Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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Letztes Kapitel

Inzwischen verlebte in dem aus einer Burg des Glückes zu einer Behausung der Angst gewordenen Kastelle von Mailand Franz Sforza jammervolle Tage und noch schlimmere Nächte, hilf- und ratlos nach seinem Kanzler rufend. Er hatte den Besuch Del Guastos erhalten, der ihm zu melden kam, sein Feldherr habe vor ablaufender Frist den Kanzler von Mailand empfangen, dieser ihm aber, statt der erwarteten Zugeständnisse, im Namen der Hoheit ebenso törichte als verbrecherische Eröffnungen gemacht, die den Feldherrn bestimmen, ohne Verzug, übrigens ganz im Sinne seiner ersten Drohung, auf Mailand zu marschieren und gegen die Hoheit als einen Hochverräter zu verfahren. Del Guasto hatte sich an dem Zittern des Herzogs geweidet und war aus der Stadt verschwunden. Während sich die kaiserlichen Truppen in raschen Märschen näherten, und selbst da sie schon auf den Wällen von Mailand in Sicht waren, hatte der Kleinmütige zwischen Übergabe und Verteidigung geschwankt, wurde dann aber von ein paar tapfern lombardischen Edelleuten auf den Weg der Ehre gerissen und endlich selbst von einer kriegerischen Stimmung angewandelt, deren er kraft seines großväterlichen Blutes nicht völlig unfähig war. Er ließ sich mit einer kunstvoll geschmiedeten Rüstung bekleiden und setzte sich einen Helm von herrlicher getriebener Arbeit auf das schwache Haupt.

Es ist Tatsache, daß er in der großen Schanze stand, in dem Augenblicke, da Pescara seine Truppen gegen dieselbe zum Sturm führte. Mit bebender Stimme befahl der Herzog das Feuer seiner auserlesenen Geschütze. Wie sich der Rauch verzog, lag das Feld mit Spaniern bedeckt. Zwischen Toten und Verwundeten schritt Pescara, wenige mehr neben sich und noch unerreicht von den vielen unter der Führung Del Guastos ihm stürmisch Nacheilenden. Er war ohne Harnisch. Der Helm war ihm vom Kopfe gerissen, und sein dunkler Mantel flatterte zerfetzt. In flammend rotem Kleide, mit gelassenen und gleichmäßigen Schritten ging er weit voran, einen blitzenden Zweihänder schwingend. Es war, als schritte der Würger Tod in Person gegen die Schanze, und da sich dort in demselben Augenblicke die böse Kunde verbreitete, der Borbone habe das Südtor genommen und Leyva stürme an der nördlichen Pforte, packte der bleiche Schreck die Besatzung. Die wieder geladenen Stücke blieben ungelöst, die Hauptleute, die sich den Furchtbetörten entgegenwarfen, wurden niedergetreten, und die panische Flucht riß den Herzog mit sich fort.

Wie er, in seinen Palast zurückgekehrt, mit irrenden Schritten den Thronsaal betrat, siehe, da stürzte vor seinen Augen die goldbrokatene und mit Löwen und Adlern durchwirkte Bekleidung des Thronhimmels zusammen. In der allgemeinen Verwirrung hatte sich der herzogliche Tapezierer in den Saal geschlichen und das Prachtstück gelockert, um es zu entwenden, war dann aber vor dem sich nahenden Getöse unverrichteterdinge entwichen. Von dem schlimmen Omen erschreckt, warf sich der Herzog verzweifelnd in einen Lehnstuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, sein Los und den Sieger erwartend.

Dieser ließ nicht lange auf sich harren. Ein kurzer Lärm – die treue schweizerische Palastwache wurde niedergestreckt oder entwaffnet –, und Pescara betrat den Saal, barhaupt und ohne Schwert, hinter ihm Karl Bourbon, behelmt, in voller Rüstung, den Degen in blutender Faust. Er war, der erste auf der Sturmleiter, mit derselben in den Stadtgraben zurückgeworfen worden, ohne sich jedoch ernstlich zu verletzen.

