Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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Drittes Kapitel

An einem Fenster, dessen Blick über die Türme von Novara und eine schwül dampfende Ebene hinweg die noch morgenklaren Schneespitzen des Monte Rosa erreichte, saß Pescara und arbeitete an dem Entwurfe des Feldplanes, der das Heer des Kaisers nach Mailand führen sollte. So unablässig ging er seinem Gedanken nach, daß er die leisen Tritte des Kammerdieners nicht vernahm und ihn erst gewahr wurde, als jener die Limonade bot. Während er das leichte Getränk mit dem Löffel umrührte, bemerkte er: »Ich schelte dich nicht, Battista, daß du heute nacht gegen meinen ausdrücklichen Befehl bei mir eingetreten bist. Du magst, nebenan schlafend, mich wohl schwerer als gewöhnlich atmen gehört haben – ein Alp, eine Beklemmung... nicht der Rede wert.« Er nahm einen Schluck aus dem Glase.

Battista, ein schlauer Neapolitaner, verbarg seinen Schrecken unter einer devoten Miene. Er log und beteuerte bei der heiligen Jungfrau, er habe geglaubt sich bei Namen rufen zu hören, nimmer hätte er sich erdreistet, ohne Befehl das Schlafzimmer der Erlaucht zu betreten, während er doch in Tat und Wahrheit ungerufen und gegen ein strenges Verbot seines Herrn aus einer schönen menschlichen Regung diesem beigesprungen war. Er hatte ihn schrecklich stöhnen hören und dann in seinen Armen auf dem Lager emporgehalten, bis der Feldherr den Atem wiederfand.

»Es war nichts«, wiederholte dieser, »ich bedurfte keinen Beistand. Doch will ich dich, wie gesagt, nicht schelten, jetzt, da wir uns trennen müssen. Ich verliere dich ungern, aber Sohnespflicht geht vor. Und da deine greisen und siechen Eltern in Tricarico darben, darf ich dich nicht halten. Gehe und bereite ihnen ein sorgenloses Alter. Als perfekter Barbier und zungenfertiger Schelm, wie ich dich kenne, wirst du dir überall zu helfen wissen. Gehe mit Gott, mein Sohn, du sollst mit mir zufrieden sein.« Und er ergriff die Feder.

Battista fiel aus den Wolken. Er verschwor sich mit einer verzweifelten Gebärde, dieses Mal der Wahrheit gemäß, sein Vater sei längst im Himmel und seine Mutter, die Carambaccia, gewerbsam und kerngesund und fett wie ein Aal. Der schreibende Feldherr erwiderte: »Du hast recht, Battista, in Potenza wohnen deine armen Eltern, nicht in Tricarico, doch das liegt nahe beisammen.« Er reichte dem verabschiedeten Diener eine Kassenanweisung.

So niedergeschmettert Battista sein mochte – er wußte, ein Wort Pescaras sei unwiderruflich –, ließ er doch blitzschnell einen schrägen Blick über die Ziffer der Summe gleiten, welche nur eine bescheidene war. Der Feldherr verschwendete weder im großen noch im kleinen, weder das Gut des Kaisers noch das seinige. Auch hütete er sich wohl, den Barbier durch eine allzu reiche Spende auf die Wichtigkeit des Vorfalles aufmerksam zu machen und in den Schein zu kommen, als wolle er sein Schweigen erhandeln, denn er war völlig überzeugt, daß Battista bei erster Gelegenheit sein Wissen noch teurer verkaufen würde, dort, wo man ein Interesse hatte, von dem leiblichen Befinden des Feldherrn genau unterrichtet zu sein.

Schmerzlich enttäuscht und seine Geburtsstunde verwünschend, fiel Battista dem gnädigen Herrn zu Füßen, umfing ihm das Knie und küßte ihm die Hand. »Lebe wohl«, sagte dieser, »und räume das noch ab.« Er wies auf das Geschirr und winkte den Übertreter seines Befehles freundlich weg aus seinem Dienste.

Bevor er sich wieder in seinen Plan vertieft hatte, klirrte draußen ein fallender Löffel und ein in Scherben springendes Glas, und der Herzog von Bourbon, der den vernichteten Battista unsanft beiseite geworfen, zeigte unangemeldet seine hohe schlanke Gestalt, denn er hatte zu jeder Stunde freien Eintritt bei dem Feldherrn.

»Hoheit?« wendete sich Pescara gegen ihn und erhob sich vom Sitze.

