Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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»Familienangelegenheiten«, bemerkte Bourbon. »Aber weißt du, Ferdinand, daß der Kanzler mich mehr, als du denkst, begeistert hat? Trotz seiner Schmähungen – er ist der einzige, dem ich nichts übelnehme – war er auf dem Wege, mich völlig zu betören, oder vielmehr, du hast mich betört, da du sagtest, ich sei dein Alterego und du würdest mir Mailand geben. Du hast dich über mich lustig gemacht, und ich Stumpfsinniger habe den Spaß nicht verstanden.«

»Vergib, Karl! Ich war neugierig, ob der Kanzler seinem Herzog Treue hielte. Aber glaube mir, Karl, auch dir bleibt nichts als die Sache des Kaisers. Der Niedergang Italiens ist unaufhaltsam, es unterhöhlt sich selbst. Besieh dir doch die Sache: Italien bietet sich mir flehend und bedingungslos, mit einem Schein von Wahrheit und Größe, und zugleich zieht es mir mit vollendeter Tücke den Boden unter den Füßen weg, um mich zum Sprung über den Abgrund zu zwingen. Ich begreife bei solchen Gerüchten und Verleumdungen, daß mir Madrid einen Aufseher und Belauscher sendet. Aber warum meinen Feind? Warum Moncada? Zwar er wird mir nichts anhaben, und ich werde mein Tagewerk zu Ende bringen, und dir, Karl, werde ich geben, was ich kann, mein Amt und meine Nachfolge... Nicht wahr, Karl, du bist gerecht in Italien? Du quälst es nicht? Du drückst es nicht über das Maß? Das gelobst du mir. Obwohl sie es nicht um mich verdient haben. Ich kenne dich: du gehst menschlich mit ihnen um.«

»Ausgenommen mit dem Heiligen Vater, der schlecht von mir gesprochen hat. Aber, Ferdinand, was redest du? Du erschreckst mich! Wir sind gleichen Alters, und eine Kugel kann mich vor dir oder uns beide zusammen niederstrecken. Dieser Moncada ist über dich gekommen wie ein Frost, ich sah dich zusammenschauern. Was liegt zwischen Euch?«

Jetzt ging die Sonne unter, und es klopfte leise an der Türe. Der eintretende Ippolito wendete sich flehend gegen seinen Herrn: »Erlaucht lasse Madonna nicht warten. Die Tafel drüben ist gedeckt, und Madonna steht harrend auf der Terrasse, wenn sie nicht die Stufen herabsteigt.«

»Gehe, mein Kind, und sage ihr, ich komme.«

»Das tue ich nicht«, versetzte Ippolito mit anmutigem Trotze, »sonst läßt sich Erlaucht mit Hoheit wieder in ein endloses hochpolitisches Gespräch ein, und die süße Frau wird vergessen.«

Der Feldherr litt den Knaben neben sich, und die Unterhaltung mit dem Herzog fortsetzend, um dessen Schulter er vertraulich den Arm geschlungen hatte, bediente er sich der spanischen Sprache, von welcher er wußte, daß sie von dem Pagen nicht verstanden wurde. »Was zwischen mir und Moncada liegt, Karl? Etwas Entsetzliches, ein Verdacht, der für mich eine Wahrheit ist, für welchen ich aber keinen Beweis habe als meine Überzeugung. Ich glaube, ja ich bin gewiß: dieser Mensch hat meinen Vater umgebracht.« Er glättete die Locken des Kindes, das mit unschuldigen Augen zu ihm emporblickte.

»Es war nach der Wende des Jahrhunderts und ich wie dieser hier, jedenfalls nicht älter. Mein Vater, ein guter Feldherr und ein besserer Mann als ich, ein treuherziger Mann, ging in Sendung des damaligen Vizekönigs, des großen Gonsalvo, der später den spanischen Undank so grausam erfuhr, nach Barcelona, wo der alte Ferdinand eben hofhielt. Dort erblickte er den letzten Sprossen unsers neapolitanischen Fürstenhauses, jenen unglücklichen Jüngling, der unter dem argwöhnischen Auge Ferdinands welken mußte, mit einem unfruchtbaren Weibe verheiratet. Arglos und unklug, wie der Vater war – ich sage dir, es gab keinen schlichtern Mann –, ließ er sich mit dem entthronten Prinzen in ein teilnehmendes Gespräch ein und besuchte ihn dann zuweilen im Palaste. Das reichte hin, ihn dem Könige verdächtig zu machen, und dieser Verdacht genügte, um ihm das Leben abzusprechen.

