Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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Noch lag der hilflose Knabe in den Armen seines Kanzlers, als ein greiser Kämmerer den Rücken vor ihm bog und feierlich das Wort sprach: »Die Tafel der Hoheit ist gedeckt.« Die beiden folgten ihm, der mit wichtiger Miene durch eine Reihe von Zimmern voranschritt. Eines derselben, ein Kabinett, das keinen eigenen Ausgang hatte, schien mit seiner Tapete von moosgrünem Sammet und seinen vier gleichfarbigen Schemeln ein für trauliche Mitteilungen bestimmter Schlupfwinkel zu sein. In seiner Mitte blieb der Herzog verwundert stehen, denn die Hinterwand des sonst leeren Raumes füllte jetzt ein Bild, das er nicht als sein Eigentum kannte. Es war heimlich in den Palast gekommen, eine ihm bereitete Überraschung, das Geschenk des Markgrafen von Mantua, wie auf dem Rahmen zu lesen stand. Der Herzog ergriff seinen Kanzler an der Hand, und beide Italiener näherten sich mit leisen Tritten und einer stillen, andächtigen Freude dem machtvollen Gemälde: auf einem weißen Marmortischchen spielten Schach ein Mann und ein Weib in Lebensgröße. Dieses, ein helles und warmes Geschöpf in fürstlichen Gewändern, berührte mit zögerndem Finger die Königin und forschte zugleich verstohlenen Blickes in der Miene des Mitspielers, der, ein Krieger von ernsten und durchgearbeiteten Zügen, in dem streng gesenkten Mundwinkel ein Lächeln, versteckte.

Beide, Herzog und Kanzler, erkannten ihn sogleich. Es war Pescara. Die Frau errieten sie mit Leichtigkeit. Wer war es, wenn nicht Viktoria Colonna, das Weib des Pescara und die Perle Italiens? Sie konnten sich nicht von dem Bilde trennen. Sie fühlten, daß sein größter Reiz die hohe und zärtliche Liebe sei, welche die weichen Züge der Dichterin und die harten des Feldherrn in ein warmes Leben verschmolz, und nicht minder die Jugend der beiden, denn auch der benarbte und gebräunte Pescara erschien als ein heldenhafter Jüngling.

In der Tat, achtzehnjährig beide, waren sie miteinander an den Altar getreten, und sie hatten sich mit Leib und Seele Treue gehalten, oft und lang getrennt, sie bei der keuschen Ampel in Italiens große Dichter vertieft, er vor einem glimmenden Lagerfeuer über der Karte brütend, dann endlich wieder auf Ischia, dem Besitztum des Marchese, wie auf einer seligen Insel sich vereinigend. Solches wußte das sittenlose Italien und zweifelte nicht, sondern bewunderte mit einem Lächeln.

Auch die zwei vor dem Bilde Stehenden empfanden die Schönheit dieses Bundes der weiblichen Begeisterung mit der männlichen Selbstbeherrschung. Sie empfanden sie nicht mit der Seele, aber mit den feinen Fingerspitzen des Kunstgefühls. So wären sie noch lange gestanden, wenn nicht der Kammerherr untertänig gemahnt hätte, daß zwei Geladene im Vorzimmer des Eßsaales warteten. Durch ein paar Türen wurde jenes erreicht und, nach einer kurzen Vorstellung der Gäste, dieser betreten.

Jetzt saßen die viere an der nicht überladenen, aber ausgesuchten Tafel. Während des ersten leichten Gespräches besah sich der Herzog insgeheim seine Gäste. Keine Gesichter konnten unähnlicher sein als diese dreie. Den häßlichen Kopf und die grotesken Züge seines Kanzlers freilich wußte er auswendig, aber es fiel ihm auf, wie ruhelos dieser heute die feurigen Augen rollte und wie über der dreisten Stirn das pechschwarze Kraushaar sich zu sträuben schien. Daneben hob sich das Haupt Guicciardins durch männlichen Bau und einen republikanisch stolzen Ausdruck sehr edel ab. Der Venezianer endlich war eines schönen Mannes Bild mit einem vollen weichen Haar, leise spottenden Augen und einem liebenswürdigen verräterischen Lächeln. Auch in der Farbe unterschieden sich die drei Angesichter. Die des Kanzlers war olivenbraun, der Venezianer besaß die durchsichtige Blässe der Lagunenbewohner, und Guicciardin sah so gelb und gallig aus, daß der Herzog sich bewogen fühlte, ihn nach seiner Gesundheit zu fragen.

