Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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Jetzt meldete der diensttuende Page, ein zarter Knabe mit großen unschuldigen Augen, ein Enkel des Arztes Numa Dati und der Bruder der von Del Guasto zerstörten Julia, den Besuch eines Apothekers namens Baldassare Bosi aus Orvieto, welcher mit einem Paket im Vorzimmer stehe und sich durchaus nicht abweisen lasse. Er sei bei dem Großvater abgestiegen, der dem Gaste diesen Zettel für die Erlaucht gegeben habe. Der Knabe überreichte das Papier, auf welchem mit verzitterten Zügen »Morone« geschrieben stand.

Pescara besann sich einen Augenblick. »Weiß der Fremde die Gegenwart der Herrschaften?« fragte er den Pagen.

»Ich denke nicht, Erlaucht«, antwortete dieser.

»So führe ihn ein, aber erst, wann ich rufen werde.

Jetzt wendete er sich rasch gegen den Herzog. »Hoheit muß mir einen Gefallen tun. Da Sie für möglich hält, daß der Kanzler von Mailand mit mir konspirieren will, würde ich gegen die gewöhnlichste Vorsicht fehlen, wenn ich den Menschen, der draußen steht, ohne Zeugen mit mir reden ließe. Ich muß solche haben, zwei höchst glaubwürdige Zeugen, wo nicht unserer Gesichter, doch eines jeden unserer Worte, damit nicht der Argwohn von Madrid, noch die Eifersucht unsers Leyva, noch« – er dämpfte die Stimme – »jener Verderbliche, mit welchem Ihr geritten seid, Don Juan, und der unter dem Vorwand einer Botschaft des Vizekönigs mich hier umlauern soll, Grund finde, mich, ich sage nicht des Verrates, sondern nur eines falschen Schrittes zu bezichtigen. Hören aber will ich den Kanzler, der mir in seiner Torheit und Leidenschaft die Pläne und Mittel des Feindes enthüllen wird. Er kann es wie kein anderer. Unter dem Zwang dieser Umstände lasse sich Hoheit herab, den Lauscher zu machen. Und Ihr, Del Guasto, leistet der Hoheit Gesellschaft.« Er schritt auf einen schweren roten Vorhang mit goldenen Quasten zu, dessen breite Falten den Eingang in ein Nebenzimmer bis auf die Schwelle nieder verbargen und den er jetzt auseinanderschlug. »Hier ist Hoheit aufgehoben«, sagte er.

So sehr den Herzog das würzige Abenteuer lockte, stand er doch einen Augenblick unschlüssig. »Aber wenn Morone die Decke hebt?« fragte er, und der Marchese erwiderte: »Das wird er nicht. Keine Besorgnis. Ich stehe dafür.« Del Guasto blähte die Nüstern vor Wollust. Er rückte einen Schemel für den Herzog, hinter dessen Schultern er Stellung nahm als der zweite Lauscher. Der rote Vorhang zog sich zusammen.

Pescara aber fühlte sich von dem Pagen Ippolito umschlungen, der an ihm emporflüsterte, mit Tränen in den Augen: »Es ist kein Apotheker mehr, sondern ein Zauberer in langen schwarzen Gewändern mit einem Talisman auf der Brust und einem schrecklichen Gesichte!«

»Furchtsamer Junge! Bring ihn!«

»Da ist er schon!« schrie Ippolito und flüchtete sich.

»Ihr, Morone? Und im Staatsgewand? Doch von der Reise erhitzt, wie ich sehe. Eure drei Masken haben Euch wohl den Atem benommen.«

Morone atmete schwer und hörbar. Schweißtropfen quollen ihm auf der Stirn. Er stand wortlos.

»Was bringt Eure Weisheit?« fragte der Feldherr mit ernsthaften Augen und empfing von dem Stammelnden keine deutliche Antwort. Nach einer Pause ergriff Pescara mit spielender Hand die Münze, welche der Kanzler an einer schweren goldenen Kette auf der Brust trug. »Ein Lionardo, Kanzler? Und wen stellt es dar? Den Mohren? Ein geistvoller Kopf!«

Aber selbst an seinen geliebten Herrn vermochte der Kanzler nicht anzuknüpfen, so völlig war er außer Fassung.

Da begann der Feldherr ohne weitere Einleitung: »Euer Herzog, Morone, wünscht günstigere Bedingungen? Es könnte Rat werden, sobald mich die Hoheit von ihren guten Absichten überzeugt haben wird. Nehmen wir einmal mein Ultimatum Punkt um Punkt miteinander durch.« Er trat an den Tisch und suchte ein Papier.

