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VII.
Omar und die heilige Rebe

Etwas gewaltsam drängt sich uns eine neue Moral auf bezüglich des starken Trinkens, und ihre begeisterten Anhänger rangieren von dem Herrn, den man um halb eins hinauswerfen muss, bis zu der Dame, die american bars mit der Axt einschlägt. Wenn das Problem zur Sprache kommt, gilt es allgemein für weise und schicklich, die Ansicht zu vertreten, dass Wein und ähnliche Spirituosen nur als Medizin genommen werden sollten. Und dagegen erlaube ich mir heftig zu protestieren. Die einzig wirklich gefährliche und unmoralische Art, Wein zu trinken, ist Wein als Arznei zu nehmen. Und ich will sagen, warum. Wenn einer zu seinem Vergnügen Wein trinkt, so verschafft er sich etwas besonders Gutes, etwas, das er nicht zu jeder Tageszeit erwartet und nicht zu jeder Tageszeit begehrt, ausgenommen, er ist nicht ganz normal. Aber wenn einer Wein trinkt, um seine Gesundheit wiederzuerlangen, so verschreibt er sich etwas Alltägliches, etwas, das er nicht entbehren sollte oder sich schwerlich verzeihen dürfte, entbehren zu müssen. Wer die Verzückung eines Ekstatikers sah, hat nichts gesehen im Vergleich zu jenem, der eine Ahnung bekam von dem Entzücken eines normalen Menschen. Gesetzt, es gäbe eine Zaubersalbe: wir reichten sie einem kräftigen Manne mit den Worten hin: »mittels dieser Salbe können Sie von dem ›Monument‹ »Das Monument in London«, errichtet zur Erinnerung zu der im Jahre 1666 in Brand gesteckten Stadt. herunterspringen, so nähme er sie zweifelsohne und spränge von dem Monument herunter, aber kaum den ganzen Tag zur Belustigung seiner Mitbürger. Reichten wir sie aber einem Blinden hin mit den Worten: »mittels dieser Salbe werden Sie sehend«, so würde er der Versuchung schwer widerstehen können, sich nicht mit dieser Salbe einzureiben, so oft er den Hufschlag eines Rosses oder den Gesang der Vögel bei Tagesanbruch vernähme. Es ist leicht, sich den Luxus zu versagen, aber es ist schwer, das »Normalsein« zu entbehren. Daher der Umstand, den jeder Arzt kennt, dass es oft gefährlich ist, den Kranken Alkohol zu geben, auch wenn sie ihn benötigen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, dass ich damit nicht meine, dass die Verabreichung des Alkohols als Stimulans für Kranke etwas Unverantwortliches sei. Aber ich behaupte, dass der Wein zur Freude der Gesunden da ist, und auch mit Gesundheit viel mehr zu schaffen hat.

Die Regel diesbezüglich ist, wie manch andere vernünftige Regel: paradox. »Trinket, weil ihr vergnügt, aber nie, weil ihr elend seid. Trinket nie, wenn ihr ohne Wein elend seid, oder ihr werdet bald wie der fahle Schnapsbruder aus der Vorstadt; trinket, wenn ihr auch ohne Wein frisch und glücklich seid, und ihr werdet so vergnügt, wie der Bauer in Italien. Trinket nie, weil ihr Wein braucht, denn daraus wird rationelles Trinken, der Weg zu Tod und Hölle. Aber trinket, weil ihr ihn nicht benötigt, denn das ist unrationelles Trinken und das alte Mark der Welt beruht darin.«

Seit mehr als dreissig Jahren liegt der Schatten und der Glanz dieser grossen östlichen Gestalt über der englischen Literatur. Der ganze ziellose und dunkle Hedonismus unserer Zeit liegt in der unsterblichen Gestalt Omar Kajjáms, den Fitzgerald übersetzte. Ich rede nicht von dem literarischen Glanz und Wert des Buches: es wäre abgedroschen. Wenig Bücher, von Menschenhand geschrieben, vereinigen wie dieses die heitere Kampfeslust eines Sinngedichtes mit der vagen Trauer eines Liedes. Aber über den philosophischen, ethischen und religiösen Einfluss des Werkes, der ebensogross als sein Glanz ist, will ich ein Wort sagen und ich gestehe es, ein Wort ungeschminkter Antipathie. Gegen Omar Kajjáms Geist und seinen ungeheuren Einfluss mag viel auszusetzen sein; eine Klage aber wird vor allem laut zu seiner Schmach und unserem Jammer: es ist der Schlag, den dies herrliche Gedicht gegen die Geselligkeit und Lebensfreude führte. Es nannte jemand Omar den traurig-frohen Perser. Traurig ist er, froh aber ist er nicht, in keiner Bedeutung des Wortes. Er war noch ein grösserer Feind der Freude und Fröhlichkeit als die Puritaner.