Der Marchese verneigte sich vor seinem Besiegten, der sich von seinem Sitze aufraffte. »Hoheit beruhige sich«, sprach Pescara. »Ich komme nicht als Feind, sondern um Hoheit aufs neue in Pflicht zu nehmen für Ihren Lehensherrn, den Kaiser.«

Sforza erhob die Augen, und da er in dem überlegenen Antlitz weder Hohn noch Strafe las, sondern eher teilnehmende Einsicht und Milde, brach der haltlose Knabe in Tränen aus und stammelte: »In meinem Herzen bin ich der Majestät immer treu gewesen, sie hat keinen ergebeneren Diener und bessern Lehensmann, aber ich Unseliger wurde mißleitet, wurde irregeführt... mein höllischer Kanzler... auch den bewaffneten Widerstand habe ich nicht befohlen... ich wurde geschoben, gestoßen... von dem Valabrega und ein paar andern Edelleuten... bei allen Aposteln und Märtyrern, ich bin kein italienischer Patriot, sondern der bedrängteste Fürst in der unmöglichsten Lage!«

Diese völlige Zerknirschung des Enkels und Urenkels zweier Heroen schien den Feldherrn peinlich zu berühren. Doch ließ er der Buße freien Lauf, weigerte aber, scheinbar aus Ehrerbietung, dem endlich Verstummenden seine Hand, welche dieser zu ergreifen suchte. Er befürchtete, der gänzlich Vernichtete möchte sie küssen.

Während dieser Selbsterniedrigung, und sie im Grunde seines verbitterten Herzens kostend, schlürfte Karl Bourbon, welcher hinter Pescara stehengeblieben war, in langsamen Zügen einen vollen Becher, den er sich von einem herbeigewinkten Pagen hatte holen und reichen lassen.

»Hoheit«, sagte der Feldherr, »ich habe Vollmacht. Wenn Sie davon durchdrungen ist, daß Sie sich in ein falsches und gefährliches Spiel eingelassen hat, und wenn sich der feste Wille in Ihr gestalten kann, forthin Ihr Heil da zu suchen, wo es ist, bei dem Kaiser, und von der Majestät nimmermehr zu weichen, wage ich es, auf meine Verantwortlichkeit, Ihr Verzeihung zu gewähren und Ihre Hand darauf anzunehmen. Hoheit darf es mir glauben, Sie fährt in jedem Falle besser mit dem Kaiser als mit der Liga.«

Jetzt sah er, wie die unverhoffte Milde den Sohn des Mohren plötzlich wieder mißtrauisch machte, wie der vom Schicksal zum Argwohn Erzogene eine List vermutete und wie seine Hand zögerte und zitterte. »Hoheit darf trauen«, sprach er kraftvoll. »Der Kaiser und ich halten Wort.«

Sforza gab die Hand, und der Feldherr fügte freundlich hinzu: »Ich kenne die schwierige Lage der Hoheit und – wenn ich es aussprechen darf – Ihre durch eine unglückliche Jugend erkrankte und entkräftete Seele. Sie bedarf vor allem der Stetigkeit. In der Bahn des Kaisers wandelnd und verharrend, wird Sie von keiner Zeitwelle verschleudert werden. Ich persönlich«, schloß er, seine Lehrhaftigkeit mildernd, in einem fast herzlichen Tone, »war der Hoheit immer zugetan, aus Dank für meine Vorbilder, Ihre zwei herrlichen Ahnen, obwohl mir die beiden«, scherzte er, »in meiner Jugend manchen Schlaf geraubt haben; ein solcher Reiz und Stachel liegt in Männlichkeit und Seelengröße.«

Franz Sforza getröstete sich dieser Freundschaft, fragte aber doch ängstlich: »Und ich bleibe Herzog? Euer Wort, Pescara?«

»Unverbrüchlich. Wenn ich etwas über den Kaiser vermag, und wenn Ihr es vermöget, Eure Seele zu befestigen.«

»Und meinem Kanzler geschieht nichts?«

»Ich glaube nein, Hoheit«, versprach Pescara.

