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Der »Mann von Welt« in Afrika

Meriem kletterte langsam nach ihrem Lieblingssitz in den Bäumen zurück, um dort Rock, Schuhe und Strümpfe wieder an sich zu nehmen. Sie sang lustig vor sich hin ... doch was war das? Ihr Baum, ja ... aber was wollten die Paviane dort?

Als sie noch ein Stück näher heran war, wußte sie genug. Die Affen balgten und rauften sich gröhlend um den in ihren Augen sonderbaren Fund. Jetzt hatte man sie entdeckt. Oho, man fürchtete sich nicht vor dieser allein daherkommenden schwachen Tarmangani und zeigte brummend die Zähne.

*

In der Ebene diesseits des Waldes waren die Herrenjäger auf dem Rückweg von einer Streife. Man ritt in größerem Abstand nebeneinander her, weil man unterwegs vielleicht doch noch einen Löwen aufstöbern konnte.

Mr. Morison Baynes war am weitesten links und hatte so den Wald am nächsten. Er ließ seine Augen beständig über die weite wogende Grasfläche und hinter die hier und da verstreuten Büsche schweifen, um auf jeden Fall vor einer Überraschung gesichert zu sein.

Mit einem Male glaubte er drüben am Dschungelrand etwas Verdächtiges erkannt zu haben. Ein Raubtier oder ... Er war noch zu weit weg, um mit seinem ungeübten Auge das Rätsel ohne weiteres lösen zu können, und gab daher seinem Pferde die Sporen. Doch als er näher herangekommen war, und das »Raubtier« sich als ein harmloses Pferd herausstellte, wollte er halb ärgerlich wieder abbiegen. Da fiel ihm der leere Sattel auf dem Rücken des Tieres auf. Er ritt also doch näher und beschloß, der Sache völlig auf den Grund zu gehen. Donnerwetter, das war ja Meriems Lieblingspony!

Im Galopp sprengte er jetzt heran. Meriem konnte nicht weit sein. Im Walde? Ein leichter Schauer rieselte über seinen Rücken, als er sich das Mädchen ohne Beschützer allein in dieser Wildnis vorstellte, die ihm selbst noch immer als der Schrecken aller Schrecken erschien, als das Dunkel, wo der Tod sich auf leisen Sohlen durch die Zweige schleicht. Gleichwohl sprang er ab, ließ sein Pferd bei Meriems Pony und trat in die Dschungel. Sicher würde das Mädchen vorsichtig genug gewesen und nicht gerade blindlings in den Rachen eines Raubtiers hineingerannt sein. Nun, er würde sie jedenfalls überraschen.

Morison war noch gar nicht weit vorgedrungen, als er irgend etwas drüben in den nächsten Bäumen kreischen und schnattern hörte. Bald entdeckte er, daß es sich um Paviane handelte, die sich in den Haaren liegen mußten, und als er näher hinsah ... ein Reitrock ... und die dort balgten sich um ein Paar Schuhe ... und da hing ein Strumpf und ...?

Ihm blieb fast der Verstand stehen. Was ...? Die Paviane hatten Meriem getötet und ihr die Kleider und alles vom Leibe gerissen? Eine andere Erklärung für diese schauerliche Entdeckung ließ sich nicht finden. Morison war außer sich. Ihn fror bei diesem Anblick. Entsetzlich!

Dann kam ihm der Gedanke, daß sie vielleicht noch atmete, daß sie noch zu retten sei. Er wollte eben laut nach ihr rufen. Doch da war sie ja! Drüben auf dem Baum gegenüber dem Tummelplatz der Pavianbande ... Und wie die Affen sie anbellten und mit den Zähnen fletschten! Zu seinem nicht geringen Erstaunen schwang sich das Mädchen jetzt mit einem Male gewandt wie ein Meerkätzchen zu den Tieren hinüber. Er sah, wie sie sich auf einem dicken Ast, kaum zwei Meter von dem nächsten Pavian entfernt, niederließ, und wollte eben dem Dschungeltier eine Kugel auf den Pelz brennen, denn es mußte im nächsten Augenblick auf sein Opfer losspringen, als er das Mädchen mit einem Male sprechen hörte. Das Gewehr fiel ihm fast aus den Händen. Er war starr: Meriem plapperte oder schnatterte ja genau so wie diese Paviane ... Und die Paviane waren sofort mäuschenstill und horchten erstaunt auf. Kein Zweifel, sie fanden das Mädchen jetzt nicht weniger rätselhaft als Mr. Morison Baynes. Allmählich rückte einer nach dem anderen immer näher an sie heran, aber sie zeigte sich darob nicht im geringsten erschreckt. Jetzt hockten die Tiere schon im Kreise um sie herum. Baynes hätte nicht mehr feuern können, ohne das Leben des Mädchens ernstlich zu gefährden. Hätte – denn nun mochte er es gar nicht mehr. Neugier, eine grenzenlose Neugier hatte sich seiner bemächtigt.

