Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Redet, Don Juan«, flüsterte Viktoria.

»Für Euch, Madonna, die aus dem Vatikan zurückkehrt, gibt es kein Geheimnis, und es ist nicht einmal eines, sondern, wie ich sagte, ein öffentliches Geflüster, ein schadenfrohes, rachsüchtiges Gekicher, ein kaum unterdrückter, italienischer Jubel, eine allgemeine patriotische Rede und Ermunterung, von der ich die größte Eile habe, den Feldherrn zu unterrichten. Denn noch weiß er nichts davon. Wie ich meine«, fügte er argwöhnisch bei.

Viktoria erbleichte. »Was wird geflüstert«, fragte sie beklommen, »und über wen? doch nicht über Pescara?«

»Von ihm. Er ist überall. Sie sagen« – er dämpfte die Stimme – »der Feldherr löse sich vom Kaiser und unterhandle mit der Heiligkeit und den italienischen Mächten.«

Viktoria erschrak über den glühend sinnlichen Ausdruck seines Gesichtes. »Und Pescara...« sagte sie undeutlich.

»Wie ich den Feldherrn beneide!« träumte Don Juan. »Welche Aufregungen, welche Genüsse! Italia wirft sich ihm in die Arme... er wird sie liebkosen, unterjochen und wegwerfen... oh, er wird mit ihr spielen wie die Katze mit der Maus!«, und er machte mit der Rechten eine haschende Gebärde.

Ein flammender Zorn übermochte die Colonna. »Verworfener«, rief sie, »habe ich dich gefragt, wie Pescara tun würde? Bist du der Mensch, es zu wissen? Habe ich dir erlaubt, an ihm herumzudeuten?... Wie die Katze mit der Maus... abscheulich! So hast du mit Julien gespielt, Ehrloser!«

Diese Julia stammte aus einem edeln novaresischen Geschlechte und war die Enkelin des gelehrten Arztes Messer Numa Dati, welcher die Speerwunde Pescaras geheilt hatte. Del Guasto, der im Hause des Arztes Quartier genommen, hatte das Mädchen mißleitet und die Wohnung gewechselt. Die Preisgegebene war dann, von Scham vernichtet, vor dem arglosen Antlitz ihres Großvaters von Novara weit weg in ein römisches Kloster geflohen und hatte die mächtige Colonna auf den Knien angefleht, sich ihrer zu erbarmen und ihre Ehre herzustellen.

Da ihn Viktoria einen Ehrlosen hieß, biß sich Don Juan die Lippe. »Sachte, Herrin«, sagte er, »wäget Eure Worte. Ich bin kein Ehrloser, sondern ich wäre es, wenn ich Julien nicht verlassen hätte. Ich rede nicht von dem Unterschiede des Blutes eines Avalos und einer Dati, sondern einfach davon, daß mir wie jedem Manne keine Gefallene, sondern eine Unschuldige zur Braut geziemt.«

Viktorias menschliches Herz empörte sich. »Du bist es, der die Ärmste mit deinen Liebkosungen und Beteuerungen, ja vielleicht gar mit falschen Gelübden und Eiden zu Falle gebracht! Bist du es nicht? Kannst du es leugnen?«

Er erwiderte: »Ich leugne es nicht, aber es war mein Kriegsrecht, denn Krieg ist zwischen dem männlichen Willen und der weiblichen Unschuld. Ich versuchte sie, ja. Warum widerstand sie nicht? Warum gab sie sich? Warum beschuldigt Ihr mich, daß sie schwach war und daß ich sie jetzt verachte und verschmähe?«

Viktoria erstarrte vor Entsetzen. »Ruchloser!« stöhnte sie.

»Madonna«, kürzte der Jüngling das Gespräch, »das ist eine peinliche Unterhaltung, und Ihr tut mir leid dabei. Ich schlage Euch ein Tribunal vor. In Novara angelangt, treten wir vor den Feldherrn, und Ihr verklaget mich. Ich werde mich rechtfertigen, und der Feldherr, der die Welt und ihre Ordnungen kennt, wird mich freisprechen, wie ich denke. Jetzt verlasse ich Euch. Ich habe noch Leute zu werben, denn ohne eine starke Bedeckung wage ich in diesen unruhigen Zeiten nicht für Euch zu haften.« Er verbeugte sich und verließ sie hohen Hauptes.