»Und er bleibt mein Minister?«

Der Feldherr konnte ein Lächeln nicht verwinden über die Unzertrennlichkeit dieses Paares. »Hoheit vergißt, daß Sie soeben Girolamo Morone den verderblichsten aller Ratgeber genannt hat. Ich empfehle Hoheit, sich von der Kaiserlichen Majestät für dieses schwierige Amt einen andern und weisern Kopf zu erbitten. Es gibt deren in Italien, es braucht kein Spanier zu sein.«

»Nichts da, Hoheit! Ihren Kanzler bekommt Sie nicht heraus!« mischte sich jetzt der Bourbon ins Gespräch. »Diese Helena ist mein Beutestück.«

Franz Sforza starrte Bourbon mit angstvollen Augen an. »Der hier?« stöhnte er. »Er will mein Mailand! Er träumt langeher davon. Hilf mir, mächtiger Pescara!«

Da schmetterte Bourbon, als zerstöre er sich selbst, mit einem zornigen Wurf sein kristallenes Glas an den Marmorboden, daß es mit schrillem Mißton in Scherben zerfuhr. »Hoheit«, rief er, »da liegt mein Fürstentum Mailand!«

Während die Scherben flogen, trat Moncada mit Leyva ein, dieser von oben bis unten mit Staub und Blut besudelt. »Erlaucht«, begann der Ritter, »ich beglückwünsche Sie zu Ihrem heutigen schönen Siege, der, wieder in voller Kraft erfochten, sich an so viele andere reiht. Ich hielt mich geziemend im Vorzimmer. Doch da ich bechern und lachen hörte, und als auch Leyva anlangte, der das Nordtor genommen und ebenfalls seinen Trunk verdient hat, wagte ich den Eintritt, und ich glaube zur rechten Stunde. Denn ich meine: hier wird Gericht gehalten werden, und Hoheit Bourbon hat diesem verräterischen Herzog in symbolischer Weise seinen verdienten Untergang verkündigt. Aber nicht so stürmisch, Hoheit! Ich denke, der Feldherr setzt ein Kriegsgericht zusammen, bei dem ich als ein Angehöriger des königlichen Hauses Sitz und Stimme beanspruchen darf. Natürlich ein vorläufiges Gericht, in Erwartung des Entscheides aus Madrid.«

Pescara blieb kalt. »So tue ich«, sagte er. »Ich ernenne zu Richtern meine zwei Kollegen, die Hoheit Bourbon und Leyva. Ich präsidiere. Euch, Ritter, muß ich ausschließen, weil Ihr keinen Rang bekleidet. Hier meine Beglaubigung.« Er zog aus seinem Wams die kaiserliche Vollmacht.

Moncada ergriff das Schreiben und las: »Nach seinem Ermessen... gemäß den Umständen... hm... Erlaucht erlaube... diese kaiserliche Weisung scheint zu sagen, daß Sie bevollmächtigt ist, alle militärischen und bürgerlichen Maßregeln in dem genommenen Mailand nach Belieben zu treffen, präjudiziert aber in keiner Weise die Rechte und Interessen der katholischen Majestät. Ich werde daher bleiben als ein stummer, aber aufmerksamer Zuhörer.«

»Sei es«, sagte Pescara geduldig.

Jetzt regte sich auch Leyva und verlangte, daß Girolamo Morone vorgeführt werde. »Er ist im Palaste«, sagte er. »Ich sah ihn gefesselt einbringen unter den Verwünschungen und Kotwürfen des mailändischen Volkes, das ihm sein ganzes Elend zurechnet.« Pescara gab den Befehl.

Eine peinliche Pause. Stühle wurden gerückt von der verlegenen Dienerschaft, welche ihrem verklagten Herrn ehrerbietig den herzoglichen Sessel mit Krone und Wappen brachte, und als Morone erschien, nicht ohne Spuren von Mißhandlung, sah er die drei Feldherrn als Richter sitzen, Pescara in der Mitte, und vor ihnen seinen Herzog. »Mut, Fränzchen«, flüsterte er ihm zu, neben den er sich aus alter Gewohnheit gestellt hatte, »wirf du nur alles auf mich!«

Pescara nahm das Wort: »Die Hoheit von Mailand beteuert, an der Treue gegen ihren Lehensherrn festzuhalten und nur vorübergehend fehlgetreten und in den Schein der Felonie gekommen zu sein unter den Einflüsterungen dieses Mannes da.« Der Herzog nickte mit dem Haupt.

