Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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»Herrschaften«, begann dieser, »in ihren Briefen verspricht die französische Regentschaft, im Einverständnis mit dem zu Madrid gefangensitzenden Könige, ein ansehnliches Heer und entsagt zugleich endgültig, in die Hände des Heiligen Vaters, den Ansprüchen auf Neapel und Mailand.«

»Optime!« jubelte der Herzog. »Und Schweizer bekämen wir soviel wir wollen, in lichten Haufen, wenn wir nur Dukaten hätten, ihnen damit zu klingeln. Nicht wahr, Kanzler?«

»Da ist Rat zu schaffen«, versicherten die zwei andern.

»Aber, Herren«, drängte Morone, »es eilt! Der Borbone war hier. Man blickt uns in die Karten. Die drei Feldherrn drohen in Monatsfrist Mailand zu nehmen, wenn wir nicht abrüsten. Wir müssen losschlagen, und um loszuschlagen, müssen wir unsern Capitano wählen, jetzt, sogleich!«

»Dazu sind wir gekommen«, sprachen die zweie wiederum einstimmig.

»Der Liga den Feldherrn geben!« wiederholte der Kanzler. »Das ist nicht weniger als über das Los Italiens entscheiden! Wen stellen wir dem Pescara entgegen, dem größten Feldherrn der Gegenwart? Nennet mir den ebenbürtigen Geist! Unsern großen Kriegsleuten, dem Alviano, dem Trivulzio, ist längst die Grabschrift gemacht, und die übrigen hat Pavia getötet. Nennet mir ihn! Zeiget mir die mächtige Gestalt! Wo ist die gepanzerte rettende Hand, daß ich sie ergreife?«

Eine trübe Stimmung kam über die Gesellschaft, und der Kanzler weidete sich an der Niedergeschlagenheit der Verbündeten.

»Wir haben den Urbinaten oder den Ferraresen«, meinte Nasi, doch Guicciardin erklärte bündig, den Herzog von Ferrara schließe die Heiligkeit aus als ihren abtrünnigen Lehensmann. »Wählen wir den Herzog von Urbino. Er ist kleinlich und selbstsüchtig, ohne weiten Blick, ein ewiger Verschlepper und Zauderer, aber ein versuchter Kriegsmann, und es bleibt uns kein anderer«, sprach der Florentiner mit gerunzelter Stirn.

»Da wäre noch Euer Hans Medici, Guicciardin, und Ihr hättet den jungen Waghals, nach dem Euer Herz zu begehren scheint«, neckte ihn der Venezianer.

»Höhnt Ihr mich, Nasi?« zürnte Guicciardin. »Daß ein junger Frevler unsere patriotische Sache entweihe und ein tollkühner Bube unsern letzten Krieg mit den Würfeln einer leichtsinnigen Schlacht vorspiele? Der Urbinate wird uns wenigstens nicht verderben, wenn er den Krieg verewigt, die Hilfe eines würgenden Fiebers oder eines Auflaufes der Landsknechte im kaiserlichen Lager abwartend. Wählen wir ihn.« Er seufzte, und in demselben Augenblicke fuhr er wütend gegen den Kanzler los, den er das Ende seiner Rede mit einem verzweifelnden Gebärdenspiele begleiten sah. »Laß die Grimassen, Narr!« schrie er ihn an, »... ich bitte um Vergebung Hoheit, wenn ich ungeduldig werde, und Hoheit ist auf meiner Seite, wie ich glaube...« Der Herzog blickte auf seinen Kanzler.

»Sei es«, sagte Morone, »Wir stimmen bei, aber es ist ein unfreudiges Ja, das die Hoheit zu dem seelenlosen Anfange unsers Bündnisses gibt.« Der Herzog nickte trübselig. »Nein«, rief der Kanzler, »sie gibt es nicht, die Hoheit tritt zurück, sie kann es nicht verantworten, die letzten Kräfte dieses Herzogtums zu erschöpfen! Sie zieht nicht zu Felde, im voraus entmutigt und geschlagen! Die Liga ist aufgehoben! Oder wir suchen ihr einen siegenden Feldherrn.«

Die zwei andern schwiegen mißmutig.

»Und ich weiß einen!« sagte Morone.

»Du weißt ihn?« schrie Guicciardin. »Bei allen Teufeln, heraus damit! Rede! Wen werfen wir in die Waagschale gegen Pescara?«

»Redet, Kanzler!« trieb auch der Venezianer.