Viktoria wendete sich unwillig und wählte den entgegengesetzten Ausgang. Sie bedurfte Kühlung und stieg in den Garten hinab. Mit dem letzten Tageslichte betrat sie den hinter dem Palaste liegenden Raum, welcher, von hohen Mauern eingehüllt, voller Lorbeer und Myrte war und den der nachtröpfelnde Regen erfrischte. Ihre Schritte suchten das den Garten abschließende Kasino.

Die Helle genügte noch, wenn auch mit Mühe die Lettern zu unterscheiden in dem Evangelienbuche, welches sie im Vorbeigehen aus der Bibliothek genommen und vor das sie sich gesetzt hatte, die heiße Stirne in den gefalteten Händen. Ganz erfüllt von dem Schicksale Juliens und dem größern Pescaras, durchlief sie mit den Augen gedankenlos die aufgeschlagene Seite und atmete in vollen Zügen die erfrischte Luft. Nach einer Weile wurde sie sich dessen bewußt, was sie las: es war die dreimalige Versuchung des Herrn durch den Dämon in der Wüste. Sie las weniger mit dem leiblichen als dem geistigen Auge, was sie von Kind an auswendig wußte.

Sie sah den Dämon vor den Heiland treten, welcher das einfache Wort der Treue und des Gehorsams den Sophismen des Versuchers entgegenhielt. Als der Versucher heftiger drängte, deutete des Menschen Sohn auf die Stelle seiner künftigen Speerwunde... Da wandelte sich das weiße Kleid in einen hellen Harnisch, und die friedfertige Rechte bepanzerte sich. Nun war es Pescara, der die Hand über seine durchschimmernde Wunde legte, während der Dämon jetzt einen langen schwarzen Juristenrock trug und sich wie ein Gaukler gebärdete. So sah es die Colonna auf dem vor ihr liegenden Bibelblatte. Ärgerlich über das Spiel ihrer Sinne, tat sie sich Gewalt an und blickte auf.

»Wer bist du, und was willst du?« rief sie erstaunt, und eine vor ihr stehende dunkle Gestalt antwortete: »Ich bin Girolamo Morone und komme zu reden mit Viktoria Colonna.« Viktoria erinnerte sich, wen ihr heute der Papst gezeigt hatte, und gewahrte jetzt auch den einführenden Diener. Dieser entflammte die über der Herrin schwebende Ampel, rückte dem Kanzler einen Schemel und entfernte sich, während die Marchesa in der entstehenden Helle das häßliche, aber mächtige Gesicht ihres nächtlichen Gastes betrachtete, das ihr keinen Widerwillen einflößte.

»Zu später Stunde«, sagte sie, »suchet Ihr mich; doch Ihr bringst mir wohl einen Auftrag an meinen Herrn, zu welchem ich morgen in der Frühe verreise.«

»Vor Pescara denke ich bald selbst zu stehen«, erwiderte Morone, »und nicht von ihm werde ich Euch reden, sondern allein von Viktoria Colonna, welche ich mit ganz Italien verehre und anbete wie eine Gottheit, der ich aber zürne und gegen die ich Klage erhebe.«

Wer seid Ihr, um so mit mir zu sprechen? lag es auf den Lippen der Marchesa, doch sie fragte rasch und warmblütig: »Wessen klaget Ihr mich an? Was ist meine Schuld, Morone?«

»Daß Ihr Euer helles und begeisterndes Antlitz in Rollen und Bücher vergrabet und unter Schatten und Fabeln lebet! Daß Ihr den ersten Cäsar verabscheut und dem neuesten huldigt, daß Ihr Troja beweinet und Euer Volk vergesset, daß Euch Prometheus' Bande drücken und die Fesseln Italiens nicht schmerzen! Drei Frauen haben sie geschmiedet!«

»Welche dreie?« fragte sie.

