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Zweites Kapitel.
Im Bürgerkrieg.

Aber während dieser nämlichen Stunden ist eine andere Guillotine an der Arbeit, gegen einen anderen. Charlotte stirbt heute in Paris für die Girondisten, Chalier stirbt morgen in Lyon durch die Girondisten.

Vom Rasseln der Kanonen durch die Straßen dieser Stadt ist es zum Abfeuern derselben gekommen, zum rasenden Kampfe. Nièvre Chol und die Girondisten triumphieren; – hinter ihnen giebt es, wie überall, eine royalistische Partei, die den Zeitpunkt abwartet zum Dreinschlagen. Wirren genug in Lyon, und die herrschende Partei betreibt die Sache in großem Stil. Denn in der That ist der ganze Süden in Aufruhr, kerkert Jakobiner ein, rüstet für die Girondisten, schon haben wir darum einen »Kongreß von Lyon,« auch ein »Revolutionstribunal von Lyon,« und die Anarchisten sollen zittern. Somit 330 wurde Chalier bald schuldig befunden des Jakobinismus, mörderischen Komplotts, der »Rede mit gezücktem Dolche am 6. Februar letzthin,« und am Morgen darauf geht auch er seinen letzten Gang durch die Straßen von Lyon, »an der Seite eines Geistlichen, mit dem er ernst zu sprechen scheint,« jetzt, da so nahe die Axt blinkt. Er konnte weinen in alten Jahren, dieser Mann, und »auf seine Knie fallen auf der Straße,« den Himmel preisend beim Anblicke von Föderationsprogrammen oder dergleichen; dann pilgerte er nach Paris, um Marat und den Berg anzubeten. Nun sind beide, Marat und er dahin; – wir sagten, es könnte kein gutes Ende mit ihm nehmen. Der Jakobinismus murrt innerlich in Lyon, aber wagt nicht, es laut zu thun. Als das Tribunal Chalier verurteilte, gab er zur Antwort: »Mein Tod wird dieser Stadt teuer zu stehen kommen.«

Die Stadt Montélimart ist noch nicht unter ihren Ruinen begraben, doch marschiert wirklich Marseille auf Befehl des »Kongresses von Lyon« und kerkert Patrioten ein, ja sogar die Royalisten zeigen offen ihr Gesicht. Gegen die Marseiller kämpft ein General Cartaux, wenn auch mit geringer Macht, und mit ihm ein Artilleriemajor mit dem Namen – Napoleon Buonaparte. Dieser Napoleon kämpft nicht nur, sondern um zu beweisen, daß die Marseiller keine Aussicht haben auf den endlichen Erfolg, schreibt er auch, publiziert sein Souper de Beaucaire, einen Dialog, der merkwürdig geworden ist. Siehe Hazlitt, II, 529–541. Unglückliche Städte mit ihren Aktionen und Gegenaktionen. Gewaltthätigkeit wiedervergolten mit Gewaltthätigkeit in geometrischer Progression. Royalismus und Anarchismus, beide auch zuhauend – wer vermag den schließlichen Reinbetrag all dieser geometrischen Progressionen zu berechnen?

Die eiserne Stange schwamm noch nicht im Hafen von Marseille, aber der Körper Rebecquis wurde dort gefunden, selbstertränkt. Der heiße Rebecqui, als er sah, wie die Verwirrung zunahm und die Respektabilität vom Gifte des Royalismus angesteckt wurde, fühlte, daß es da für einen Republikaner keine andere Zuflucht gebe als den Tod. Rebecqui verschwand, niemand wußte, wohin, bis man eines Morgens die leere Hülle oder seinen Körper im Wasser aufgetaucht fand, geschaukelt von den salzigen Wellen, Barbaroux, p 29. und merkte, daß Rebecqui für immer sich zurückgezogen hatte. – Auch Toulon 331 kerkert Patrioten ein, sendet Delegierte an den Kongreß von Lyon, intrigiert, für den Fall der Not, mit den Royalisten und Engländern. Montpellier, Bordeaux, Nantes, ganz Frankreich, sofern es nicht im Bereiche Österreichs und Kimmerias ist, scheint sich in Wahnsinn und selbstmörderisches Verderben zu stürzen. Der Berg arbeitet wie ein Vulkan in brennendem vulkanischen Lande. Konventskommissionen, der Sicherheit, des öffentlichen Wohles, sind geschäftig Tag und Nacht, Konventskommissäre fahren auf allen Straßen, tragen Olivenzweig und Schwert, oder jetzt vielleicht nur das Schwert. Chaumette und Munizipalräte kommen täglich in die Tuilerien, und verlangen eine Konstitution; es ist jetzt einige Wochen her, daß der Stadtrath beschloß, daß eine Deputation »jeden Tag gehen solle« und eine Konstitution verlangen, bis eine erlangt wäre, Deux Amis, X, 345. wodurch das selbstmörderische Frankreich sich sammeln und beruhigen könnte, was so unaussprechlich wünschenswert wäre.