Nun empfand er einen heißen Atem an der Wange, und ein Geflüster füllte sein Ohr. »Pescara«, keuchte es, »nicht darum handelt es sich, sondern Italien gibt dir sein Heer!«

»So ist es gut«, erwiderte der Feldherr, ohne den Kopf zu drehen. »Es unterwirft sich dem Kaiser?«

Da schrie es hinter ihm: »Nicht dem Kaiser, sondern dir, wenn du von ihm abfällst!«

Jetzt wendete sich Pescara gegen den Tollkühnen und drohte mit feindseliger Gebärde: »Du rasest! Ich weiß nicht, was mich abhält, dich zu ergreifen und aus dem Fenster zu werfen!«

Der Kanzler blieb furchtlos und schrie zum andern Male mit flammenden Augen: »Diese Stunde bietet dir deine Größe, Pescara! Laß sie nicht vorüber! Du würdest es bereuen! Du würdest daran sterben!.

»St! Wie du schreist! Wenn man lauschte! hinter diesem Vorhang... wenn ich selbst... hältst du mich dessen für unfähig? Überzeuge dich doch und hebe die Decke!«

Morone war wieder völlig im Besitze seiner selbst, nachdem er die Scham und den Schreck der ersten Worte überwunden hatte. »Pescara«, sagte er, »ich habe stets gefunden, daß der Schlaueste und am meisten Argwöhnische endlich doch an eine Stelle tritt und an einem Abgrunde steht, wo er trauen und glauben muß. So der Valentino mit dem Rovere, so mein geliebtester Herzog der Mohr mit seinen Hauptleuten und Schweizern.«

»Beide wurden verraten, Morone!«

»Ja, Pescara, aber der feine Mohr und der ruchlose Borgia, beide gingen sie vertrauend unter, und das war ein heller Schimmer von Menschlichkeit über dem Dunkel ihres verdienten Sturzes. Wenn ich das Größte wage und von dir das Größte fordere, werde ich in diesem heiligen Augenblicke so lächerlich sein, einen Vorhang zu heben, wie ein betrogener Ehemann, der den versteckten Buhlen seines Weibes sucht? Nein, ich gebe mich preis! Höre mich an, und dann überliefere mich dem Blocke, wenn du darfst!«

»Das ist nicht klein«, sagte Pescara ohne Spott und fügte dann zweifelnd hinzu: »Ob ich dich höre? Meine Neugierde ist rege, das bekenne ich, und einem so heroischen Menschen darf ich doch nicht einfach die Türe weisen. Zuerst aber saget mir, Kanzler: Habe ich Euch oder Eurem Fürsten Grund oder auch nur den geringsten Anlaß gegeben, meine Feldherrntreue zu beargwöhnen?«

Der Kanzler verneinte.

»Viel Unwahres wird geredet: die Majestät habe mich schlecht belohnt, und ich soll dieses schwer empfunden haben. Fußet Ihr auf diesem Undanke des Kaisers und auf diesem Grolle Pescaras, so tut keinen Schritt weiter: Ihr würdet in den trügerischen Boden versinken.«

»Da fuße ich nicht.«

»Oder ermutigt Euch jene öffentliche Rede Italiens, die mir schmeichelt und mir droht, mich verherrlicht und verdächtigt? Diese italienische Meinung ist eine heimtückische Sache. Sie soll mich in Madrid entwurzeln und in Italien vergewaltigen. Ich habe vorgebeugt und die arglistigen Schriften wie in einen Käfig eingesperrte Schlangen dem Kaiser überliefert. Habet Ihr Eure Finger auch in dieses Gift getaucht, Morone?«

Der Kanzler erbleichte. »Bei den Göttern der Unterwelt, daran trage ich keine Schuld!« rief er aus.

»Du willst mich nicht überlisten, Kanzler, so willst du mich überreden?«

»Nein.«

»Was denn?«

»Überzeugen.«

»Das Beste. Aber es wird Zeit kosten. Setzet Euch, Kanzler!« Er rückte mit rascher Bewegung zwei Stühle, und jetzt saßen sie sich gegenüber, Morone mit vorgebogenem Leib und Knie, während der Feldherr nachlässig zurücklehnte.

»Pescara, welches ist die schönste deiner Schlachten, das Wunder der Kriegskunst?«

Der Feldherr gab keine Antwort, da sich diese von selbst verstand, aber er tat einen leichten Seufzer.

»Und was hat der Kaiser aus deinem Siege von Pavia gemacht?«

Ein Blitz fuhr aus dem grauen Auge Pescaras. »Er hat ihn verstümpert«, murmelte er.

