Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Kapitel

In der weiten hellen Fensternische jener edeln vatikanischen Kammer, an deren Dielen und Wänden Raffael die Triumphe des Menschengeistes verherrlicht, saß ein Greis mit großen Zügen und von ehrwürdiger Erscheinung. Er sprach bedächtig zu dem emporgewendeten, mit dunkelblonden Flechten umwundenen Haupte eines Weibes, das zu seinen Füßen saß und mit einem warmen menschlichen Blut in den Adern ebenso schön war als die Begriffe des Rechtes und der Theologie, wie sie der Urbinate in herrlichen weiblichen Gestalten verkörpert. Der betagte Papst mit seinem langen gebückten Rücken und in seinem fließenden weißen Gewande ähnelte einer klugen Matrone, welche lehrhaft mit einem jungen Weibe plaudert.

Noch nicht gar lange mochte Viktoria auf ihrem Schemel gesessen haben, denn der Heilige Vater erkundigte sich eben erst nach dem Befinden ihres Gatten, des Marchese von Pescara. »Die Seitenwunde von Pavia macht sich nicht mehr fühlbar?« sagte er.

»Der Marchese ist völlig geheilt«, erwiderte Viktoria unschuldig. »Die Seitenwunde ist vernarbt, sowie auch die schlimmere Stirnwunde. Er wird Eure Heiligkeit begrüßen, wenn er den Urlaub antritt, den ihm die Gnade des Kaisers zugesagt hat und der uns Glückselige« – sie sprach es mit jubelnden Augen – »auf unserer Meeresinsel vereinigen wird. Aber er selbst verweigert sich denselben für einmal noch, weniger des politischen Horizontes wegen, der nicht heller noch trüber sei als sonst – so schreibt er –, sondern weil er gerade jetzt das Heer ungern verlasse. Der Mörder«, sagte sie lächelnd, »beschäftigt sich nämlich mit einer vervollkommneten Feuerwaffe und einem neuen Manöver. Das brächte er nun gerne erst zu einem Ergebnis. So hat er mich, die er anfänglich hier in Rom überraschen wollte, in sein Feldlager nach Novara beschieden, und ich reise morgen, nicht im Schneckenhaus meiner Sänfte, sondern im Sattel meines hitzigen türkischen Pferdchens. Hätte ich Flügel! mich verlangt nach den Narben meines Herrn, dessen Antlitz ich nicht gesehen seit jener berühmten Schlacht, die ihn unsterblich gemacht hat. Und so bin ich zu der Heiligkeit geeilt in der Freude meines Herzens, um mich bei Ihr zu beurlauben: denn das ist der Zweck meines Besuches.« So redete Viktoria aufwallend und überquellend wie ein römischer Brunnen.

Ihre aufrichtigen Worte belehrten den Heiligen Vater, daß Pescara sein Tun und Lassen in dasselbe Zwielicht stelle, welches auch er liebte. Nur mit dem Unterschiede, daß der junge Pescara im entscheidenden Augenblicke wie ein Blitz aus seiner Wolke hervorsprang, während Clemens unentschlossen, über sich selbst zornig, in der seinigen verborgen blieb, weil er aus greisenhafter Überklugheit den Moment zu ergreifen versäumte. Er schärfte, in einem andern Bilde gesprochen, den Stift so lange, bis zu seinem Ärger die allzu feine Spitze abbrach. Jetzt trat er leise und tastete.

»Einen Urlaub hat der Marchese verlangt?« verwunderte er sich. »Ich dächte, seinen Abschied? Achilles zürnt im Zelte, so hörte ich.«

»Davon weiß ich nichts, und das glaube ich nicht, Heiliger Vater«, entgegnete Viktoria und warf mit einer stolzen Gebärde das Haupt zurück. »Warum seinen Abschied?«

»Nicht wegen einer rosigen Briseis, Madonna«, antwortete Clemens ärgerlich mit einem frostigen Scherze, »sondern geprellt um einen erbeuteten König und um die Türme von Sora und Carpi.«

Damit spielte der Papst auf zwei bekannte Tatsachen an. Der Vizekönig von Neapel hatte bei Pavia, Pescara zuvorkommend, den Degen des französischen Königs in Empfang und damit die Ehre vorweggenommen, die erlauchte Beute nach Spanien führen zu dürfen. Und dann hatte der Kaiser Sora und Carpi den begehrlichen Colonnen, den eigenen Verwandten der Viktoria geschenkt, nicht seinem großen Feldherrn, welcher ebenfalls einen Blick danach geworfen.

