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Fünftes Kapitel.
Die neue Berline.

Aber Späher und Adjutanten sind unterdes schneller gewesen als die lederne Postkutsche. Der junge Romoeuf hat sich, wie wir sagten, früh am Morgen auf den Weg gemacht nach Valenciennes. Rasende Bauern ergreifen ihn als einen Verräter, der eine Hand im Spiele hat, schleppen ihn nach dem Stadthause zurück, in die Nationalversammlung, die ihm schleunigst einen neuen Paß ausstellt. Ja, jetzt hat auch jene Vogelscheuche von Gemüsehändler mit seinem Esel sich an die große neue Berline erinnert, die er im Walde von Bondy gesehen, und hat darüber Bericht erstattet. Moniteur (in der Hist. Parl., X, 244-253) Romoeuf 21 wird nun, mit seinem neuen Passe ausgestattet, auf eine bessere Fährte mit doppelter Eile ausgesandt, über Bondy, Claye und Châlons, gegen Metz zu, um die neue Berline aufzuspüren, und er galoppiert à franc étrier.

Unglückselige neue Berline! Warum konnte das Königtum nicht in irgend einer alten dem Fuhrwerk anderer Leute ähnlichen Berline davongehen? Wo man um seines Lebens willen flieht, da kommt es auf das Fuhrwerk nicht an. Monsieur ist in einem gewöhnlichen Reisewagen nordwärts geeilt, Madame, seine Gemahlin, in einem anderen auf anderem Wege; sie gehen aneinander vorüber auf einer Station, während die Pferde gewechselt werden, ohne durch einen Blick zu verraten, daß sie sich kennen, und erreichen Flandern, ohne daß sie jemand anhält. Genau so und ungefähr um dieselbe Stunde machte sich die schöne Prinzessin de Lamballe auf die Reise, und sie wird England glücklich erreichen – wollte der Himmel, sie bliebe dort! Die Schöne, die Gute, aber Unglückliche, die für ein schreckliches Ende aufgespart bleibt!

Alles eilt dahin, unbehindert, schnell, nur die neue Berline nicht. O dieses ungeheuere lederne Vehikel, – diese ungeheuere Galione laßt uns sagen, oder dies Acapulcoschiff mit seiner schwerfälligen Schaluppe, der zweispännigen Chaise, mit ihren drei gelben Pilotenboten von berittenen Leibgardenkurieren, die zwecklos bald rund herum, bald voraus schaukeln, um zu verwirren, nicht um zu leiten! Sie rumpelt dahin im Schneckenschritt; möchte mit aller Gewalt unbeachtet bleiben und wird doch von aller Welt gesehen. Die Leibgardenkuriere in ihren gelben Livreen stolzieren rasselnd daher, ergeben, aber einfältig, mit allem unbekannt. Hier und da muß man anhalten, und Reparaturen am Wagen werden nötig, die man in Etoges vornehmen muß. Auch will König Ludwig aussteigen, will Anhöhen hinaufsteigen und den herrlichen Sonnenschein genießen. Mit elf Pferden und doppelten Trinkgeldern und allen Förderungsmitteln der Natur und der Kunst stellt sich heraus, daß das um sein Leben fliehende Königtum neunundsechzig Meilen zurücklegt in zweiundzwanzig ununterbrochenen Stunden. O langsames Königtum! Und doch ist jede Minute von diesen Stunden kostbar; von Minuten hängt jetzt das Geschick des Königtums ab.

