Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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»Es ist kein Übel, Erlaucht«, begann er, »was Ihr dem Kaiser berichtet habt; es ist gut, daß Ihr Euch so lange als möglich sein Vertrauen erhaltet und Euch selbst dann noch nicht erkläret, wann der Papst und die Liga ihr Manifest werden erlassen haben. Inzwischen befestigt Ihr Eure Stellungen und sichtet Euer Heer.« Pescara runzelte die Stirn.

»Leyva muß weg«, forderte der Kanzler.

Pescara zählte an den Fingern.

»Was rechnet Ihr, Pescara?« fragte der Kanzler verwundert.

Dieser erwiderte ruhig: »Muß Leyva draufgehen, so dürfen meine deutschen Hauptleute auch nicht leben bleiben, denn sie hangen an Kaiser und Reich. Ihre Häupter müssen fallen. Oder vergifte ich sie in einem gastlichen Trunke? Was rätst du, Kanzler?«

Morone erbleichte.

»Und was fange ich mit meinen spanischen Edelleuten an? Lasse ich sie auch ermorden?«

»Die Kastilianer«, antwortete Morone mit klopfendem Herzen, »fallen wohl zum Kaiser zurück. Die andern verlocket Ihr mit unendlicher Beute. Sie widerstehen nicht, am wenigsten die neapolitanischen Aragonesen. Ich kenne diese Rasse: sie gleicht den räuberischen Helden der Neuen Welt. Denket nur an Euren Del Guasto, welch ein Ungeheuer!«

Pescara widersprach nicht.

»Eure Gemeinen aber, die aus allen Ländern der Erde zusammengeflossen sind, beherrschet Ihr durch Eure unerschütterliche Seele und durch Eure eiserne Kriegszucht, nicht zu vergessen einen regelmäßigen Sold, wie ihn der Kaiser nie zu geben vermochte, Euch aber gehören jetzt alle Schätze Italiens. Und erlittet Ihr eine Einbuße an Leuten, so füllet Ihr das Heer aus den Schweizern, die sich nun überallhin vermieten, seit sie aus Mangel an Führung und an einem Staatsgedanken ihre schon gewonnene Weltstellung und ihre auswärtige Politik verscherzt haben.«

»Schade«, redete Pescara mit sich selber. Er hatte eine Art Zärtlichkeit für die Schweizer, die er zweimal überwunden und von welchen er bei Bicocca, mit einer insbesondere gegen deren rasende Sturmläufe erfundenen Stellung des Geschützes, in wenig Minuten ein volles tollkühnes Tausend vernichtet hatte. Er liebte dieses tapfere Volk, obwohl er seine Speerwunde von Pavia dem Stoß einer Schweizerlanze verdankte. »Ihre Freiheit wird ihnen bleiben, aber schade«, wiederholte er.

»Eures Heeres sicher«, fuhr der Kanzler fort –

»Nehme ich Mailand«, ergänzte Pescara. »Mein Plan ist entworfen.«

»Ihr braucht es nicht zu nehmen, da der Herzog ein Mitglied der Liga ist, deren Feldherr Ihr seid.«

»Richtig, das hatte ich vergessen. Auf alle Fälle, Mailand ist der Zentralpunkt. Und dann?«

»Gebietet Ihr über die Truppen der Heiligkeit, Venedigs und Neapels, die Kleinern nicht zu nennen.«

»Halt, Morone! Neapel ist spanisch.«

»Nach Neapel habet Ihr dann Euren Neffen gesendet als Euren Vizekönig, der es durch seine Grausamkeit in wenigen Wochen unterworfen haben wird.«

»Als meinen Vizekönig? Ich König von Neapel? Seit wann trage ich die Krone?« fragte Pescara gelassen.

»Siehe, die geflügelten Füße, die sie Euch bringen, sind vor Eurer Schwelle«, sprach der Kanzler errötend.

Die kalte Miene des Feldherrn erwärmte sich, wie von einem Strahle berührt, nicht aus einer Krone, sondern aus dem Lichtkreise seines nahenden Weibes. »Weiter geträumt, Morone«, sagte er.

