Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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Viktoria, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die linke Gruppe, ein ungebunden kosendes Paar geworfen hatte, betrachtete lange Zeit die rechte. Es waren zwei weibliche Gestalten, eine liegend und etwas wie eine Blume oder einen Schmetterling leichtsinnig zerpflückend; die andere stand, innig vertieft in sich selbst, oder in die Ferne verloren. Alle drei Mädchen aber, das kosende, das vergessende, das sich sehnende, hatten unter verschiedenem Ausdrucke das gleiche Gesicht. Viktoria sann. Da blies ihr der Feldherr mutwillig ins Ohr, wie in der Schule ein Knabe einem Mädchen: »Tu die Augen auf, ein paar Buchstaben sind noch lesbar.« Viktoria entdeckte links, schwach ausgeprägt: Pres..., rechts aber unterschied sie etwas deutlicher: Ass... »Presenza und Assenza«, ergänzte sie beschämt, und der Feldherr sagte: »Die Gegenwart ist frech. Die Abwesenheit aber, die vergißt, ist gedankenlos. Ich preise die gegenwärtige Abwesenheit: die Sehnsucht.«

»Wir werden uns nicht mehr trennen, Ferdinand, wenn du mich lieb hast.«

»Nur noch einmal. Für einige Tage, höchstens eine Woche, Madonna, bis ich Mailand werde genommen haben. Ihr folget mir, und forthin, wenn Ihr wollt, trennen wir uns nicht mehr. Es liegt an dir, Viktoria«, sagte er zärtlich.

»Ob ich will!«

»Erinnerst du dich, Geliebte«, scherzte er wiederum, »daß du mir einmal in Ischia am plätschernden Strande gesagt hast, du begreifest nicht, wie ein Weib, das geliebt habe, jemals einem Zweiten gehören könne? Es widerspricht der Liebe, sagtest du. Freilich, aber es hat Erfahrung und menschliche Natur für sich. Assenza, Assenza!«

Jetzt erhob sich Viktoria zu ihrem ganzen stolzen Wuchs und streckte den herrlichen Arm, von welchem der Ärmel zurückfiel, gegen den leuchtenden Himmel und schwur: »Nie gehöre ich einem andern, bei den reinen Strahlen dieser Sonne!«

Der Feldherr beschwichtigte: »Dort stehen deine Kammerfrauen, Kind, und bestaunen dein Gelübde, das sie dir wahrlich nicht nachtun werden.« Er winkte den in ehrerbietiger Entfernung harrenden Zofen und beurlaubte sich bei der Marchesa. »Ihr werdet Euch umkleiden, Herrin, und ich selbst habe noch bis zur Abendstunde zu tun. Auf Wiedersehen hier, nach Sonnenuntergang, zum Spätmahle.« Er wendete sich und ging, ohne nach ihr sich umzublicken. Unten an der Treppe nahm er den Arm des greisen Arztes, langsam mit ihm durch einen Zypressengang nach dem Schlosse zurückwandelnd.

»Wie war die Nacht Eurer Herrlichkeit?« fragte der Alte.

»Wie gewöhnlich«, antwortete Pescara. »Du hast gegen deinen Gastfreund reinen Mund gehalten, Numa?«

»Ich erinnerte mich Eures Befehles... Aber wie möget Ihr mit dem Kanzler und meinem armen Italien dieses grausame Spiel treiben! Wie dürfet Ihr es?«

»Ich spiele mit Italien, sagst du? Im Gegenteil, deine Landsleute, Numa, spielen mit mir: sie heucheln Leben und sind tot in ihren Übertretungen und Sünden.«

Sie gingen eine Weile schweigend. »Weißt du, Numa«, spottete jetzt der Feldherr, »daß mich neulich ein Astrologe besucht und mir das Horoskop gestellt hat? Er schätzte mich auf sechzig Jahre, ich fand das wenig.«

Der Greis seufzte.

Wieder wandelten sie wortlos. Vor der schmalen Pforte der Burg beurlaubte Pescara den Alten. »Meine Feldherrn erwarten mich, Numa, ich habe sie auf diese Stunde beschieden.« Da beschlich ihn noch ein Mitleid mit den guten braunen Augen und dem zahnlosen Munde, und er sagte freundlich: »Fürchte nichts, Numa. Ich werde dein Italien nicht mißhandeln, ich werde gerecht und milde verfahren.«

In seinem Vorsaale fand der Feldherr den Herzog von Bourbon und Leyva sich gegenüberstehen, zwischen ihnen Del Guasto, als ob er sie auseinanderhielte, und dann noch einen vierten, der in einer Fensterbrüstung lehnte. Dieser war ein vornehmer Mann in Jahren, halb Mönch, halb Weltmann, mit einem bronzefarbenen Kopfe und tiefen, unergründlichen Zügen, in einen kuttenähnlichen weißen Mantel gehüllt. Wie Pescara ihn erblickte, schien der Feldherr leicht zu schaudern, ging aber auf ihn zu und begrüßte ihn.