Ein träumerischer und anmutiger Orientale liegt unter dem Rosenbusch mit seinem Weinkrug und seiner Dichterrolle. Sonderbar, dass bei seinem Anblick jedermann an ein düsteres Krankenbett erinnert wird, welchem der Doktor Branntwein verordnete … oder gar an einen Strolch, der vor Schnapstrinken zittert … Dennoch hält eine grosse philosophische Einheit diese drei in üblem Bunde. – Omar Kajjáms Weinschlürfen ist nur deshalb schlecht, und zwar sehr schlecht, weil es medizinisches Weinschlürfen ist. Er trinkt Wein, weil er unglücklich ist; aber dies Trinken verschliesst ihm die Welt, statt sie ihm zu offenbaren. Es ist kein poetisches Trinken, kein fröhliches und instinktives, sondern ein rationelles Trinken, das so prosaisch wie eine Geldanlage, so unschmackhaft wie Kamillentee ist. Himmelhoch (allerdings nicht was Stil, sondern Gefühle betrifft) steht der köstliche Frohsinn eines alt-englischen Trinkliedes:

»Then pass the bowl, my comrades all
And let the zider vlow …«

Fröhliche Menschen, die den Wert der Dinge erkannten, den Wert der Brüderschaft, der Redseligkeit und der kurzen Labung des Armen, stimmten in dieses Lied ein. Der grösste Teil der Vorwürfe, die gegen die Omar-Moral erhoben werden, ist ebenso falsch als kindlich, wie eben diese Vorwürfe zu sein pflegen. Ein Kritiker, dessen Werk ich gelesen, geht in seiner Verblendung soweit, zu behaupten, dass Omar ein Atheist und Materialist sei. Das eine wie das andere ist dem Orientalen beinahe unmöglich; dafür kennt der Osten seine Metaphysik zu gut. Was der christliche Philosoph an der Omarschen Religion aussetzen mag, ist nicht, dass sie »Gott« zu wenig, sondern zu viel Platz einräumt. Sein erschreckender Theismus kennt nur die Gottheit und leugnet ganz und gar die Existenz des freien Willens und der menschlichen Persönlichkeit.

»O Du! vom Los getrieben wie von Schlägel-Ballen,
Der Du in Lust des Weines und der Huris gefallen,
Du bist gefallen auf des Ewigen Geheiss.
Er ist es, der es weiss, der's weiss, der's weiss …«

Ein christlicher Denker, wie St. Augustin oder Dante, hätte deshalb gegen diese Auffassung protestiert, weil sie den freien Willen (der Seele Wert und Würde) ignoriert. Der höchste christliche Gedanke stritt mit dem Skeptizismus, nicht weil er Gott leugnet, sondern weil er die menschliche Existenz leugnet.

Unter den pessimistischen Freudensuchern, denen wir huldigen, steht Omar heute obenan, aber er steht nicht allein. Viele unserer geistreichsten Köpfe rieten uns zu dem Genuss des seltenen und köstlichen Augenblicks. Walter Pater sagt, dass wir alle dem Tode geweiht seien und uns deshalb nur eines bliebe: den kostbaren Augenblick seinethalber zu geniessen. Dasselbe lehrt die plausible und trostlose Philosophie Oscar Wildes. Es ist die »Carpe diem«-Religion; aber die »Carpe diem«-Religion ist die der tief unglücklichen Menschen, nicht die der glücklichen. Die hehre Freude bückt sich nicht nach der Rose am Weg, als sei sie die letzte: ihr Blick ist auf die unsterbliche Rose gerichtet, die Dante geschaut.

Der Freudige ahnt, was Unsterblichkeit ist. Das Herrliche an der Jugend ist das ihr eigene übermütige Gefühl, dass die Unermesslichkeit des Raumes ihr Besitztum sei. In all den Büchern wertvoller Komik wie in Tristram Shandy oder Pickwick kommt dies Gefühl der Unendlichkeit und Unverderblichkeit zum Ausdruck. Die darin gezeichneten Charaktere sind unsterblich, wie die Erzählungen es sind.

Die grossen Glücksmomente freilich sind vorübergehend, aber wir sollen sie nicht als vorübergehend empfinden, noch den Augenblick nur seinethalben geniessen. Wer dies tut, behandelt das Glück vernunftmässig und zerstört es. Das Glück ist ein Mysterium wie die Religion und duldet kein Rationalisieren. Nehmen wir einen Mann, der eine ungeheure Freude erlebt (ich spreche hier nicht von der oberflächlichen, sondern tiefen, fast stechenden Freude), oder die Verzückung einer ersten Liebe, oder die Wonne eines Siegesrausches. Der Verliebte geniesst wohl den Moment, allein nicht des Moments, sondern des geliebten Wesens oder seinethalber; der Sieger nicht des Moments, sondern seiner Fahne halber. Diese mag einer törichten Sache dienen, jene nur eine Woche dauern. Für den Patrioten ist die Fahne unvergänglich, für den Liebenden das Gefühl nimmer endend. Diese Momente atmen Ewigkeit: sie sind voll der Freude, weil sie unsterblich sind. Wie Walter Pater betrachtet, werden sie kalt wie er selbst und sein Stil. Der Mensch liebt nicht das Vergängliche, sondern das Ewige … und wäre es auf einen Augenblick.