Die Leser können sich daher denken, in welcher Stimmung der Herzog von Choiseul im Dorfe Pont-de-Sommevelle, einige Meilen hinter Châlons, Stunde um Stunde warten mochte, jetzt, wo der Tag sich schon sichtlich gegen Westen 22 neigte. Choiseul war in aller Stille, zehn Stunden vor der für die Abreise der Majestäten bestimmten Zeit, von Paris fortgefahren, seine Husaren unter Anführung des Ingenieurs Goguelat sind rechtzeitig hier, um, wie ihnen gesagt worden, »einen Schatz, der erwartet wird, zu eskortieren;« aber Stunde um Stunde verrinnt, und es kommt keine Berline. Über die ganze nordöstliche Region hin an den Grenzen der Champagne und von Lothringen, wo die große Straße läuft, ist eine beträchtliche Lebhaftigkeit sichtbar. Denn in allen Postdörfern und Städten von Pont-de-Sommevelle nordostwärts bis Montmédy liegen und warten Eskorten von Husaren und Dragonern, eine ganze Reihe oder Kette von Militäreskorten, und am Ende derselben in Montmédy unser wackerer Bouillé; das Ganze eine elektrische Gewitterkette, die der unsichtbare Bouillé, wie ein Vater Jupiter, in seiner Hand hält, wohlweislich. Der wackere Bouillé hat gethan, was ein Mann konnte, hat seine elektrische Gewitterkette von Militäreskorten bis Châlons ausgedehnt; sie wartet nur auf die neue Korff'sche Berline, um sie zu empfangen, zu geleiten, und, wenn nötig, in einem Wirbelwinde von Musketenfeuer davonzutragen. Da liegen sie nun müßig, diese wilden Reiter, von Montmédy und Stenai durch Clermont, Sainte-Menehould bis zum äußersten Pont-de-Sommevelle, in allen Postdörfern; denn Verdun und größere Städte sollen vermieden werden. Da harren sie ungeduldig »auf die Ankunft des Schatzes.«

Man denke, welch ein Tag dies ist für den braven Bouillé: vielleicht der erste Tag eines neuen ruhmvollen Lebens, sicherlich der letzte Tag des alten! Dann auch, und wirklich noch mehr, welch ein herrlicher und schrecklicher Tag für unsere jungen, vollblütigen Kapitäne, unsere Dandoins, Graf von Damas, Herzog von Choiseul, Ingenieur Goguelat und andere, die mit dem Geheimnis vertraut sind. – Ach, der Tag neigt sich immer mehr nach Westen, und keine Korff'sche Berline kommt in Sicht. Es ist vier Stunden über die Zeit, und immer noch keine Berline. In allen Dorfstraßen stehen royalistische Kapitäne, oft und oft in der Richtung nach Paris ausschauend, äußerlich gleichgültig, das Herz voll schwarzer Sorge. Die strengen Quartiermeister können kaum noch die gemeinen Dragoner von den Cafés und Schenken zurückhalten. Déclaration du Sieur La Gâche du Régiment Royal-Dragons (in Choiseul, p. 125-139). Tauch' auf, du neue Berline, über unsere 23 Angst, tauch' auf, du göttlicher Sonnenwagen der neuen Berline, beladen mit den Geschicken Frankreichs!

Diese Aufstellung von Militäreskorten war von Seiner Majestät selbst befohlen, war wohl für die königliche Einbildung durch den Anschein von Sicherheit und Hilfe beruhigend, aber in Wirklichkeit erregte sie nur Verdacht und Gefahren ohne Ende, wo sonst keine Gefahr gewesen wäre. Denn jeder Patriot in diesen Postdörfern fragt natürlich: Was bedeutet dieses Kavalleriegerassel und Marschieren und Warten von Truppen? Einen Schatz will man eskortieren? Wozu Eskorte, wo kein Patriot die Nation bestehlen will? Oder wo ist euer Schatz? – Es wurde so viel hin und her marschiert: denn ein anderes Mißgeschick war, daß einige von diesen Militäreskorten schon gestern kamen, da der 19. und nicht der 20. des Monats der zuerst bestimmte Tag war, den Ihre Majestät aus irgend einem Grunde für gut fand zu ändern. Und nun bedenke man, wie argwöhnischen Sinnes der Patriotismus war, argwöhnisch vor allem gegen Bouillé, den Aristokraten, und wie die böse mißtrauische Stimmung vierundzwanzig Stunden Zeit hatte, sich anzuhäufen und zu verschärfen.

