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Drittes Kapitel.
Die Parteiverhältnisse verschärfen sich.

Im ganzen kann man nicht sagen, daß die Girondisten sich nicht Genüge thun, soweit als mit gutem Willen dies geschehen kann. Unablässig stacheln sie die wunden Stellen des Berges, aus Prinzip und auch aus Jesuitismus.

Außer dem Septembergemetzel, woraus sich jetzt nur wenig mehr als eine vorübergehende Entrüstung machen läßt, sind es zwei wunde Stellen, durch die der Berg oft genug zu leiden hat: Marat und Orléans Égalité. Der schmutzige Marat wird von Zeit zu Zeit, um seiner selbst und um des Berges willen, angefallen, dem aufmerksamen Frankreich vorgeführt als ein unflätiges, blutdürstiges Ungeheuer, das zur Plünderung von Läden aufreizte; und die Unehre, einen Marat zu besitzen, die genieße der Berg! Der Berg murrt, ihm ist die Sache nicht recht; wie soll man dieses »Maximum von Patriotismus« entweder anerkennen oder verleugnen? Marat persönlich, mitsamt seiner fixen Idee, bleibt unverwundbar durch solche Dinge, ja, der Volksfreund steigt sehr sichtbar an Bedeutung in dem Grade, als seine Freunde im Volk die Oberhand erlangen. Da giebt's jetzt kein Geschrei mehr, wenn er anfängt zu reden, eher gelegentlichen Beifall, eine 285 Aufmunterung, die seine Zuversicht erhöht. An dem Tage, wo die Girondisten beantragten, wegen jenes Februarartikels betreffend das »Hängen einiger Aufkäufer« ihn »für angeklagt zu erklären« ( décréter d'accusation, wie sie's ausdrücken), beantragt Marat, sie für »verrückt zu erklären,« und als er die Tribünenstufen hinabsteigt, hört man ihn die höchst unparlamentarischen Ausrufe ausstoßen: » Les cochons, les imbécilles! die Schweine, die Idioten!« Oftmals krächzt er herben Spott, denn wirklich, er hat eine rauhe, krächzende Stimme und eine tiefe Verachtung für alle schöne Äußerlichkeit; ein- oder zweimal lacht er, ja »bricht in schallendes Gelächter aus, rit aux éclats« über die Manierlichkeit und das superfeine Wesen dieser girondistischen »Staatsmänner« mit ihren Pedanterien, ihren Wahrscheinlichkeiten und Kleinlichkeiten; »seit zwei Jahren,« sagt er, »habt ihr gewinselt über Angriffe und Komplotte und Gefahren, die euch von Paris kommen, und habt selber nicht eine einzige Schramme aufzuweisen.« Moniteur, Séance du 20. Mai 1793. – Danton giebt ihm von Zeit zu Zeit einen derben Verweis, aber Marat bleibt das Maximum von Patriotismus, das man weder anerkennen noch verleugnen darf.

Die zweite wunde Stelle des Berges ist dieser abnorme Monseigneur Gleichheit, Prinz von Orléans. Seht diese Leute, sagt die Gironde, mit einem gewesenen Bourbonenprinzen in ihrer Mitte: sie sind Kreaturen der Orléansschen Partei, wollen Philipp zum König gemacht haben; kaum ist ein König guillotiniert, so soll ein anderer an seine Stelle! Aus Prinzip und auch aus Jesuitismus haben die Girondisten beantragt – Buzot that es schon längst – daß das ganze Geschlecht der Bourbons von Frankreichs Boden weggewiesen werde, dieser Prinz Égalité mit den übrigen. Solche Anträge mögen einige Wirkung aufs Volk ausüben – weshalb denn der Berg in Verlegenheit ist und nicht weiß, was damit thun.