Ich erzähle dir die Sache, wie ich sie nachher erforscht und zusammengebracht habe, da, bei reiferm Verstande und erlangter Menschenkenntnis, die Vergangenheit Sinn und Bedeutung für mich gewann. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der König selbst sein Opfer bezeichnete, wenn auch nur mit einem halben Wort oder einer kurzen Gebärde. Die Ausführung seines geheimen Spruches aber übernahm ein junger Mensch, den er um sich hatte und von dem es hieß, daß er sein natürlicher Sohn sei. Der junge Moncada, kein anderer, begegnete meinem Vater, der von dem Prinzen zurückkam, in einer Galerie des Schlosses und stieß ihn nieder. Kein Zweikampf, sondern ein Meuchelmord, denn die Rechte des Vaters war durch eine alte Verwundung gelähmt. Und Pescara fiel unschuldig, so wahr ich dich umschlungen halte, denn nichts lag dem Redlichen ferner als Intrige und Verschwörung. Ist das nicht verrucht? Und vielleicht glaubte der junge Moncada eine Pflicht zu erfüllen und als guter Christ zu handeln, da er dem Wink einer Königsbraue gehorchte. Ist das nicht abscheulich? Wäre so etwas bei euch möglich, Karl?«

»In Frankreich? Je nachdem. Doch nein, so einfach nicht.«

»Nach Jahren, da ich meine ersten Sporen verdient hatte, treffe ich den Moncada im Zelte meines Feldherrn und Schwiegervaters, des Fabricius Colonna. Er umarmt mich, nennt mich seinen jungen Helden, den aufgehenden Stern und die Hoffnung Spaniens, und sein Blick gleitet mit ruhiger Beobachtung über meine Züge. Er versichert mir, ich gleiche meinem Vater, den er gekannt habe, und das Blut erstarrt mir in den Adern, denn ich hatte die Gewißheit, daß mich der Mörder Pescaras liebkosend in den Armen halte.«

»Du ließest ihn gehen?«

»Am Abende jenes Tages ging ich, ihm das Leben zu nehmen oder ihn das meinige nehmen zu lassen. Er war verschwunden. Ich konnte ihn nicht verfolgen. Wo hätte ich die Zeit dazu genommen, immer im Zelte und in der Mitte der Entscheidungen, wie ich lebte? Aber der Geist des gemordeten Vaters folgte mir überall.

Später erfuhr ich, der Verhaßte habe sich in irgendeine Kartause geworfen, um eine Sünde zu büßen. Dann ist er jenseits des Meeres, in Kuba, wieder aufgetaucht, wo ihm König Ferdinand reiche Besitzungen verlieh, und hat den kühnen Cortez nach Mexiko begleitet. Ich denke, um den ehrgeizigen Eroberer zu überwachen: denn Moncada lebt in den Gedanken und Plänen seines Vaters und ist im Zusammenhange mit jener fanatischen spanischen Partei am kaiserlichen Hofe, welcher die Burgunder und Niederländer glücklicherweise die Waage halten. Über das Meer zurückgekehrt, hat er sich ein Verdienst daraus gemacht, durch sein verborgenes Wirken Neuspanien der Krone erhalten zu haben, und steht in halb gefürchtetem Ansehen, auch bei dem Kaiser, seinem Neffen. Jetzt ist er in Italien, um mich zu unterjochen oder zu verderben. Das ist Moncada.«