»Um Vergebung. Ich war im Begriffe, zu meinen Truppen zu verreiten«, erklärte der Herzog, »da kam mir in der Vorstadt ein reisender Kaufmann unter die Augen, welcher eben vor der Pforte des Arztes Euer Erlaucht, des Messer Numa Dati, von seinem Maultier absaß. Hätte die Gestalt nicht ein würdiges Antlitz getragen, ich hätte darauf geschworen, meinen unvergeßlichen Freund, den Kanzler von Mailand, zu erblicken. Ich ließ einen meiner Leute sich nach dem Fremdling erkundigen und erfuhr, der Reisende sei ein Gastfreund des Arztes, ein Juwelier aus Mailand namens Scipione Osnago. Vielleicht, oder auch nicht, sondern eine der zahlreichen Larven des vielgestaltigen Kanzlers. Er schiebt den Leib auf eine gewisse Weise, die sich schwer verleugnen läßt, und da ich noch nicht durch das Tor war, ritt ich leicht wieder zurück, um Euch den wahrscheinlichen Besuch dieses kostbaren Mannes zu melden.«

»Ich erwartete ihn längst mit den Ausflüchten und Beteurungen des Mailänders«, erwiderte der Feldherr. »Da er aber nicht erschien und wir aus guten Quellen wußten, sein Herzog fahre fort zu befestigen und zu rüsten, begann ich auf den Kanzler zu verzichten. Nun kommt er zu spät. Morgen, um Mitternacht, verläuft die dem Herzog gegebene Frist. Schlag zwölf marschieren wir; es wäre denn, Morone brächte große Neuigkeiten.«

»Ja, dieser Morone!« plauderte der Bourbon. »Der wird schon etwas gebraut haben. Da ich unser Ultimatum nach Mailand brachte, sah ich es hinter seiner Stirne wimmeln wie in einem Ameisenhaufen. Ihr macht Euch keinen Begriff, Marchese, was das für ein frecher Kopf ist. Während ich in Mailand regierte und er mein Rat und Schreiber war, hat er mich über Tisch – denn ich liebte es, mit ihm zu speisen und mich an seinen Fabeln und Einfällen zu ergötzen – auf alle Throne gesetzt und mit allen Fürstinnen gekuppelt. Und das Tollste: es war Verstand in dem Unsinn. Ich bin doch neugierig, was er wieder ausgeheckt haben wird, um sich und seinem Herzog aus der Klemme zu helfen. Sicherlich etwas ungeheuer Geniales, einen Gipfel, einen Abgrund. Wenn er zum Beispiel« – der Herzog lachte herzlich – »uns beiden kaiserlichen Feldherrn die Führung der Liga böte und als Handgeld zwei verlockende italienische Kronen aus den Falten seiner Toga zum Vorschein brächte?«

»Hoheit scherzt!«

»Wie anders, Marchese!« erwiderte der Herzog und wollte sich beurlauben. Da ergriff er noch die Hand des Feldherrn und sagte in einem weichen Tone, der eine vor der Welt verheimlichte Freundschaft enthüllte: »Pescara, ich danke dir, daß du mir Leyva vom Halse hältst, indem du mir den rechten Heerflügel gibst und ihm den linken. Ich mag mit dem Unleidlichen nicht zusammenreiten. Es entstände Unglück und größeres als jüngst auf dem Markte von Novara. Er könnte sich wiederum gegen mich vergessen, und ich müßte ihn niederstoßen wie einen tollen Hund.« Er sagte es leise mit gesenktem Blick.

Pescara behielt die Rechte des Herzogs und warnte und bat. »Welch ein Auftritt!« sagte er. »Hier auf offenem Markte, wegen der Armseligkeit eines bestrittenen Quartieres! Ich versendete Leyva gleich nach Neapel, um vom Vizekönig Truppen für unsern Feldzug zu verlangen, obwohl ich weiß, daß er keine abgeben kann, nur um Euch die Verlegenheit und den Anblick eines verhaßten Gesichtes zu ersparen. Wie konntet Ihr das gegen einen Mitfeldherrn! Das war nicht gut. Das ist beklagenswert. Das darf sich nicht wiederholen, ich bitte Euch darum.«

»Der Anlaß war nicht der Rede wert, Pescara, aber –«

»Das schlimme Wort, das Leyva gebraucht hat, war, nach Zeugen, er lasse sich nichts bieten von einem Vornehmen, und Ihr zoget und Eure Leute mußten Euch halten.«

»Oh«, flüsterte der Herzog, »von einem Vornehmen? Ich habe feine Ohren. Es war ein anderes Wort... das ich dem Kaiser und dem Papst in die Kehle zurückstieße!«

»Ein anderes Wort?« sagte Pescara, um seine Frage sogleich zu bereuen, da er den Herzog erbleichen und völlig fahl werden sah. Er erriet, daß der alte Leyva gemurrt, er lasse sich nichts bieten von einem Verräter, oder daß das wunde Gewissen des Bourbon so verstanden hatte.