Morone, der von seinem Schemel aufgesprungen war, trat einen Schritt vorwärts und sprach mit starker Stimme: »Wen wir gegen Pescara in die Waagschale werfen? Welchen Ebenbürtigen? Pescara, ihn selber!«

Ein Schrecken versteinerte die Gesellschaft. Der Herzog starrte seinen außerordentlichen Kanzler mit aufgerissenen Augen an, während Guicciardin und der Venezianer langsam die Hand an die Stirn legten und zu sinnen begannen. Beide errieten sie als kluge Leute ohne Schwierigkeit, wie Morone es meinte. Sie waren die Söhne eines Jahrhunderts, wo jede Art von Verrat und Wortbruch zu den alltäglichen Dingen gehörte. Hätte es sich um einen gewöhnlichen Kondottiere gehandelt, einen jener fürstlichen oder plebejischen Abenteurer, welche ihre Banden dem Meistbietenden verkauften, sie hätten wohl dem Kanzler sein frevles Wort von den Lippen vorweggenommen. Aber den Ersten Kaiserlichen Heerführer? Aber Pescara? Unmöglich! Doch warum nicht Pescara? Und da Morone leidenschaftlich zu sprechen begann, verschlangen sie seine Worte.

»Herrschaften«, sagte dieser, »Pescara ist unter uns geboren. Er hat Spanien niemals betreten. Die herrlichste Italienerin ist sein Weib. Er muß Italien lieben. Er gehört zu uns, und in dieser Schicksalsstunde, da wir mit dem noch ledigen Arm unsern andern schon gefesselten befreien wollen, nehmen wir den größten Sohn der Heimat und ihren einzigen Feldherrn in Anspruch. Wir wollen zu ihm gehen, ihn umschlingen und ihn anrufen: Rette Italien, Pescara! Ziehe es empor! Oder es reißt dich mit in den Abgrund!«

»Genug deklamiert!« rief Guicciardin. »Ein Phantast wie du, Kanzler, mit den unbändigen Sprüngen deiner Einbildungskraft ist dazu da, das Unmögliche zu erdenken und auszusprechen, das vielleicht, näher betrachtet, nicht völlig unmöglich ist. Jetzt aber sei stille und laß die Vernünftigen es beschauen und sich zurechtlegen, was du im Fieber geweissagt hast. Gebärde dich nicht wie ein Rasender, sondern setze dich und laß mich reden!

Herrschaften, oft, und in verzweifelten Lagen immer, ist Kühnheit der beste und einzige Rat. Der Krieg unter dem Urbinaten starrt uns an wie eine Maske mit leeren Augen. Wir alle fühlen, er würde uns langsam lähmen und methodisch zugrunde richten. Lieber ein halsbrechendes Wagnis. Also ja! Wenn es nach mir geht, versuchen wir den Pescara! Verrät er uns an den Kaiser, so kann er uns alle verderben. Aber wer weiß, ob er nicht seinem Dämon unterliegt? Zuerst müssen wir uns fragen: Wer ist Pescara? Ich will es euch sagen: ein genialer Rechner, der die Möglichkeiten scharfsinnig scheidet und abwägt, der die Dinge unter ihrem trügerischen Antlitz auf ihren wahren Wert und ihre reale Macht zu untersuchen die Gewohnheit hat. Wäre er sonst, der er ist, der Sieger von Bicocca und Pavia? Wenn wir ihn antreten, wird er zuerst eine große Entrüstung heucheln über eine Sache, die er sicherlich selbst schon in gewissen Stunden sich besehen und betrachtet hat, wenn auch vielleicht nur als Übung seines immerfort arbeitenden Verstandes. Dann wird er langsam und sorgfältig abwägen: den Stoff, den wir ihm geben, das heißt unser Italien, ob sich daraus ein Heer und später ein Reich bilden ließe, und – seinen Lohn. Und da der Stoff zwar edel, aber spröde ist und einer gewaltig bildenden Hand bedarf, müssen wir ihm die größte Belohnung bieten: eine Krone.«

»Welche Krone?« stammelte der Herzog angstvoll.

