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Zweites Kapitel.
La Cabarus.

Wie sollte vor allem ein armer Nationalkonvent dem widerstehen? In diesem armen Nationalkonvent, der durch den langen Schrecken, durch Störungen und Guillotinieren ganz gebrochen und verwirrt ist, giebt es keinen Piloten, giebt es jetzt nicht einmal einen Danton, der es unternehmen könnte, das Schiff bei solchem Unwetter irgendwohin zu steuern. Das Äußerste, was dieser verwirrte Konvent thun kann, ist sich zu drehen und zu wenden und sich in die richtige Lage vor dem Wind zu bringen, sich gerade zu halten und sich so, wenigstens ohne unterzugehen, sich vom Winde dahintreiben lassen. Nutzlos ist es zu kämpfen, das Steuer leewärts zu richten und gegen den Wind zu stehen. So ein verwirrter Konvent segelt nicht gegen den Wind, sondern wird rasch wieder herumgeworfen. So stark ist der Wind, sagen wir, und so verändert; immer frischer und frischer bläst er, wie aus wildem Südwest, nachdem die verheerenden Nordoststürme und wilden Orkane des Schreckens sich erschöpft haben! Alles Sansculottische verschwindet, alles wird culottisch.

446 Man beachte nur den Schnitt der Kleider, dieses leicht sichtbare Resultat, das doch bezeichnend ist für tausend nicht so sichtbare Dinge. Im Winter 1794 ging man in roter Nachtmütze, Munizipalräte sogar in Holzschuhen ( sabots), gegen die gleiche Kopfbedeckung mußten die Bürgerinnen sogar petitionieren. Aber jetzt in diesem Winter 1794, wo ist die rote Nachtmütze? Weggespült von der Flut. Der geldbesitzende Bürger erwägt, wie er sich möglichst elegant kleiden könne, ob er sich nicht gar so kleiden solle, wie die freien Völker des Altertums. Die kühnere Bürgerin hat es bereits gethan. Seht sie, jene schöne abenteuerliche Bürgerin, im Kostüm der alten Griechen, so griechisch, wie Maler David es lehren konnte; ihre hängenden Locken zusammengehalten durch einen glitzernden antiken Reif, dazu die hellfarbige Tunika der griechischen Frauen, ihre kleinen Füße nackt, wie bei den antiken Statuen, nur mit Sandalen und um den Fuß gewundenen Bändern angethan, – der Kälte zum Trotz!

Es kommt jetzt solch ein Luxus auf. Denn die emigrierten Ci-devants hatten ihre Häuser und Möbel nicht mit sich aus dem Lande genommen, sondern sie hier gelassen, und solche Häuser haben – bei dem schnellen Wechsel des Eigentums, bei der Geldmacherei auf dem Platz de la Révolution, dem reichen Gewinn bei Armeelieferungen, dem Verkauf von Emigrantengütern, Kirchen- und Königsbesitz und unter dem Einflusse der Lampe Aladdins in einer Zeit des Agio und Papiergeldes – neue Eigentümer gefunden. Alter Wein aus den Flaschen der Ci-devants gleitet durch neue Gurgeln hinab. Paris hat sich gefegt und wieder erleuchtet, Salons, Soupers – nicht mehr »brüderliche« – strahlen jetzt wieder in vollem Glanze, in ganz wunderbarer Farbenpracht. Die schöne Cabarus ist aus dem Gefängnis gekommen, ist mit ihrem finsteren roten Dis vermählt, den sie, wie man sagt, zu hochmütig behandelt. Die schöne Cabarus giebt die glänzendsten Soireen. Um sie herum sammelt sich eine neue republikanische Armee von Bürgerinnen in Sandalen, von Ci-devants oder anderen Überbleibseln der alten französischen Grazie. Ihr zur Seite wetteifert in dieser Hinsicht die schöne Josephine, verwitwete Beauharnais, obgleich sie in beschränkten Verhältnissen sich befindet. Beide bemühen sich, den grimmen republikanischen Ernst zu mildern und die Welt wieder zu civilisieren.

