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Erstes Parlament.

Erstes Kapitel.
Grande acceptation.

Warum sind die Champs-Élysées illuminiert an den Abenden des September, wo schon die herbstliche Tag- und Nachtgleiche vorüber ist und der graue September in den braunen Oktober schwindet? Warum tanzt Paris und brennt Feuerwerke ab? Es sind Festabende, diese letzten Septemberabende. Wohl mag Paris und die ganze Welt tanzen: das Gebäude der Konstitution ist vollendet! Vollendet, ja sogar revidiert worden, um sich zu überzeugen, daß nichts daran fehle; es ist Seiner Majestät feierlich überreicht, von ihr am 14. des Monats unter Kanonendonner feierlich angenommen. Und nun weihen wir durch Illumination, Jubel, Tanz und Feuerwerk fröhlich das neue soziale Gebäude ein und machen das erste Feuer und den ersten Rauch darin, im Namen der Hoffnung.

Die Revision ist eine schwierige, kitzlige Arbeit gewesen, besonders bei einem auf die Spitze gestellten Throne. Durch Stützen und Pfeiler, die jetzt so unentbehrlich, konnte wohl etwas nachgeholfen werden, und doch, wie man fürchtet, nicht genug. Das reuige Barnave-Triumvirat, unsere Rabauts, Duports, Thouret, und wirklich alle konstitutionellen Deputierten setzten ihre ganze Kraft ein; aber die äußerste Linke lärmte so sehr, das Volk war so argwöhnisch, drängte so sehr zur Beendigung des Werks, und dann saß die loyale Rechte so unthätig verdrossen da die ganze Zeit, sozusagen schmollend und trotzend, unfähig zu helfen, selbst wenn sie gewollt hätte. Die Zweihundertundneunzig hatten vordem sich feierlich losgesagt und waren, den Staub von ihren Füßen schüttelnd, davongegangen. In solch äußersten Zorn und zu der verzweifelten Hoffnung, daß das Schlechterwerden des Schlechten um so eher es enden und das Gute zurückbringen werde, dazu war unsere loyale Rechte jetzt gekommen! Toulongeon, II, 56, 59.

48 Indessen wird man finden, daß diese und jene kleine Stütze, wo es die Möglichkeit nur irgend erlaubte, angebracht wurde. Die Civilliste und die Privatkasse des Königs waren von jeher gut versorgt. Eine königliche konstitutionelle Garde, achtzehnhundert loyale Leute aus den dreiundachtzig Departements, unter einem loyalen Herzog von Brissac; dies, mit den zuverlässigen Schweizern außerdem, ist an und für sich schon etwas. Die alte loyale Leibgarde ist allerdings, sowohl dem Namen nach als in der That, aufgelöst und größtenteils nach Koblenz gegangen. Aber jetzt sollen auch jene sansculottischen, gewaltthätigen Gardes Français oder Centralgrenadiere ihren Abschied bekommen; demnächst werden sie in den Journalen ihr Lebewohl veröffentlichen, nicht ohne ein heiseres Pathos: »Wir wünschen allen Aristokraten die Gräber in Paris, die uns versagt werden!« Histoire parlementaire, XIII, 73. Sie gehen weg, diese ersten Soldaten der Revolution, schweben höchst trübe in der Ferne für etwa ein Jahr, bis sie neu organisiert, neubenannt und ausgesandt werden können, um gegen die Österreicher zu fechten; dann sieht die Geschichte sie nicht mehr. Ein höchst merkwürdiges Korps waren sie, eines, das seinen Platz in der Weltgeschichte hat, obgleich, so wie Geschichte geschrieben wird, sie für uns bloße Rubriken von namenlosen Männern bleiben, eine zottige Grenadiermasse mit Ledergehenken angethan. Und dennoch, möchte man nicht fragen: Welche Argonauten, welche Spartaner des Leonidas haben solch eine Arbeit gethan? Man bedenke ihr Schicksal seit jenem Maimorgen vor drei Jahren, wo sie teilnamslos d'Espréménil nach den Kalypsoinseln schleppten, und seit jenem Juliabende vor zwei Jahren, wo sie nicht teilnahmslos, sondern fluchend und mit zornig gerunzelten Stirnen eine Salve in Besenvals Regiment Prinz von Lambesc hineinfeuerten! Die Geschichte winkt ihnen ein stummes Lebewohl zu.

