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Ein unerwarteter Hoffnungsstrahl leuchtet indessen dem Patriotismus um die Zeit der Frühlings-Tagundnachtgleiche: die Berufung eines durch und durch patriotischen Ministeriums. Auch dies will Seine Majestät, unter seinen unzähligen Experimenten, Feuer und Wasser zu vermählen, versuchen. Quod bonum sit! Madame d'Udons Frühstücke erklangen von neuem Anstoßen auf wichtige Vorbereitungen, keiner war da, selbst nicht der Genfer Dumont, der nicht ein Wort mitgesprochen hätte. Endlich, am 15. und weiter bis zum 23. März 1792, wo alles abgeschlossen ist, sehen wir als glücklichen Ausgang dieses patriotische Ministerium.
General Dumouriez, mit dem Portefeuille des Auswärtigen betraut, soll gegen Kaunitz und den Kaiser anders auftreten als der arme Delessart, den wir für seine Trägheit vor unsern hohen Gerichtshof von Orléans gestellt haben. Kriegsminister Narbonne wird vom Strom der Zeit hinweggespült, der arme Chevalier de Grave, den der Hof gewählt hatte, verschwindet ebenfalls schnell; dann wird der ernste Servan, ein tüchtiger Genieoffizier, plötzlich zum Range des Kriegsministers emporsteigen, und der Genfer Clavière sieht eine Ahnung verwirklicht: als er vor langen Jahren, ein armer Genfer Exilierter, am Finanzministerium vorüberging, fuhr ihm wunderbarerweise durch den Sinn, daß er einst 99 Finanzminister sein würde – und nun ist er's, und sein armes Weib, das die Ärzte schon aufgegeben hatten, steht auf und wandelt, nicht das Opfer der Nerven, sondern ihre Überwinderin. Dumont, 20, 21. Und vor allem, unser Minister des Innern, Roland de la Platrière, der von Lyon! So haben es die Brissotisten, die öffentliche oder private Meinung, und die Frühstücke am Vendômeplatz bestimmt. Der strenge Roland, verglichen mit einem Quaker endimanché, einem Quäker im Sonntagsstaate, er geht zum Handkuß in die Tuilerien, in rundem Hut und schlichtem Haar, seine Schuhe bloß mit einem Schuhbändchen oder Schnürchen gebunden. Der Ceremonienmeister winkt Dumouriez auf die Seite: » Quoi, Monsieur! Keine Schnallen an seinen Schuhen?« – »Ach, Monsieur,« antwortet Dumouriez mit einem Blick auf die Schuhbänder, »alles ist verloren, tout est perdu!« Madame Roland, II, 80-115.
Und so übersiedelt unsere schöne Roland aus ihrem oberen Stockwerke in der Rue Saint-Jacques in die prächtigen Salons, die einst Madame Necker bewohnte. Ja, noch früher war hier Calonne, der dies alles vergoldete, diese Leuchter, diese venetianischen Spiegel schliff, der diese eingelegten Böden polierte, diese Fourniere und Goldgesimse, und das Ganze durch das Reiben der richtigen Lampe zu einem Aladdinspalaste machte. Und nun, seht, nun wandelt er trübe über Europa, nahe dran im Rhein zu ertrinken, kaum seine Papiere rettend! Vos non vobis! – Die schöne Roland, jedem Schicksal gewachsen, hat an Freitagen ihr öffentliches Diner, dem sämmtliche Minister beiwohnen. Sie zieht sich, sobald die Tafel aufgehoben, an ihr Pult zurück und scheint eifrig zu schreiben. Doch verliert sie kein Wort von der Unterhaltung; wenn zum Beispiel der Deputierte Brissot und Minister Clavière zu hitzig werden im Streite, so legt sie sich ins Mittel, nicht ohne Schüchternheit, doch mit geschickter Anmut. Des Deputierten Brissot Kopf soll nämlich in dieser plötzlichen Höhe anfangen ihm zu schwindeln, wie es schwachen Köpfen geht.