»Hoheit, ich litt an der Gelbsucht«, versetzte der Florentiner kurz. »Die Galle ist mir ausgetreten, und das ist nicht zum Verwundern, wenn man weiß, daß mich die Heiligkeit in ihre Legationen versendet hat, um dieselben zu einem ordentlichen Staate einzurichten. Da schaffe einer Ordnung, wo die Pfaffen Meister sind! Nichts mehr davon, sonst packt mich das Fieber, trotz der gesunden Luft von Mailand und den guten deutschen Nachrichten.« Er wies eine süße Schüssel zurück und bereitete sich mit mehr Essig als Öl einen Gurkensalat.

»Nachrichten aus Deutschland?« fragte der Kanzler.

»Nun ja, Morone. Ich habe Briefe von kundiger Hand. Die Mordbauern sind zu Paaren getrieben und – das Schönste – Fra Martino selbst ist mit Schrift und Wort gewaltig gegen sie aufgetreten. Das freut mich und läßt mich an seine Sendung glauben. Denn, Herrschaften, ein weltbewegender Mensch hat zwei Ämter: er vollzieht, was die Zeit fordert, dann aber – und das ist sein schwereres Amt – steht er wie ein Gigant gegen den aufspritzenden Gischt des Jahrhunderts und schleudert hinter sich die aufgeregten Narren und bösen Buben, die mittun wollen, das gerechte Werk übertreibend und schändend.«

Der Herzog war ein wenig enttäuscht, denn er liebte Krieg und Aufruhr, wenn sie jenseits der Berge wüteten und seine Einbildungskraft beschäftigten, während er selbst außer Gefahr stand. Der Kanzler aber tat einen Seufzer und sagte mit einem wahren menschlichen Gefühle: »In Germanien mag nun viel Grausames geschehen.«

»Tut mir leid«, versetzte der Florentiner, »doch ich behalte das Ganze im Auge. Jetzt, nach Bändigung der trotzigen Ritter und der rebellischen Bauern, führen die Fürsten. Die Reformation, oder wie ihr es nennen wollet, ist gerettet.«

»Und Ihr seid ein Republikaner?« stichelte der Kanzler.

»Nicht in Deutschland.«

Auch der schöne Lälius gönnte sich einen Scherz. »Und Ihr dienet dem Heiligen Vater, Guicciardin?« lispelte er.

Dieser, dem das süßliche Lächeln widerstand und den seine Gelbsucht reizbar machte, antwortete freimütig: »Jawohl, Herrlichkeit, zur Strafe meiner Sünden! Der Papst ist ein Medici, und diesem Hause ist Florenz verfallen. Ich aber will nicht aus meiner Vaterstadt vertrieben werden, denn flüchtig sein ist das schlimmste Los und gegen seine Heimat zu Felde liegen das größte Verbrechen. Der Heilige Vater weiß, wer ich bin, und nimmt mich nicht anders, als ich bin. Ich diene ihm, und er hat nicht über mich zu klagen. Aber ich lasse mir nicht das Maul verbinden, und so sei es mit Wonne ausgesprochen unter uns Wissenden: Fra Martino hat eine gerechte Sache, und sie wird sich behaupten.«

Dem Herzog machte es Spaß, und er empfand eine Schadenfreude, es zu erleben, wie der große germanische Ketzer von einem Sachwalter des Heiligen Vaters verherrlicht wurde. Freilich überlief ihn eine Gänsehaut, daß solches in seiner Gegenwart und in seinem Palaste geschehe. Er winkte die Diener weg, welche eben die Früchte aufgesetzt hatten und der spannenden Unterhaltung ihre stille Aufmerksamkeit widmeten.

Jetzt forderte Morone, der sich auf seinem Stuhle hin und her geworfen, mit flammenden Augen den Florentiner auf: »Ihr seid ein Staatsmann, Guicciardin, und auch ich pfusche ins Handwerk. Wohlan, begründet Eure merkwürdigen Sätze: Bruder Martinus tut ein gerechtes Werk, und dieses Werk wird gelingen und dauern.«

Guicciardin leerte ruhig seinen Becher, während der schöne Lälius ein Zuckerbrot zerbröckelte, der Herzog nach seiner Art sich im Sessel gleiten ließ und Morone begeistert von dem seinigen aufsprang.