»So ist es! Ich bekenne, daß ich der allein Schuldige bin!" sprach der Kanzler unerschrocken.

»Auch die Verteidigung von Mailand gegen das kaiserliche Heer beteuert die Hoheit nicht befohlen zu haben, sondern sie versichert, es sei die eigenmächtige Tat einiger aufrührerischer Lombarden, und ich halte es für glaublich. Wie urteilt Leyva?«

Leyva verzog das häßliche Gesicht und murrte: »Dieser Franz Sforza ist der Felonie schuldig und durch die nackte Tatsache überwiesen. Er werde in schärfstem Gewahrsam gehalten. Der Kaiser, wie ich meine, wird ihn absetzen und nach Spanien bringen lassen.«

»Und wie urteilt Sie?« Pescara hatte sich gegen Bourbon gewendet.

Der Konnetabel spielte mit seinem zerrissenen Handschuh und bemerkte mit melodischer Stimme: »Die Hoheit wurde betört von dem wunderlichen Gaukler da, der auch mich und viele andere bezaubert hat, bis er an unserm Feldherrn seinen Meister fand. Aber sie scheint mir wieder zur Besinnung gekommen zu sein, und ich meine, daß ihr die Schmach des Gefängnisses anzutun weder schicklich wäre noch auch notwendig ist, da sich ja die Stadt in unsern Händen befindet. Die Hoheit von Mailand bleibe frei.«

»Zwei Stimmen gegen eine, denn so lautet auch meine Meinung«, entschied Pescara. Moncada schwieg mit verschlungenen Armen, Leyva, dessen große Narbe sich mit Blut zu füllen schien, zerrte den Schnurrbart, Bourbon aber erhob sich, bot Franz Sforza den Arm und geleitete ihn aus dem Saale.

Draußen stieß er mit Del Guasto zusammen, der ihm zuflüsterte, es sei befremdend: die Truppen Leyvas zögen sich gegen den Palast. Bourbon runzelte die Stirn. »Beobachtet und berichtet!« gebot er. Del Guasto wollte enteilen, rief aber zurück: »Noch eins: ich höre, Donna Viktoria sei am Tore angelangt und verlange nach dem Feldherrn.«

Da Bourbon in den Saal zurücktrat, forderte eben Leyva den Kerker, die Folter und, nach vervollständigtem Bekenntnisse, Block und Beil für den erbleichenden Morone.

»Auf die Folter!« stöhnte dieser. »Wenn ihr mich windet wie ein Tuch, so werdet ihr nichts anderes als Blut und Schweiß aus mir herauspressen. Ich habe mich vor dem Feldherrn ausgebeichtet. Du bist nicht grausam, Pescara!«

»Pfui, Leyva!« rief Bourbon, sich wieder in den Kreis setzend. »Will sich der Herr an den Zuckungen dieses närrischen Gesichtes ergötzen? Das leide ich nicht. Ich lasse mir meinen Morone nicht verdrehen. Zittre nicht, Girolamo! Dir wird kein Haar gekrümmt: du wirst mein Schreiber. Mein gnädiges Urteil lautet: Girolamo sitze in seinem Hause, und man bewache ihn, bis ich mir ihn vom Kaiser werde erbeten haben.«

»Mir scheint, das genügt«, entschied der Feldherr. »Morone hat gestanden vor drei glaubwürdigen Zeugen, deren einer ich selber bin. Keine unnütze Marter, sondern sichere Haft. Zwei Stimmen gegen eine. Nehmet ihn, Hoheit. Mir ahnt, daß Girolamo Morone sich noch einmal umwandelt und in kaiserliche Dienste tritt.«

Da schrie Morone unklug vor Freude über das geschenkte Leben und die erlassene Folter: »Pescara, ohne dich kein Italien! Das ist vorbei. Mach mit mir, was du willst. Ich bin das Geschöpf deiner Großmut und Güte... Und wenn noch weiter geredet werden soll, so erfahret, Herrschaften, und darin ist alles andere enthalten: die Liga ist dem Kopfe der Heiligkeit entsprungen, wie Athene der Stirne des Zeus...« Seine Zunge stand plötzlich still, da er neben sich einen ansehnlichen Mann im Reisekleid gewahrte, der eben eingetreten war. Dann rief er: »Das weiß niemand besser als der da!« Es war Guicciardin, dessen Blicke neugierig im Kreise umliefen, endlich aber unverwandt auf dem Antlitze des Pescara haften blieben.