»Einmal an der Spitze der vereinigten italienischen Waffen und in unnehmbaren Stellungen«, fuhr der Kanzler mit erstaunlicher Sicherheit fort, »hindert nichts, daß Ihr Euch mit dem Kaiser auseinandersetzet, vielleicht sogar ohne Schlacht, denn ich weiß, daß Ihr, obschon, nein, weil der erste Feldherr der Zeit, das scharfsinnige Schachspiel und die umfassenden Berechnungen der Strategie jenen plötzlichen und immerhin blinden Entscheidungen der Wahlstatt vorziehet. Ich sage, vielleicht sogar ohne Blutvergießen, denn der Kaiser wird nicht so leicht einen neuen Feldherrn finden und ein zweites Heer in Italien zusammenbringen, nachdem er Euch und das Eurige verloren hat, wenigstens wenn ihm Frankreich und England zu tun geben, laut des von ihnen mit unserer Liga getroffenen Abkommens.«

»Ich kenne Euer Bündnis mit König Franz, sogar seinen Wortlaut«, warf Pescara hin, »kann aber keinen Wert darauf legen. Der König verquält sich in seinem spanischen Kerker. Um eine Stunde früher auf ein gesatteltes Pferd zu springen, verrät er Eure Liga hundertmal, wie ich ihn zu kennen glaube.«

»Noch vor wenigen Tagen«, beteuerte der Kanzler mit einem komischen Gesichte, »hat mir die Regentin Louise von Paris geschrieben, sie halte das Bündnis fest wie ihre Tugend –«

Ein Pfiff durchschnitt das Gemach... der Kanzler horchte verwundert. Es mochte ein Vogel am Fenster vorbeigeschwirrt sein.

»Es sind noch andere da, die den Kaiser beschäftigen«, fuhr er fort, »der Halbmond und die deutschen Fürsten.«

»Der Halbmond, ja«, urteilte der Feldherr. »Mit den deutschen Fürsten aber und selbst mit ihrer neuen Lehre könnte sich der Kaiser allenfalls vertragen. Meinst du nicht, Morone?«

Dieser antwortete denkend: »Es scheint so, aber ist doch nicht, wenn ich richtig sehe. Jedenfalls nicht mit der neuen Lehre. Der Kaiser bedarf der Kirche für sein schweres und dunkles Gemüt, das er von der Mutter geerbt hat. Der neue Glaube verlangt kräftigere Seelen.«

»Verstehst du etwas von diesen Dingen, Kanzler?« fragte der Feldherr neugierig.

»Wie sollte ich, Pescara? Ich bin wie du und wir alle ein Bewohner der Wirklichkeit, ein Kind der Helle, das mit der antiken Weisheit über das Ende hinaus nichts sieht als Larven und Scheinen und auf wogendem Nebel die riesigen Spiegelungen wieder dieses unsers eigenen und irdischen Daseins. Unter denen aber, welche mit dem Volke Gut und Böse glauben und Leib und Seele und die Fabel eines letzten Gerichtes, wird jetzt, wie du weißt, unversöhnlich gestritten über die beste Rüstung an jenem Tage der blasenden Posaune. Unsere kluge Kirche öffnet ihre Buden und legt verständig ihren Vorrat an guten Werken zum Verkauf aus. Der deutsche Mönch aber zankt und schreit: Das ist Plunder! Werft euer Geld nicht weg! Ihr habt es umsonst. Eure Schulden sind bezahlt. Glaubet es nur, und sie sind nicht mehr! Solches aber zu glauben, braucht es eine große Tapferkeit, denn es ist unter dem Unglaublichen das Unglaublichste. Doch bringen es diese deutschen Köpfe fertig, so brauchen sie gar keine Pfaffheit mehr und sind in ihrer trotzigen Sicherheit uns Italienern gewaltig überlegen, die wir ungläubig sind oder abergläubisch.

Ich rede im groben, Pescara. Aber diese Vorstellungen, nichtig an sich, werden im Leben zu den realsten Mächten, die kein Staatsmann vernachlässigen darf. Und du mit deiner großen Aufgabe am wenigsten, Pescara, wenn du auch selbst ein Gottloser bist, wie ich dich kenne.« Sein Lächeln blieb unerwidert.