»Eine Krone, Hoheit, sagte ich, keinen Herzogshut, und meinte die schöne von Neapel. Sie ist in Feindeshand, also erledigt, und ein Lehen der Heiligkeit.«

»Wenn wir Kronen austeilen«, spottete der Venezianer, »warum bieten wir dem Pescara nicht gleich die Fabel- und Traumkrone von Italien?«

»Die Traumkrone!« Das Antlitz des Florentiners zuckte schmerzlich. Dann sprach er trotzig, sich und die Umsitzenden vergessend: »Die Krone von Italien! Wenn Pescara an der Spitze unserer Heere reitet, wird sie ungenannt vor ihm herschweben. Möchte er sie, als der Größte unserer Geschichte, fassen und ergreifen, diese ideale Krone, nach welcher schon so manche Hände und die frevelhaftesten sich gestreckt haben! Möge sie auf seinem Haupte zur Wahrheit werden! Und«, sagte er kühn, »weil wir heute jedes gewöhnliche Maß verlassen und unsern Endgedanken und innersten Wünschen Gestalt geben, so wisset, Herrschaften: ist Pescara der Vorausbestimmte, wie es möglich wäre, in der Zeit liegen große Begünstigungen und in den Sternen glückliche Verheißungen. Baut er Italien, so wird er es auch beherrschen. Aber, Kanzler, ich habe dich einen Phantasten genannt und phantasiere größer als du. Kehren wir zurück aus dem Reiche des Ungebornen in die Wirklichkeit und stellen wir die Frage: Wer übernimmt die Rolle des Versuchers?«

»Ich stürze mich wie Curtius in den Abgrund!« rief der Kanzler aus.

»Recht«, billigte Guicciardin. »Du bist die Person dazu. Einem andern würde die Stimme versagen, und er würde vor Scham versinken, wenn er vor Pescara träte, um mit ihm von seinem Verrate zu reden. Du Schamloser aber bist zu allem fähig, und deine Schellenkappe bringt dich aus Lagen und Verwicklungen, wo jeder andere hängen bliebe. Will Pescara nicht, so nimmt er dich von deiner närrischen Seite und behandelt dich als Possenreißer; will er, so wird er unter deinen tragischen Gebärden und deinen komischen Runzeln den Ernst und die Größe der Sache schon zu entdecken wissen. Gehe du hin, mein Sohn, und versuche den Pescara!«

Der Herzog, der sich grübelnd auf seinem Schemel zusammengekauert hatte, wollte eben nach Licht rufen, denn die Dämmerung wuchs, und er fürchtete das Dunkel. Da sah er die Dinge unvermutet auf ihre Spitze kommen und wurde ängstlich. »Kanzler, du darfst nicht!« verbot er. »Ich will mit diesem großmächtigen Pescara nichts zu schaffen haben. Bekommen wir ihn, so wird er zuerst meine Ebenen nehmen, welche den Krieg anlocken, und meine Festungen, welche sie behaupten. Und hat er sie, so wird er sie behalten. Verspielt er aber, so büße ich zuerst und verfalle ohne Gnade dem Spruche des Kaisers, meines Lehensherrn. Oh, ich durchschaue euch! Ihr alle, selbst dieser da« – er blickte wehmütig nach seinem Kanzler – »habet immer nur euer Italien im Sinne, und ich gelte euch« – er blies über die flache Hand – »soviel! Ich aber bin ein Fürst und will mein Erbe, mein Mailand, und nichts als mein Mailand! Und du, Girolamo, gehst nicht zu Pescara. Die Geschäfte würden darunter leiden. Ich kann dich keine Stunde entbehren!«

Jetzt nahm der schöne Lälius das Wort und lispelte: »Wenn Hoheit darauf bestünde, so würde durch Ihren Einspruch unser Plan hinfällig, und ich hätte einen andern. Da wir uns einmal, sonderbarerweise, nach unserm Capitano unter den kaiserlichen Feldherrn umsehen, wäre nicht etwa der Versuch zu machen, ob sich der Borbone, gegen ein großes Anerbieten, zu einem zweiten Verrat entschlösse?«

Der Herzog schrak zusammen. »Wann verreisest du, mein Girolamo?« fragte er.

»Zuerst, Kanzler«, fiel Guicciardin ein, »habe ich Auftrag, dich nach Rom mitzunehmen. Der Heilige Vater wünscht dich näher kennenzulernen. Denn er hat eine große Meinung von dir. Er nennt dich den Kanzler Proteus und behauptet, du seiest, trotz deiner tollen Augen, einer der klügsten Männer Italiens.«

»Das ist gut«, bemerkte der Venezianer, »schon weil es die entscheidende Stunde verschiebt, in welcher Girolamo Morone als Versucher zu Pescara tritt. Ich wünsche dieser Stunde zuvor einen Grund und eine Wurzel in der öffentlichen Meinung zu geben. Darf ich mich darüber verbreiten, Herrschaften?«