So atmet denn die souveräne Gewalt freier, nachdem diese sansculottischen sie bewachenden Hunde, die eher Wölfen glichen, gekoppelt und von den Tuilerien entfernt sind. Die souveräne Gewalt wird von nun an bewacht von loyalen Achtzehnhundert, die man unter verschiedenen Vorwänden allmählich anschwellen lassen kann auf Sechstausend, und die keine Reise nach Saint-Cloud verhindern werden. Der traurige Varenner Riß ist geflickt in diesen zwei Monaten und darüber, sogar zusammengekittet mit dem Blute vom 49 Marsfelde, und wirklich hat seitdem die Majestät, wie früher ihre Privilegien, ihre eigene »Wahl der Residenz,« obgleich der königliche Wille aus guten Gründen »vorzieht, in Paris zu bleiben.« Armer königlicher Wille, armes Paris, die ihr beide diese Mummerei treiben müßt, den Schein und die Lüge, die da weiß, daß sie lügt, und euch gegenseitig eure traurige Possen-Tragödie vorspielen müßt und, im ganzen, immer noch hofft, wo keine Hoffnung mehr ist.

Ja, nun da Seine Majestät die Konstitution unter Kanonendonner angenommen hat, wer würde da nicht hoffen? Unser guter König war irregeführt, aber er meinte es gut. Lafayette hat eine Amnestie beantragt, ein allgemeines Vergeben und Vergessen revolutionärer Vergehen, und nun ist sicherlich die ruhmvolle Revolution, nachdem sie von allem Schutt gesäubert, vollendet. Seltsam genug, und rührend in mancher Beziehung ist es, daß der alte Ruf » Vive le roi!« noch einmal wieder erschallt um König Ludwig, den erblichen Repräsentanten. Ihre Majestäten gehen in die Oper, verteilen Geld an Arme, sogar die Königin bekommt jetzt, wo die Konstitution angenommen ist, die Stimme des Beifalls zu hören. Alles Vergangene sei vergessen, die neue Ära soll beginnen. Hin und her durch jene Lampengewinde auf den Elyseischen Feldern bewegt sich und rollt die königliche Equipage, überall mit Vivats empfangen von einer Menge, die sich Mühe giebt, glücklich zu sein. Ludwig schaut auf die bunten Lampen und heiteren Menschengruppen, für den Augenblick recht zufrieden. Auf Ihrer Majestät Antlitz ist »unter dem gütigen, anmutigen Lächeln eine tiefe Traurigkeit lesbar.« De Staël, Considération, I, 23. Glänzende Erscheinungen der Tapferkeit und des Geistes sieht man hier beobachtend einherschlendern; so die Dame de Staël, höchst wahrscheinlich gelehnt auf den Arm ihres Narbonne. Sie begegnet da Deputierten, die diese Konstitution geschaffen haben und ebenfalls hier dahinschlendern unter wechselnden Gesprächen – nicht ohne Bedenken, ob die Konstitution Bestand haben mag. Doch, da noch melodische Geigentöne schwirren und trillern zum Takte leichter phantastischer Füße, lange Lampengewinde ihre bunten Strahlen ergießen, und Ausrufer mit ehernen Lungen sich durch die Menge drängen und brüllen: » Grande acceptation, constitution monarchique,« – da ziemt sich's wohl für die Söhne Adams, zu hoffen. Haben denn nicht Lafayette, Barnave und alle 50 Konstitutionalisten ihre Schultern energisch angelegt an die umgekehrte Pyramide von einem Thron? Feuillants, die fast die ganze konstitutionelle Respektabilität Frankreichs in sich schließen, reden jeden Abend von ihrer Tribüne, korrespondieren durch alle Postämter, denunzieren den unruhigen Jakobinismus und hoffen, daß seine Zeit nächstens vorüber sein werde. Vieles ist zwar ungewiß, zweifelhaft; aber wenn der erbliche Repräsentant glücklich und klug handelt, darf man da, bei sanguinischem gallischen Temperamente, nicht hoffen, daß es mit ihm besser und schlechter in Gang kommen, und allmählich gewonnen und hinzugefügt werden kann, was ihm fehlt?