Die unausgesprochene Freundschaft, die den einfachen Adeligen und den Mann von königlichem Geblüte verband und die das Wunder tat, zwischen zwei jugendlichen und schon berühmten Feldherrn mit nicht völlig klar geschiedenen Gewalten und Befugnissen die natürliche Eifersucht zu ersticken, beruhte einfach auf dem Bewußtsein des Herzogs, daß seine Verbündung mit dem Feinde Frankreichs der Achtung Pescaras keinen Eintrag tue. War es Klugheit, war es Gleichgültigkeit gegen die sittlichen Dinge, war es Freiheit von jedem, auch dem begründetsten Vorurteil, oder war es die höchste Gerechtigkeit einer vollkommenen Menschenkenntnis, was immer – Pescara hatte den in kaiserlichen Dienst tretenden fürstlichen Hochverräter mit offenen Armen empfangen und mit der feinsten Mischung von Kollegialität und Ehrerbietung behandelt. Vielleicht auch hatte er in diesem Zerrütteten, der sich selbst verfluchend sein Vaterland mit fremden Waffen verwüstete, den ursprünglichen und unzerstörbaren Adel erkannt. Dafür war der Herzog Pescara dankbar.

Der Feldherr, die Hand des Unseligen in der seinigen, redete ihm mit sanfter Stimme zu: »Gespenster, Hoheit! Ihr habet gehört, was nicht gesprochen wurde. Werft hinter Euch! Verschüttet den Abgrund mit Lorbeer! Seid Ihr nicht der Liebling des Kriegsgottes? und ein Meister der Staatskunst? Sind nicht wir beide noch Jünglinge mit unzähligen Tagen, diesseits der Lebenshöhe, kaum in der Hälfte der Dreißig, und im ersten Drittel eines Jahrhunderts, das überquillt von großen Möglichkeiten und weiten Aussichten! Unser die Fülle des Daseins! Karl, laß uns leben!«

Der Bourbon vernahm nicht den verstohlenen Seufzer, welcher sich der Brust des Feldherrn entwand. Er drückte heftig die Hand Pescaras, und seine dunkeln Augen blitzten eroberungslustig. Dann, um seine innere Bewegung zu verbergen, sprang er nach seiner Weise mit beiden Füßen ins Zynische über. Der feurige Ton Pescaras hatte seine frechste Jugendlichkeit erweckt. »Und schöne Männer sind wir!« jubelte er. »Du begreifst, Gatte der prächtigen Viktoria, daß sich mir Herz und Magen umkehrte, da mich diese Porcaccia, die Königinmutter, um jeden Preis zum Manne haben wollte! Siehst du mich als den Vater König Franzens? O das liebe Stiefsöhnchen! ›Madame‹, sagte ich und machte ihr eine tiefe Verbeugung, ›es geht nicht. Ihr würdet mich mit Eurer Nase vom Bette stoßen!‹ – und ganze Wendung und über die Grenze!« Während er eine ausgelassene Lache aufschlug, trat der vom Staub der Reise bedeckte Del Guasto ein, begrüßte den Ohm und Feldherrn und verneigte sich vor der lustigen Hoheit.

Dann wendete er sich wieder gegen Pescara, welchen er mit erstaunten und bewundernden Augen betrachtete, als hätte die von der italienischen Verschwörung dem Feldherrn angesonnene Rolle dessen Gestalt vergrößert, und erzählte: »Wir verritten von Rom, nicht zur Freude der Herrin in zahlreicher Gesellschaft, mit Leyva, der aus Neapel zurück ist, und mit einem Vornehmen, von königlichem Geblüte, wie sie sagen, der sich Moncada nennt und den Ihr kennen werdet. Er bringt Euch eine Botschaft des Vizekönigs. Ich gewann einen Vorsprung, um Donna Viktoria anzumelden. Sie strahlt vor Freude, Euch wiederzusehen, und schließt zugleich fest die Lippen, denn sie bringt ein politisches Geheimnis, wie ich vermute, und ein päpstliches Mysterium, wie ich ahne, und dieselbe Donna Viktoria legt die Stirn in zornige Falten gegen Euren bei ihr in Ungnade gefallenen Neffen, den sie vor Euch in aller Form Rechtens verklagen wird. Wegen etwas Menschlichem«, lächelte er.

