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Der Ritt ins Unbekannte

Es war noch finster, als Mr. Morison Baynes im Lager aufbrach, um auf jeden Fall rechtzeitig zur Stelle zu sein. Er hatte daraus bestanden, daß ein Führer mitgegeben würde, weil er – wie er angab – die kleine Lichtung in der Dschungel kaum allein wiederfinden würde. In Wirklichkeit brachte er aber nur den Mut nicht auf, sich allein in die dunkle Dschungel zu wagen. Der Schwarze ging zu Fuß voran ... und über den beiden folgte ungesehen Korak, den die Frühaufsteher unten im Lager munter gemacht hatten.

Um 9 Uhr war Baynes am Treffpunkt auf der Lichtung. Von Meriem keine Spur. Der Schwarze warf sich ins Gras und holte den abgebrochenen Schlaf nach. Baynes lehnte sich nur im Sattel zurück, während sich Korak oben auf breitem Ast wieder so einrichtete, daß er alles genau beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Eine ganze Stunde war schon vergangen. Baynes wurde von Minute zu Minute nervöser. Korak war befriedigt. Er hatte bald gemerkt, daß der junge Engländer auf jemanden wartete. Auf wen, darüber konnte kein Zweifel sein, und er freute sich im stillen, daß er das klettergewandte Mädchen, das in ihm die Erinnerung an Meriem so deutlich hatte wiederaufleben lassen, nun auch bei Tageslicht zu sehen bekommen würde.

Da ... er hörte den Hufschlag eines Pferdes. Sie kam also! Noch ehe Baynes es sich versah, brach ihr Pony durch die dichte Blätterwand jenseits der Lichtung, und Meriem trabte heran. Baynes gab seinem Pferde die Sporen.

Korak blickte scharf zu ihr hinüber. Schade, der große breitkrempige Hut beschattete ihre Augen. Er sah, wie der Engländer ihre Hände nahm und wie er das Mädchen an seine Brust zog. Sein Gesicht verschwand fast unter ihrem Hut – aha, Korak konnte sich schon denken ... Küssen – es gab ihm einen scharfen Stich ins Herz, er mußte an einst denken und schloß die Augen, als könne er so die Bitternis verscheuchen, die ihm das Glück der beiden schuf.

Als er wieder aufblickte, hielten die beiden dicht nebeneinander im Sattel und schienen Wichtiges zu besprechen. Der Engländer gab sich große Mühe, ihr irgendetwas begreiflich zu machen; das Mädchen wollte aber offenbar nicht auf seine Vorschläge eingehen. Korak schloß ihre ablehnende Haltung aus ihrem Kopfschütteln und den anderen Gesten, die ihn übrigens wieder auffallend an seine Meriem erinnerten. Das Kinn ... als ob es seine einstige Gefährtin vom Baumhaus wäre.

Die beiden schwiegen. Der junge Engländer schloß das Mädchen abermals in seine Arme und küßte sie. Zum Abschied, wie es schien, denn er konnte sich kaum von ihr trennen. Doch dann gab sie ihrem Pferd die Sporen und sprengte davon. Der Engländer blickte ihr traumverloren nach. Gleich mußte die grüne Wand sich wie ein Vorhang hinter ihr schließen.

Heute abend also auf Wiedersehen! rief sie mit heller Stimme und warf ihren Kopf noch einmal lachend herum; Korak konnte jetzt zum ersten Male ihre Augen leuchten sehen ... Er war starr vor Entzücken und Verblüffung, als habe ihn Amors Pfeil ins Herz getroffen. Er zitterte wie Espenlaub, er preßte seine Hände vor die Augen ... Sah er denn recht oder narrte ihn ein Phantom ...? Als er die Augen wieder aufschlug, war das Mädchen verschwunden. Nur die Zweige am Dschungelsaum drüben schwankten noch da, wo sie sich eben ihren Weg gebahnt hatte.

Unmöglich ... und doch ... Er hatte seine Meriem mit eigenen Augen gesehen! Ein wenig reifer, ein wenig erwachsener, feiner und noch weicher und schöner in ihrer Jugend. Und im Grunde doch seine kleine Meriem, leibhaftig am Leben. Wieder am Leben? Sie lebte? War nicht tot? Er hatte ihr in die Augen geschaut ... sie war es, mußte es sein.

Meriem ... und in den Armen eines anderen? Korak, der Töter, liebäugelte mit seinem schweren Speer. Der Verführer, der Rivale saß doch da unten. Wie ...? Zerschmettern oder ..? Seine Finger nestelten nervös an dem Wurfseil herum, das ihm über die Schultern hing.