Übrigens, wie wir wiederholen müssen, ist beim Bau der konstitutionellen Fabrik, insbesondere bei der Revision, nichts vergessen worden, woran man hätte denken können, und was ihr neue Kraft, besondere Festigkeit und Dauer, ja sogar ewige Dauer verleihen konnte. Zweijähriges Parlament unter dem Namen Legislative, assemblée législative, mit siebenhundertfünfundvierzig Mitgliedern, die verständigerweise nur durch »aktive Bürger« und durch die Wahl von noch aktivern Wahlmännern auserlesen werden sollen. Die sollen mit allen Privilegien eines Parlaments, aus eigener Vollmacht sich versammeln und selbst sich auflösen wenn nötig, sollen das Budget bestimmen und besprechen, über Verwaltung und Behörden die Aufsicht führen und für immer das Amt eines konstitutionellen großen Rates, der gesammelten Weisheit und nationaler Redelust versehen, – wie der Himmel sie dazu befähigen mag. Unser erstes zweijähriges Parlament, woran man schon seit früh im August gewählt hat, ist nun so gut wie gewählt. Ja, es ist schon größtenteils in Paris, langte nach und nach an, – nicht ohne pathetischen Gruß vor seiner ehrwürdigen Mutter, der nun altersschwachen Konstituante – und saß da auf den Galerien, ehrerbietig lauschend, und bereit selber anzufangen, sobald der Platz frei.

Was nun aber betreffend Veränderungen in der Konstitution selbst? Dies ist offenbar einer der kitzlichsten Punkte, da Veränderungen unmöglich sind für eine Legislative oder ein gewöhnliches zweijähriges Parlament, und möglich nur für eine etwa wiederzuerweckende Konstituante oder einen Nationalkonvent. Die hohe altersschwache Versammlung debattierte darüber volle vier Tage. Einige meinten, eine Änderung oder wenigstens eine Revision und neue Bestätigung wäre zulässig nach dreißig Jahren; andere gingen weiter hinunter auf zwanzig. ja auf fünfzehn Jahre. Die hohe 51 Versammlung hatte schon für die dreißig Jahre Beschluß gefaßt, aber nach reiflicherer Überlegung widerrief sie ihn und bestimmte keine Zeit, sondern nur einige oberflächliche Umrisse von Umständen dafür, und ließ im ganzen die Sache in der Schwebe. Choix de rapports etc. (Paris 1825), VI, 239–317. Ohne Zweifel kann ein Nationalkonvent sogar schon innerhalb der dreißig Jahre versammelt werden, doch möchte man hoffen, daß es nicht geschehe, sondern daß legislative zweijährige gewöhnliche Parlamente mit ihrer beschränkten Kompetenz und vielleicht allmählichen ruhigen Verbesserungen für Generationen oder auf unberechenbare Zeit genügten.

Ferner sei bemerkt, daß kein Mitglied dieser Konstituante in die neue Legislative gewählt wurde oder gewählt werden konnte. So edeldenkend waren diese Gesetzgeber, rufen einige, daß sie, Solon gleich, sich selber verbannten! So milzsüchtig, rufen andere, jeder dem anderen die Wiederwahl mißgönnend, und keiner es wagend, sich vom anderen in Selbstverleugnung überbieten zu lassen! So unklug in jedem Fall, antworten alle praktischen Leute. Aber man bedenke die andere selbstverleugnende Bestimmung, daß keiner von uns Minister des Königs werden oder das geringste Hofamt annehmen darf vor Ablauf von vier oder mindestens (und dies nach langen Debatten und Revisionen) zwei Jahren! So beantragt es der unbestechliche, seegrüne Robespierre, mit einer Selbstverleugnung, die ihn billig zu stehen kommt; und keiner wagt es, sich von ihm an Selbstverleugnung überbieten zu lassen. Es war ein solches Gesetz wie das, das einst und damals nicht überflüssiger Weise Mirabeau nach den Gärten von Saint-Cloud zu jenem Gespräche der Götter führte und manches vereitelte. Glücklicher- und unglücklicherweise ist kein Mirabeau nun da, dem etwas vereitelt werden könnte.

