Conrad Ferdinand Meyer
Die Versuchung des Pescara
Conrad Ferdinand Meyer

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Behaglich plauderte der Feldherr weiter: »Dieser schweigend sich windende Brutus ist gut, doch – mit der schuldigen Ehrfurcht – den dürren Cassius, dessen Magerkeit Julius Cäsar fürchtete, wie kann ihn Dante muskulös nennen? Überhaupt, Viktoria, wie gefällt dir diese Speise des Zerberus?«

Da antwortete Viktoria tapfer: »Herr, die Mörder Cäsars gehören nicht in die Hölle. Hier tadle ich meinen Dichter.«

»Beileibe nicht!« neckte Pescara. »Und doch, brav, meine Römerin! Treue ist eine Tugend, aber nicht die höchste. Die höchste Tugend ist die Gerechtigkeit.« So schaukelte Pescara sein Weib über dem Abgrund und dem Geheimnis seiner Seele und hinderte sie, Fuß zu fassen, die mit dem ganzen Ungestüm ihres Wesens Boden suchte, den Sieg erstrebend, den zu erringen sie nach Novara geeilt war. Auf immer neuen Wegen verfolgte sie das Ziel, von welchem Pescara sie ferne hielt. Jetzt hatte sie die Eingebung, den größten lebenden Patrioten Italiens zu Hilfe zu nehmen.

»Ich mußte mich immer wundern, Pescara«, sagte sie, »daß du, wie du bist, unter unsern Bildnern und Dichtern die lieblichen den gewaltigen vorziehst, den Ariost und Raffael dem erhabenen Dante und seinem späten, aber ebenbürtigen Bruder, dem Buonarotti – du selbst aber bist eine tiefe und verborgene Natur.«

»Ebendarum, Viktoria, wenn ich es bin. Die Kunst ist eine Ergötzung. Was aber deinen Michelangelo angeht, so mache mich nur nicht eifersüchtig auf den Zyklopen mit dem zertrümmerten Nasenbein, da du ihn so sehr bewunderst.«

Viktoria lächelte. »Ich habe sein Angesicht nie gesehen und kenne nur seine Sistine.«

»Die Propheten und Sibyllen? Diese habe ich vor Jahren auch betrachtet und aufmerksam, doch sind sie mir wieder verschwommen, bis auf ein paar Einzelheiten. Zum Beispiel der Mensch mit gesträubtem Haar, der vor einem Spiegel zurückbebt –«

»Worin er die Drohungen der Gegenwart erblickt«, ergänzte sie erregt.

»Und dann die Karyatide, von einer ungeheuren Last zusammengedrückt, das kurze, viereckige, jammervolle Geschöpf! Das häßlichste Weib ohne Frage, wie du das schönste bist –«

»Eine Vergewaltigte, eine Unterjochte, eine Sklavin –«

»Nun tauchen mir auch die Propheten wieder auf: der kahle Sacharja, oder wer es sein mag, ein Bein oben, eines unten, der scheltende Hesekiel im Turban, Daniel schreibend, schreibend, schreibend. Auch die Sibyllen: die gekrümmte Alte mit der Habichtsnase, die glimmenden Augen in ein winziges Büchlein vertieft, mit der Nachbarin, die sich Öl in die erlöschende Ampel gießen läßt, und, die schönste von allen, die Jugendliche mit dem delphischen Dreifuß. Alles in rasender Tätigkeit. Was soll dieser Sturm? Was predigen und weissagen diese?«

Da rief Viktoria in flammender Begeisterung, als säße sie selbst im Rate der Prophetinnen: »Sie bejammern die Knechtschaft Italiens und verkündigen den kommenden Retter und Heiland!«

»Nein«, urteilte Pescara streng, »die Stunde des Heils ist vorüber. Nicht Gnade verkündigen sie, sondern das Gericht.«

Viktoria erbebte, aber schon wieder war der strafende Ernst aus den Zügen Pescaras gewichen. »Verlassen wir jene prophetische Kapelle«, sagte er schmeichelnd, »und eine Kunst, die erschreckt und erschüttert. Mich aber darfst du nicht gemeint haben, da du von einem Heiland Italiens sprachest, obwohl ich freilich die Seitenwunde schon besäße«, schloß er mit einem jener herben Scherze, welche ihm eigentümlich waren.

Die ganze Zärtlichkeit Viktoriens überquoll, da Pescara jene Wunde nannte, welche ihre Tage und Nächte beschäftigt hatte, bis er ihr schrieb, sie habe sich geschlossen. Das liebende Weib umschlang ihn mit der Linken, und mit der Rechten strich sie ihm die rötlichblonden, vorne leicht gelockten Haare tief in die Stirn, so daß er im Ampellicht und in ihrer wonnigen Nähe ein ganz jugendliches Ansehen gewann.