»Nicht wahr, Herrschaften«, begann der Florentiner, »kein Kind, kein Tor würde es ertragen, wenn ein Ding vorgeben wollte, dasselbe Ding geblieben zu sein, nachdem es sich in sein Gegenteil verwandelt hätte, zum Beispiel das Lamm in den Wolf, oder ein Engel in einen Teufel. Wie wir nun in unserm gebildeten Italien von der heiligen Gestalt denken mögen, die sich in den Päpsten fortsetzt, eines ist nicht zu leugnen: daß sie nur Gutes und Schönes gewollt hat. Und ihre Nachfolger, die das Werk und Amt des Nazareners übernommen haben – sehet nur die viere der Wende des Jahrhunderts! Da ist der Verschwörer, der unsern gütigen Julian gemeuchelt hat! Dann kommt der schamlose Verkäufer der göttlichen Vergebung! Nach ihm der Mörder, jener unheimliche zärtliche Familienvater! Keine Fabelgestalten, sondern Ungeheuer von Fleisch und Blut, in kolossalen Verhältnissen vor dem Auge der Gegenwart stehend! Und der vierte, den ich von jenen trenne: unser großer Julius, ein Heros, der Gott Mars, aber ein Gegensatz, noch schreiender als jene dreie zu dem sanftmütigen Friedestifter! Viermal nacheinander dieser Widerspruch, das ist ein Hohn gegen die menschliche Vernunft. Es nimmt ein Ende: entweder verschwindet jene erste himmlische Gestalt in dieser dampfenden Hölle und flammenden Waffenschmiede, oder Bruder Martinus löst sie mit einem scharfen Schnitt von solchen Nachfolgern und Amtsbrüdern.«

»Das ist lustig«, meinte der Herzog, während der Kanzler wie besessen in die Hände klatschte.

»Eine Predigt Savonarolas«, ließ sich der schöne Lelio vernehmen, ein Gähnen verwindend. »Wenn wir Fra Martino in Venedig hätten, so könnten wir ihn zügeln und sachdienlich verwenden. Aber seinem germanischen Trotzkopf überlassen, wird er, fürcht ich, über kurz oder lang dem andern auf den Scheiterhaufen folgen.«

»Nein«, versetzte Guicciardin heiter, »seine braven deutschen Fürsten werden ihr Schwert vor ihn halten und ihn schützen.«

»Doch wer schützt seine Fürsten?« spottete der Venezianer.

Guicciardin schlug eine fröhliche Lache auf. »Der Heilige Vater«, sagte er. »Sehet, Herrschaften, das ist eine jener verdammt feinen Zwickmühlen, wie sie der Zufall oder ein Besserer in der Weltgeschichte anlegt. Seit unsere Päpste sich verweltlicht haben und einen Staat in Italien besitzen, ist ihnen das kleine Zepter teurer als der lange Hirtenstab. Ist nicht, diesem Zepter zuliebe, unser Clemens im Begriff, dem frommgläubigen Kaiser förmlich den Krieg zu erklären? Einem Heiligen Vater aber, der mit Kanonen auf ihn schießt, wird Karl kaum den Gefallen tun, seine tapfern germanischen Landsknechte in die Kirche zurückzuzwingen. Und umgekehrt: wenn die ketzerischen deutschen Fürsten gegen die Kaiserliche Majestät sich empören und Panier aufwerfen, wird der Heilige Vater nicht ihre Seele vorläufig in Ruhe lassen und sich heimlich ihrer Waffen bedienen? Unterdessen aber wächst der Baum und streckt seine Wurzeln.«

Jetzt wurde der Herzog unruhig. Es kam die angenehme Stunde seines Tagewerkes, in welcher er seine Hunde und Falken mit eigenen Händen fütterte. »Herrschaften«, sagte er, »mich würde dieser germanische Mönch nicht verführen. Man hat mir sein Bildnis gezeigt: ein plumper Bauernkopf, ohne Hals, tief in den Schultern. Und seine Gönner, die saxonischen Fürsten – Bierfässer!«

Guicciardin zerdrückte den feinen Kelch in der Hand und einen Fluch zwischen den Zähnen. »Es ist schwül hier im Saale«, entschuldigte er sich, und gleich hob der Herzog die Tafel auf. »Wir wollen frische Luft schöpfen«, meinte er. »Auf Wiedersehen, Herrschaften, nach Sonnenuntergang, im grünen Kabinette.«

Er verließ das Zimmer, um dem Venezianer, an welchem er ein Wohlgefallen fand, seine Gebäude, Terrassen und Gärten zu zeigen. Es waren noch jene unvergleichlichen Anlagen, welche der letzte Visconte gebaut und mit seinem gespenstischen Treiben erfüllt hatte, die Überbleibsel jener »Burg des Glückes«, wo er, wie ein scheuer Dämon in seinem Zauberschlosse, Italien mit vollendeter Kunst regierte und aus welcher er seine Günstlinge, sobald sie erkrankten, wegtragen ließ, damit niemals der Tod an diese Marmorpforten klopfe.