»Was verschafft mir die Ehre, Moncada?«

Der andere erwiderte: »Erlaucht, ich bin in Sendung und ersuche im Namen des Vizekönigs um eine Unterredung.«

»Ich gewähre sie«, versetzte der Feldherr, »aber ich bitte Eure Gnade, sich kurz zu fassen am Vorabende des Feldzugs.«

»Eine geheime Unterredung.«

Pescara besann sich. »Eine geheime? Nicht, Ritter. Geschäftliches würde ich diesen zwei Herrschaften, meinen Kollegen, nicht vorenthalten. Ersparet mir die Mühe. Mein Neffe hier ist verschwiegen. Was ist Euer Auftrag? Sprechet, Ritter!« Er bot Moncada keinen Stuhl.

Dieser musterte die anwesenden Gesichter. »Nach Eurem Willen«, sagte er. »Erlaucht, der Vizekönig ist in tiefster Besorgnis. Die italienische Liga ist eine Tatsache, an welcher Erlaucht nicht zweifelt, da Sie durch Leyva den Vizekönig um Truppen ersuchen ließ, welche dieser freilich nicht entbehren kann, selbst ihrer bedürftig, um im Falle des ausbrechenden Krieges eine ehrfürchtige, aber drohende Bewegung gegen die irregegangene oder mißleitete Heiligkeit zu machen. Erlaucht gibt zu, daß unsere Heere im Süden und Norden der Halbinsel zusammenwirkend in denselben Plan eingreifen müssen. In diesem Sinne sendet mich der Vizekönig, Euch zu begleiten und ihn auf dem laufenden zu halten. Genehmigt Erlaucht?«

Der Feldherr bejahte, seinen Unmut niederkämpfend.

»Ein anderes«, fuhr Moncada fort. »Ich bedaure, daß Ihr mich nicht geheim empfangen habet, aber ich ergreife den Augenblick. Es wird gewünscht in Madrid, daß Erlaucht, wenn Sie Mailand erobert haben wird, dort zum Heile der Monarchie, und um das Übel mit der Wurzel auszurotten, streng und durchgreifend verfahre. Es wird geraten: der abtrünnige Herzog werde in Ketten gelegt und nach Spanien gesendet; der trotzige lombardische Adel verliere seine Güter und besteige das Schafott; starke Besatzung und schwere Kriegssteuer bändige den Bürger; der Schrecken herrsche in Mailand!« Er suchte in der Miene des Feldherrn zu lesen.

Dieser stand ruhig. »Der Schrecken?« wiederholte er. »Niemals, solange ich lebe und meinem Kaiser diene! Mailand ist Reichsgebiet, und der Kaiser will nicht, daß das Reich mißhandelt werde. Wer wünscht? Wer rät? Verschonet mich mit Räten und Wünschen, Moncada, ich brauche sie nicht.«

»Hat der Herzog um Aufschub gebeten?« fragte Moncada mißtrauisch.

»Nein, Ritter.«

»Durch seinen Kanzler?«

»Der Kanzler der Hoheit von Mailand bewohnt seit heute diese Burg. Eure Gnade kann ihn sprechen und sich bei ihm selbst erkundigen, Sie wird ihm damit ein Vergnügen machen, denn ich fürchte, daß er sich langweilt.«

»Erlaucht hat ihn nicht empfangen? Keine Neugierde läßt mich fragen, sondern das Interesse der königlichen Sache, welcher wir alle hier dienen.«

»Ich habe den Kanzler gesprochen, heute morgen, zwei Stunden.«

Diese Aufrichtigkeit setzte Moncada in Erstaunen, aber sie sagte ihm nichts Neues. Er war durch die spähenden Ohren, welche er unter dem Gesinde Pescaras besoldete, von der Ankunft und der Audienz Morones genau unterrichtet.

»Eine lange Beredung, da doch allein von der Unterwerfung des Herzogs die Rede sein konnte.«

Pescara schwieg. Geheimer Abscheu, so schien es, verbot ihm, den vor ihm Stehenden nur eines Wortes zu würdigen über das Nötige hinaus.