Zu civilisieren gerade so, wie ehedem es geschah, durch den Zauber von Orpheus' Fiedelbogen und Euterpes 447 Rhythmen, durch die Grazien, durch holdes Lächeln. Auf diesen Soireen sieht man Deputierte, Helden vom Thermidor, wie den Redacteur Fréron, den orateur du peuple, Barras, der ganz andere Tänze als die Carmagnole kannte. Auch grimme Generale der Republik sind da in ungeheueren Halstüchern, groß wie ein Pferdekummet und gut gegen Säbelhiebe, das Haar in einen Knoten gefaßt »hinten herabhängend, mit einem Kamme festgesteckt.« Unter ihnen bemerken wir wieder einmal jenen kleinen bronzefarbigen Artillerieoffizier von Toulon, der aus den italienischen Kriegen heimgekehrt ist! Grimmig genug sieht er aus, grausam mager, denn er war krank und in Unannehmlichkeiten, ist auch übel angeschrieben als ein, verdienter oder nicht verdienter Weise, von den Terroristen und von Robespierre dem jüngeren promovierter Mann. Aber kennt ihn nicht Barras? Wird nicht Barras zu seinen Gunsten sprechen? Ja, wenn es etwa einmal Barras selber dienlich sein mag. Etwas verlassen vom Glück für den Augenblick steht dieser Artillerieoffizier da, blickt aus seinen tiefen ernsten Augen in eine so ungewisse Zukunft, wie die der meisten. Schweigsam; doch, wenn man ihn aus seinem Schweigen weckt, mit den seltsamsten Äußerungen, die treffen, wie Licht und Blitz; im ganzen wohl ein etwas gefährlicher, ungeselliger Mann? Ungesellig genug, ein natürlicher Schrecken und Greuel für alle Phantasmen, da er selbst die personifizierte Realität ist! Er steht da, ohne Verwendung oder Aussicht, in Verlassenheit, fängt nichts desto weniger einen freundlichen Blick der Josephine Beauharnais gern auf, und erwartet im übrigen mit ernstem Antlitze, mit offenen Augen und verschlossenen Lippen, was die Zeit bringen mag.

Daß also die Bälle diesen Winter ein neues Aussehen haben, das kann man gewahren. Keine Carmagnolen mehr, keine »rohen Wirbelwinde von Lumpen,« wie Mercier sie nannte, »Vorläufer von Sturm und Zerstörung,« nein, sanfte jonische Bewegungen, wie sich's für leichte Sandalen und antike griechische Tuniken schickt! Luxus blüht, denn Reichtum ist vorhanden, ja, neuerworbener Reichtum, und in der Schreckenszeit durfte man nicht tanzen, außer in Lumpen. Unter den unzähligen Arten von Bällen bemerke der schnelle Leser nur diese eine, die Art, die man Opferbälle, bals à victime, nennt. Die Tanzenden in sorgfältig gewähltem Kostüm haben alle Krepp um den linken Arm; um zugelassen zu werden, muß man ein Opfer sein, das heißt, einen 448 Verwandten in der Schreckenszeit verloren haben. Friede den Toten, laßt uns zu ihrem Andenken tanzen! Denn in alle Wege muß jetzt einmal getanzt sein.

Sehr merkwürdig, nach Mercier, ist es, unter welchen verschiedenen Formen dies wichtige Geschäft des Tanzens vor sich geht. »Die Weiber,« sagt er, »sind Nymphen, Sultaninnen, zuweilen Minerven, Junos, selbst Dianen. In leichten, sichern Kreisbewegungen schweben sie umher, mit vielem Ernste, in völligem Schweigen, so vertieft sind sie in den Tanz. Was seltsam ist,« fährt er fort, »die Zuschauer sind mit den Tanzenden gleichsam vermengt, bilden gleichsam ein umgebendes Element um die verschiedenen Contretänze, jedoch ohne sie zu stören. Selten geschieht es wirklich, daß eine Sultanin unter diesen Umständen den leisesten Stoß erleidet. Ihr niedlicher Fuß tritt auf, einen Zoll von meinem Fuß, sie ist wieder weg, ist wie ein Lichtschein verschwunden, doch bald ruft sie der Takt zurück auf den Punkt, von dem sie ausging. Gleich einem glitzernden Kometen durchläuft sie ihre Bahn, sich um sich selbst drehend, wie durch die doppelte Wirkung von Schwerkraft und Anziehungskraft.« Mercier, Nouveau Paris, III, 138, 153. Blicken wir ein wenig weiter in die Zukunft hinein, so sieht derselbe Mercier » Merveilleuses in fleischfarbenen Unterhosen« mit goldnen Reifen, die reinen tanzenden Houris eines künstlichen mohammedanischen Paradieses, viel zu mohammedanisch. Montgaillard mit seinen verdrießlichen Blicken bemerkt nicht minder Seltsames, nämlich, daß jede modische Bürgerin, der man begegnet, in interessanten Umständen sich befindet. Guter Himmel! Jede? Nichts als Kissen und Polster, fügt der scharfe Beobachter hinzu – denn in einer solchen Zeit der Entvölkerung durch Krieg und Guillotine ist das Mode. Montgaillard, IV, 436-442. Suchen wir nicht weiter seine Verdienstlichkeit zu enthüllen!