»Hier irrst du dich, Kanzler«, sagte Pescara ernst. »Ich glaube an eine Gottheit, und wahrlich keine eingebildete. Doch in dem andern hast du recht. Ich habe es mit Augen gesehen. Am Abende meiner Schlacht« – er meinte die von Pavia – »sah ich im Lazarett zwei höchst frevelhafte Menschen sterben, einen Deutschen und einen Spanier, diesen unter seinen Reliquien und in den Armen zweier Priester zitternd und bebend, jenen allein, doch voller Zuversicht und Freude. Ich sprach ihn an, denn ich weiß ein paar deutsche Wörter, und erfuhr, daß er traue und trotze auf den reuigen Schächer. Doch lassen wir diese Farben der Seele. Zurück zu deiner Sache, denn ich meine, daß du noch nicht damit zu Ende bist.«

»Gewiß nicht, Pescara. Dann erst, wann du durch das Schwert oder durch ein listiges Abkommen den Kaiser außer Spiel gesetzt haben wirst, dann erst baust du deine Größe und Italiens Freiheit. Die zwölf Arbeiten des Herkules! Doch du rufst alle Seiten und Eigenschaften deines Wesens unter die Waffen: Geduld und Entschluß, Begeisterung und Berechnung, Arglist und große Gesinnung. Kein Teilchen von dir wird müßig gehen. Du kennst dich noch gar nicht, Pescara! Dann erst wirst du dich zeigen als der, welcher du bist, in deinem ganzen Wuchse: für das Volk ein furchtbarer und wohltätiger Dämon, für das Heer ein unfehlbarer Sieger, für den Patrioten der Vollender Italiens, für den Gelehrten der wiederaufgelebte römische Ehrgeiz, für die Fürsten, soviel du ihrer bestehen lässest, der herrschende Bundesgenosse. Du beutest alle Möglichkeiten und Begünstigungen des Jahrhunderts aus. Du wirst der Verteidiger des Papstes und eroberst ihm seine Städte und Provinzen zurück, die du für dich behältst; du reitest als Schiedsrichter zwischen der verröchelnden Republik und den Mediceern in Florenz ein, und sie gehorchen dir beide. Ja sogar die stolze Fürstin der Hadria zwingst du in deinen Machtkreis! Ich sehe dich«, jubelte Morone, »wie du ihr Doge wirst und dich dem Meere vermählst.

So wächsest du, bis dich und dein herrliches Weib auf dem römischen Kapitol tausend frohlockende Arme vergötternd in die Lüfte heben und dich ganz Italien als seinen König zeigen, welches du dann, wie dir jetzt, ich fürchte, noch nicht möglich ist, als deinen Besitz und deinen Ruhm ein wenig lieben wirst, damit endend, womit ich angefangen habe, denn allein meine Liebe zu Italien, das Beste, das einzig Gute an mir, wirft mich dir zu Füßen, du Kaltherziger!« Und er umfing das Knie des Feldherrn mit einer so inbrünstigen Gebärde, daß dieser aufspringend einer solchen Anbetung sich entzog, aber doch innerlich ergriffen schien, sei es, daß ihn diese Wahrheit des Gefühls in einem lügnerischen Geiste fesselte, sei es, daß sein mächtiger Verstand die angedeuteten Züge seiner und Italiens möglicher Größe unwillkürlich zu einem lebensfähigen Ganzen zusammenschloß.

Er ließ den Kanzler und schritt mit über der Brust gekreuzten Armen mehrere Male langsam durch das Zimmer, zuletzt wie zufällig wieder vor ihm stehenbleibend. »Wie viele meiner Jahre verlangst du von mir, Morone?« warf er hin.

»Viele, ohne Zweifel«, versetzte der Kanzler. »Je mehrere, desto besser! Nur mit jenen langen und fruchtbaren Pausen, welche die Dinge still und unaufhaltsam wachsen lassen, unzerstörlich scheinende Hindernisse zernagen, die Gewissen abstumpfen und beruhigen und selbst das ursprünglich Frevle entsühnen und heiligen, nur auf solchen breiten und notwendigen Stufen ist Bleibendes im Staate erreichbar. Dein bester Verbündeter, Pescara, ist das Leben. Zehn, zwanzig, warum nicht dreißig Jahre, Pescara? Du stehst ja in der Fülle der Kraft und schöpfst nur so mit der Hand aus der überströmenden Quelle. Du hast deinen Schatz kaum noch angegriffen, und nicht zum wenigsten darum haben dich die unsterblichen Götter Italiens zu diesem deinem herrlichen Werke berufen, weil du, römisch gesprochen, ein Jüngling bist und dich noch lange kein Todesschatten berühren darf!«

