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XIII.
Über Kelten und Keltophilen

Die Wissenschaft dient heutzutage allerhand Zwecken; ihre Hauptsorge aber ist, grosse Wörter für die Vergehen der Reichen zu erfinden. Das Wort Kleptomanie ist ein Beispiel davon. Sie geht Hand in Hand mit der Theorie, die sich geltend macht, wenn eine mächtige oder reiche Persönlichkeit auf der Anklagebank sitzt: nämlich dass die Blossstellung eine ärgere Strafe für den Reichen als für den Armen bedeute. Es ist aber gerade umgekehrt. Je reicher einer ist, desto leichter ist es für ihn, ein Lump zu sein. Je reicher einer ist, desto leichter wird es ihm, populär und hochgeehrt bei den Kannibalen zu werden. Je ärmer aber einer ist, desto mehr muss er sich auf seine Vergangenheit berufen, um ein Nachtquartier zu bekommen. Die Ehre ist für den Aristokraten ein Luxusartikel, für den Portier aber eine Notwendigkeit. Es ist zwar nebensächlich, was ich jetzt sage, aber ich behaupte, dass ein ungeheuerer Aufwand von Spitzfindigkeit aufgeboten wird, um die unqualifizierbare Lebensführung der Reichen zu bemänteln. Wie schon bemerkt, berufen sich ihre Verteidiger mit Vorliebe auf die anthropologische Wissenschaft. Und unter den Wissenschafts- oder Pseudowissenschaftstheorien, die den Reichen wie den Dummen zu Hilfe kommen, gibt es kaum eine verwunderlichere als die Rassentheorie.

Wenn eine begüterte Nation wie die der Engländer zur Einsicht kommt, dass sie eine lächerliche Herrschaft über eine ärmere Nation wie die der Irländer führt, so hält sie einen Moment in Bestürzung inne, fängt aber dann von Kelten und Teutonen zu faseln an. Soviel ich aus der Theorie entnommen habe, wären die Irländer Kelten und die Engländer Teutonen. Ich habe die ethnologische Debatte nicht energisch genug verfolgt, aber die letzte wissenschaftliche Schlussfolgerung, die ich gelesen, neigte zu der Ansicht, dass die Engländer hauptsächlich Kelten, die Irländer hauptsächlich Teutonen seien. Aber keinen Menschen von annähernd gesundem wissenschaftlichen Verstand wird es einfallen, diese Bezeichnungen »Kelten und Teutonen« dem einen wie dem anderen Volk im positiven Sinne beizulegen.

Das müssen wir Jenen überlassen, die von einer angelsächsischen Rasse sprechen und ihre Weisheit bis nach Amerika hinübernehmen. Wieviel angelsächsisches Blut in unserem Gemisch von Briten, Romanen, Dänen, Normannen und Pikarden übriggeblieben sein mag, kann doch nur ganz erpichte Altertumsforscher interessieren, und wieviel von diesem verdünnten Blut möglicherweise in dem amerikanischen Strudel von Menschen überbleibt, in welchen sich konstant ein Sturzbach von Schweden, Juden, Deutschen, Iren und Italienern ergiesst, kann nur für Geisteskranke von Interesse sein. Die englische Regierung hätte besser getan, sich auf einen anderen Gott zu berufen. Alle anderen Götter, so schwach und verfehmt sie waren, rühmten sich wenigstens ihrer Beständigkeit. Aber die Wissenschaft rühmt sich, ewig sich zu erneuern, und zerronnen zu sein wie Wasser.

Und England sowohl wie die englische Regierung riefen diese absurde Rassengottheit nie an, als sie noch andere Götter besassen. Die grossen Männer in der Geschichte hätten zu gähnen oder zu lachen angefangen, wenn man ihnen mit den Angelsachsen gekommen wäre. Ich weiss wirklich nicht, was sie dazu gesagt hätten, wenn man versucht hätte, ihnen das Rassenideal für das Nationalideal zu unterschieben. Ich wäre z. B. nicht gerne der Offizier gewesen, der Nelson am Vorabend von Trafalgar plötzlich mitgeteilt hätte, dass französisches Blut in ihm rolle, oder jenes Norfolk – oder Suffolk-Gentleman, der dem Admiral Blake durch nachweisbare geneologische Tabellen auseinandersetzen musste, dass er den Niederländern unverbrüchliche Treue schulde. Die Wahrheit in dieser Sache liegt auf der Hand. Die Nationalität ist es, die existiert und gilt, sie hat mit Rasse nichts, absolut nichts zu schaffen. Nationalität ist etwas wie eine Kirche oder ein Geheimbund. Sie ist ein Produkt der menschlichen Seele und des menschlichen Willens: ein geistiges Produkt. Und es gibt Menschen auf dieser Welt, die an alles lieber denken und alles lieber zugeben, als dass etwas geistigen Ursprungs ist.