»Du gabst ihm einen erbeuteten König, und Karl weiß nichts mit ihm anzufangen! Er preßt ihn wie ein Wucherer. Er verlangt Vielfältiges und Unmögliches statt des Möglichen und Einfachen. Verzichte auf Italien, Bruder, so hätte ein großer Sieger zu König Franz geredet, das ist dein natürliches Lösegeld, und das kannst du, ohne deinem Frankreich wehe zu tun. Verzichte und ziehe!«

Pescara lächelte. »Du bist ein gefährlicher Mensch, Morone, wenn du Gedanken errätst. Aber nicht ich, du hast ihnen Worte gegeben. Ich habe nichts gesprochen.«

»Ich danke dem Kaiser!« fuhr der Kanzler sich begeisternd fort. »Er hat die Siegesgöttin von Pavia beleidigt, und sie kehrt zu dir, mein Pescara, zurück! Nicht nur für, auch gegen den Kaiser hat sie gekämpft. Sie hat Italien gegen die Fremdherrschaft vereinigt. Sie hat ihm seinen Feldherrn gezeigt.

Mein Pescara, welche Sternstellung über dir und für dich! Die Sache reif und reif du selbst! Eine entscheidende Zeit, ein verzweifeltes Ringen, Götter und Titanen, Freiheit sich aufbäumend gegen Zwingherrschaft, die Welt heute noch Bewegung und Fluß, morgen vielleicht zur Lava erstarrend! Und eine Tat, die für dich bereitliegt und zu welcher du geboren wurdest! Zuckt dir die formende Hand nicht danach? Ein vernünftiges Werk, eine ewige Gründung! Blick auf die Karte und überschaue die Halbinsel zwischen zwei Meerfarben und dem Schnee der Gebirge! Befrage die Geschichte: ein lebendiges Geflecht, oft gewaltsam zerrissen und immer wieder zusammenwachsend, von Republiken und Fürsten, mit zwei alten Feinden, zwei falschen Ideen, zwei grausamen Chimären, Papst und Kaiser! Siehe den ausgestreckten Finger Gottes, daran sich eine neue Menschheit emporrichtet: eine sich selbst regierende und vereitelnde Menschheit ohne höchstes Amt, weder weltliches noch geistliches, ein Reigen frei entwickelten Genien, ein Konzert gleichberechtigter Staaten –«

Pescara ergriff den beschwingten Redner am Arm, als wollte er ihn festhalten. »Fliege mir nicht davon, Girolamo!« scherzte er.

Dieser riß sich los und: »Laß dich nicht hindern an diesem göttlichen Werke«, rief er, »durch abergläubische Vorurteile und veraltete Begriffe, die weder in deinem Kopfe noch in deinem Herzen, noch in der Natur der Dinge sind. Ich kenne dich, Pescara: du bist ein Sohn Italiens und wie dieses erhaben über Treue und Gewissen!«

»Ihr seid doch ein lasterhaftes Geschlecht, ihr Italiener«, lächelte Pescara. »Aber du machst dich größer im Bösen, als du bist: denn diese Weisheit kommt nicht von dir, sondern euer Dämon, der Florentiner, hat sie dir eingeblasen. Lebt er noch?«

Der Kanzler wußte, wen Pescara meinte. »Er darbt, vergessen und verachtet«, erwiderte er mit Beschämung, »unser größter Geist.«

»Verdientermaßen. Es gibt politische Sätze, die ihre Bedeutung haben für kühle Köpfe und besonnene Hände, die aber verderblich und verwerflich werden, sobald sie ein frecher Mund ausspricht oder eine strafbare Feder niederschreibt. Doch das sind Allgemeinheiten, und alles käme auf die Anwendung an. Wie denkst du dir zum Beispiel, Kanzler, das Tatsächliche meines Verrates?«

Dieser öffnete den Mund, als hätte er unerschöpflich zu reden. Da berührte ihn Pescara leise mit dem Finger. »Sachte, vorsichtig!« warnte er. »Jetzt betrittst du ein schmales und schwankes Brett: es könnte kommen, daß ich dich nach deiner Rede als Verschwörer müßte in Fesseln legen lassen. Sprich nicht in deinem eigenen Namen, rate ich dir, sondern laß dir eine Maske bieten, wie du sie liebst, und warum nicht die des verschollenen florentinischen Sekretärs, ob er nun noch unter uns wandle oder schon im Geisterreiche? Rede, Niccolò Machiavelli! Ich werde dich schweigend und bewundernd anhören und dir dann doch vielleicht beweisen, daß du für einen Staatsmann immer noch viel zu viel Einbildungskraft besitzest. Oh, ich will dich kritisieren, mein Niccolò! Aber beginne.«

Dieser fortgesetzt scherzende Ton des Feldherrn beleidigte den Kanzler, und er empörte sich dagegen: »Jetzt sei des Spieles ein Ende. Erniedrige den nicht zum Schauspieler, welcher sein Leben wagt für die Rettung seines Vaterlandes! Pescara, ich bitte dich um Ernst!«

»Um Ernst? Es sei!« erwiderte der Feldherr und schloß die Augen, wie um besser zu lauschen. Jetzt erschrak der Kanzler einen Augenblick vor der Blässe und Strenge des magern Angesichtes. Doch er war entschlossen.


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