Der Fremde unten rief dem Schwarzen zu, er solle aufstehen. Dann zogen die beiden nach Norden ab.

Korak, der Töter, hockte noch immer allein mitten im dichten Geäst. Seine Hände hingen jetzt schlaff nach unten. Vergessen war, was eben noch jäh sein Hirn durchjagt hatte. Meriem war verändert, nicht sehr, aber es war ihm doch gleich aufgefallen. Als er sie zuletzt gesehen, war sie ja noch die kleine halbnackte Mangani gewesen. Wild, urwüchsig, und – das hatte er damals nicht gefunden, es war ihm jetzt erst zu Bewußtsein gekommen – nicht so gepflegt, nicht so beherrscht und im Bewußtsein ihrer Reize, nicht so gekleidet.

Die alte Liebe brannte noch in ihm, ja sie loderte auf in verzehrender Eifersucht auf diesen eleganten jungen Engländer, der sie in die Arme nahm und ... Was hatte dieser Mensch eigentlich vor? Ob er sie auch wirklich liebte? Aber wer brachte es fertig, sie nicht gern zu haben! Und sie selbst liebte den Engländer auch. Das ließ sich nicht leugnen. Sie würde ihn sonst von sich gestoßen haben, als er sie in die Arme schloß.

Seine Meriem hatte ihr Herz einem anderen geschenkt! Unfaßlich – und doch fühlte er, daß es so sein mußte. Je mehr er grübelte, um so deutlicher stand ihm diese Tatsache in ihrer ganzen Höllenqual vor Augen. Aber er war ein Mann. Es hieß, das Weitere bedenken und handeln. Eine Stimme in seinem Innern schrie: Rasch, spring ihm nach und vernichte ihn! Aber dann sprach sein Gewissen immer wieder: Sie liebt ihn. Kannst du ihr den Geliebten nehmen?

Er schüttelte betrübt den Kopf. Nein, das mochte er ihr nicht antun. Er schwankte. Ihr selbst vielleicht folgen, mit ihr reden? Er schwang sich weiter. Doch schon beim übernächsten Baum stockte er. Nackt, in diesem Aufzug? Er schämte sich. Er, der Sohn eines britischen Lords, mußte sich schämen, dem Mädchen zu nahen, für das sein Herz schlug, mochte es nicht wagen, ihr seine Liebe zu Füßen zu legen, weil er sein hoffnungsvolles Leben gleichsam weggeworfen und sich selbst zum Tier erniedrigt hatte. Er schämte sich, dem kleinen Arabermädchen, das einst seine sonnige Dschungelgefährtin gewesen, so unter die Augen zu treten; denn was konnte er ihr überhaupt bieten?

Vor Jahren hatte es das Schicksal nicht gewollt, daß er zu Vater und Mutter heimkehrte. Dann waren Stolz und Abenteuerlust mächtiger geworden und hatten die letzten Spuren seiner Heimatsehnsucht getilgt. Er war dem Affen in die berauschende Dschungelfreiheit gefolgt und dort gleichsam – ertrunken. Das Unglück im Küstenhotel und die Angst vor dem rächenden Arm des Gesetzes hatten sein junges Gemüt in die Enge getrieben, er hatte nicht aus noch ein gewußt und so sich lieber ins Reich des Unbekannten gestürzt. Weiße und Schwarze waren ihm wie Dämonen begegnet, als er ihre Freundschaft suchte, und diese bitteren Erfahrungen hatten sich seinem damals noch viel empfänglicheren Gemüt tief eingeprägt. Er war so zu der Auffassung gekommen, daß alle Menschen sich zu ihm feindlich stellten, und als ihm dann das Glück in Meriem die frohe Gespielin schenkte, vermißte er nichts mehr von dem, wonach er sich in den ersten Wochen seiner einsamen Dschungelzeit gesehnt.

Und als man ihm seine Meriem dann nahm, war er erschüttert und im stillen schwor er sich, nie wieder etwas mit Menschen zu tun haben zu wollen. Der Würfel war mit diesem Schicksalsschlag ein für alle Male gefallen. Kraft seines eigenen Willensentschlusses war er zum Dschungeltier geworden. Er hatte wie ein Tier gelebt, und als Tier wollte er auch sterben. Jetzt, wo es zu spät war, bedauerte er diese Entwicklung. Meriem lebte, aber es war ihm jetzt vorgekommen, als gehöre sie in eine andere Welt, von der er immer ausgeschlossen bleiben müsse. Wäre sie jetzt tot, sie wäre ihm ebenso fern, denn sie liebte ja einen anderen, einen von ihrer Art.