Ein guter Teil der alten Pracht war verfallen, oder zertreten und verschüttet durch den Krieg und die neu aufgeworfenen Bollwerke. Immerhin blieb noch genug übrig für die schmeichelnde Bewunderung des schönen Lälius, und Franz Sforza verlebte ein paar hübsche Stunden. Nur da sie eine Reitbahn betraten, welche der Bourbon während seiner mailändischen Statthalterschaft errichtet, verschatteten sich die fürstlichen Züge, um sich dann aber gleich wieder zu erheitern. Er hatte das schallende Gelächter Guicciardins vernommen und darauf diesen selbst erblickt, der sich in eine ländliche Veranda hemdärmlig mitten unter lombardische Stallknechte gesetzt hatte, mit ihnen Karten spielte und einem herben Landweine zusprach. »Die Vergnügungen eines Republikaners«, spottete Franz Sforza. »Er erholt sich von seinem fürstlichen Umgange.« Der schöne Lelio lächelte zweideutig, und sie setzten ihren Lustwandel fort.

Der erste, welcher sich in dem moosgrünen Kabinette einfand, wenn er es nicht etwa gleich nach aufgehobener Tafel betreten und nicht wieder verlassen hatte, war Girolamo Morone. Er stand vertieft in das Bild. Eine Weile mochte er die entzückten Augen an dem holdseligen Weibe geweidet haben, jetzt aber durchforschte er mit angestrengtem Blicke das Antlitz des Pescara, und was er aus den starken Zügen heraus- oder in dieselben hineinlas, gestaltete sich in dem erregten Manne zu heftigen Gebärden und abgebrochenen Lauten. »Wie wirst du spielen, Pescara?« stammelte er, die schalkhafte Frage, die in Viktorias unschuldigem Auge lag, ingrimmig wiederholend und die pechschwarze Braue zusammenziehend.

Da erhielt er einen kräftigen Schlag auf die Schulter. »Verliebst du dich in die göttliche Viktoria, du Sumpf?« fragte ihn Guicciardin mit einem derben Gelächter.

»Spaß beiseite, Guicciardin, was denkst du von dem hier mit dem roten Wamse?«, und der Kanzler wies auf den Feldherrn.

»Er sieht wie ein Henker.«

»Nicht, Guicciardin. Ich meine: was sagst du zu diesen Zügen? Sind es die eines Italieners oder die eines Spaniers?«

»Eine schöne Mischung, Morone. Die Laster von beiden: falsch, grausam und geizig! So habe ich ihn erfahren, und du selbst, Kanzler, hast mir ihn so gezeichnet. Erinnere dich! in Rom, vor zwei Jahren, da der witzige Jakob uns zusammen über den Tiber setzte.«

»Hab ich? Dann war es der Irrtum eines momentanen Eindrucks. Menschen und Dinge wechseln.«

»Die Dinge, ja; die Menschen, nein: sie verkleiden und spreizen sich , doch sie bleiben, wer sie sind. Nicht wahr, Hoheit?« Guicciardin wendete sich gegen den Herzog, welcher eben eintrat und dem der Venezianer auf dem Fuße folgte.

Die vier grünen Schemel besetzten sich und die Türen wurden verboten. Das offene Fenster füllte ein glühender Abendhimmel.

»Herrschaften«, begann der Herzog mit würdiger Miene, »wieweit die Vollmachten?«

»Meine Bescheidenheit«, sagte der schöne Lälius, »ist beauftragt abzuschließen.«

»Die Weisheit des Heiligen Vaters«, folgte Guicciardin, »wünscht ebenfalls ein Ende. Die Liga war langeher der Liebling ihrer Gedanken: sie stellt sich, wie ihr gebührt, an die Spitze, mit Vorbehalt der schonenden Formen des höchsten Hirtenamtes.«

»Die Liga ist geschlossen!« rief der Herzog mutig. »Kanzler, statte Bericht ab!«


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