Da überkam sie eine Erinnerung an einen zusammen verlebten, nicht allzufernen Tag. Es war in der Nähe von Tarent, auf einer ihrer Besitzungen. Dort hatten sie, freilich erst nach dem völligen Untergang einer sengenden Erntesonne, unter dem verglühenden Abendhimmel neben ihren noch rüstigen Schnittern zur Sichel gegriffen und sich jedes seine Garbe gebunden. Wieder sah sie den Feldherrn lässig auf der seinigen liegen, während sie die Schnittermädchen, leicht improvisierend, eine neue Kantilene lehrte nach dem Muster der dort im Süden gebräuchlichen, die dann das junge Volk bis in die Nacht zu wiederholen nicht müde wurde. Jenen Abend brachte sie jetzt dem Feldherrn ins Gedächtnis.

Es freute ihn. »Weißt du jenes Liedchen noch?« fragte er.

»Wie sollte ich?«

»Nun, es gab da einen Reim: Schnitter und Zither. Sonst sagte das Liedchen nichts weiter, als daß, wie auf dem Felde, auch im Himmel gesungen und die Garbe getragen werde. Das bescheidene Liedchen klingt vielleicht noch im Munde des Volkes, wenn ich und später auch du längst verstummt sind, und, aufrichtig, es gefällt mir besser als ein mir neulich übersendetes Sonett, in welchem du feierlich zu mir redest. Ruhig, Viktoria! Es ist nicht von dir. Ich weiß, daß es nicht von dir ist.«

Sie loderte vor Zorn. »Wer erkühnt sich«, rief sie aus, »meine Maske zu nehmen und in meinem Namen zu dir zu reden? Wer ist der Freche? Wo ist das Machwerk, daß ich es zerreiße!«

»Oh, das wäre schade. Es sind Verse, die dir keine Schande machen. Hier.« Der Feldherr zog ein Blatt aus dem Busen. Sie entriß es ihm und trat unter die Ampel. Mit wogender Brust und hastigen Lippen begann sie:

»Viktoria an Pescara.

        Ich heiße Sieg, Pescara, und ich kröne
Mit Lorbeer deine Schlachten und Gefechte,
Doch wehe mir, wenn ich die Heimat knechte,
Mißbrauchend meines Namens stolze Töne.

Da ich mich dir vermählt in Jugendschöne,
Aus Römerblut und fürstlichem Geschlechte,
Gab ich dir in Italien Bürgerrechte
Und brachte dir die Liebe seiner Söhne.

Ich komme, Lohn zu fordern für ein Leben,
Nur dir geweiht in hellem Opferbrande!
Mein Held, was wirst du deinem Weibe geben?

Ich weiß die Geister, welche dich umschweben!
Zerschneidend mit dem Schwert Italiens Bande,
Belohnst du mich mit meinem Vaterlande!«

Nie verwandelte sich eine Stimmung seltsamer unter dem Eindruck eines Gedichtes: unmutig hatte die Colonna das Blatt ergriffen, bald besänftigte sie sich, dann sprach sie innig, und die letzten Zeilen jubelte sie hingerissen. Jetzt bekannte sie offen: »So bin ich und solches hoffe ich, wenn ich dieses auch nicht geschrieben habe!«

Pescara blickte spöttisch. »Das Sonett«, sagte er, »hat sich auf deinen Lippen wunderbar veredelt, aber es ist innerlich hohl und stammt aus einer niedrigen Seele. Liebe fordert keinen Lohn, Liebe gibt sich umsonst, Liebe rechnet nicht. Solches ist gemein. Nein, so kann Viktoria nicht denken. Ein Mietling hat diese Verse gemacht, und ich weiß seinen Namen. seine ungeheure Eitelkeit hat ihn gezwungen, die Maske frech zu lüften. Sieh her.« Pescara wies mit dem Finger auf zwei winzige Buchstaben, ein P und ein A, in die untere rechte Ecke des Blattes gekritzelt. »Auch ein Göttlicher, wie er sich nennt! Ich sehe den Aretiner mit seinem Zeltgenossen, dem Giovanni Medici, dem zügellosesten Jüngling Italiens, weintriefend und witzereißend zusammensitzen und höre ihn lästern: ›Glaube mir, Hans, es ist kein leichtes, sich in die göttliche Viktoria hineinzudenken!‹ Und ein faunischer Jubel. Der Aretiner lacht, daß er fast mit dem Stuhl überschlägt, er schüttelt sich, er lacht aus vollem Halse –«

»Bräche er ihn, der Schamlose!« schluchzte Viktoria; denn Petrus Aretinus und sein Wesen waren schon damals weltkundig.

