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Fünftes Kapitel.
Blut und Eisen.

In der That ist es ganz etwas anderes als papierne Theorien, es ist Eisen und Kühnheit, was Frankreich jetzt notthut.

Ist nicht die Vendée noch immer hellauf in Brand? Ach, zu buchstäblich; der Schurke Rossignol verbrennt ja sogar die Kornmühlen. General Santerre vermochte dort nichts auszurichten. General Rossignol, in blinder Wut, oft im Rausch, vermag weniger als nichts. Der Aufstand verbreitet sich, wird immer toller. Glücklicherweise sind jene hageren Don Qixote-Gestalten, die wir aus Mainz herausziehen sahen, »verpflichtet, ein Jahr lang nicht gegen die Koalition zu dienen,« nach Paris gelangt, wo sie der Nationalkonvent in Postwagen und andere Fuhrwerke packt und eiligst per Post nach der Vendée sendet. Tapfer streitend in unbekannten Gefechten und Scharmützeln unter dem Schurken Rossignol, ohne Lorbeeren zu ernten, lassen wir sie dort die Republik retten und »allmählich niedergemacht werden bis auf den letzten Mann.« Deux Amis, XI, 147; XIII, 160-192, etc.

Und die Koalition, strömt sie nicht herein wie eine Feuerglut, Preußen durch den geöffneten Nordosten, Österreich, England durch den Nordwesten? General Houchard prosperiert nicht besser dort als General Custine es that. Er mag sich vorsehen. Durch die östlichen und westlichen Pyrenäen ist Spanien anmarschiert, verbreitet sich mit rauschenden Bourbonenbannern über den Süden. Jene Gegend bedeckten schon Asche und Trümmer des verwirrten girondistischen 344 Bürgerkrieges. Marseille ist gedämpft, aber nicht gelöscht; nur in Blut wird dort der Brand gelöscht werden. Toulon, von Schrecken ergriffen, und zu weit gegangen, um umzukehren, hat sich – o himmlische Mächte – den Engländern in die Arme geworfen! Auf dem Arsenal in Toulon weht eine Fahne, nicht das Fleur-de-Lis eines Prätendenten Ludwig, nein, das verdammte St. Georgskreuz der Engländer unter Admiral Hood! Was Frankreich noch von Handelsschiffen, Seearsenalen, Marinewerkstätten, Kriegsflotte übrig geblieben war, hat sich diesen Feinden des Menschengeschlechts, den » ennemis du genre humain« in die Hände geliefert! Belagert Toulon, bombardiert es, ihr Kommissäre Barras, Fréron, Robespierre junior, du General Cartaux, General Dugommier, vor allem du merkenswerter Artilleriemajor Napoleon Buonaparte. Hood befestigt und verproviantiert sich, beabsichtigt, wie es scheint, aus Toulon ein neues Gibraltar zu machen.

Doch seht, welch plötzliche rote Lohe ist's, die da über Lyon aufsteigt, spät in einer der letzten Augustnächte, mit einem Knall, laut genug, um die Welt zu betäuben? Es ist der Pulverturm von Lyon, ja das Arsenal mit vier Pulvertürmen, das beim Bombardement Feuer gefangen hat und in die Luft geflogen ist, »einhundertundsiebzehn Häuser« mit sich zertrümmernd. Mit einem Feuerschein, so meint man, wie die Mittagssonne, mit einem Getöse, kaum schwächer als die Posaunen des jüngsten Tages. Alle lebenden Wesen weit und breit hat es erweckt. Und was für ein Anblick war das, den da das Auge der Geschichte hatte, in plötzlicher nächtlicher Sonnenlohe! Die Dächer des unglücklichen Lyon und all seine Kuppeln und Türme auf einen Augenblick grell beleuchtet, Rhône und Saône deutlich schimmernd, und Höhe und Tiefe, Weiler und Felder und die ganze Gegend ringsum sichtbar – ach, die Hügel alle eskarpiert und contreskarpiert zu Trancheen, Wällen und Redouten, blaue Artilleristen, kleine Pulverteufelchen an ihrem Höllengewebe. Das ist's, was wir sehen in der nicht ambrosischen Nacht. Laßt nächtliches Dunkel es schnell wieder decken, denn es schmerzt unser Auge. Wahrlich, Chaliers Tod kommt die Stadt teuer zu stehen. Konventkommissäre, Lyoner Kongresse sind gekommen und gegangen, und Aktion gab es und Reaktion, Schlimmeres wurde immer schlimmer, bis es nun dahin gekommen ist: Kommissär Dubois-Crancé »mit siebzigtausend Mann und der ganzen Artillerie mehrerer Provinzen« bombardiert Lyon Tag und Nacht.