»Die erste war Beatrix Este. Wann ihr alternder Gemahl, der Mohr, sie auf den schwellenden Mund küßte, flüsterte sie, daß ihren blonden Flechten ein Diadem anstünde, der kluge Mohr verstrickte sich in die blonden Flechten und vergiftete seinen Neffen, den Erben von Mailand.«

»Die Schändliche!«

»Der welkende Knabe hatte ein stolzes und feuriges Weib, die Aragonesin Isabelle, die Beatrix tödlich haßte, und mit ihren jungen, kräftigen Armen den siechen Knaben, ihren Gemahl, auf den vorenthaltenen Thron heben wollte, sie beschwor und bestürmte ihren Vater, den König von Neapel, bis dieser den Mohren bedrohte.«

»Ärmste!«

»Der Mohr war sicher, solange der Gebieter von Florenz, der junge Medici, dazwischen stand. Dieser war das Spielzeug seines schönen Weibes, der hochmütigen Alfonsine Orsini, und das Weib übermochte ihn, daß der Tor dem Mohren Freundschaft und Bündnis kündigte. Da rief der Mohr den Fremden.«

»Unselige!«

»Dreie haben Italien gefesselt. Die vierte, die Ihr seid, muß es erlösen.«

»Kanzler, ich bin nicht das Weib eines Greises, noch eines Knaben, noch eines Toren, noch eines andern von denen, die sich vom Weibe berücken lassen, und... ich begehre keine Krone.« Sie errötete und wurde wie Purpur.

»Herrin«, sagte der Kanzler, »die Krone begehrt Euch. Erbarmt Euch Eures Volkes, und vertretet es bei Pescara! Ich sage nicht: liebkoset, umgarnet, verleitet ihn! Ich verschwöre mich nicht mit Euch, ich verabrede keine Rollenteilung, ich lasse Euch reisen, ich laufe mit Euch in die Wette, wer ihn zuerst erreiche. Und seid Ihr die erste, so umfanget seine Knie und redet aus der Fülle Eures Herzens und flehet: Pescara! Ich bin Italien und liege zu deinen Füßen: erhebe mich und nimm mich an deine Brust!«

Viktoria war gerührt, und auch der Kanzler vergoß Tränen.

»Erlauchte Frau«, sagte er, »wer bin ich, der so zu Euch reden darf! Ich bin nicht wert, daß ich den Saum Eures Gewandes küsse. Ludwig der Mohr, mein allergütigster Herr, hat mich in Mailand von der Gasse aufgelesen und wie einen drolligen kleinen Pudel zu seinen Füßen spielen lassen. Da habe ich meine Erziehung genossen und an seinem Hofe und später in seinem Dienste das Gesicht und die Gebärde meiner Zeit, den ganzen ausgelassenen Triumphzug des Jahrhunderts betrachtet.

Der arme Mohr! Sein Unstern und die Franzosen entführten ihn nach Loches, wo er zehn lange Jahre im Kerker schmachtete. In seinem letzten habe ich ihn dort wiedergesehen; denn damals, durch die Macht der Umstände, befand ich mich in französischem Dienste, und mich verlangte nach dem Antlitz meines Wohltäters. Da ich ihn erblickte, erschrak ich und hatte Mühe, ihn zu kennen. Er sah wie ein Geist: Kerker und Elend hatten seine Miene seltsam veredelt. Erst da er den Mund öffnete, fand ich mich wieder in ihm zurecht. Er lächelte und sagte in seiner unvergleichlich feinen Weise: ›Bist du es, Girolamo? Es ist hübsch von dir, daß du mich besuchest. Ich verarge dir nicht, wenn du in den Dienst meines Feindes getreten bist. Die Umstände zwingen, und wie ich dich kenne, wirst du meinen Söhnen noch ein treuer Freund und Berater sein, wenn das Rad der Fortuna sich wiederum gedreht haben wird. Du bist nun ein gereifter Diplomat geworden und verrätst keine schlechte Schule. Weißt du noch, wie ich dir untersagte, dein komisches Gesicht wegzulegen und dein Gebärdenspiel zu mäßigen, mit welchen du dir jetzt deine neuen Freunde gewonnen hast?‹