Seht auch, was für neue Straßengruppen sind das, an Stelle der alten grimmen tape-durs Robespierres? Junge Leute, nicht mehr in schwarzplüschener Jacke à la carmagnole, sondern in hochfeinem habit carré oder Leibrock mit rechtwinkeligen Schößen, mit einer eleganten antiguillotinistischen Art Kragen, »das Haar an den Schläfen geflochten« und zurückgebunden, lang herabwallend nach militärischer Weise; es sind junge Leute vom Schlage der sogenannten muscadins oder Dandies! Fréron nennt sie zärtlich die jeunesse dorée, 449 goldne oder vergoldete Jugend. Sie sind hervorgekommen, diese vergoldeten Jünglinge, wie in einem Zustande des Wiederauflebens, tragen Krepp um den linken Arm, die von ihnen, die zu den »Opfern« gehören. Noch mehr, sie tragen gar grimmig mit Blei beschwerte Keulenstöcke; jedem tape-dur oder Überbleibsel des Jakobinismus, mit dem sie zusammengeraten, soll es schlecht bekommen. Sie haben viel gelitten, ihre Freunde sind guillotiniert, ihre Freuden, ihre Späße, ihre hochfeinen Kragen sind schonungslos unterdrückt worden; da mögen sich die elenden roten Nachtmützen hüten, die das thaten. Die schöne Cabarus und die Armee griechischer Sandalen lächeln Beifall. Im Theater Feydeau liebäugelt junge Tapferkeit in rechtwinklig geschnittenen Rockschößen mit der Schönheit in griechischen Sandalen und entzündet sich an ihren Blicken zum: Nieder mit dem Jakobinismus! Keine jakobinischen Hymnen oder Demonstrationen, nur thermidorische werden hier gelitten; wir schlagen allen Jakobinismus nieder mit bleibeschwerten Keulenstöcken.

Wer die Natur des Dandy je studiert hat, gesehen hat, wie unduldsam und unverschämt sie ist, insbesondere im herdenweisen Auftreten, mag beurteilen, welch ein Element »im geheiligten Zustande der Insurrektion« diese vergoldete Jugend war. Händel und Rauferei, Krieg ohne Waffenstillstand und ohne Maß. Verhaßt der Sansculottismus, wie Tod und wie die Nacht. Denn ist nicht der Stutzer culottisch, kleiderliebend, nach dem Gesetze seiner Existenz, »ein Kleidertier, ein Wesen, das lebt, sich bewegt und in seinem ganzen Wesen aus Kleidern besteht?«

So geht es zu, unter Tanzen und Zänkereien, während die schöne Cabarus sich bemüht, durch orpheische Behexung die Menschheit wieder zu civilisieren. Nicht erfolglos, wie man hört. Welche äußerste republikanische Grimmigkeit könnte griechischen Sandalen in jonischer Bewegung widerstehen, wo sogar die Zehen mit goldenen Ringen geschmückt sind? Montgaillard, Mercier (wie oben). Allmählich bildet sich die unbestreitbar feinste neue Höflichkeit aus, wächst gewaltig. Und doch, fragt sich's, ob wir, ja ob wir bis heute den unsagbar feinen Gesellschaftston wieder erlangt haben, der unter den alten Königen herrschte, als das Laster »all seine Häßlichkeit verloren« hatte (mit oder ohne Vorteil für uns), und das luftige Nichts eine solche 450 Stätte und Bedeutung besaß, wie nie zuvor? Ja, ob er nicht für immer verloren gegangen ist? De Staël, Considérations, III, c. 10, etc. – Jedenfalls muß die Welt zusehen, wie sie weiter kommt.

 


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