»Ich störe, Erlaucht?« sagte er. »Doch ich werde mich kurz fassen. Ich komme mit Eilpost von der Heiligkeit, die diesmal besser einen andern geschickt hätte. Die Heiligkeit läßt Erlaucht wissen, sie habe auf die erste Kunde der eröffneten Feindseligkeiten einen ihrer Vertrautesten nach Madrid gesendet, den Kaiser zu unterrichten, daß sie dem Bündnis der italienischen Staaten fremd geblieben ist. Eine heilige Liga existiert nicht. Der oberste Hirte schaudert vor dem Schwert.«

»Halleluja!« rief der Kanzler, den die Lebensfreude berauscht und völlig toll gemacht zu haben schien, der Feldherr aber entgegnete: »Wie, Guicciardin? Eben hat Morone an den Tag gebracht, daß die Liga das Werk der Heiligkeit ist. Was ist Wahrheit?«

»Beides«, versetzte Guicciardin. »Mein Auftrag ist ausgerichtet und damit gut.« Er verbeugte sich und verließ den Saal, aber Bourbon, in den der Satan fuhr, rief dem Gesandten des Papstes nach: »Florentiner, sage deinem Herrn, ich werde nach Rom kommen, seiner Wahrhaftigkeit den Pantoffel zu küssen, mit lauter Lutheranern und Marranen, und nachts will ich meine brennende Kerze umwerfen, daß der Heiligkeit ein Licht aufgehe!« Die Lache, die der Unselige aufschlug, scholl gellend wider aus der Kuppelwölbung und aus den Ecken des Saales wie aus dem Munde schadenfroher Dämonen, so daß Guicciardin erschreckend umblickte. Der Feldherr wies nun auch den Kanzler mit seiner Wache weg, sei es, daß er es für unziemlich hielt, das Haupt der Christenheit preiszugeben, oder er war der menschlichen Komödie müde.

Da sich Guicciardin und der Kanzler draußen zusammenfanden, fragte jener: »Man führt dich zum Blocke?«

»Bewahre!«

»Durchgeschlüpft? Unvergleichlicher! Doch wie begab es sich in Novara?«

»Oh, ich kam auf den Esel zu sitzen... Dieser Pescara ist das Rätsel der Sphinx...«

»Das ich errate, Kanzler, aus seinem Antlitz. Es trägt die hippokratischen Züge, und ich werde vielleicht der Heiligkeit eine Todesnachricht zu bringen haben. Erinnerst du dich noch, Girolamo, was ich dir in den Vatikanischen Gärten sagte, von einem möglichen letzten Hindernis in der Brust Pescaras? Wenn ich wörtlich wahr geredet? Wenn der Feldherr bei Pavia den Tod empfing und ihn verheimlicht hat? Wenn wir einen nicht mehr Versuchbaren in Versuchung führten?«

Der Kanzler schlug sich vor die Stirn: »Du sagst es, Guicciardin! Ähnliches, das ich damals nicht verstand, hat mir der Arzt des Feldherrn, Messer Numa Dati, in Novara angedeutet.«

»Also die Wahrheit«, schloß der Florentiner. »Nicht Pescara trog. Wir selbst haben uns betrogen. O Weisheit der Menschen!« Mit dieser Betrachtung schieden die beiden.