Korak gestand sich ein, daß sie recht daran tat. Sie paßte nicht mehr für ihn, für den nackten wilden Affen. Nein, sie durfte ihn unter diesen Umständen nicht lieben, aber er würde nicht anders können, als für sie durchs Feuer zu gehen. Konnte er sie nicht mehr sein eigen nennen – gut, dann wollte er wenigstens alles tun, was in seinen Kräften stand, damit sie mit dem Geliebten ihres Herzens wirklich glücklich würde. Er würde dem Engländer folgen und bei nächster Gelegenheit schon sehen, ob er Meriem so behandelte, wie sie es verdiente. Er würde seine Eifersucht meistern, aber er würde über diesem Manne wachen und ihn prüfen. Und Gnade ihm, wenn er Böses im Schilde führte! –

Korak war Meriem nicht gefolgt, nachdem er sich über seine weiteren Schritte klar geworden war. Er wußte, daß sie von Süden, her gekommen und wieder nach Süden weggeritten war. Irgendwo dort unten mußte sie eine Zufluchtsstätte gefunden haben, und da er von ihr nicht erkannt sein wollte, was drüben auf der Ebene unvermeidlich war, hielt er es für bester, mit dem jungen Engländer in Fühlung zu bleiben.

Es wird dem Leser sicher unwahrscheinlich vorkommen, wie Korak diesen Mr. Morison, nachdem er ihm einen so großen Vorsprung gelassen hatte, in der Wirrnis der Dschungel überhaupt wieder einholen konnte. Allein Korak war seiner Sache sicher. Es war doch anzunehmen, daß der Weiße seinem Lager wieder zustrebte, und wäre dies nicht der Fall gewesen, würde der »Töter« in den Spuren des Pferdes und des schwarzen Begleiters genug Anhaltspunkte gefunden haben, selbst wenn er erst nach Tagen die Verfolgung aufgenommen hätte. Es war gerade so gut, als sähe er sie leibhastig vor sich. Und so erreichte er denn nur wenige Minuten nach Morisons Ankunft das Lager und nistete sich sofort wieder in aller Heimlichkeit oben in einem Baume ein. –

Die Dämmerung war schon hereingebrochen, doch der junge Engländer traf noch immer keine Anstalten, sich wieder nach der Lichtung auf den Weg zu machen. Korak kam das sonderbar vor. Oder sollte Meriem etwa allein bis hierher reiten?

Nach einer Weile verließ Hanson zu Pferde mit einem Schwarzen das Lager. Korak nahm keine besondere Notiz davon. Es konnte ihm gleich sein, was die anderen sich vornahmen. Hauptsache war, daß er auf den jungen Engländer aufpaßte.

Es war jetzt Nacht, und der Engländer blieb noch immer da. Er ließ sich sein Abendessen auftragen und rauchte dann eine Zigarette nach der anderen, während er vor seinem Zelte auf und ab ging. Ein Schwarzer hatte zu tun, daß er das Lagerfeuer nur immer auf der von dem Engländer gewünschten Höhe hielt.

Der Löwe meldete sich ganz in der Ferne, und augenblicklich stürzte der Weiße ins Zelt und tauchte mit einem Schnellfeuergewehr wieder auf. Das erste war, daß er dem Schwarzen zu verstehen gab, er solle das Feuer hellauf lodern lassen. Korak lächelte höhnisch, wie er den Mann so zum Feigling werden sah. Und dieser Angsthase sollte ihm Meriems Herz entrissen haben? Das war doch kein Mann, wenn er schon zitterte, weil Numa irgendwo seinen Rachen aufsperrte! Und dieser »Held« sollte Meriem in den zahllosen Gefahren der Dschungel schützen können? Ach so ... da war es ja. Sie wollten sich drüben in Europa ihr Nest bauen. Und dort liefen ja genug Männer in Uniform herum, die für Sicherheit zu sorgen hatten. Wozu brauchte ein Großstädter tapfer zu sein, wenn er seine Frau beschützen wollte? Und wieder zuckte ein verächtliches Lächeln um Koraks Mund. –

Hanson und der Schwarze waren geradenwegs nach der Lichtung geritten, wo dieser zurückgelassen wurde, während Hanson mit den beiden Pferden noch bis zum Dschungelrand vordrang. Dort wartete er. Gegen 9 Uhr sah er jemanden von der Ebene her im Galopp heransprengen. Der Richtung nach mußte sie es sein. Nach wenigen Minuten war sie auch tatsächlich zur Stelle, aufgeregt und sichtlich verwirrt, ja erschrocken, als sie Hanson statt des Geliebten gewahrte.