Neidische Leute flüstern, daß die Gattin Roland Minister sei und nicht der Gatte; es ist glücklicherweise das Schlimmste, das sie ihr vorwerfen können. Übrigens, wessen Kopf auch jetzt schwindlig werden mag, es ist nicht der Kopf dieser tapferen Frau. Heiter und königlich ist sie hier, wie sie's 100 einst in ihrem eignen gemieteten Dachstübchen war im Ursulinerkloster! Sie, die ruhig Bohnen schälte zu einem Diner für sich, als junges Mädchen durch Einsicht und Vernunft dazu angeleitet, wußte, was die Verhältnisse waren, und was sie selber war, sie wird auch ruhig auf Goldgesimse und Fourniere blicken, auch damit nicht unbekannt. Calonne schuf diese Pracht, gab hier Diners, bei denen der alte Besenval ihm diplomatisch ins Ohr flüsterte, und Calonne war hier groß; doch sahen wir ihn zuletzt »mit großen Schritten auf und ab gehen«. Dann kam Necker; und wo ist Necker jetzt? Auch uns hat ein schneller Wechsel hierher gebracht, ein schneller Wechsel wird uns wegbringen. Kein Palast ist's, sondern eine Karavanserai!
So schwankt und dreht sich diese ruhelose Welt, Tag um Tag, Monat um Monat. Die Straßen von Paris und aller Städte haben täglich ihre wogende Menschenflut, die allnächtlich verschwindet und, hingestreckt, in Betten verborgen liegt, um am Morgen zu neuer senkrechter Bewegung zu erwachen. Die Menschen ziehen ihre Straße, thöricht oder weise, – der Ingenieur Goguelat hin und her mit den Chiffren der Königin. Madame de Staël ist geschäftig, kann ihren Narbonne nicht aus dem Strome der Zeit retten; Prinzessin von Lamballe ist geschäftig, kann ihrer Königin nicht helfen. Barnave, der die Feuillants zerstreut und Koblenz so rührig sieht, bittet, zum Abschied Ihrer Majestät Hand küssen zu dürfen, »sagt nichts Gutes voraus von ihrem neuen Kurs,« und zieht nach seinem Grenoble zurück, um eine Erbin zu heiraten. Im Café Valois und im Restaurant Méot sind täglich Gascognaden zu hören, lautes Geschwätz pensionierter Royalisten, mit und ohne Dolche. Die Überreste alter aristokratischer Salons nennen das neue Ministerium: Ministère-sansculotte. Louvet, der mit dem Roman Faublas, ist geschäftig bei den Jakobinern, Cazotte, der mit dem Roman Diable amoureux, ist anderswo geschäftig; besser wär's, alter Cazotte, du verhieltest dich ruhig, denn wir leben jetzt in einer Welt, wo Zauberhaftes wirklich geworden ist! Alle Welt ist geschäftig; und dabei ahnen sie kaum halb, was sie thun: Säen, Wicken meist und Unkraut, über das große »Saatfeld der Zeit«, das mit der Zeit ihnen zeigen wird, was sie säeten.
Aber soziale Explosionen haben etwas Fürchterliches, gleichsam Wahnsinniges, Übernatürliches, was das Leben ja auch immer heimlich hat; so giebt ja, wie die Fabel erzählt, die 101 stumme Erde, wenn man ihre Alraunwnrzel ausreißt, ein dämonisches, wahnsinnig machendes Stöhnen von sich. Diese Explosionen und Revolten reifen, brechen los, gleich den stummen, fürchterlichen Naturkräften, und doch sind sie Menschenkräfte, und doch sind wir ein Teil von ihnen: das Dämonische im menschlichen Leben ist über uns losgebrochen und wird auch uns hinwegfegen. – Ein Tag ist wie der andere und doch nicht gleich, sondern ganz verschieden. Wie vieles wächst, schweigend, unwiderstehlich, in einem jeden Augenblick! Gedanken wachsen, Redeformen, Sitten, das Trachten und selbst die Trachten; noch sichtbarer wachsen Handlungen und Verhandlungen und jener unselige Kampf Frankreichs gegen sich und gegen die ganze Welt.