Das fade Gesicht des Venezianers nahm, soweit sich in der Dämmerung noch unterscheiden ließ, einen energischen Ausdruck an, und er redete mit markiger Stimme: »Der Kanzler, da er sein bedeutendes Wort aussprach, hat uns ohne Zweifel erschreckt, aber nicht eigentlich in Verwunderung gesetzt. Nachdem der vernichtende Schlag von Pavia dem Kaiser unser ganzes Italien wehrlos zu Füßen geworfen hatte, suchte die öffentliche Meinung von selbst eine Schranke gegen die drohende Allmacht und ließ aus der Natur der Dinge unsere Liga emporwachsen. Zugleich beschäftigte sich die öffentliche Meinung mit dem Lohne, der Pescara für seinen vollkommenen Sieg und die Erbeutung eines Königes gebühre. Und da die Kargheit und der Undank des Kaisers weltbekannt sind, zog sie den Schluß, daß er seinen Feldherrn nicht zufriedenstellen und dieser anderwärts einen Ersatz suchen werde. Jetzt verbindet die öffentliche Meinung diese beiden Dinge: unsern schon durchschimmernden patriotischen Bund und einen möglichen größern Gewinn des Pescara. So wird sein Übertritt glaubwürdig, bevor er sich vollzieht. Nur ist es dienlich, daß dieser begründeten allgemeinen Ansicht durch eine geschickte Hand eine überzeugende Gestalt und durch eine geläufige Zunge eine für ganz Italien verständliche Sprache gegeben werde. Nun ist seit kurzem ein wanderndes Talent unter uns aufgetaucht, ein vielversprechender junger Mann, der sich hoffentlich noch an Venedig fesseln läßt –«

»Einen Fußtritt dem Aretiner! Er hat mich schändlich verleumdet...«

»Ein göttlicher Mann! Er hat mich den ersten Fürsten Italiens genannt!« riefen Guicciardin und der Herzog miteinander aus. »Ich sehe«, lächelte Nasi, »daß der Mann auch hier nach seinem Werte gekannt ist. Seine Briefe, an wahre oder erfundene Personen, in tausend und tausend Blättern ausgestreut, sind eine Macht und beherrschen die Welt. Ich will ihm eine sehr starke Summe senden, und ihr werdet euch über die Saat von schönfarbigen Giftpilzen verwundern, die über Nacht aus dem ganzen Boden Italiens emporschießt: Verse, Abhandlungen, Briefwechsel, ein bacchantisch aufspringender, taumelnder Reigen verhüllter und nackter, drohender und verlockender Figuren und Wendungen, alle um Pescara sich drehend und um die Wahrscheinlichkeit und Schönheit seines Verrates. So bildet sich eine unüberwindliche allgemeine Überzeugung, welche den Pescara zu uns herüberreißt und ihn zugleich – da liegt es – am kaiserlichen Hofe so gründlich und endgültig untergräbt, daß er zum Verräter werden muß, er wolle oder nicht.«

»Nichts da, Exzellenz!« rief der Kanzler aus dem Dunkel. »Ihr verderbt mir das Spiel! Der Befreier Italiens soll sich in voller Freiheit entscheiden, nicht als das Opfer einer teuflischen Umgarnung...«

»Du bist prächtig, Kanzler, mit deinen moralischen Skrupeln!« unterbrach ihn Guicciardin. »Wisse, auch mein Herz empört sich und nimmt teil für den unrettbar Überlisteten! Aber ich heiße den Menschen schweigen und handle als Staatsmann. Das Mittel der Exzellenz ist ohne Vergleichung unter alle dem, was heute abend gefunden wurde, das Ruchloseste, aber auch das Klügste und Wirksamste. Erst jetzt wird die Sache wahrhaft gefährlich für Pescara, und sein Verrat wahrscheinlich. Ans Werk.«

»Er ist unter uns und lauscht!« schrie der Herzog mit gellender Stimme, daß alle zusammenfuhren. Ihre Blicke folgten seinem geängstigten. Der Mond, der als blendende Silberscheibe über den Horizont getreten war und seine schrägen Strahlen in das kleine Gemach zu werfen begann, spielte wunderlich auf der Schachpartie. Viktorias hervorquellendes Auge blickte erzürnt, als spräche es: Hast du gehört, Pescara? Welche Verruchtheit! Und jetzt fragte es angstvoll: Was wirst du tun, Pescara? Dieser war bleich wie der Tod, mit einem Lächeln in den Mundwinkeln.


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