Mr. Baynes hat sich den Fuß verletzt, das heißt, sein Pferd schlug aus und ..., beeilte sich Hanson zu erklären. Er konnte beim besten Willen nicht selbst kommen und bat mich deshalb, Sie zu ihm zu geleiten.

Dem Mädchen blieb der triumphierende Zug in Hansons Gesicht verborgen, da die Schatten der Dschungel ringsum alles gleichsam in Schleier hüllten.

Übrigens ... wir haben keine Zeit zu versäumen. Miß Meriem, fuhr Hanson fort. Müssen uns sogar gehörig dazuhalten, wenn wir nicht ertappt werden wollen.

Ist es schlimm mit der Verletzung? fragte Meriem besorgt.

Das nicht gerade, meinte Hanson. Er kann schon noch reiten. Aber wir dachten beide, es sei doch besser, wenn er die Nacht über läge und sich schonte. Wir werden in den nächsten paar Wochen einen scharfen Ritt haben.

Ja! nickte das Mädchen.

Hanson riß sein Pferd herum und Meriem folgte ihm. Sie ritten etwa eine Meile am Dschungelsaum entlang und wandten sich dann scharf nach Westen. Meriem gab wenig auf die Richtung acht, da sie Hanson vertraute und ohnehin nicht genau wußte, wo das Waldlager eigentlich war. Sie konnte natürlich nicht wissen, daß er sie gar nicht dorthin führen wollte. Die ganze Nacht über saß man im Sattel, und erst gegen Morgen wurde eine kurze Frühstücksrast gemacht. Aber man hatte nicht die rechte Ruhe und trabte alsbald eilig weiter.

Die Sonne brannte in den Mittagsstunden glühend heiß hernieder, und so hielt Hanson es doch für zweckmäßig, eine längere Rast einzuschieben.

Wir wollen uns hier ein paar Stunden Schlaf gönnen, meinte er. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß Ihr Lager so weit weg liegt, antwortete Meriem kopfschüttelnd.

Das glaube ich schon, Miß Meriem. Ich habe aber dort Befehl hinterlassen, bei Morgengrauen abzumarschieren, um unseren Vorsprung noch mehr zu vergrößern. Ich konnte mir doch denken, daß wir beide den großen schwerfälligen Zug mit den schwerbeladenen Trägern leicht einholen. Morgen wird es übrigens soweit sein, wenn wir uns dazuhalten.

Man ritt indessen die halbe Nacht durch, und auch am folgenden Tage war nichts von den Safari zu sehen. Meriem hatte genug Dschungelerfahrungen und sagte sich oft wieder, daß hier tagelang niemand durchgekommen sein konnte. Ab und zu stieß man auf Menschenspuren, aber die waren alt, sehr alt. Meistens hielt man sich an eine Elefantenfährte, die den hier ziemlich lichten Wald kreuzte und kam dabei jetzt rascher vorwärts als am ersten Tage.

Schließlich schöpfte Meriem aber doch ernstlichen Verdacht, daß ihr Begleiter ihr irgend etwas verheimlicht hatte. Von Stunde zu Stunde änderte sich nämlich Hansons ganzes Benehmen, ja ihr fiel auf, daß er sie oft mit den Blicken geradezu verschlang, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Sie hatte auch mit einem Male wieder die Empfindung, als müsse sie diesem Menschen irgendwo früher schon begegnet sein. Er war jetzt ein paar Tage nicht rasiert, und überall im Gesicht begann das blonde Barthaar üppig zu sprossen. Das verstärkte nur ihre wachsende Abneigung, doch wollte sie es noch nicht zu einer Auseinandersetzung kommen lassen.

Indessen im Laufe des zweiten Tages konnte sie damit nicht mehr hinter dem Berge halten. Nein, das war ihr denn doch außer dem Spaß. Sie weigerte sich plötzlich, weiterzureiten, wenn er ihr nun nicht definitiv die wahren Zusammenhänge erklärte. Hanson suchte sie damit zu beruhigen, daß er angab, es könne sich nun nur noch um ein paar Meilen handeln, und sie werde doch nicht kurz vor dem Ziele schlapp machen wollen.

Wir hätten sie schon gestern einholen sollen, schloß er. Sie müssen aber doch merklich rascher vorwärtsgekommen sein, als ich es für möglich gehalten hätte.

