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Viertes Kapitel.
Kein Zucker.

Die geschilderten Unruhen sind diejenigen, die man in den Städten des Südens sieht. Unruhen giebt es, gesehen oder nicht gesehen, in allen Städten und Distrikten, im Norden sowohl wie im Süden. Denn in allen giebt es mehr oder weniger bösartige Aristokraten, vom Patriotismus überwacht, der zudem noch, da er vom hellen Lafayette-Feuillant abwärts bis zum tief düstern Jakobiner so verschiedenfarbig ist, sich selbst überwachen muß.

Die Direktorien der Departemente, die von einer zu »aktiven« Klasse von Bürgern gewählt werden, ziehen den Wagen nach dieser, Municipalräte, Stadtmagistrate, ziehen ihn nach jener Richtung hin. Allerorten giebt es auch Dissidenten-Priester, mit denen die Legislative zu schaffen haben wird, widerspenstige Individuen, die die grimmigste aller Leidenschaften anfachen, komplottieren, für Koblenz werben oder des Komplottierens verdächtig sind. Da ist ein Heizmaterial für eine allgemeine unkonstitutionelle Glut. Was soll man mit ihnen anfangen? Sie mögen gewissenhaft sein sowohl wie widerspenstig, so daß man doch milde mit ihnen verfahren 72 sollte, aber schnell muß es sein. In der unaufgeklärten Vendée ist das einfältige Volk wohl zu verführen durch sie, schon schüttelt mancher einfältige, wie Cathelineau der Wollhändler nachdenklich mit seinen Wollsäcken in diesen Weilern herumziehende Bauer zweifelhaft den Kopf! Zwei Kommissäre der Nationalversammlung gingen letzten Herbst dorthin, der bedächtige, damals noch nicht zum Senator gewählte Gensonné und Gallois, ein Zeitungsredakteur. Diese beiden, die sich mit General Dumouriez berieten, sprachen und wirkten milde und einsichtig; sie haben für den Augenblick die Aufregung beschwichtigt und einen milden Bericht abgestattet.

Der General selber, der ein tüchtiger Mann ist, zweifelt nicht im mindesten, daß er den Frieden dort werde erhalten können. Er verlebt diese kalten Monate dort unter den freundlichen Leuten von Niort, bewohnt »ziemlich hübsche Zimmer im Schlosse von Niort« und besänftigt die Gemüter. Dumouriez, II, 129. Warum giebt es nur einen Dumouriez? Anderswo, im Süden und im Norden, findet man nur ungezügelten, düstern Hader, der von Zeit zu Zeit immer wieder in offenen, lärmenden Aufruhr ausbricht. Das südliche Perpignan hat sein Sturmläuten bei Fackellicht, Zusammenrotten und Ueberfall; das nördliche Caen hat's nicht weniger bei Tageslicht, Aristokraten stehen unter Waffen an den Andachtsorten, ein departementales Beilegen der Sache erweist sich als unmöglich, sie bricht los mit Gewehrfeuer, und ein Komplott wird offenbar! Histoire parlementaire, XII, 131, 141; XIII, 114, 417. Dazu kommt der Hunger. Denn Brot, das immer teuer gewesen, wird noch teurer. Zucker kann man nicht einmal bekommen, aus guten Gründen. Der arme Simoneau, der Maire von Etampes in dieser nördlichen Gegend, der bei einem Getreideaufruhr seine rote Fahne aushängt, wird vom hungrigen, erbitterten Volke zu Tode getreten. Welch ein Amt in diesen Zeiten, das eines Maire! Der Maire von Saint-Denis an die Laterne gehängt, infolge Argwohn und schlechter Verdauung, wie wir vor langem sahen; der Maire von Vaison, wie wir kürzlich sahen, begraben, bevor er tot war; und nun dieser arme Simoneau, der Gerber, von Etampes, – den der gesetzliche Konstitutionalismus nicht vergessen wird.

Durch Aufruhr, Argwohn, Mangel an Brot und Zucker ist das arme Land, Frankreich und alles was französisch ist, wahrhaft, wie sie es nennen, déchiré, zerrissen. Denn auch 73 übers Meer her kommen schlechte Neuigkeiten. Vor jenem vielfarbigen Schimmer und den Champs Élysées zur Feier der angenommenen Konstitution, hatte sich ein ganz anderer bunter Schimmer und nächtlicher Feuerschein entzündet und hatte gleichzeitig gebrannt; hätten wir's nur gewußt! Es war der Feuerbrand im St. Domingo der Schwarzen, von Melassen und Liqueuren, von Zuckersiedereien, Plantagen, Geräten, Vieh und Menschen, der himmelhoch aufflammte, die Ebene am Cap français ein ungeheuerer Wirbel von Rauch und Flammen!