Ein paar Minuten plapperte das Mädchen in derselben Tonart weiter; sie unterhielt sich also offenbar mit den Pavianen. Und schließlich brachten die Tiere mit sichtlichem Eifer und mit fast unterwürfiger Geste ... Rock, Strümpfe, Schuhe und übergaben sie der rechtmäßigen Eigentümerin. Indessen das Mädchen sich ankleidete, drängte sich die komische Gesellschaft gegenseitig auf den Ästen über ihr mit unverkennbarer Neugierde bald hierhin, bald dahin; denn so etwas schien noch nie dagewesen zu sein. Man schnatterte unverständliches Zeug, und sie wußte anscheinend auch immer wieder eine Antwort, die die Paviane belustigte. Mr. Morison Baynes mußte sich am Fuße eines Baumes niederlassen ... und strich sich nun die Schweißperlen von der Stirn. Dann erhob er sich und wandte sich zu den am Dschungelrand wartenden Pferden zurück.

Nur wenige Minuten später tauchte auch Meriem auf. Er empfing sie mit einem fast starr fragenden Blick. Er wußte wohl erst selber nicht, ob er sie bewundern oder ob er vor ihr erschrecken sollte.

Ich sah Ihr Pony hier, begann er zögernd, und dachte es mir hübsch, auf Sie zu warten und mit Ihnen heimzureiten. Sie sind überrascht, nicht wahr?

Natürlich, erwiderte sie rasch. Aber das ist nett von Ihnen.

Steigbügel an Steigbügel trabten sie über die Ebene dahin. Mr. Morison ertappte sich mehr als einmal bei einem interessierten Seitenblick auf das feingeschnittene Profil seiner Partnerin. Sollte dieses liebliche Geschöpf vorhin tatsächlich mit diesen grotesken Paviankreaturen ebenso angeregt und so gewandt geplaudert haben, wie jetzt mit ihm? Nein, so etwas gab es überhaupt nicht, das war einfach unmöglich ... Aber anderseits hatte er doch alles mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört. Er war doch bei Sinnen.

Immer wieder blickte er zu ihr hinüber, und da drängten sich ihm mit einem Male auch andere Gedanken ganz von selber auf. Gut, ja, sie war schön, sehr schön und sehr begehrenswert. Aber was wußte er denn eigentlich von ihr? War sie nicht einfach gesellschaftlich unmöglich? Mußte nicht diese fatale Szene, der er heimlich als Zeuge beigewohnt, genügen, um sie ein für allemal »nicht in Frage kommen« zu lassen? Eine Dame, die in den Bäumen herumkletterte und Gespräche mit den Dschungelpavianen führte! Nein, das war doch zu stark! Mr. Morison fuhr wieder mit dem Taschentuch über seine Stirn. Meriem sah die Bewegung und ließ einen fragenden Blick zu ihm hinüberhuschen.

Ihnen ist es wohl zu heiß? meinte sie ein wenig spöttisch. Die Sonne geht doch unter, ich finde es schon recht kühl. Wie kommt das denn? Haben Sie Fieber?

Mr. Morison hatte sich vorgenommen gehabt, ihr seine jüngsten Erlebnisse zu verschweigen, doch noch ehe er recht merkte, was er eigentlich sagte, war er selbst zum Verräter seiner Kümmernisse geworden.

Ich bin außer mir, das ist das ganze Fieber! entgegnete er rasch. Ich habe Ihr Pony zufällig gesehen und wollte Sie natürlich überraschen. Doch ich muß sagen: Umgekehrt kam es. Ich war einfach perplex, wissen Sie. Ich sah Sie oben in den Bäumen, und zwar ... bei Pavianen!