In dem Thronsaal herrschte eine unheimliche Luft. Die drei Feldherrn und der bei ihnen zurückgebliebene Moncada standen in weiten Entfernungen. Pescara, völlig entkräftet, wie es schien, hatte sich auf den über den Thron ausgebreiteten Goldbrokat geworfen. Blässe bedeckte sein Gesicht, die Brust arbeitete. Bourbon maß den Saal in leichtfertigem Tanzschritt, während er Moncada scharf beobachtete. Dieser, in einer Fensterbrüstung lehnend, winkte aus einer andern Leyva zu sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist Zeit. Er hat sich enthüllt. Tot oder lebendig...«

Jetzt rief auch Pescara den Herzog. »Setze dich neben mich, Karl«, keuchte er leise. »Führst du Papier und Stift?«

»Um Gottes willen, Ferdinand, merkst du nichts? Du bist bedroht! Die beiden flüstern. Leyva ist verdächtig. Sie wollen dich verhaften!«

»Führst du Papier und Stift?« wiederholte der Feldherr. Der Herzog gab sie. Nach ein paar Zügen sagte Pescara: »Meine Hand zittert, schreibe du, Karl.«

»Ferdinand, bist du blind? Siehst du nicht, wie Moncada sich regt?«

»Er wird mich nicht erreichen«, sagte der Feldherr und diktierte mit gepreßter Stimme: »An die Majestät des Kaisers. Erhabener Herr, Mailand ist Euer. Pescara hält Treue bis zum letzten Atemzug. Lohnet sie ihm mit drei Erfüllungen...«

»Ich beschwöre dich, Ferdinand! Er kommt auf dich zu! Ermanne dich! Wir fechten... Ich rufe die Wachen...« Bourbon wollte aufspringen. Pescara aber hielt ihn fest: »Schreibe! Er erreicht mich nicht, sage ich dir. Wo bist du?... mit drei Erfüllungen: Majestät schütze Sforza! Majestät begnadige Morone! Majestät gebe mein Kommando dem Konnetabel!...«

»Er steht wenige Schritte vor dir! Zieh! Wo hast du deinen Degen?«

»Ich vergieße kein Blut mehr...« Pescara unterzeichnete, und der Stift entglitt seiner Hand. Mit einem schwachen Schrei und erlöschenden Augen sank er in die Arme seines Freundes.

Moncada, der jetzt ganz nahe getreten war, stand bestürzt. »Was ist dem Feldherrn?« fragte er, und ihn betrachtend: »Verschieden?«

»Geschieden!« weinte der Herzog.

»Ein Herzschlag. Der Feldzug hat ihn getötet«, sagte Moncada und hob das Papier auf, das an den Boden gefallen war. Er las, und bei der dritten Bitte angelangt, stand er sinnend. Dann übergab er, ohne die Miene zu ändern, das Papier dem Herzog mit den Worten: »Wir ehren seinen letzten Willen. Hoheit hat das Kommando. Hoheit befehle!«

Bourbon erschien als ein Heimatloser und Entwerteter dem Sohne Ferdinands des Katholischen ungefährlich und war, ohne Pescara, auch Leyva minder verhaßt, denn um die Gunst des großen Feldherrn hatte dieser den Konnetabel beneidet.

Karl Bourbon winkte sie weg und bettete Pescara auf den Goldbrokat. Der Palast war ganz stille geworden, und selbst die Wachen an den Toren schritten leise, in der Meinung, der Feldherr halte zu dieser Stunde Siesta, wie seine Gewohnheit war. Auch der Herzog, das geliebte Haupt im Schoße haltend, versank in einen Mittagstraum, er vergaß das tragische Los des Toten und das eigene aus Ruhm und Schmach geflochtene, er empfand nur einen dumpfen Schmerz über den Verlust des einzigen Freundes.

Stimmen erschollen vor der Saalpforte. »Nein, Madonna, er ruht!« verbot Del Guasto, und Viktoria rief durchdringend: »Weiche, Böser! Ich will zu ihm!« Bourbon vernahm nahende Schritte, er wendete nicht einmal das Haupt. Er legte den Finger an den Mund und flüsterte: »Leise, Madonna! Der Feldherr schlummert.«

Viktoria trat zu dem Gatten. Pescara lag ungewaffnet und ungerüstet auf dem goldenen Bette des gesunkenen Thronhimmels. Der starke Wille in seinen Zügen hatte sich gelöst, und die Haare waren ihm über die Stirn gefallen. So glich er einem jungen, magern, von der Ernte erschöpften und auf seiner Garbe schlafenden Schnitter.


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