Viktoria errötete unwillig. »Heiliger Vater, Ihr denkt gering von meinem Gemahl. Ihr stellet Euch einen kleinlichen Pescara vor: gebet mir Urlaub, damit ich reise und mich überzeuge, daß Euer Pescara nicht mein Pescara ist. Ich habe Eile, vor den wahren zu treten.«

Sie erhob sich und stand groß vor dem Papste, aber schon verbeugte sie sich wieder tief mit demütiger Gebärde, um seinen Segen flehend. Da bat er sie, sich wiederum zu setzen, und sie gehorchte. Clemens durfte sich die Gelegenheit nicht entrinnen lassen, Pescara durch den geliebten Mund seines Weibes zum Abfalle zu bereden. Daß aber mit Anspielungen und Vorbereitungen bei der Colonna, wie er sie vor sich sah, nichts getan wäre, begriff er leicht: entweder würde sie sich gegen das Zweideutige aufbäumen oder es als etwas Unverständliches und Nichtiges unbesehen in den Winkel werfen. Er mußte dieser wahren und auf Wahrheit dringenden Natur die Sache in klaren Umrissen vorzeichnen und in ein volles Licht stellen, damit sie dieselbe ihres Blickes würdige. Das ging ihm gegen seine Art, und er tat einen schweren Seufzer.

Da fand er eine Auskunft, die nicht ohne Geist und List war. Er fragte Viktoria mit einer harmlosen Miene, während er die Hand mit dem Fischerring auf ein in blauen Sammet gebundenes Buch mit vergoldeten Schlössern legte: »Spinnst du wieder etwas Poetisches, geliebte Tochter? Wahrlich, ich bin ein Verehrer deiner Muse, weil sie sich mit dem Guten und Heiligen beschäftigt. Und ich liebe sie insbesondere, wo sie moralische Fragen stellt und beantwortet. Aber das schwerste sittliche Problem hast du noch in keinem deiner Sonette behandelt. Weißt du, welches ich meine, Viktoria Colonna?«

Diese wunderte sich nicht über den plötzlichen Einfall des Heiligen Vaters, weil sie hier auf dem eigenen Boden stand und, bei ihrem schon gefeierten Namen, Gelehrte und Laien wohl nicht selten ähnliche Fragen an sie richten mochten. Sie fühlte sich und erhob den schlanken Leib kampflustig, während sich ihre Augen mit Licht füllten. »Der größte sittliche Streit«, sagte sie ohne Besinnen, »ist der zwischen zwei höchsten Pflichten.«

Jetzt hatte der Heilige Vater Fahrwasser gewonnen. »So ist es«, bekräftigte er mit theologischem Ernste. »Das heißt: scheinbar höchsten, denn eine der beiden ist immer die höhere, sonst gäbe es keine sittliche Weltordnung. Ich flehe zu Gott und seinen Heiligen, daß sie dir beistehen und dich die höhere Pflicht erkennen lassen, damit du sie der geringem vorziehest, du und dein Gatte, denn siehe, dieser große und schwere Kampf wird an euch beide herantreten.«

Viktoria erblaßte, da ihr die akademische Frage plötzlich in das lebendige Fleisch schnitt, der Heilige Vater aber redete feierlich: »Höre mich, meine Tochter! Alles, was ich dir jetzt zu sagen habe, ist auch dem Marchese gesagt, den meine Worte durch dich erreichen. Vernimm es: der Heilige Stuhl trennt sich zu dieser Stunde von der Kaiserlichen Majestät und bietet ihr die Spitze. Ich handle so als Fürst und als Hirte. Als Fürst: weil heute die Schicksalsstunde Italiens ist. Lassen wir sie verrinnen, so verfallen wir italienischen Fürsten alle auf Jahrhunderte hinaus dem spanischen Joche. Frage, wen du willst: so urteilen alle Einsichtigen. Aber auch als höchster Hirte. Ersteht in jenem rätselhaften Jüngling, der Völker in seinem Blut und auf seinem Haupte Kronen vereinigt, der alte Kaisergedanke, so ist die ganze leidenvolle Arbeit meiner heiligen Vorgänger umsonst gewesen, und die Kirche wird durch die neue Staatskunst enger gefesselt und tiefer gedemütigt als von den eisernen Fäusten jener fabelhaften germanischen Ungetüme, der Salier und der Staufen. So steht es. Blieb dir fremd, was Italien mit Furcht und Hoffnung erfüllt?«

»Der Marchese will es nicht glauben«, sagte Viktoria mit einem schnellen Erröten. Der Heilige Vater lächelte. »Heiligkeit vergesse nicht«, lächelte sie ebenfalls, »ich bin eine Colonna, das ist eine Gibellinin.«

»Du bist eine Römerin, meine Tochter, und eine Christin«, wies sie Clemens zurecht.