»Oder etwas Unmenschlichem«, spottete Pescara. »Meldet Ihr sonst etwas, Don Juan?«

»Wenn mich meine Augen nicht getäuscht haben, die Ankunft des Kanzlers von Mailand.«

»Ah!« lachte Bourbon.

»Ich bin mit ihm schon in Rom zusammengestoßen, unfern des Palastes Colonna, da ich nächtlicherweile dahin zurückkehrte. Längs der Mauer sah ich etwas Diebisches in langer Gewandung schleichen, und da ich das Verdächtige mit der Fackel meines Dieners beleuchtete, war es die unverschämte Stumpfnase und unter einem Juristenbarett das freche Kraushaar, das ich von Pavia her kenne, wohin der tolle Kanzler, wie sie ihn nennen, nach der Schlacht Euch zu beglückwünschen kam. Er mag Donna Viktoria eine letzte Heimlichkeit des Papstes gebracht haben, bei welchem sie sich an jenem Nachmittage verabschiedet hatte.« Er sagte das mit einer versteckten Bosheit.

Der Feldherr blickte streng. »Don Juan«, sagte er, »Ihr habet Euch um den Wandel Donna Viktorias nicht zu kümmern und noch weniger ihn zu beaufsichtigen. Jeden ihrer Schritte, ihre leiseste Miene und Gebärde billige und lobe ich zum voraus.«

Don Juan verneigte sich. »Unterwegs nach Novara«, fuhr er fort, »bin ich ihm dann noch mehrere Male begegnet, das heißt einem gewissen Fruchthändler Paciaudi aus den Marken mit einer gräulichen Warze auf der Nase, welcher mir, da ich ihn anredete, nicht vorenthielt, er sei ein zugrunde gerichteter Mann: eine unvermutete päpstliche Maßregel verbiete die Ausfuhr, und er habe einen strengen Lieferungsvertrag mit Euer Erlaucht. Dabei schob und gebärdete er sich nicht viel anders als der Kanzler. Dieser hat gegenwärtig allerhand Geschäfte und nimmt die possierlichsten Figuren an. Man findet ihn überall auf der Halbinsel wie – ohne die fernste Vergleichung – Eure große Gestalt.«

»Was wollt Ihr sagen, Don Juan?«

Del Guasto, der vor nichts erschrak, zögerte doch mit der Antwort vor der kalten Miene Pescaras, und dann hielt ihn die Anwesenheit des Herzogs zurück.

»Ich habe kein Geheimnis vor der Hoheit«, sagte der Feldherr. »Redet, Don Juan.«

Trotz diesem Befehle kam dem verwegenen Jüngling die allgemeine Rede an diesem Orte und zu dieser Stunde, mitten im kaiserlichen Lager und während er durch das Fenster den taktfesten Schritt eines vorbeimarschierenden spanischen Heerhaufens vernahm, so ungeheuerlich vor, daß er der schamlosen Öffentlichkeit der italienischen Verschwörung ein leichtes Gewand umwarf.

»Ohm«, berichtete er geringschätzig, »wovon mir noch immer die Ohren gellen, das ist ein wütender Streit, welcher unter allen Ständen, in Schenken und Barbierstuben, auf den Ballspielplätzen und, wie ich glaube, bis in die Plauderecke der Sakristeien ausgebrochen ist – über das wahre und gültige Vaterland der Avalos: ob wir Neapolitaner sind oder Spanier. Und nicht genug an Geschrei und Gebärde, auch Blätter und Schriften voll von unserm Ursprung flattern durch die Luft.«

Der Feldherr zuckte die Achseln. »Das Geschreibsel«, sagte er, »fand sich auch über meine Tische verstreut, ich habe es weggeworfen. Müßiges Gezänke.«

Don Juan wurde hartnäckig. »Zugleich erzählte man mir, daß an den Universitäten unter Juristen und Theologen wieder heftig über Umfang und Grenzen des päpstlichen Lehensrechtes auf Neapel gestritten wird.«

»Das überlassen wir diesen Gelehrten. Nicht wahr, Hoheit?« scherzte Pescara. »Und was das Vaterland der Avalos angeht, Neffe, so rate ich dir, Ehre zu halten, spanische oder neapolitanische.«


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