In Pont-de-Sommevelle werden diese vierzig fremden Husaren Goguelats und des Herzogs von Choiseul für jedermann ein unerklärliches Geheimnis. Sie verweilten schon lange genug in Sainte-Menehould, warteten und zögerten, bis unsere Nationalfreiwilligen dort, alle in heißen Zorn und Zweifel geraten, »von ihrem Stadthause dreihundert Gewehre forderten« und sie erhielten. Da traf es sich, daß im gleichen Augenblick auch unser Kapitän Dandoins von Clermont mit seiner Truppe daherkam am anderen Ende des Dorfes. Wieder eine neue Truppe, das ist doch wahrlich beunruhigend, obschon es glücklicherweise nur Dragoner und Franzosen sind! Da hatte denn Goguelat mit seinen Husaren davonzureiten und zwar schnell davonzureiten, bis er hier in Pont-de-Sommevelle, wo Choiseul wartete, einen Ruheplatz fand. Einen Ruheplatz wie auf brennenden Kohlen. Denn das Gerücht von ihm verbreitet sich, und in Schrecken und Zorn rennt alles hin und her; Châlons sendet kundschaftende Piquets von Nationalfreiwilligen nach dieser Seite aus, sie treffen mit Kundschafterpiquets zusammen, die von jener Seite, von Sainte-Menehould kommen. Was ist's, ihr bärtigen Husaren, ihr Leute mit der fremdklingenden Sprache, was in des Himmels Namen bringt euch her? Ein Schatz? 24 Die Kundschafterpiquets schütteln die Köpfe. Die hungrigen Bauern indessen wissen zu wohl, was das für ein Schatz sein wird: eine Militärexekution ist's wegen Zinsen und Feudalrenten, die kein Steuerbeamter von uns eintreiben konnte! Das wissen sie – und setzen ihre Kirchenglocken in Bewegung und läuten Sturm, mit schnellstem Erfolge! Choiseul und Goguelat müssen, wenn nicht das ganze Land in Brand geraten soll, Berline hin, Berline her, satteln und davonreiten.

Sie steigen zu Pferd, und das Sturmläuten hört glücklicherweise auf. Langsam reiten sie ostwärts auf Sainte-Menehould zu, immer noch in der Hoffnung, daß der Sonnenwagen von einer Berline sie einholen möchte. Aber ach, keine Berline! Und nahe ist nun dieses Sainte-Menehould, das uns am Morgen mit seinen »dreihundert Nationalgewehren« vertrieben hat und, wie's scheint, nicht zu liebevoll auf Kapitän Dandoins und seine neuen Dragoner schaut, obgleich dies lauter Franzosen sind, – mit einem Wort, ein Ort, den man ohne Gefahr einer Explosion nicht ein zweites Mal betreten darf! Schweren Herzens wohl biegt unsere Husarentruppe links ab, auf Seitenwegen, über pfadlose Hügel und durch Wälder, meidet Sainte-Menehould und alle Orte, wo man sie zuvor gesehen hat, und will direkt nach dem entfernten Dorfe Varennes. Es ist wahrscheinlich, daß sie einen harten Ritt haben wird diesen Abend.

Dieser erste Militärposten in der langen Gewitterkette ist also davongegangen, ohne etwas zu nützen, oder eher mit Schaden, und die ganze Kette droht sich zu verwickeln! – Die große Straße ist indessen wieder eingehüllt in eine Art Schlaf, wenn auch einen leicht zu störenden Schlaf. Müßige Dragoner können jetzt von keinem Quartiermeister mehr ganz von den Schenken abgehalten werden, wo auch Patrioten trinken, ja sie bewirten, neugierig genug nach Neuigkeiten. Kapitäne treten das staubige Pflaster in einem Zustande der Verzweiflung und mit gleichgültigen Mienen, und kein Sonnenwagen erscheint. Warum bleibt er aus? Unglaublich, daß er, mit elf Pferden und solchen gelben Kurieren und allen möglichen Förderungsmitteln der Schnelligkeit, hinter dem schwersten Packwagen zurückbleiben, nur etwa drei Meilen in der Stunde zurücklegen sollte. Ach, man weiß ja nicht einmal, ob er überhaupt aus Paris herausgekommen ist – und wiederum weiß man auch nicht, ob er nicht eben in diesem Augenblick am Dorfende anlangt. Es klopft einem das Herz vor unaussprechlicher äußerster Ungeduld. 25

 


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