»Brav, meine Römerin!« begütigte Pescara. »In einem aber hat er recht, Geliebte: dein Vorname hat schon den Bräutigam begeistert. Es ist schön, mit dem Siege vermählt zu sein.«

Aber die Colonna verstand keinen Scherz mehr. Sie war in den Tiefen ihrer Seele aufgewühlt, in den Wurzeln ihres Wesens erschüttert, voller Tränen und zugleich voller Glut und Leidenschaft. »Doch in dem andern hat er unrecht!« redete sie heftig. »Ich weiß nicht, auf welchen Geist du lauschest, und mühe mich umsonst, in deinem Herzen zu lesen! Du spielst mit deinem Weibe! Du umarmst mich und du drückst mich weg! Hast du Grausamer mich doch nicht einmal meine Botschaft ausrichten lassen, die ich dir bringen wollte in dem Jubel meines Herzens!«

»Weil ich sie erriet. Ich tadle den Heiligen Vater, mein edles Weib zur Dienerin mißbraucht und dir, der Wahrhaften, eine Botschaft aufgelistet zu haben, eine Botschaft seiner und deiner unwürdig, voller Lüge und Sophismen, welche ich, in den nächsten Tagen schon, ihn nötigen werde zu widerrufen und zu verleugnen. Die Heiligkeit gibt mir Neapel, wenn ich es erobere, und absolviert mein Gewissen, wenn ich es abstumpfe. Ich aber glaube nicht an ein solches Binden und Lösen, nicht in weltlichen Dingen, weder ich noch irgendein anderer mehr, und«, sagte er höhnisch, »auch in geistlichen nicht. Das ist vorbei, seit Savonarola und dem germanischen Mönche.«

»Und mein Italien, das du wie ein Magnet anziehst, lässest du es an dir scheitern? Achtest du es für nichts? Verachtest du es?« schrie Viktoria verzweifelnd.

Der Feldherr erwiderte sanft: »Wie dürfte ich ein Volk verachten, das mir dich gegeben hat? Aber ich will dir nicht verhehlen: Italien redet umsonst, es verliert seine Mühe. Ich kannte die Versuchung lange, ich sah sie kommen und sich gipfeln wie eine heranrollende Woge und habe nicht geschwankt, nicht einen Augenblick, mit dem leisesten Gedanken nicht. Denn keine Wahl ist an mich herangetreten, ich gehörte nicht mir, ich stand außerhalb der Dinge.«

Viktoria entsetzte sich. »Wie? Bist du kein Mensch? Bist du ein Geist ohne Fleisch und Blut? Betrittst du den Boden nicht, über den du wandelst?«

»Meine Gottheit«, antwortete er, »hat den Sturm rings um meine Ruder beruhigt.«

Da flehte Viktoria: »Deine Gottheit?«, und sie umschlang ihn mit beiden Armen, »ich lasse dich nicht, du nennest mir denn deinen Gott!«

Pescara löste sich sachte und erwiderte mit schmerzlichen Augen: »Wenn du es verlangst, aber komm mit mir in den Garten, ich muß Luft schöpfen.«

Da sie auf die Terrasse traten, standen alle Sterne über ihnen, und drüben im alten Schlosse erblickten sie noch ein einsames Licht von irdischer Farbe. »Dort«, sagte sie mitleidig, »ist der Kanzler schlummerlos und verzehrt sich in Angst und Hoffnung.«

»Ich glaube nicht«, versetzte Pescara, »eher hat er sich mit einem Mutwillen oder einer Nichtswürdigkeit in den Schlaf gelesen, und seine niederbrennende Ampel leuchtet den Wänden.« Er hatte es erraten. Nach qualvollen Stunden hatte sich Morone mit einem Catull eingeschläfert.

Der Feldherr nahm seinen Weg nach dem Boskette mit den weißen Marmorbänken, wo er zu ruhen pflegte. Sie saßen unter dem dunkeln Laubdache, Hand auf Hand.

Da flüsterte Viktoria: »Nun rede!« Der Feldherr aber schwieg.