So scherzte er eine Weile großmütig, dann aber redete er ernst und sagte: ›Weißt du, Girolamo, was mich hier in meiner Muße beschäftigt? Nicht mein Los, sondern Italien und immer wieder Italien. Ich betraure als die Qual meiner Seele, daß ich, vom Weibe verlockt, den Fremden gerufen habe, mit dem ihr jetzt rechnen müßt und der ein zerstörender Teil eures Körpers zu werden droht. Ich aber sinne, wie ihr wieder euer werdet. Da war der Valentino, jener Cäsar Borgia, der versuchte es mit dem reinen Bösen. Aber, Girolamo, mein Söhnchen, das Böse darf nur in kleinen Portionen und mit Vorsicht gebraucht werden, sonst bringt es um. Da ist jetzt der Rovere, dieser Papst Julius, der auf einer Donnerwolke gegen den Fremden fährt, welchen er selbst gerufen hat, nicht minder als ich. Aber der Greis verzehrt sich, seine gewalttätige Seele wird bald in den Hades schweben, und nach ihm bleibt der gewöhnliche Hohepriester, der zu schwach ist, Italien zu gründen, doch gerade stark genug, um jeden andern an dem Heilswerke zu hindern.

Girolamo, mein Liebling: ich glaube nicht, daß mein Italien untergeht, denn es trägt Unsterblichkeit in sich; aber ich möchte ihm das Fegefeuer der Knechtschaft ersparen. Gib acht, Söhnchen: ich lese zwischen deinen Augen, daß du noch eine Rolle spielen wirst in dem rasenden Reigen von Ereignissen, der über meinen lombardischen Boden hinwegfegt. Tritt eines Tages aus diesen wechselnden Bildungen eine Macht und aus diesen flüchtigen Gestalten eine Person, aber weder ein Frevler noch ein Priester, sondern ein Feldherr, der den Sieg an seine eiserne Sohle fesselt, wer und wessen Stammes er sei, nur kein Fremder, dem gib du dich, mit Leib und Seele! Was an List und Lüge notwendig ist – denn anders gründet sich kein Reich –, das übernimm du, mein Söhnchen, er aber bleibe makellos!‹«

Der Kanzler war aufgesprungen. Seine begeisterte Rede riß ihn, ohne daß er es merkte – und auch die ergriffene Viktoria merkte es nicht –, weit über die Grenze der Wahrheit. »Diesem Erkorenen«, rief er aus, »stehe das schönste und reinste Weib zur Seite! Italien will die Tugend leiblich einherschreiten sehen, um ihr nachzuleben. Unser Verderben ist die Entfesselung aus der Sitte, der zerrissene Gürtel der Zucht. Hier ist ein Sieg davonzutragen, größer als der auf dem Schlachtfelde, und ein Zauberstab zu schwingen, mächtiger als der Feldherrnstab. Ich sehe sie vor mir, diese Königin der Tugend, die Priesterin, die das heilige Feuer hütet, die Erhalterin der Herrschaft, und, Hosianna! ganz Italien wandelt hinter ihren Schritten, lobpreisend und frohlockend!« Der Kanzler machte Miene, Viktorien huldigend zu Füßen zu stürzen, doch er trat zurück und flüsterte verschämt: »So sprach Ludwig der Mohr in seinem Kerker.«

Viktoria senkte die Augen, denn sie fühlte, daß sie voller Wonne waren und brannten wie zwei Sonnen.

Da sagte der Kanzler: »Ich habe Euch ermüdet, edle Frau, die Augen fallen Euch zu. Ihr müsset morgen frühe auf und seid schwer von Schlummer.« Und der Listige trat in die Nacht zurück, die sich inzwischen auf die Ewige Stadt gesenkt hatte.


 << zurück weiter >>