»Weißt du, Ferdinand«, sagte Bourbon, der aufmerksam gelauscht hatte, »ich hätte dir längst gern einen Gefallen getan. Räche ich dir den Vater und schaffe dir zugleich den Feind vom Halse? Nicht durch Meuchelmord, das ist nicht meine Art, sondern in geregeltem Duell, zu welchem ich schon einen Anlaß finde. Ich gefährde mich nicht, denn, ohne dir nahezutreten, du gibst zu: wir Franzosen fechten besser als ihr Spanier. Du bleibst außer Spiel, und mich schützt meine fürstliche Geburt. Willst du? Ich bin zu deiner Verfügung.«

Da antwortete Pescara mit fast verklärten, bläulich schimmernden Augen: »Nein. Es ist zu spät. Ich denke jetzt anders und gebe den Mörder der ewigen Gerechtigkeit.«

Bourbon blickte erstaunt. Pescara aber nahm Ippolito an der Hand und sagte: »Nun dürfen wir Madonna Viktoria nicht länger warten lassen.«

Er gab dem Herzog den Vortritt. Auf der Wendeltreppe fragte er den Knaben: »Die Herrin ist dir schon so lieb, die du heute zum ersten Male gesehen hast?«

»Sie war gleich so gütig«, erwiderte Ippolito, »und ihr sah die Schwester ähnlich, die ich jetzt nicht mehr sehen soll« – helle Zähren rieselten ihm über die Wange – »weil sie, wie mir der Großvater erzählte, in einem römischen Kloster ist und dort die Gelübde abgelegt hat. Und sie war sonst so fröhlich, die Julia, aber freilich, in der letzten Zeit ist sie sehr still geworden. Wie mag sich die Schwester so jung begraben!« Er sagte das, während sie ins Freie traten.

»Ich flehe, mich der erleuchten Frau vorzustellen«, bat der Konnetabel. »Jüngst fand ich, ein Buch öffnend, die Natur habe das Herrlichste gebildet und dann die Form zerbrochen, damit Viktoria Colonna einzig bleibe. Ihr gönnet mir den Anblick?«

Sie beschritten den langen Zypressengang, und jetzt gewahrten sie in einiger Entfernung einen bewegten Auftritt: eine vorwärts strebende weibliche Gestalt riß sich von einem Manne los, der ihr zu Füßen lag. In demselben Augenblicke schrie Ippolito: »Dort ist der böse Zauberer, er will der Herrin ein Leides tun!«, und eilte spornstreichs Donna Viktoria zu Hilfe, während der Kanzler von den Knien aufsprang und hinter einer Lorbeerhecke verschwand.

Die Befreite eilte dem lächelnden Gemahl mit schnellen Füßen entgegen und mit einem so jungen und kräftigen Erröten, daß Pescara sie niemals schöner gesehen zu haben glaubte. Während ihr Gewand noch flog, sagte die nicht einmal außer Atem Gekommene. »Ein Flehender hat mich überfallen und beschworen, seine Sache bei Euer Erlaucht zu führen: er bittet, ihn nicht allzulange auf Bescheid harren zu lassen, da er sich in Zweifel und Erwartung verzehre.«

»Er hat seine Fürbitterin gut gewählt, Madonna«, versetzte der Feldherr, »aber alles zu seiner Zeit. Jetzt gestattet, daß ich Euch die Hoheit Bourbon vorstelle.«

Viktoria, lebhaft wie sie war, verbarg einen Ausdruck frauenhafter Teilnahme nicht.

Der Herzog ließ nicht im geringsten merken, daß ihn der kniende Kanzler belustigt hatte. Er verneigte sich ehrerbietig und hielt sich fein und stolz aus Rücksicht für Pescara und im Bewußtsein seines schmachvollen Ruhmes, das ihn nie verließ. Er bewunderte die Schönheit Viktoriens, ohne sein dunkles Auge auf ihrem Antlitz oder ihrem Wuchse ruhen zu lassen. Er schmeichelte nicht, er streute keinen Weihrauch, sondern er sagte einfach: »Ich freue mich, Madonna Viktoria zu erblicken, die Gattin meines Freundes, des Marchese, und huldige ihr nach Gebühr.« Dann verwickelte er sie, zu ihrer Linken gehend, in ein leichtes und gefälliges, aber unbedeutendes Gespräch, und da sie ihn zur Tafel bat, bedankte er sich und schied unten an der Treppe des Landhauses mit ruhiger Höflichkeit. Viktoria, so bescheiden sie war, hatte mehr erwartet, schon aus Gewöhnung, denn ihr pflegte von den Berühmtheiten der Zeit auf das übertriebenste gehuldigt zu werden. Doch sie verwand leicht und belächelte ihre Enttäuschung, mit dem Feldherrn die Stufen hinansteigend in der schon wachsenden Dämmerung.