»Ich wundere mich«, sprach Moncada weiter, »daß Erlaucht nicht kurz abgebrochen, und ich erstaune, daß Sie diesen Niederträchtigen überhaupt empfangen hat, jetzt, da jene Verleumdungen über Erlaucht Italien erfüllen.«

»Nicht weiter! Jedes Wort wäre eine Beleidigung und ein Zeitverlust! Ich habe diese Lügen meinem Kaiser berichtet. Das genügt. Ich kenne meine Feinde...«

»Weise. Und ebenso weise, wenn Erlaucht Ihrer Unterredung mit Morone unverdächtige Zeugen gegeben hätte.«

»Das geschah«, erwiderte Pescara verächtlich. »Diese Herrschaften hier.« Bourbon und Del Guasto nickten. »Was aber den Inhalt der Unterredung betrifft, nach welchem Ihr neugierig zu sein scheinet, so werdet Ihr ihn der Antwort entnehmen, welche ich in Eurer Gegenwart, wenn Ihr es wünscht, dem Kanzler morgen zu geben gewillt bin, bevor er meinem Heerzug als ein Gefangener folgen wird. Hier in diesem Saale. Nun aber lasse ich Euch.« Und er entfernte sich in sein inneres Gemach, wohin die drei andern ihm folgten.

Moncada stand allein. »Eine Maske«, überlegte er, »eine durchdachte Maske. Welch ein Antlitz verbirgt sie?... Ich werde es wissen... Du entrinnst mir nicht, ich umschwebe dich, Pescara!« Er ging langsam weg in streitenden Gedanken.

Während die drei Feldherrn drinnen den Krieg vorbereiteten, blieb der Vorsaal eine Weile leer und unbehütet. Der Page Ippolito hatte sich zu der Herrin hinübergeschlichen, deren Ankunft er belauscht hatte und deren Schönheit und Leutseligkeit er kindlich bewunderte. Er brannte, sie zu begrüßen und ihr seine Dienste zu bieten. Dann aber bevölkerte sich der feierliche Saal mit einer lustigen Gesellschaft. Die fünf silbergrauen Windspiele des Konnetabel, närrische, noch ganz junge Tiere, hatten irgendeinen unbewachten Eingang in das Schloß gefunden und beschnoberten jetzt die Spalten der Türe, hinter welcher sie ihren Herrn vermuteten. Diese Rasse war Modesache. Nun kam auch der Windhund des Marchese, ein edles Tier und ein unermüdlicher Läufer, zu sehen, was es gebe, und war nicht sehr erbaut von dieser leichtsinnigen Sippe, die ihm nicht in diesen ernsten Raum zu gehören schien und der er knurrend sein Mißfallen kundgab.

Siehe, da erschien noch ein zartes, zierliches Windspiel, ein schneeweißes Geschöpf von den feinsten Formen, das auf schimmerndem Silberhalsband die Inschrift trug: »Ich gehöre der Viktoria Colonna.« Zuerst mit Freude und Bewunderung empfangen, wurde das schmucke Spielzeug bald zu einem gejagten und gehetzten Wilde, hinter welchem die ganze jugendliche Meute kläffend im Kreise herumfuhr. Da kam der Page hereingesprungen, nahm das Eigentum der Herrin, welche ihn danach gesendet haben mochte, in die Arme und flüchtete es aus dem Tumulte, die wilde Jagd hinter sich ziehend, den besonnenen Läufer des Pescara ausgenommen. In demselben Augenblicke trat Leyva aus dem innern Gemache und beschleunigte die allgemeine Flucht, indem er dem hintersten Hündchen des Konnetabel einen Tritt versetzte, daß es winselnd durch die Luft flog.

Der ergraute Feldherr hatte einen zornroten Kopf und ließ sich von Pescara, der ihn geleitete, kaum mehr an der Hand zurückhalten. »Leyva«, sagte der Marchese, »ich bitte Euch, bleibt! Beherrschet Euch! Ich kann Euch nicht zwingen, gegen den Herzog gerecht zu sein, aber beobachtet wenigstens die Formen! Der Herzog benimmt sich musterhaft gegen Euch, mit tadelloser Courtoisie, Ihr aber zoget ihm die grinsende Miene eines Bauers, und jetzt lauft Ihr weg, ehe unsere Beratung geschlossen ist. Das ist kein Betragen, wie es sich für Eure Stellung und Euer Verdienst geziemt.«