Dies also ist die Frucht, die eure antianarchistischen Girondisten gewonnen haben durch jene Kriegsrüstungen in Calvados? Ja, nur dies, dürfen wir sagen und sonst nichts mehr. Denn der Calvadoskrieg selbst war, noch ehe Charlottes oder Chaliers Kopf gefallen, traumgleich verflüchtigt in einen Schrei! Mit »zweiundsiebzig Departements« auf unserer Seite hätte man Besseres erwarten dürfen. Aber es zeigt sich jetzt, daß Respektabilitäten, wenn sie schon votieren wollen, so doch nicht kämpfen wollen. Besitz ist immer gleich neun Zehntel vom Recht, aber in Rechtsfragen von dieser Art kann man sagen, der Besitz macht neunundneunzig Hundertstel aus. Die Menschen thun, was sie gewohnt waren, zu thun, sind ungeheuer unentschlossen und träge: sie gehorchen dem, der die Symbole hat, die Gehorsam fordern. Man bedenke, was in moderner Gesellschaft diese eine Thatsache wiegt, die Hauptstadt ist auf der Seite unserer Feinde! Die Hauptstadt, die Mutterstadt, wie sie mit Recht genannt wird, denn all die übrigen Städte sind nur wie ihre Kinder, ihre Pfleglinge. Da rollt ja keine lederne Post mit ihren Postbeuteln und Gepäckkasten aus der Hauptstadt heraus, die nicht schon wie ein gewaltiger Lebenspuls wäre; sie ist das Herz von allen. Man schneide diese eine lederne Post ab, und wieviel ist abgeschnitten! – General Wimpfen, der die Sache von der praktischen Seite ansieht, weiß nichts besseres, als 332 daß man auf den Royalismus zurückkommen, in Beziehungen treten sollte zu Pitt. Dunkle Andeutungen in dieser Richtung fallen von ihm, wobei die Girondisten entsetzt zurückfahren. Er führt als seinen Unterbefehlshaber einen gewissen » Ci-devant«, einen Grafen Puisaye, ein, der Louvet gänzlich unbekannt ist, ihm stark verdächtig erscheint.

Wenige Kriege, somit, sind jemals auf so ungenügender Basis geführt worden, als dieser von Calvados. Wer neugierig ist in solchen Dingen, mag die Einzelheiten nachlesen in den Memoiren jenes nämlichen Ci-devant-Puisaye, jenes vielduldenden Mannes und Royalisten: Wie unsere girondistischen Nationaltruppen mit vielem Geblase abmarschierten, um das alte Schloß Brécourt, in der waldigen Gegend nahe Vernon, zusammengezogen wurden, um den von Paris anrückenden Nationaltruppen entgegenzutreten. Wie sie am Nachmittag des 15. Juli wirklich aufeinander stießen; – und beide vor Schrecken schrien und beide vor einander die Flucht ergriffen, ohne jeden Verlust. Wie hierauf Puisaye aus seinem warmen Bett im Schlosse von Brécourt (denn da die Bergnationalen zuerst geflohen waren, hatten wir uns für die Sieger gehalten) aufgeschreckt wurde und ohne Stiefel davon zu galoppieren hatte, weil während der Nachtwachen unsere Nationaltruppen unversehens in ein sauve qui peut verfallen waren. Kurz – wie der Calvadoskrieg sein Pulver verschossen hatte, und die einzige Frage jetzt war: wohin verschwinden, in welches Loch sich verstecken? Mémoires de Puisaye (London 1803), II, 142–167.

Die Nationalfreiwilligen stürzen nach Hause, schneller als sie kamen. Die zweiundsiebzig respektabeln Departements, sagt Meillan, »kehrten alle um und verließen uns innerhalb vierundzwanzig Stunden.« Unglücklich für die, wie z. B. Lyon, die zu weit gegangen sind zum Umkehren. Eines Morgens finden wir an unserm eigenen Intendanzpalais das Konventsdekret angeschlagen, das uns hors la loi erklärt, uns ächtet, angeschlagen durch unsere Caen-Behörden; – ein deutlicher Wink, daß auch wir verschwinden sollen. Verschwinden ja, aber wohin? Gorsas hat Freunde in Rennes, dort will er sich verstecken, unglücklicherweise wird er nicht versteckt bleiben. Guadet, Lanjuinais irren die Kreuz und Quer, auf dem Wege nach Bordeaux. Nach Bordeaux! – so ruft die allgemeine Stimme, die Stimme des Mutes wie 333 die der Verzweiflung. Eine Fahne der Respektabilität weht dort noch, oder man denkt es wenigstens.

Darum dorthin, jeder wie er kann! Elf von diesen unglücklichen Deputierten, wozu wir als zwölften Freund Riouffe, den Litteraten, zählen können, kommen auf einen originellen Einfall: sie ziehen die Uniformen von Nationalfreiwilligen an und retirieren nach Süden mit dem Bretagner Bataillon, als gemeine Soldaten dieses Bataillons. Diese braven Bretagner, sie standen treuer zu uns als alle anderen. Demnach werden auch sie, nach ein oder zwei Tagen, jetzt zweifelhaft, unter sich uneins; wir müssen sie verlassen und, mit etwa einem halben Dutzend von ihnen als Eskorte oder Führer, für uns allein retirieren, durch weite Gegenden des Westens, – ein einsam marschierend Häuflein. Louvet, p. 101-137; Meillan, p. 81, 241-70.

 


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