345 Ärgeres noch steht bevor. Hunger ist in Lyon, und Verderben und Feuer. Verzweifelt sind die Ausfälle der Belagerten; der tapfere Précy, ihr Nationaloberst und Kommandant, thut, was nur der Mensch vermag. Es wird verzweifelt gekämpft, doch vergebens. Alle Lebensmittel sind abgeschnitten, nichts dringt in unsere Stadt, als Feuer und Kugeln. Das Arsenal ist brüllend in die Luft geflogen, sogar das Spital wird in Trümmer geschossen werden und die Kranken werden lebendig begraben unter ihnen. Es hing eine schwarze Fahne an diesem Gebäude der edeln Barmherzigkeit, um das Mitleid der Belagerer flehend; denn wenn auch rasend, waren sie nicht doch unsere Brüder? In ihrer blinden Wut hielten sie die schwarze Fahne für ein Zeichen der Herausforderung und zielten um so mehr dorthin. Schlimmes wird immer schlimmer hier, und wie wird das Schlimmere enden, ehe es zum Schlimmsten gekommen ist? Der Kommissär Dubois will auf kein Flehen, auf kein Reden hören, außer auf dies allein: Wir ergeben uns auf Gnade oder Ungnade. Es giebt in Lyon unterdrückte Jakobiner, herrschende Girondisten, geheime Royalisten. Und nun, wo tauber Wahnsinn und Kanonenfeuer die verzweifelte Munizipalität umschließen, wird sie da nicht zuletzt sich dem Royalismus in die Arme werfen? Die Majestät von Sardinien sollte Hilfe bringen, doch es mißlang. Der Emigrant d'Autichamp kommt im Namen der zwei prätendierenden königlichen Hoheiten durch die Schweiz mit Hilfe; er kommt, ist noch nicht gekommen. Précy hißt das Fleur de Lis!

Bei diesem Anblick werfen alle wahren Girondisten voll Traurigkeit die Waffen nieder: So sollen denn unsere trikoloren Brüder uns mit Sturm nehmen und uns in ihrem Zorne erschlagen, mit euch wollen wir nicht siegen. Die verhungernden Weiber und Kinder werden hinausgeschickt; der taube Dubois sendet sie wieder zurück, läßt seinen Kugelregen wie Feuer und reinen Wahnsinn weiterwüten. Unsere »Redouten von Banmwollsäcken« werden genommen und wiedergewonnen; Précy unter seinem Fleur de Lis ist tapfer wie die Verzweiflung. Was wird aus Lyon werden? Es ist eine Belagerung von siebzig Tagen. Deux Amis, XI, 80-143.

In diesen selben Wochen aber sehen wir fern auf westlichen Gewässern und nach der Bucht von Biscaya gerichtet ein schmutziges, dunkles, kleines Kauffahrteischiff, von einem 346 schottischen Schiffer geführt. Unter seinen Luken sitzt trostlos – der letzte verlassene Kern des Girondismus, die Deputierten, die wir in Quimper verließen! Mehrere haben sich zerstreut, wohin sie nur immer konnten. Der arme Riouffe geriet in die Krallen des Revolutionskomitees und in ein Pariser Gefängnis. Der Rest sitzt hier unter den Luken, der ehrwürdige Pétion mit seinem grauen Haar, der zornige Buzot, der argwöhnische Louvet, der wackere junge Barbaroux und andere. In diesem elenden Fahrzeug sind sie aus Quimper entkommen, schaukeln jetzt umher, bedroht von den Wellen, bedroht von den Engländern, bedroht noch viel mehr von den Franzosen; von Himmel und Erde verbannt in den schmierigen Bauch von dieses schottischen Schiffers Kauffahrer, von der atlantischen Wasserwüste umtost. Sie wollen nach Bordeaux, für den Fall, daß dort noch Hoffnung für sie schimmert. O, nicht nach Bordeaux, Freunde! Blutige Konventsrepräsentanten, ein Tallien und seinesgleichen, sind dort angekommen mit ihren Edikten, mit ihrer Guillotine; Respektabilität ist in Schlupfwinkeln vertrieben, Jakobinismus sitzt auf hohem Pferde. Vom Landungsplatze Réole oder der Landspitze von Ambès, wie man will, von dort winkt euch der blasse Tod mit seinem scharfen Revolutionsschwerte, winkt euch anderswohin!

Auf der einen oder der andern Seite jener Landspitze von Ambès legt der schottische Schiffer, ein gewandter schmieriger Mann, sein Schiff mit Mühe vor Anker, setzt mit Mühe seine Girondisten ans Land, die, nachdem sie das Terrain rekognosciert haben, sich schleunigst in die Erde verkriechen müssen; und so, unterirdischerweise, in Freundes Hinterkämmerchen, in Kellern, Scheunen, in den Höhlen von Saint-Emilion und Libourne, den grausamen Tod abwehren. Louvet, p. 180-199. Ihr unglücklichsten aller Senatoren!

 


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