Welch ein Wechsel hier in diesen zwei Jahren, seit jene erste »Kiste mit trikoloren Kokarden« das Zollamt passierte, und selbst schwerblütige Kreolen frohlockten, daß eine Bastille dem Erdboden gleich gemacht sei. Dies Gleichmachen ist ganz angenehm, wie wir alle wissen; doch nur herunter bis auf unsre eigene Höhe. Die mattweißen Kreolen haben ihre Beschwerden, – und die gelben Mestizen auch? Und die dunkelgelben Mulatten? Und die kohlschwarzen Sklaven? Der Mestize Ogé, ein Freund unserer Pariser Brissotistischen Negerfreunde, fühlte seinerseits, daß Aufstand die heiligste aller Pflichten sei. Die trikoloren Kokarden hatten daher kaum drei Monate auf den Hüten der Kreolen geprangt, so stiegen Ogés Signalfeuer in die Höhe mit Stimmen der Wut und des Schreckens. Unterdrückt und zum Tode verurteilt, nahm dieser Ogé schwarzes Pulver oder schwarze Samenkörner in die hohle Hand, sprenkelte eine dünne Schicht weißer Körner oben darauf und sagte zu seinen Richtern: »Seht, sie sind weiß;« dann schüttelte er die Hand und sagte: »Wo sind die weißen, où sont les blancs?«

So sieht man denn im Herbst 1791, von oben aufs Cap français herabblickend, dicke Rauchwolken den Horizont umziehen, Rauch bei Tage, Feuer bei Nacht, dem das Jammergeschrei flüchtender weißer Weiber, und Schrecken und schreckliche Gerüchte voraneilen. Schwarze von Dämonen besessene Scharen morden und plündern mit namenloser Grausamkeit. Sie kämpfen und feuern »aus Dickicht und Hecken«, denn der schwarze Mann liebt den Busch, sie stürzen nach Tausenden zum Angriff vor mit geschwungenen Messern und Gewehren, unter Springen, Jauchzen und Geschrei, das jedoch, so die Kompagnie der weißen Freiwilligen standhält, sich bei der ersten Salve, vielleicht noch früher, in Wanken, in ein schnelles aufgeregtes Schwatzen, und in panische Flucht verwandelt. Deux Amis, X, 157. 74 Den armen Ogé konnte man rädern, auch dieser Feuersturm kann gedämpft, in die Berge vertrieben werden; aber San Domingo ist geschüttelt wie Ogés Samenkörner und weiteren Erschütterungen ausgesetzt; sich windend in langen, gräßlichen Todeswehen, bleibt es schwarz, bleibt als afrikanisches Haïti eine Warnung für die Welt.

Nun, meine Pariser Freunde, ist nicht dies, so gut wie Aufkäufer und Feuillants-Verschwörer, eine Ursache der erstaunlichen Teuerung des Zuckers? Der Krämer sieht mit klopfendem Herzen, mit hängender Lippe, seinen Zucker taxiert, abgewogen von weiblichen Patrioten zu augenblicklichem Verkauf, zum ungenügenden Preis von 25 Sous das Pfund. »Wie, wenn man sich des Zuckers enthielte?« Freilich, ihr patriotischen Sektionen, all ihr Jakobiner, enthaltet euch! So raten Louvet und Collot-d'Herbois, entschlossen, dies Opfer zu bringen. Doch, »was sollen Litteraten anfangen ohne Kaffee?« Fluchet, aber enthaltet euch, das ist das beste! Débats des Jacobins (Histoire parlementaire, XIII, 171, 192-198).

Muß nicht auch aus dem gleichen Grunde Brest und das Interesse der Schiffahrt in Mitleidenschaft gezogen werden? Das arme Brest leidet, trauernd, nicht ohne Unzufriedenheit zu zeigen, sich zu beklagen über den Aristokraten Bertrand de Moleville, den »verräterischen aristokratischen Marineminister.« Liegen nicht Brests und des Königs Schiffe Stück um Stück verfaulend im Hafen, sind nicht die meisten Seeoffiziere geflohen oder gar auf Urlaub, mit ihrem Solde dazu? Nichts regt sich mehr, man rechne denn die Galeeren von Brest mit ihren peitschengetriebenen Galeerensklaven, – ach, mit einigen vierzig der unglücklichen Schweizersoldaten vom Château-Vieux darunter! Diese vierzig Schweizer, denen Nancy zu wohl im Gedächtnis, ziehen jetzt traurig am Ruder in ihren roten, wollenen Mützen, schauen in die Wellen des atlantischen Oceans, die ihnen nur ihre eigenen traurigen, rauhen Gesichter zeigen, und scheinen von aller Hoffnung ausgeschlossen.

Aber, im ganzen betrachtet, sollte man nicht sagen, daß die französische Konstitution, die, bildlich gesprochen, gehen soll, sehr rheumatisch ist, voll stechender innerer Schmerzen, in Gelenken und Muskeln, und daß sie nicht marschiert ohne große Schwierigkeiten? 75

 


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