Und was thut er damit, der arme Orléans Égalité selber? Denn nachgerade muß man selbst so einen, wie ihn, bemitleiden. Der von allen Parteien Verleugnete, der Verstoßene und wie ein armer Tropf hierhin und dorthin Geschobene, in welchen Winkel der Natur kann er sich jetzt mit einiger Aussicht flüchten? Eine erreichbare Aussicht ist für ihn nicht mehr vorhanden; eine unerreichbare Aussicht in blassem 286 zweifelhaften Schimmer mag noch immer kommen, aber mehr verwirrend als aufheiternd und beglückend – von Dumouriez her. Wenn auch nicht der abgenutzte Orléans Égalité, so könnte vielleicht der junge nicht abgenutzte Chartres Égalité sich zu einer Art von König erheben. Im Schutze der Bergesspalten, wenn die ein Schutz sind, wird der arme Égalité warten; eine Zuflucht hat er beim Jakobinismus, eine bei Dumouriez und der Gegenrevolution, sind das nicht zwei Aussichten?

Indessen, sein Wesen ist finster geworden, sagt Dame Genlis, traurig anzusehen. Sillery auch, der Genlis Gemahl, der in der Nähe des Berges, nicht auf ihm sich herumtreibt, ist übel dran. Dame Genlis ist dieser Tage von England und Bury St. Edmunds, auf Befehl Égalités mit ihrer jungen Pflegebefohlenen Mademoiselle Égalité nach Raincy gekommen, damit Mademoiselle nicht etwa unter die Emigranten gezählt und darum schief angesehen werde. Aber es entstehen Verwickelungen; die Genlis und ihre Pflegebefohlene finden, daß sie sich nach den Niederlanden zurückziehen und eine Woche oder zwei an der Grenze warten müssen, bis Monseigneur mit Hilfe der Jakobiner die Sache in Ordnung gebracht hat. »Am nächsten Morgen,« sagt Dame Genlis, »reichte mir Monseigneur, finsterer als je, den Arm, um mich an den Wagen zu geleiten. Ich war sehr beunruhigt. Mademoiselle brach in Thränen aus, ihr Vater war blaß und zitterte. Nachdem ich mich gesetzt hatte, blieb er unbeweglich an der Wagenthür stehen, die Augen fest auf mich gerichtet; sein trauriger, schmerzlicher Blick schien um Mitleid zu flehen. ›Adieu, Madame!‹ sagte er. Der veränderte Ton seiner Stimme überwältigte mich völlig; unfähig, ein Wort zu äußern, streckte ich meine Hand aus, er drückte sie mir warm, dann wandte er sich um, trat rasch zu den Postillonen, gab ihnen ein Zeichen, und wir rollten davon.« Genlis, Mémoires (London 1825), IV, 118.

Bei diesem Unfrieden zwischen den beiden Parteien fehlt es nicht an Friedensstiftern, von denen wir ebenfalls zwei nennen; der eine fest auf dem Gipfel des Berges, der andere noch nicht irgendwo niedergelassen: Danton und Barrère. Der erfinderische Barrère, ein alter Konstituant und Journalist aus den Schluchten der Pyrenäen, ist in seiner Weise einer der nützlichsten Männer in diesem Konvent. Wahrheit, meine Freunde, mag auf beiden Seiten sein, auf einer oder 287 auf keiner, ihr müßt geben wie nehmen; im übrigen alles Glück für die siegende Seite! Das ist Barrères Motto. Erfinderisch, beinahe genial, raschen Blicks, geschmeidig, graziös, ein Mann, der sein Glück machen wird. Kaum kann Belial im versammelten Pandämonium gefälliger gewesen sein für Ohr und Auge. Ein unentbehrlicher Mann, von dem man sagen kann, er suche seinesgleichen in der großen Kunst zu überfirnissen. Hat es eine Explosion gegeben, wie es deren viele giebt, eine Verwirrung, etwas Widerwärtiges, wovon keine Zunge sprechen, das kein Auge ansehen mag, so muß Barrère dran, Barrère soll der Kommissionsberichterstatter sein darüber; und ihr werdet sehen, wie es sich verwandelt in eine regelrechte Sache, in die Schönheit und in die Vervollkommnung, die erwünscht war. Wie hätte der Konvent, fragen wir, bestehen können ohne einen solchen Mann? Nennt ihn nicht, wie der übertreibende Mercier es thut, »den größten Lügner in Frankreich,« nein, man kann einwenden, daß nicht so viel Wahrheit in ihm vorhanden, um eine richtige Lüge daraus zu machen. Nennt ihn mit Burke, den Anakreon der Guillotine und einen diesem Konvente nützlichen Mann.