Ein plötzlich hervortretender harter und finsterer Zug hatte das Antlitz des Feldherrn verwandelt. Er traf den Kanzler mit einem so feindseligen Blicke, daß dieser um einen Schritt zurückwich. »Weißt du«, drohte er, »daß, wenn mich mein Ehrgeiz überwältigen sollte, das erste Opfer dein Gebieter, der Sforza, wäre? Denn ich finge damit an, euer Mailand dem Bourbon zu geben, der mein Alterego, meine rechte Hand und ein Gonzaga ist. Ich würde es ihm gönnen! Überlieferst du mir den Sforza?«

»Bei allen Göttern, nein!« schrie der entsetzte Kanzler. »Ich meinen Herzog verraten! Niemals! Nimmermehr! Und«, rief er empört, »wie darfst du daran denken, Pescara, unsere reine und heilige Sache mit dem Borbone zu beflecken!«

»Sehet diesen Menschen!« verhöhnte ihn Pescara. »Gibt es etwas Frecheres? Dem armseligsten Fürsten will er Treue halten, und mutet mir zu, sie meinem erhabenen Kaiser zu brechen! Sehet diesen unzusammenhängenden Geist! Er verlockt mich zum Verrat und will rein bleiben von Verrat!«

»Das ist etwas völlig anderes«, wehklagte der Kanzler. »Der Konnetabel hat sein Vaterland verraten, und du rettest es, indem du von einem Fürsten abfällst, welcher nicht der deinige ist. Meinen Herzog preisgeben, meinen holdseligen Herrn! Der Mohr wird mir im Traume erscheinen!«... er tat einen erbärmlichen Seufzer... »Doch, dennoch, es sei! Aber jetzt, Pescara, widerstehe auch du nicht länger! Erbarmst du dich Italiens? Gib Antwort, Grausamer!«, und die Tränen brachen ihm aus den Augen.

»Heute nicht, Morone!« tröstete ihn Pescara. »Wir sind beide ermüdet und bedürfen der Ruhe. Es ist die Stunde der Siesta.« Er klingelte. »Ippolito«, unterwies er den Knaben, »führe den Herrn, der ein großer Staatsmann ist, in den Turmflügel. Der Haushofmeister soll ihm die ganze Zimmerreihe des Oberstockes öffnen und ihn sorgfältig bedienen und reichlich bewirten lassen. Ihr findet eine gewählte Bibliothek, Kanzler, und wollet Ihr Luft schöpfen, so steiget in den Garten hinab, er ist schattig und reicht bis an die Wälle. Ich lade Euch nicht zu Tafel, da ich Donna Viktoria erwarte, der mein Abend gehört. Lasset Euch die Zeit nicht lange werden. Morgen sehen wir uns wieder.«

»Wie wird mir der Tag vergehen?« jammerte der Kanzler.

»Alles geht vorüber. Noch eins: nähert Euch, ich bitte, den Wachtposten nicht, Ihr verstündet denn das Deutsche.« Er sah den Kanzler erbleichen. »Fürchtet nichts«, schloß er freundlich und entließ ihn.

Wie er sich wieder umwendete, näherten sich ihm der Herzog und Del Guasto, die ihr Versteck verlassen hatten, beide in der höchsten Aufregung, der bleiche Bourbon mit fieberhaft geröteten Wangen, Del Guasto mit lodernden Augen. Pescara erriet, daß das belauschte Gespräch und der gezeigte Ruhm sie beide verführt und bezaubert hatte. Del Guasto lechzte nach Beute und der Herzog nach dem reinigenden Lorbeer. Noch schwiegen sie, aber ihre dringende und flehende Gebärde wollte sich in Worte verwandeln. Da schloß ihnen Pescara den Mund.

»Herrschaften«, sagte er, »hier wurde Theater gespielt. Das Stück dauerte lange. Habt Ihr nicht gegähnt in Eurer Loge?«

Da schlug der Bourbon in plötzlich umspringender Stimmung eine gelle Lache auf. »Trauerspiel oder Posse?« fragte er.

»Tragödie, Hoheit.«

»Und betitelt sich?«

»Tod und Narr«, antwortete Pescara.


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