Die Nationen aber, wie sie heute dastehen, sind tatsächlich ein rein geistiges Produkt. Einige sind in Freiheit, wie Schottland, andere in Knechtschaft und Unterdrückung, wie Irland, entstanden. Einige sind, wie Italien, aus viel kleineren Staaten in einen grösseren zusammengeschweisst, andere, wie Polen, der Bruchteil eines grösseren Staates geworden, von dem sie sich lösten. Aber die Gründung eines jeden für sich entstandenen Landes trägt einen rein geistigen, oder wenn Sie wollen, rein psychologischen Charakter. Wenn aus fünf Mann eins werden, so ist das ein grosser Moment; jeder, der einen Klub gründete, kennt ihn. Wenn fünf Ortschaften zu einer zusammenschmelzen, so ist es ein grosser Moment; jeder, der einen Aufstand unterdrückte, weiss, was das heisst. Herr Timothy Healy, einer unserer hellsten und tüchtigsten Köpfe im Parlament, gab eine ausgezeichnete Definition der Nationalität, als er sagte, dass sie etwas sei, für das man bereit wäre, sein Leben zu lassen, und als er dem Lord Hugh Cecil so treffend parierte mit den Worten: »Nein, auch Sie, edler Lord, würden Ihr Leben nicht für den Meridian des Greenwich opfern.« Und das ist der Tribut, der seinem rein psychologischen Charakter gezollt wird. Es wäre müssig zu fragen, warum Greenwich es nicht mit Athen und Sparta aufnehmen könnte. Es ist gerade, als ob man fragen würde, warum einer sich in diese und nicht in jene Frau verliebt hat.

Nun ist Irland einer der schlagendsten Beweise dieser geistigen Zusammengehörigkeit, die trotz äusserer Umstände oder Rassenfragen standhielt. Rom hat Nationen erobert, aber Irland Rassen. Normannen setzten sich an und wurden irisch; Schotten wurden ansässig und bald irisch, Spanier kamen ins Land und wurden irisch; ja sogar die grimmigen Soldaten Cromwells, die nicht mehr heimzogen, wurden irisch. Dieses Land, das politisch gar nicht existiert, war stärker als all die Rassen, die wissenschaftlich existierten. Das reinste Germanenblut, das reinste Blut des leidenschaftlichen Schotten hatte weniger Macht und Anziehungskraft als eine Nation ohne Fahne. Irland, anerkannt und unterdrückt, hat Rassen erstickt und Rassen aufgesaugt, wie eben solche Lappalien leicht aufgesaugt werden. Irland hat die Wissenschaft der Physik beiseite geschoben, wie eben solche Superstitionen leicht fortgeschafft werden. Die Nationalität in ihrer Schwäche war stärker als die Ethnologie in ihrer Stärke. Fünf triumphierende Rassen wurden aufgesaugt und besiegt von einer besiegten Nation.

Dies also war Irlands merkwürdiges und glorreiches Geschick, und so kann man nicht ohne Ungeduld die unter den heutigen Irenfreunden fortwährende Diskussion über Kelten und Keltentum mit anhören. Wer waren die Kelten? Ich bin überzeugt, niemand wird mir Rede stehen können. Wer sind die Irländer? Ich bin überzeugt, niemand steht dieser Frage gleichgültig gegenüber oder behauptet, nicht zu wissen, wer sie seien. W. B. Yeats, dieses moderne Dichtergenie, beweist seinen Scharfsinn, wenn er das Argument einer keltischen Rasse in allen seinen Schriften glatt umgeht. Aber sogar er und vor allem seine Jünger teilen das Vorurteil, dass die Iren oder Kelten eine Rasse für sich sind, ein seltsam und exzentrisch in unnützen Träumen vertiefter Volksstamm. Auch sie glauben, dass die Iren wunderlich und kurios sind, weil sie an Märchen glauben, dass die Iren wild und unheimlich sind, weil sie alte Weisen singen und eigentümliche Tänze tanzen. Aber das ist ganz und gar falsch. Die Engländer sind es, die wunderlich sind, weil sie an keine Märchen glauben; und die Leute in Kensington sind es, die unheimlich sind, weil sie weder alte Lieder noch seltsame Tänze haben. Die Iren sind keineswegs wunderlich und keltisch, d. h. was man darunter zu verstehen pflegt. Die Iren sind eine einfache vernünftige Nation, die nicht in Rauch, Qualm und Wucher untergegangen ist, oder durch Geld und Wissenschaft sich verderben liess. Es liegt nichts Keltisches darin, Legenden zu haben. Es ist nur rein menschlich. Die Deutschen, welche meines Wissens Teutonen sind, besitzen, wo immer sie menschlich sind, Hunderte von Legenden. Es liegt nichts Keltisches in der Liebe zur Poesie. Die Engländer liebten sie mehr als andere Völker, bevor sie unter die Herrschaft des Schornsteins und des Schornsteinhutes, d. h. des Zylinders gerieten. Nicht Irland ist verrückt und verworren, Manchester ist toll und verdreht, mystisch und unverständlich, eine wilde Ananalie. Irland hat es nicht nötig, das einfältige Wissenschafts- und Rassenspiel zu spielen. Irland braucht nicht für einen absonderlich und abgesonderten Volksstamm von Visionären zu gelten. Was Visionen betrifft, ist Irland mehr als eine Nation, es ist eine Musternation.


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