Der andere Friedensstifter, den wir nennen, ist Danton. Frieden, o Frieden miteinander! ruft Danton oft genug. Stehen wir nicht allein, eine kleine Schar von Brüdern, gegen die Welt? Der breite Danton wird vom ganzen Berg geliebt, doch hält man ihn für zu gutmütig, nicht mißtrauisch genug; er hat sich zwischen Dumouriez und viele den General tadelnde Stimmen gestellt, besorgt dafür, daß unser einziger General nicht erbittert werde. Mitten im kreischenden Tumult ertönt Dantons starke Stimme für Einigkeit und Frieden, Zusammenkünfte, gemeinsame Mahle mit den Girondisten werden veranstaltet, es ist ja so dringend nötig, daß man einig sei. Aber die Girondisten sind hochmütig und respektabel, dieser Titane Danton ist kein Mann von Formeln und es liegt auf ihm ein Schatten vom September. »Eure Girondisten haben kein Vertrauen in mich,« dies ist die Antwort, die ein vermittelnder Meillan von ihm erhält; auf alle Einwendungen und Bitten, die dieser vermittelnde Meillan noch vorbringen kann, lautet die wiederholte Antwort Dantons: » Ils n'ont point de confiance.« Mémoires de Meillan, Représentant du Peuple (Paris 1823), p. 51. – Der Tumult wird immer schärfer, wird zur blassen Wut.

288 In der That, welch ein peinlicher Schmerz mag es für ein Girondistenherz sein, dieses erste Aufdämmern einer Möglichkeit, daß der verabscheuliche, unphilosophische, anarchistische Berg am Ende doch triumphieren könnte! Brutale Septembermänner, ein Tallien, von einem fünften Stockwerk her, ein Robespierre, wie Condorcet sagt »ohne eine Idee in seinem Kopfe oder ein Gefühl in seinem Herzen!« Und doch können wir, die Blüte Frankreichs, uns nicht behaupten gegen sie, seht, das Scepter geht von uns, und geht von uns zu denen über. Beredsamkeit, Philosophie, Respektabilität helfen nichts,

»Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens!«

Scharf sind die Klagen Louvets, sein dünnes Wesen ist ganz versauert in Wut und widernatürlichen Verdacht. Zornig ist der junge Barbaroux, zornig und voll Verachtung. Schweigsam, wie eine Königin mit der Natter am Busen, sitzt Rolands Frau da; Rolands Rechnungen sind noch immer nicht geprüft, sein Name ist ein Spitzname geworden. So geht's unter den Wechselfällen des Krieges, besonders aber der Revolution. Der große Schlund der Hölle und des zehnten Augusts öffnete sich durch den Zauber eurer beredten Stimme, und seht nun, er will sich auf euer Wort nicht schließen. Es ist ein gefährlich Ding um solchen Zauber. Des Zauberers Lehrling setzte sich in Besitz des verbotenen Buches und rief einen Geist. » Plaît-il, was ist euer Begehr?« fragte der Geist. Der Lehrling, etwas bestürzt, hieß ihn Wasser holen. Der schnelle Geist holte es, einen Eimer in jeder Hand; doch seht, er wollte nicht aufhören, es zu holen. Verzweifelt schreit ihn der Lehrling an, schlägt ihn, haut ihn entzwei. Da seht, zwei Wasser holende Geister liegen nun dem Geschäfte des Wasserholens ob, und das Haus wird weggeschwemmt werden von einer Deukalionsflut.

 


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