Es entstand eine Pause. Dann fragte sie: »Und Pescara?«

»Pescara«, antwortete der Papst und dämpfte die Stimme, »ist eher mein Untertan als derjenige des Kaisers. Denn er ist ein Neapolitaner, und ich bin der Lehensherr von Neapel. Glaube nicht, Viktoria, daß ich leichthin rede. Wie dürfte ich es, da ich das Gewissen der Welt bin? Wahrlich, ich sage dir: in schlaflosen Nächten und bekümmerten Frühstunden habe ich mein Recht auf Pescara geprüft. Meiner politischen Vernunft mißtrauend, habe ich die zwei größten Rechtsgelehrten Italiens zu Rate gezogen, Accolti und... hm... den zweiten.«

Der Papst zerdrückte den Namen klüglich auf der Zunge, da ihm noch zur rechten Zeit einfiel, dieser zweite Rechtsgelehrte, der Bischof von Cervia, genieße des Rufes der schamlosesten Käuflichkeit. »Beide« – Clemens klopfte mit dem Fischerring auf das blaue Buch – »stimmen zusammen, daß Pescara, nach strengem Rechte betrachtet, viel mehr mein Mann sei als der des Kaisers, und beide erinnern mich daran, daß ich überdies, kraft meines Schlüsselamtes, jetzt, da der Kaiser mein Feind wird, die Macht besitze, den Marchese eines Eides zu entbinden, den er einem Feinde des Heiliges Stuhles geschworen hat.«

Der Papst hatte sich langsam erhoben. »Und so tue ich!« sagte er priesterlich. »Ich löse Ferdinand Avalos vom Kaiser und zerbreche seine Treue. Ich ernenne den Marchese von Pescara zum Gonfaloniere der Kirche und zum Feldherrn der Liga, welche die heilige heißt, weil Christus in der Person seines Nachfolgers an ihrer Spitze steht.« Der Papst hielt inne.

Jetzt hob er die rechte und die linke Hand in gleicher Höhe, als hielten sie eine Krone über dem Haupte der Colonna, die, von Staunen überwältigt, auf die Knie sank, und sprach mit lauter Stimme: »Die Verdienste meines Gonfaloniere um mich und die heilige Kirche voraus belohnend, kröne ich Ferdinand Avalos Marchese von Pescara zum Könige von Neapel!« Die junge Königin erbebte vor Freude. Sie glaubte eine Krone zu verdienen. Sprachlos, mit brennenden Wangen empfing sie den Segen. Dann stand sie auf und ging, in gemessenen, aber eiligen Schritten, als könne sie es nicht erwarten, dem erhöhten Gemahl seine Krone zu bringen.

Der Heilige Vater, selbst aufgeregt, folgte ihr so hastig, daß er beinahe einen Pantoffel verloren hätte. An der Schwelle erreichte er sie und wollte ihr den Band von blauem Sammet bieten. »Für den Marchese«, sagte er.

Da erblickte er hinter ihr Guicciardin mit Morone, die vielleicht ein bißchen an der Türe gehorcht hatten. Viktoria mit strahlenden Augen voll glühender Wonne erschien dem Kanzler als ein solches Wunder, daß er fast von Besinnung kam. Rasch gesammelt aber flehte er den Papst an: »Die Heiligkeit mache mich Unheiligen bekannt mit der himmlischen Viktoria!«, worauf Clemens ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter gab und ihn mit den Worten vorstellte: »Der Kanzler von Mailand, ein Weltkind, auf das sich der Heilige Geist herabzulassen beginnt!« Dann wisperte er Viktorien ins Ohr: »Morone, Buffone.«

Diese verschwand in der Verwirrung ihres Glückes, während der Papst in der seinigen das wichtige blaue Buch zurückbehielt, denn er war noch ganz berauscht von der kühnen symbolischen Tat, zu welcher ihn der Anblick der schönen Frau hingerissen hatte. Nun fühlte er doch, daß er das Gleichgewicht verloren; er wies mit einer Handbewegung den Besuch des Florentiners und des Lombarden ab und trat in die Raffaelische Kammer zurück.

Die beiden nicht Empfangenen sahen sich einen Augenblick an, dann ergriff Guicciardin lachend den Arm des Kanzlers und zog ihn sanftgestufte Treppen hinunter in die Vatikanischen Gärten, deren Schattengänge sie nicht aufzusuchen brauchten, denn der Himmel hatte sich mit schwarzen Wolken bedeckt.