Ja, und ...? warf das Mädchen ganz ruhig ein, als ob es sich von selbst verstünde, daß eine junge Dame mit den wilden Dschungeltieren auf gutem Fuße steht.

Entsetzlich, entsetzlich! stieß Mr. Morison hervor, denn das war ihm doch zu bunt.

Entsetzlich? wiederholte Meriem, ohne in Morisons Tonart zu verfallen, obwohl sie jetzt ein wenig verwirrt schien und leicht nervös die Augenbrauen hochzog. Was soll daran schrecklich sein? Die Tiere sind meine Freunde. Ich kann nichts dabei finden, wenn jemand sich mit seinen Freunden unterhält. Und Sie, bitte?

Sie haben also tatsächlich mit diesen Pavianen gesprochen? fuhr Mr. Morison auf. Er konnte sich kaum mehr beherrschen. Sie haben diese Tiere verstanden und umgekehrt auch?

Gewiß.

Aber das sind doch ganz schreckliche Kreaturen, Tiere niederster Ordnung. Erlauben Sie, wie können Sie überhaupt mit dem Geknurr dieser Bestien fertig werden und es verstehen?

Erstens einmal sind diese Tiere nicht schrecklich und dann sind sie ebensowenig Geschöpfe sechster oder siebenter Ordnung. Freunde sind so etwas überhaupt nie, entgegnete Meriem entschieden. Jahrelang habe ich unter solchen Tieren gelebt, ehe Bwana mich fand und hierher mitnahm. Ich kannte damals kaum eine andere Sprache als die der Mangani. Soll ich also jetzt die Freunde von einst einfach schneiden und so tun, als kenne ich sie nicht mehr, bloß weil ich augenblicklich unter Menschen lebe?

Augenblicklich? warf Mr. Morison fragend ein. Er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, daß Sie je wieder mit diesen Tieren in der Dschungel zu leben hoffen? Kommen Sie, nein, kommen Sie! Was reden wir da für wirres Zeug! Da haben wir es ja: Sie halten mich zum Narren, Miß Meriem. Sie sind ein paarmal freundlich zu diesen Pavianen gewesen, haben ihnen vielleicht ab und zu ein paar Leckerbissen hingeworfen, und nun kennt die Gesellschaft Sie und tut Ihnen nichts zuleide. Aber daß Sie einmal mit diesen und ähnlichen Geschöpfen Tag und Nacht in der Dschungel zugebracht haben ... Miß Meriem, wir wollen solche Scherze lieber nicht machen!

Doch, doch, es ist so, versicherte das Mädchen. Es machte ihr sichtlichen Spaß, das Entsetzen ihres Begleiters weiter zu schüren, zumal er trotz all seines Drehens und Wendens doch nicht verbergen konnte, wie peinlich ihm der bloße Gedanke an ihr »Dschungelvorleben« war.

Ja, Mr. Morison, ich habe jahrelang in der Dschungel gelebt, immer nackt und immer unter Affen, großen und kleinen. Ich wohnte in den Zweigen hoch in den Bäumen, ich stürzte mich auf die Beute hinab und verschlang die besten Bissen – roh! Ich jagte mit Korak und A'ht Antilopen und Eber, ich saß auf schwankendem Ast und schnitt Numa, dem Löwen, die schönsten Grimassen, warf Holzstücke und Rinde nach seiner Mähne und verhöhnte ihn, bis er vor Wut brüllte, daß die Erde erzitterte. Und Korak baute mir auch ein Lager hoch oben im Geäst eines Baumriesen tief in der Dschungel. Er brachte mir Früchte und Fleisch, er kämpfte für mich und um mich ... und er war sehr gut zu mir. Ich kann mich nicht entsinnen, daß es mir je so gut gegangen wäre wie bei Korak, ehe ich zu Bwana und zu »My Dear« kam.

In der Stimme des Mädchens schwang ein leichter, sehnsüchtiger Unterton mit, und sie schien mit einem Male vergessen zu haben, daß sie doch vor allem Mr. Morison necken und etwas quälen wollte. Und nun war sie mit ihren Gedanken bei Korak ... O, sie hatte doch lange, lange nicht so sehr an ihn gedacht.