Das Wort Freiheit wird jetzt nie mehr genannt ohne ein anderes: Freiheit und Gleichheit. Und ferner, was können in einem Reiche der Freiheit und Gleichheit solche Worte wie »Herr«, »gehorsamer Diener«, »habe die Ehre zu sein« und dergleichen bedeuten? Fetzen und Fasern des alten Feudalismus sind's, die, wäre es auch nur im Gebiete der Grammatik, ausgerottet werden sollten! Die Muttergesellschaft hat schon lange dahin zielende Vorschläge gehabt, die sie für den Augenblick nicht annehmen konnte. Man bemerke auch, was für eine neue symbolische Kopfbedeckung die Jakobinerbrüder jetzt tragen: die wollene Kappe oder Nachtkappe, bonnet de laine, besser bekannt unter dem Namen bonnet rouge, da die Farbe rot ist. Eine Kopfbedeckung, die man nicht nur als phrygische Freiheitsmütze trägt, sondern auch der Bequemlichkeit wegen und dann auch als eine Art Entgegenkommens gegenüber den Patrioten der niederen Klassen und den Bastillehelden; denn die rote Nachtmütze vereinigt alle drei Eigenschaften in sich. Ja, Kokarden sogar fängt man an aus Wolle, aus trikolorem Garn zu machen; die Bandkokarde wird als ein Zeichen von feuillantistischem oberen Klassenstolz verdächtig. Zeichen der Zeit.
Roch mehr beachte man die Geburtswehen Europas, oder vielmehr die Geburt, die es hervorbringt; denn die sich folgenden Wehen einer österreichisch-preußischen Allianz, Kaunitzscher antijakobinischer Depeschen, Ausweisung französischer Gesandten und so weiter, waren längst zu bemerken. Dumouriez korrespondiert mit Kaunitz, Metternich oder Cobenzl in einem anderen Stil, als Delessart es that. Scharf wird schärfer; wegen des Treibens in Koblenz und über manches sonst soll eine kategorische Antwort gegeben werden. 102 Und wenn's nichts fruchtet? Da es nichts fruchtet, so gehen am 20. April König und Minister hinüber nach dem Saal de Manège, verkünden, wie die Sache steht, und der arme Ludwig, »mit Thränen in den Augen«, schlägt vor, daß die Versammlung nun den Krieg beschließe. Nachdem die Schleusen der Beredsamkeit gehörig geöffnet waren, wird noch denselben Abend der Krieg beschlossen.
Krieg denn, wirklich. Paris kam in Menge, voll Erwartung, zu der Morgensitzung, und noch zahlreicher zu der vom Abend. Orléans mit seinen zwei Söhnen ist da, schaut mit weit geöffneten Augen von der Galerie herüber. Deux Amis, VII, 146-166. Du magst wohl schauen, o Philipp; es ist ein Krieg voller Ergebnisse für dich und für alle. Der kimmerische Obskurantismus und diese dreimal ruhmvolle Revolution sollen jetzt kämpfen um den Ausgang, vierundzwanzig Jahre lang, in unermeßlichem Riesenkampfe, zertretend und zermalmend, ehe sie, nicht zu einer Übereinkunft, sondern nur zu einem Vergleich kommen können, und einer annähernden Erkenntnis dessen, was im anderen ist.
So mögen denn unsere drei Generale an den Grenzen sich vorsehen, und der arme Chevalier de Grave, der Kriegsminister, sich's überlegen, was er thun will. Was an den drei Generalen und Armeen ist, kann man erraten. Was den armen Chevalier de Grave betrifft, so verliert er in diesem Wirbel der auf ihn einstürmenden Geschäfte den Kopf und läßt sich bloß im Wirbel herumtreiben in gänzlich verrückter Weise, indem er sich zuletzt unterzeichnet »de Grave, Maire von Paris«; worauf er seinen Abschied nimmt, über den Kanal geht, um in Kensington Gardens zu promenieren. Dumont, 19, 21. Der ernste Servan, der tüchtige Genieoffizier, wird an seine Stelle gesetzt. Auf einen Ehrenposten? Auf einen schwierigen wenigstens.