Aber bitte, Mr. Hanson! Ihre Leute sind überhaupt nicht hier marschiert. Die Spuren sind ja Wochen alt.

Hanson lachte auf.

O, das kann doch gar nicht sein! Oder ... Er blickte bestürzt nach unten. Warum haben Sie mir das denn nicht längst schon gesagt? Ich hätte Ihnen leicht die Kopfschmerzen ersparen können. Wir sind natürlich nicht auf demselben Weg. Das ist doch klar. Aber wir müssen alle Augenblicke die frischen Spuren kreuzen, und dann ist das letzte Stück ein Kinderspiel. Wenn wir sie nicht überhaupt gleich treffen.

Die feingesponnene Ausrede hatte das eine Gute, daß Meriem jetzt endlich felsenfest davon überzeugt war: der Mann log. Man müßte doch ein Narr sein, solche lächerliche Erklärungen zu glauben! Wie sollte man die anderen überhaupt einholen können, noch dazu, wie er versicherte, gleich in der nächsten halben Stunde, wenn man nun schon zum zehnten Male nach »höchstens« acht bis neun Meilen auf ihre Spur kam?

Die Erbitterung über diese unerhörte Frechheit wuchs bei ihr von Sekunde zu Sekunde, und doch hieß es sich bezwingen. Im stillen erwog sie, wie sie diesem falschen Menschen am besten einen Strich durch die Rechnung machen könne. Die einzige Möglichkeit lag zweifellos in der Flucht. Sie wollte schon dafür sorgen, daß sie ihm bei nächster Gelegenheit durchgehen konnte, und behielt ihn scharf im Auge.

Verblüffend immer wieder die Ähnlichkeit dieses Unbekannten mit einem, den sie früher einmal gesehen haben mußte. Aber wo? Und wann und bei welcher Gelegenheit war ihr dieser Hanson schon über den Weg gelaufen, ehe er ihr in Bwanas Farm vorgestellt wurde? Sie ließ die weißen Männer, die sie bisher gesehen, einen nach dem anderen vor ihrem Inneren vorübergleiten. Es waren ja gar nicht einmal viele, und einige waren ihr damals im Dorfe ihres Vaters zu Gesicht gekommen. Ah ... war es der? Natürlich ... sie sah ihn noch stehen ...

Doch im Handumdrehen war diese blitzartig emporgeschossene Erinnerung wieder unter die Schwelle des Bewußtseins gesunken. –

Am Nachmittag trat dann das Unerwartete ein. Die Dschungel öffnete sich: Vor ihnen lag ein breiter, träge dahinfließender Strom und drüben auf dem anderen Ufer ... das rings von einem dichten Dornenzaun umgebene Zeltlager!

Da wären wir also endlich! meinte Hanson mit einer gewissen Selbstverständlichkeit im Ton. Er nahm seinen Revolver und feuerte einige Schüsse in die Luft. Sofort wimmelte es drüben im Lager wie in einem Ameisenhaufen. Schwarze rannten zum Ufer, Hanson schrie ihnen etwas zu, aber von Mr. Morison Baynes war nichts zu sehen.

Die Schwarzen folgten augenblicklich dem Befehl ihres Herrn, machten ein Boot flott und ruderten herüber. Meriem stieg ein, Hanson ihr nach. Bei den Pferden wurden zwei Schwarze zurückgelassen, die dann, wenn das Boot zurückkam und sie holte, die Pferde hinüberschwimmen lassen sollten.

Die erste Frage Meriems im Lager galt Baynes. Ihre Befürchtungen waren mit einem Male wie weggeblasen, nachdem Hanson mit seinen Vertröstungen von Mittag wenigstens einigermaßen bei der Wahrheit geblieben zu sein schien. Hanson zeigte nach dem für sich stehenden Zelt in der Mitte des Lagerplatzes.

Dort, Miß Meriem! Ich gehe gleich voran.

Am Eingang machte er ihr höflich Platz und schlug den Vorhang zurück, damit sie bequem eintreten könne. Meriem ging, frisch und elastisch ... doch drinnen war ... niemand. Außer Hanson, der ihr mit einem spöttischen Lächeln dicht auf dem Fuße gefolgt war. Sie wandte sich kurz um.

Wo ist nun Mr. Baynes?

Hier nicht, soviel ich wenigstens zu bemerken glaube. Oder haben Sie ihn vielleicht entdeckt? Aber ich bin hier, ich bin tausendmal mehr wert als dieser – Trottel. Sie brauchen sich nicht die Augen nach ihm auszuweinen – Sie haben es nur mit meiner Wenigkeit zu tun!


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