Eine Weile ritten die beiden schweigend und in Gedanken versunken weiter, indessen man sich dem Landsitz des Gastgebers immer mehr näherte. Das Mädchen malte sich im Geiste alte vertraute Bilder: Eine götterhafte Gestalt, ein Leopardenfell halb um den stolzen Körper geschlungen – und wie der Freund durch das Blättergrün behend und kraftvoll von Ast zu Ast sprang, um ihr dann oben unter dem luftigen Zelt die köstliche Beute hinbreiten zu können. Und wie sich ein zottiger, urkräftiger Menschenaffe, ein Riese seines Stammes, ihm immer nachschwang, und wie sie, die Meriem, beiden stets ihr lachendes Willkommen zurief und sich dabei auf dem Ast vor dem Eingang zu ihrem Waldnest in den Lüften schaukelte.

O, es war herrlich, wieder einmal an diese Zeit zu denken! Die andere, weniger schöne Seite dieser Vergangenheit drängte sich ihr selten wieder auf: die langen, stockdunklen Nächte, diese feuchtwarmen schrecklichen Dschungelnächte – die kalte ungemütliche Regenperiode – das Brüllen, Knurren und Kreischen der Dschungeltiere, die beutegierig durch das Dickicht streiften – Sheeta, der Leopard, und Histah, die Schlange, die immer und überall auf der Lauer lagen – die Insekten mit ihren tückischen Stacheln und nicht zuletzt das abscheuliche Ungeziefer. Das alles trat zurück und wurde hundertmal durch das Glück der sonnigen Tage, durch die köstliche Freiheit und vor allem durch die Kameradschaft mit Korak aufgewogen.

Mr. Morison kam sich wie vor den Kopf geschlagen vor. Er war sich aber plötzlich klar geworden, wie er eigentlich schon bis über die Ohren in das Mädchen verliebt gewesen, über dessen Vergangenheit er bis zu dieser freiwilligen Enthüllung so gut wie nichts gewußt hatte. Und je mehr er darüber nachdachte, um so mehr fand er es in seinem Innern bestätigt, daß er im Grunde schon nahe daran gewesen, ihr seinen angesehenen Namen anzutragen und sie damit für immer an sich zu binden. Andererseits war das, was er jetzt wußte, nach den Begriffen eines Mr. Morison Baynes und anderer seines Schlages kein Grund, mit der Kleinen nicht anzubändeln. Sie zur Frau zu nehmen, wäre zweifellos nicht standesgemäß gewesen; man hätte ihm gerade so gut zumuten können, eine Pavianschöne zu heiraten. Aber sie würde einen Heiratsantrag von ihm gar nicht einmal erwarten. Nein, sie würde schon beglückt sein ob der hohen Ehre, daß der reiche Engländer sie gern hatte. Heiraten würde er später und dann nur eine wirkliche Dame.

Außerdem konnte ein Mädchen, das sich mit Affen in der Dschungel herumgetrieben hatte – obendrein noch nackt, wie sie selbst zugab – überhaupt keinen rechten Begriff davon haben, was sich schickte und was nicht, und deshalb würde er sich auch nicht scheuen, ihr mit seinen ihn zu nichts verpflichtenden Liebesbezeugungen zu nahen.

Je mehr Mr. Morison Baynes sich mit dieser neuen Einstellung zu dieser afrikanischen Menschenblüte vertraut machte, um so fester redete er sich ein, daß er durchaus recht tat. Es war seiner Meinung nach keine Frage, ob sie nicht viel glücklicher sein würde, wenn sie sich in der Behaglichkeit und im Luxus einer Londoner Villa seiner Liebe und der Rückendeckung durch sein beachtliches Bankkonto erfreute, als wenn sie mit irgendeinem beliebigen Mann ihrer »Klasse« gesetzlich verheiratet war. Er wollte aber trotzdem erst noch eine Frage beantwortet haben, ehe er seine neuen Pläne zu verwirklichen gedachte.

Wer waren eigentlich Korak und A'ht? wandte er sich an seine Partnerin und brach damit das lange Schweigen.

A'ht war ein Mangani, erwiderte Meriem, und Korak ein Tarmangani.

Und was ist, wenn ich fragen darf, unter einem Mangani und einem Tarmangani zu verstehen?

Das Mädchen kicherte.

Sie sind ein Tarmangani! Die Mangani sind dicht behaart, und Sie werden statt Mangani sicher lieber »Affe« sagen.

So war Korak also ein Weißer? forschte Morison.

Ja.