Willkommener, willkommen gewiß allen rechtlichen Herzen, ist indessen Lafayettes ritterliche Amnestie. Willkommen auch ist die schwer errungene Vereinigung von Avignon, die uns »dreißig Sitzungen voll Debatten« und sonst so vieles gekostet hat; möge sie endlich sich als glücklich erweisen. Rousseaus Statue wird beschlossen, des tugendhaften Jean Jacques, Evangelisten des Contrat social. Nicht werden Drouet von Varennes, noch der werte Lataille, der Besitzer des alten weltberühmten Ballhofes in Versailles, vergessen, sondern jeder von ihnen erhält seine ehrenvolle Erwähnung und eine 52 entsprechende Belohnung in Geld. Moniteur (in der Hist. Parl., XI, 473). Nachdem dann alles so wohl erledigt ist und die Deputationen und Botschaften und königlichen und anderen Ceremonien verrauscht sind, nachdem der König noch wohlwollende Worte über Frieden und Ruhe gesprochen, und die Mitglieder mit Rührung, ja sogar mit Thränen geantwortet haben: » Oui! oui!« – so erhebt sich Präsident Thouret, der von den Gesetzesreformen her bekannte Thouret, und äußert mit einer starken Stimme diese denkwürdigen, letzten Worte: »Die konstituierende Nationalversammlung erklärt, daß sie ihre Aufgabe vollbracht hat, und daß ihre Sitzungen hiermit geschlossen sind.« Der unbestechliche Robespierre, der tugendhafte Pétion werden unter himmelhohen Vivats auf den Schultern des Volkes nach Hause getragen. Die übrigen gehen still nach Hause. Es ist der letzte Nachmittag des Septembers 1791, morgen früh wird die neue Legislative ihr Werk beginnen.

So ist unter dem Schimmer illuminierter Straßen und Elyseischer Felder, dem Geknatter von Feuerwerk und unter fröhlichen Lustbarkeiten die erste Nationalversammlung verschwunden; sie hat sich, wie richtig gesagt wird, in leere Zeit aufgelöst und ist nicht mehr. Die Nationalversammlung ist dahin, ihr Werk bleibt; wie alle menschlichen Vereinigungen verschwinden, wie der Mensch selber verschwindet – sie hatte ihren Anfang und muß auch ihr Ende haben. Eine Phantasmen-Wirklichkeit, von der Zeit geboren wie wir alle, flieht sie auf dem Strome der Zeit immer weiter zurück, um lange noch in der Erinnerung der Menschen zu bleiben. Sehr seltsame Versammlungen, Synedrien, Amphiktyonenbünde, Trades-Unions, Ökumenische Konzilien, Parlamente und Kongresse sind auf diesem Planeten zusammengekommen und wieder auseinander gegangen; aber eine seltsamere Versammlung als diese hohe Konstituante, oder eine mit einer seltsameren Aufgabe, kam vielleicht nie zusammen. Aus der Ferne gesehen, wird sie auch wie ein Wunder erscheinen. Zwölfhundert menschliche Individuen mit dem Evangelium von Jean Jacques Rousseau in ihren Taschen, in voller Zuversicht und voll Glauben, daß sie »die Konstitution machen« werden; ein gleiches Schauspiel, der Gipfel und das Hauptprodukt des 18. Jahrhunderts, kann unsere Welt nur einmal erleben. Denn die Zeit ist reich an Wundern, sehr reich an Monstruositäten, und man bemerkt, daß sie sich oder eines ihrer Evangelien nie wiederholt; – 53 sicherlich am wenigsten dieses Evangelium nach Jean Jacques. Einmal war es recht und unentbehrlich, da der Glaube der Menschen ein solcher geworden war; aber an diesem einen Mal ist's auch genug.

Sie haben die Konstitution gemacht, diese zwölfhundert Jean-Jacques-Evangelisten, nicht ohne Resultat. Nahezu neunundzwanzig Monate saßen sie daran mit wechselndem Glück, in verschiedenen Eigenschaften – immer, dürfen wir sagen, in der Eigenschaft des auf Wagen getragenen Carroccio, einer wunderbaren Fahne der Revolte, als eines hohen und hochgehaltenen Dinges, von dem Heilung erhoffen durfte, wer zu ihm emporblickte. Sie haben vieles gesehen: Kanonen auf sich gerichtet, dann durch mächtige Dazwischenkunft die Kanonen plötzlich zurückgezogen, und einen Kriegsgott Broglie verschwinden unter Donnern, die nicht von ihm ausgingen, unterm Staub und Zusammensturz der Bastille und des alten feudalen Frankreichs. Sie haben einiges gelitten: die königliche Sitzung mit Regen und dem Ballhausschwure, die Pfingstnächte, Weiberaufstände. Haben sie nicht auch etwas gethan? Sie haben die Konstitution gemacht und inzwischen alles andere verrichtet, haben in diesen neunundzwanzig Monaten »zweitausendfünfhundert Beschlüsse« gefaßt, was im Durchschnitt, die Sonntage eingerechnet, etwa drei auf den Tag ergiebt! Kürze, man sieht, ist zuweilen möglich: hatte nicht Moreau de St.-Méry dreitausend Befehle zu geben, bevor er sich von seinem Sitze erhob? – Mut und ein gewisser Wert war in diesen Männern, und eine Art Glauben – wäre es auch nur der Glaube, daß Spinnweben nicht Tuch sind, daß eine Konstitution gemacht werden konnte. Spinngewebe und Chimäre sollten wahrlich verschwinden, denn wir haben es jetzt mit einer Wirklichkeit zu thun. Laßt die Seelen und nun auch Körper tötende, unerträgliche Formel verschwinden, in des Himmels und der Erde Namen! – Die Zeit, wie wir sagten, brachte diese zwölfhundert hervor, Ewigkeit war vor ihnen, Ewigkeit hinter ihnen; sie wirkten, wie wir alle es thun, im Zusammenflusse zweier Ewigkeiten, was ihnen zu wirken beschieden war. Man sage nicht, was sie thaten, sei nichts gewesen. Bewußt thaten sie etwas und wie vieles thaten sie unbewußt! Sie hatten ihre Riesen und ihre Zwerge, vollbrachten ihr Gutes und ihr Böses; nun sind sie gegangen und kehren nicht wieder. Sollen sie nicht unter diesen Umständen mit unserem Segen, unserem freundlichen Lebewohl gehen?