Tritte nahten, und eine andere Bank füllte sich mit Geflüster. »Steht es wirklich so mit dem Feldherrn, Moncada? Ich habe Mühe, es zu glauben.«

»Auch ich glaube es noch nicht, Leyva, aber ich forsche. Erlange ich Gewißheit, so trete ich hervor, und wir handeln. Der König darf sein Heer in Italien nicht verlieren.«

«Ihr meint?«

»Du ziehst deine Truppen zusammen, und wir verhaften ihn.«

»Er wird sich zur Wehre setzen.«

»Dann fällt er.«

»Und die Majestät?«

»Besorge nichts, die Majestät bedarf unser, wir beherrschen sie. Verweigerst du mir deine Hilfe, so muß ich ihn durch eine gedungene Hand töten lassen. Kann ich auf dich zählen?«

»Ihr dürft... eine schwere Tat...« Da zog ihn der andere fort. »Mir ist«, sagte er, »ich habe hier atmen hören.«

Wirklich, die feuchte Nachtluft drückte den lauschenden Feldherrn und benahm ihm den Atem. Er keuchte leise. Jetzt sagte auch er: »Gehen wir. Tau fällt, und Verderben brütet in der Luft.« Sie drängte sich an ihn.

Drei Hornstöße ertönten, vom alten Schlosse her.

»Ein Kurier. Ich werde heute noch zu lesen haben.«

»Ferdinand«, flehte sie, »du bist umlauert. Du wirst dem Kaiser verdächtig. Du bist verloren! Wirf dich Italien in die Arme! Da ist dein Heil und deine einzige Rettung!«

»Ich fürchte nichts«, sagte er. »Der Weg ist dunkel, aber meine Zuflucht ist offen.«

Jetzt standen sie in der kleinen Halle des Landhauses, und Pescara weckte den auf einem Schemel schlummernden Ippolito. »Geh hinüber«, befahl er, »und bringe, was eben angelangt ist.« Dann sagte er zu Viktorien: »Ich meine, es ist von Madrid, vielleicht eine Zeile der Majestät selbst, die mir zuweilen schreibt, ohne das Wissen ihrer Minister. Ich bin doch begierig.«

Jetzt schlug die Turmuhr des alten Schlosses Mitternacht, müde und zitternd, mit so weit ausholenden Schlägen, daß je zwischen zweien ein Leben Raum zu haben schien. Der zwölfte Schlag – unwiderruflich.

Ippolito kratzte an der Tür und brachte ein Paket, das der Feldherr öffnete. Es enthielt, neben einigen andern Briefschaften, einen Kaiserlichen Erlaß, welcher den Marsch auf Mailand guthieß und den Oberfeldherrn bevollmächtigte, in der genommenen Stadt durchaus nach seinem Ermessen und gemäß den Umständen zu verfahren.

»Alles?« fragte Pescara.

Da bog der Knabe ehrfürchtig das Knie, überreichte ein Briefchen, welches er dem Kurier mit Not abgerungen hatte, und entfernte sich. Es war überschrieben: »In die eigenen Hände des Marchese.«

»Vom Kaiser«, sagte Pescara und öffnete. »Da, Viktoria, lies vor. Er schreibt so kritzlig.« Sie gehorchte. Es war nicht viel, wenige Zeilen, und lautete:

 
»Mein Pescara!

Ich bin es, der diese Vollmacht durchgesetzt hat gegen meine Minister. Ihr habet viele Feinde. Hütet Euch vor Moncada. Ich aber bin gläubig an Euch, denn ich habe für Euch gebetet und sah einen Engel, der Euch an der Hand hielt. Ich traue.

Ich Euer König.«
 

Pescara lächelte mühsam. »Karl traut zu leicht«, sagte er. »Das könnte ihn zu Schaden bringen mit einem andern, als ich bin. Aber – seltsam – er hat meinen Genius erblickt.«

»Jetzt nenne mir deine Gottheit!« flehte Viktoria. »Ich beschwöre dich, Pescara, nenne sie mir!«

»Ich glaube, da ist sie selbst«, keuchte er heiser. Immer schwerer begann er zu atmen, er stöhnte, er ächzte, er röchelte. Ein furchtbarer Krampf beklemmte seine Brust. Er sank, mit der Hand nach dem gepeinigten Herzen langend, auf die Ottomane und rang nach Atem. Da kniete sich Viktoria neben ihn nieder, hielt und stützte ihn mit ihren Armen und litt mit ihm. Sie wollte Ippolito rufen und den Knaben nach seinem Großvater, dem Arzte, schicken, er verbot es mit einer Gebärde. Endlich entschlummerte er, aufs tiefste erschöpft, nachdem Viktoria geglaubt hatte, er stürbe ihr. Da sie sich der Tränen gesättigt, entschlummerte auch sie. Dann erlosch die Ampel.


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