»Ich konnte den Verräter nicht länger ertragen, Pescara! Mit jeder Miene, jeder Bewegung hat mich der Hochmütige beleidigt! Nichts als Hohn! Seine Kälte verachtet mich, und seine Verbeugungen spotten meiner. Ich möchte wissen, woher er das Recht nimmt, auf mich herabzusehen. Ich stehe über ihm, trotz seiner hohen Geburt, denn meine Ehre ist rein, und ich bin ein treuer Knecht meines Königs, den seinigen aber hat er verraten! Er ist gezeichnet und sein glattes Gesicht garstiger als meine Wunde hier! Doch nicht alle Fürsten verachten mich, es gibt deren, die meinen Wert kennen. So dieser verständige Moncada, mit dem ich gereist bin. Der wenigstens hat mich seines Vertrauens gewürdigt.«

Pescara wurde sehr ernst. »Leyva«, sagte er, »Ihr gebet mir die Genugtuung, daß ich Euch immer für voll genommen habe. Ich frage nicht nach der Geburt, sondern ich nehme den Menschen, wie ich ihn erprobe. Habet Ihr mich je hochmütig gesehen oder kleindenkend erfunden? Du hast nichts gegen mich, Alter«, sagte er zutraulich, »wir kennen uns.« Er suchte mit den hellen grauen Augen die des Mitfeldherrn, der sie ihm aber, den Kopf senkend, hartnäckig entzog. »Nichts«, murrte Leyva, »außer daß Ihr Freundschaft haltet mit dem andern. Doch ich habe Eile: Erlaucht schickt mir die Instruktionen nach. Ich besitze dergleichen gerne schriftlich. Leyva tut seine Pflicht. Zählt darauf!«

Der Feldherr ließ ihn gehen und streichelte nachdenklich den feinen Kopf seines Windspieles, das ihm denselben in die Hand zu legen gekommen war.

Dann trat er in sein Gemach zurück, wo er Bourbon und Del Guasto in einem aufgeregten Gespräche fand, wohl über den Kanzler, denn sie deuteten mit den Blicken in der Richtung der Turmgemächer. Der Feldherr lächelte. »Herrschaften«, sagte er, »Ihr habet heute morgen eine wunderbare Rede belauscht und – noch wunderbarer – diese Rede hat mich nicht verführt, aber Euch, meine Zeugen. Meine Treue blieb fest, und die Eurige wurde erschüttert, wie ich glaube: ein Triumph, den der Kanzler nicht beabsichtigte, der ihm aber schmeicheln darf.«

Jetzt wendete er sich mit veränderter Miene gegen Del Guasto: »Don Juan, ich sah Eure Augen habgierig nach Beute flammen. Danket es mir, daß ich Euch nicht zu Worte kommen und Euern Herrn, den Kaiser, verraten ließ. Denn gerade Ihr, Don Juan, müsset der Majestät unverbrüchliche Treue halten, wenn Ihr nicht ein Verbrecher werden wollet. Treue am Fürsten ist die einzige Tugend, deren Ihr zur Not fähig seid, und der letzte Ehrbegriff, der Euch übrigbleibt. Sie wird Eure Unerbittlichkeit adeln, wenn Ihr dieselbe gegen Abfall und Empörung ausübet, und Eure grausamen Triebe werden der irdischen Gerechtigkeit dienen. Nehmet das als meinen wohlgemeinten Rat, und nun gehet und vermeidet heute die Augen Donna Viktorias. Euer Anblick ist ihnen verhaßt, sie können einen Mörder nicht ertragen.«

»Einen Mörder?« Don Juan lehnte sich auf.

»Einen Mörder. Kennet Ihr Euer Opfer noch nicht? Ich nenne es Euch: es ist Julia, die Enkelin meines Numa Dati, gestorben in Rom am gebrochenen Herzen, und Ihr seid es, der sie umgebracht hat. Ihr geschah wohl, aber das mindert Euren Frevel nicht im geringsten. Fürchtet nicht, daß sie Euch erscheinen werde, sie ist versenkt in die Ruhe und überläßt Euch den Furien Eurer Seele, zu früher oder später Reue.«

Del Guasto erbleichte, und sein Haar sträubte sich wie ein Gewirr von Schlangen. Nicht seine Tat erschreckte ihn, aber der furchtbare Richterernst des Feldherrn, dessen vernichtende Strafgewalt von jenseits des Grabes zu kommen schien. Er entwich bestürzt vor den Blitzen dieses Auges.


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