Mit der Post, der Diligence, zu Pferd oder zu Fuß sind 54 sie in alle vier Winde fort. Nicht wenige über die Grenzen, um sich in Koblenz einzureihen. Dorthin ging unter anderen Maury, doch später nach Rom, um dort in roten Kardinalsplüsch gekleidet zu werden; in der Lüge so wohl sich befindend wie in einem Kleide, dies Schoßkind (das letztgeborene?) des Weibes im Scharlach. Talleyrand-Perigord, der exkommunizierte konstitutionelle Bischof, wird seinen Weg nach London nehmen, um dort königlicher Gesandter zu werden, trotz des selbstverleugnenden Gesetzes; wobei ihm der muntere junge Marquis von Chauvelin als Deckmantel dient. In London findet man auch den tugendhaften Pétion, der bei feierlichen öffentlichen Diners angeredet wird und anredet und mit konstitutionellen Reformklubs die Weingläser erklingen läßt. Der unbestechliche Robespierre zieht sich für eine kleine Weile in seine Heimat Arras zurück; nur für sieben kurze Wochen der letzten Ruhe, die ihm in dieser Welt bestimmt ist. Er ist öffentlicher Ankläger im Departement von Paris, anerkannter Hoherpriester der Jakobiner, das Wetterglas des unbestechlichen, dürren Patriotismus; denn sein eigensinnig nachdrückliches Wesen ist beliebt bei allen Beschränkten, – scheint's nicht so, als ob dieser Mann emporstiege zu irgend einer Höhe? Er verkauft sein kleines Erbe in Arras, kehrt zurück nach Paris in seine alte Wohnung bei dem Tischler in der Rue St.-Honoré, begleitet von einem Bruder und einer Schwester, und plant für sich und für sie mit seiner entschlossenen Schüchternheit eine kleine sichere Zukunft. – O du entschlossen pedantischer, unbestechlicher seegrüner Mann, zu welcher Zukunft wirst du gelangen!

Lafayette wird seinerseits das Kommando niederlegen. Er zieht sich wie ein Cincinnatus an seinen Herd und Hof zurück; doch bald verläßt er sie wieder. Unsere Nationalgarde soll jedoch hinfort nicht nur einen Kommandanten haben, sondern alle Obersten sollen der Reihe nach sie kommandieren, einen Monat um den andern. Andere Deputierte sahen wir, oder sah vielmehr Dame de Staël »gedankenvoll umhergehen,« vielleicht ungewiß, was sie thun sollen. Einige, wie Barnave, die Lameth und ihr Duport werden hier in Paris bleiben, die neue zweijährige Legislative, das erste Parlament beobachten, sie lehren zu gehen wenn möglich, und den Hof, sie zu leiten.

So diese: gedankenvoll umhergehend, oder mit der Post oder Diligence reisend – wohin das Schicksal ruft. Der Riese Mirabeau schlummert im Pantheon großer Männer, 55 und Frankreich, und Europa? – Die Ausrufer mit den ehernen Lungen schreien » Grande acceptation, constitution monarchique« durch diese lustige Menge; der morgende Tag, der Enkel des gestrigen, muß sein, was er kann, wie's sein Vater, das Heute, muß. Unsere neue zweijährige Legislative beginnt am 1. Oktober 1791 sich zu konstituieren.

 


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