Paters Irrtum wird uns in einem seiner berühmten Worte kund: Er möchte, dass unser Feuer, unsere Flamme hart sei, gleich Edelsteinen. Aber Flammen sind nie hart und nie wie Stein; man kann sie weder modeln noch fassen. So auch sind des Menschen Regungen nie hart: sondern immer gefährlich wie Flammen, wenn man ihnen nahekommt. Auf eine Art nur würden sie hart werden wie Stein: wenn sie erkalteten. Nichts lähmte der Menschen Liebe und Freude so sehr als dieses »carpe diem« der Ästheten. Denn jegliche Art Freude verlangt eine ganz andere Geistesverfassung als die ihre. Schüchternheit, wankelmütiges Hoffen, übermütiges Erwarten, Einfachheit und Lauterkeit gehen mit der Leidenschaft, ja sogar mit der schlechten Leidenschaft. Auch das Laster verlangt eine Art Jungfräulichkeit.

Omars (oder Fitzgeralds) Einfluss bezüglich des Jenseits lassen wir beiseite: sein Einfluss auf das Diesseits war schwer und lähmend. Wie gesagt, die Puritaner waren bei weitem lustiger. Die neuen Asketen, die Thoreau oder Tolstoi-Jünger, sind bedeutend vergnügtere Kameraden. Denn wenn auch ihr Verzicht auf Wein und andere Genüsse eine unnütze Verneinung zu sein scheint, so bleibt ihnen noch eine Unzahl Freuden, vor allem die Lebensfreude. Thoreau konnte den Sonnenaufgang ohne Kaffee geniessen. Wenn Tolstoi kein Bewunderer der Ehe war, war er gesund veranlagt genug, um den Strassenschmutz zu bewundern.

Man kann die Natur geniessen ohne jeden Luxusartikel. Sie empfiehlt sich selbst. Aber weder Natur noch Wein noch irgend etwas anderes kann genossen werden ohne die richtige Auffassung des Glücksempfindens. Omar (oder Fitzgerald) hatte sie eben nicht. Er und alle jene, die er beeinflusste, wollen nicht einsehen, dass wir an eine Art ewiger Freude glauben müssen, wenn wir etwas wirklich gemessen wollen. Wir können sogar einen Zweischritt auf dem Tanzboden nicht geniessen, wenn wir nicht überzeugt sind, dass die Sterne nach demselben Takt tanzen. Nur der ernste Mensch vermag auch wirklich heiter zu sein. Wein erquickt, wie die Schrift sagt, des Menschen Herz, aber er erquickt nur jene Menschen, die ein Herz haben. Was man unter »high spirits« versteht, ist nur dem spirituellen Menschen gegeben. Letzten Endes kann der Mensch nur am Wesen der Dinge Freude haben, letzten Endes kann er nur an Religion sich erfreuen. Einst in der Geschichte grauer Zeiten glaubten die Menschen, dass die Sterne nach ihrer Weise tanzten und sie tanzten wie keine nach ihnen. Mit dieser alten heidnischen Freude hat der Weise der »Rubaijats« ebensowenig zu tun, als wie mit der Vielseitigkeit des Christentums. Er ist nicht mehr Bacchant, als er Heiliger ist. Dionysos und sein Kultus fussten auf einer wirkliche Lebensfreude wie Walt Whitmans Religion. Dionysos machte den Wein nicht zur Medizin, sondern zum Sakrament. Auch Christus schuf den Wein nicht zur Medizin, sondern zu einem Sakrament. Omar aber machte eine Arznei daraus. Er schmaust, weil das Leben freudlos ist, er zecht und jubiliert, weil er unfroh ist. »Trinket!« sagt er, »denn ihr wisset nicht, woher ihr kommet, noch warum ihr hier seid. Trinket, denn ihr wisset nicht, wann ihr geht. Trinket, weil die Sterne grausam sind und die Welt sinnlos wie ein Kreisel. Trinket, weil alles gleich trügerisch und gleichgültig ist. Trinket, weil alles gleich gemein und tot ist.« So reicht er uns die gefüllte Schale. Und am Altar der Christenheit steht eine andere Gestalt; auch sie reicht uns den gefüllten Kelch: »Trinket!« sagt er, »denn die ganze Welt ist rot wie dieser Wein, rot wie die Liebe Gottes und sein Zorn. Trinket, denn die Posaunen rufen zur Schlacht und dies ist die Wegzehrung. Trinket, denn dies ist das Blut des neuen Testaments, das für euch vergossen. Trinket, denn ich weiss, woher ihr kommet und warum ihr kommet. Trinket, denn ich weiss, wann ihr geht und wohin ihr geht.«


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