»Eigentlich«, plauderte Guicciardin, »mag ich den Alten leiden. So fein er spinnt und so bedacht er redet, ist er doch innerlich ein leidenschaftlicher, ein zorniger Mensch wie ich, und jetzt höchst aufgeregt, weil er der Colonna unsere gefährliche Heimlichkeit geoffenbart hat. Du in deiner Verzückung hast es freilich nicht gesehen, wie er ihr die Gutachten des Accolti und des Angelo de Cesis in die Hand drücken wollte. Zwei käufliche Schurken, die den Meineid mit Bibelstellen belegen! Übrigens ist es ein starkes Ding, daß Clemens in seinen alten Tagen so Kühnes und Folgenschweres unternimmt, und noch mehr, er unternimmt es mit tiefem Mißtrauen gegen sich selbst, ohne Glauben an seinen Stern, denn er hält sich heimlich für einen Pechvogel. Das ist schlimm. Da war denn doch der Leo ein anderer, immer strahlend und triumphierend, und darum immer glücklich, während die gegenwärtige Heiligkeit, wie sie mir neulich im Tone des Jeremias prophezeite, die Ewige Stadt schon geplündert und aus diesen Dächern« – er wies auf den Vatikan – »Rauch und Flamme steigen sieht. Dennoch beginnt er den Kampf gegen den Kaiser, und das rechne ich ihm hoch an, ob es ihm auch zuerst um sein Florenz zu tun ist. Er hat noch Blut in den Adern und knirscht die Zähne, soviel ihm geblieben sind, wenn er den hochmütigen spanischen Adel auf dem Kapitole stolzieren sieht wie in Neapel oder Brüssel. Aber wohin träumst du, Kanzler? Von dem Weibe? Natürlich.«

»Ich will zu der Römerin reden wie ein alter Römer!« rief der Kanzler.

»Schön! Nur hüte dich, daß du in der Begeisterung nicht deinen klassischen Bocksfuß unter der Toga hervorstreckest. Sei züchtig, mache große Worte und packe sie fest an ihrer Eitelkeit!«

»An ihrem Herzen will ich sie packen!«

»Das heißt, an ihrer Tintenflasche, denn die Herzen schreibender Weiber sind mit Tinte gefüllt«, lästerte der schmähsüchtige Florentiner. »Aber weißt du, Kanzler« – und Guicciardin kniff ihn kräftig in den Arm – »daß es nicht der Heilige Vater allein ist, den unsere Unternehmung schlaflos macht. Auch ich habe in dieser Woche noch kein Auge geschlossen. Immer muß ich mir diesen Pescara zurechtdenken. Auf seinen Groll gegen den Kaiser gebe ich nichts: sie können sich über Nacht versöhnen. Ebensowenig auf den Einfluß des Weibes. Sie wird ihm die Botschaft des Papstes ausrichten dürfen: weiter wird er nicht auf sie hören. Aber ich glaube auch nicht an seine feudale Treue. Pescara ist kein Cid Campeador, oder wie die Spanier ihren loyalen Helden nennen, dafür ist er zu sehr ein Sohn Italiens und des Jahrhunderts. Er glaubt nur an die Macht und an die einzige Pflicht der großen Menschen, ihren vollen Wuchs zu erreichen mit den Mitteln und an den Aufgaben der Zeit. So ist er und so paßt er uns. Unfehlbar, er wird unsere Beute und wir die seinige. Dennoch... lache mich aus, Morone... etwas umhaucht mich: ich wittere Verborgenes oder Geheimgehaltenes, etwas Wesentliches oder auch etwas Zufälliges, etwas Körperliches oder einen Zug seiner Seele, kurz, ein unbekanntes Hindernis, das uns den Weg vertritt und unsere genaue Rechnung fälscht und vereitelt.«

»Aber«, sagte Morone nachdenklich werdend, »wenn er so ist, wie du ihn nimmst, und wenn die Tatsachen liegen, wie wir sie kennen, aus welcher Geisterquelle sollte denn jenes Feindselige aufsteigen?«

»Ich weiß es nicht! Nur – von diesem Pescara geht der Ruf, er verstehe es, einen stürmenden Feind alle Höhen erklimmen zu lassen, um ihm dann plötzlich einen letzten mit Feuerschlünden besetzten und ihn zerschmetternden Wall entgegenzustellen. Wenn in seinem Innern ein solcher Wall gegen uns emporstiege, gerade im Augenblicke, da wir glauben, seine Seele bewältigt zu haben? Doch weg mit dem Spuk, der nichts ist als die Schwüle vor dem Gewitter, die natürliche Angst und Ungewißheit, die jedem großen und gefährlichen Unternehmen vorangeht.«


 << zurück weiter >>