Die Mahlzeit war kurz, wie Pescara es liebte. Viktoria ließ es sich nicht nehmen, selbst dem Gemahl die Speisen vorzulegen, er aber rächte sich beim Nachtisch. Zwischen Eis, Früchten und Naschwerk erblickte er eine von seinem Zuckerbäcker kunstvoll geformte Mandelkrone. »Siehe da«, scherzte er, »etwas für meine ehrgeizige Viktoria!« Er bot sie ihr, deren Herz zu pochen begann.

Sie erhoben sich und betraten das Nebenzimmer, das eine schwebende Ampel gleichmäßig erhellte und in seinem noch frischen Schmucke schimmern ließ. An den Wänden liefen Kinder mit Blumenkränzen, während das Lattenwerk der Decke in seinen Feldern grau auf Goldgrund gemalte Heroenbüsten zeigte, eine willkürlich gewählte Gesellschaft, auf den vier ampelhellen Mittelfeldern: Äneas, König David, Herkules und Pescara. Das ganze Gerät war ein Ruhebette, dessen Rücklehne in ihrem Kastanienholze mit ausgebrochenen Lettern die Schrift trug: »Hier muß man plaudern.«

»Wie kommt es«, fragte Viktoria, sich neben Pescara niederlassend, »daß mir der Konnetabel trotz seiner feinen Art einen unangenehmen Eindruck macht, daß er mich – geradeheraus gesagt – abstößt?«

»Der Arme!« scherzte Pescara. »Mars und Muse, Rauheit und Anmut, der garstige Leyva und die schöne Viktoria fühlen sich gleicherweise von dem Kapetinger beleidigt, der sich doch gegen beide unsträflich benommen hat, wie ich bezeugen kann. Da muß sich etwas zwischen ihn und jeden andern, wer es sei, einschleichen, und ich glaube wohl, dieser entstellende Dunst und verhäßlichende Nebel ist sein Verrat oder welchen Namen man dem Abfall von seinem Könige geben will.«

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz Viktorias.

»Verrat...« Pescara dehnte die zwei Silben des Wortes. »Es ist begreiflich, daß ein edles Weib diese Sünde verabscheut. Ob ich meinem Fürsten Treue breche oder meinem Freunde oder meinem ahnungslosen Weibe oder selbst meinem Mitschuldigen, alles das sind Spielarten derselben Gesinnung... Schon dein finsterer und großer Dichter, aus welchem du deine Seele erneuerst, wertet den Verrat als die schwerste Schuld, da ja in seiner Giudecca sein Zerberus oder Luzifer in jedem der drei Rachen einen Verräter zermalmt. Den ersten weiß ich: es ist jener, der den Heiland geküßt hat. Wer aber sind die zwei andern: die, welche Luzifer an den Füßen gepackt hält und die das Haupt nach unten schweben? Das ist mir in diesem Augenblicke nicht erinnerlich. Sprich doch die Stelle, du weißt ja die hundert Gesänge auswendig.«

Viktoria rezitierte:

»Degli altri due, ch' hanno il capo di sotto,
Quel, che pende dal nero ceffo, è Bruto:
Vedi come si storce, e non fa motto:
E l'altro è Cassio, che par sì membruto
Hier windet Brutus sich mit festem Schweigen,
Und aus dem dritten Maul hangt Cassius nieder,
An dessen Leib sich alle Muskeln zeigen.

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