden uns sicherlich mehr für Moore interessieren, wenn er sich selbst nicht so interessant wäre. Es ist, als ob man uns durch eine wertvolle Bildersammlung führte, in welchem auf jedem Bild (niemand weiss, auf welch tollem und unharmonischem Einfall hin) dieselbe Figur in der selben Stellung dargestellt ist: »Ein Kanal Venedigs mit einem Bild Moores im Hintergrund«, »Moore im schottischen Nebel«, »Moore bei Abendbeleuchtung«, die »Ruinen Moores bei Mondbeleuchtung« usw. … Das ist die endlose Serie. Moore freilich wird uns sagen, dass er in seinen Büchern sein »eigenes Selbst« schildern wollte, aber wir werden ihm zur Antwort geben, dass ihm das eben nicht gelingt. Eine der tausend Nachteile des Stolzes ist, dass das Selbstbewusstsein die Echtheit der eigenen Analyse zerstört. Jemand, der viel mit sich beschäftigt ist, wird trachten, vielseitig zu sein, eine theatralische Vollkommenheit in allem zu erreichen, eine wahre Enzyklopädie der Kultur zu sein … und bei all dem geht eine eigene Persönlichkeit zugrunde. Wer an sich denkt, strebt darnach, universal, d. h. soviel wie nichts zu sein. Wer aber klug genug ist, das Leben als Ganzes zu betrachten, wird es auf seine eigene persönliche Art tun. Er wird Gottes Geheimnis hochhalten, er wird das Gras grüner, die Sonne leuchtender schauen, als irgendeiner. Dieses Faktum kommt in Moores Bekenntnis zur Veranschaulichung. Wir treten da nicht einer scharf gezeichneten Persönlichkeit wie Thackeray oder Matthew Arnold gegenüber: wir bekommen nur eine Anzahl geistvoller und stark komplizierter Anschauungen zu lesen, die jeder gescheite Mensch sagen könnte, die wir aber in Moore speziell zu bewundern haben, weil sie eben von Moore sind. Er ist der einzige, der den Katholizismus und Protestantismus, den Realismus und Mystizismus zusammenhält, er, oder besser gesagt, sein Name. Er ist in den Ansichten, die er längst aufgegeben, noch ernst vertieft und verlangt dasselbe von uns. Er führt das liebe Ich sogar an Stellen an, wo es unnütz ist und den Eindruck eher schwächt als erhöht. Wo ein gewöhnlicher Sterblicher z. B. sagt: »Heute ist schönes Wetter,« sagt Moore: »mit meinem Temperament betrachtet, ist das Wetter schön zu nennen.« Wo ein anderer sagt: »Milton hat entschieden einen schönen Stil,« sagt Moore: »als Stilist machte Milton immer einen bedeutenden Eindruck auf mich.«

Die Nemesis dieses selbst konzentrierten Geistes bewirkt, dass seine Absicht, zu imponieren, vollständig vereitelt wird. Moore hat manch interessante Streitfrage aufgeworfen, verliess aber sein eigenes Feld, bevor seine Jünger sie aufnehmen konnten. Sogar im Felde der Wahrheit bleibt er noch unstet, wie die Kinder der Lüge. Sogar in der Wirklichkeit findet er keinen Halt. Eine Eigenschaft besitzt er, die keinem Irländer fehlt, die Streitlust, und das ist besonders heutzutage eine grosse Tugend. Aber er hat nicht die Fähigkeit der Überzeugung, wie ein Shaw z. B. Seine Selbstanalyse und Selbstherrlichkeit hindern ihn nicht am Kampf, wohl aber am Sieg.


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