Und er war ... aha ... ah, er war ... Ihr ...? Er stockte, denn er fühlte sich doch auf den ersten Schreck nicht in der Lage, das auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag, zumal das Mädchen ihn gerade mit ihren leuchtend-schönen Augen unschuldsvoll fragend anblickte.

Mein ...? Was wollen Sie damit sagen? drang Meriem ungeduldig auf ihn ein, und ihr ganzes Benehmen war dabei so ungekünstelt, daß Mr. Morison erkennen mußte, daß sie seine Anspielung gar nicht verstand.

Warum – ach – na, er ist wohl Ihr ... Bruder? stieß er stockend hervor.

Nein, Mr. Morison, Korak ist nicht mein Bruder, gab sie ruhig zurück.

Dann also sicher Ihr Gemahl? platzte Morison schließlich heraus.

Meriem lachte herzlich auf. Er hatte sie demnach mit dieser naiven Äußerung wenigstens nicht vor den Kopf gestoßen.

Mein Gemahl! sprudelte sie hervor. Was meinen Sie denn, wie alt ich bin? O, ich bin doch noch viel, viel zu jung, um verheiratet zu sein. Daran habe ich mein Lebtag noch nicht gedacht. Korak war ... ei, was wollen Sie eigentlich ...? Korak ... Sie blieb jetzt selber mitten in ihrer Antwort stecken, denn sie schien zu fühlen, daß sie im Grunde noch niemals recht darüber nachgedacht hatte, worauf eigentlich ihr Verhältnis zu Korak fußte und umgekehrt.

Ei nun, Korak war eben Korak – – und sie schüttelte sich wieder fast vor Lachen, zumal sie ihre Antwort jetzt selber spaßig fand.

Mr. Morison hatte das Mädchen scharf beobachtet und auf alles, was sie sagte, wohl aufgemerkt. Er konnte sich darnach kaum denken, daß das Mädchen seiner ganzen Natur nach irgendwie auf Abwegen gegangen war, die eine völlige Verderbtheit voraussetzten. Anderseits redete er sich ein, daß sie schließlich gar nicht so brav und tugendsam sein konnte, wie sie tat – und das erleichterte ihm den Entschluß, seine weiteren Pläne mit ihr langsam zu verwirklichen; denn so ganz gewissenlos war Mr. Morison doch nicht.

*

Eines Abends, als die anderen sich schon zurückgezogen hatten, saß Mr. Morison mit Meriem auf der Veranda. Man hatte am Spätnachmittag Tennis gespielt, und Mr. Morison hatte sich dabei wieder hervorgetan, wie er ja tatsächlich im Sport überall Vorzügliches leistete. Er hatte sich jetzt behaglich in seinem Klubsessel zurückgelehnt und plauderte von London und Paris, von Bällen und Festmahlen, von reizenden Frauen und ihren bezaubernden Toiletten, von den tausenderlei Freuden und Vergnügungen, die viele sich erlauben konnten. Mr. Morison war nicht etwa ein Prahler, der das Blaue vom Himmel herunter fabelte. Gewiß, er gefiel sich in der Rolle des Allerfahrenen, aber er hatte dabei eine Art, die weder aufdringlich noch mit der Zeit ermüdend wirkte.

Meriem war entzückt. Wie Zaubermärchen klang das alles dem unerfahrenen Kind der Wildnis. Mr. Morison wuchs in ihren Augen von Minute zu Minute, er war doch ein prächtiger, ein wundervoller Mensch! Nein, sie war einfach hingerissen, und als er jetzt nach einer kurzen Pause näherrückte und ihre Hand in die seine nahm, rann ein leises Beben durch ihren Körper, ein leises Erschauern, als stehe sie halb ehrfürchtig, halb bangend vor dem Tempel einer ungeahnten neuen Welt.

Er neigte seine Lippen dicht an ihr Ohr.

Meriem! flüsterte er. Liebe, kleine Meriem! Darf ich hoffen, »meine kleine liebe Meriem« sagen zu dürfen?

Das Mädchen blickte mit großen fragenden Augen zu ihm auf. Doch sein Gesicht lag im Schatten. Sie zitterte, aber sie entzog sich ihm nicht, als Morison einen Arm um sie schlang und sie an sich drückte.

Ich liebe dich! hauchte er.

Meriem gab keine Antwort. Sie wußte einfach nicht, was sie darauf sagen sollte. Was sollte das heißen: »ich liebe dich«? Nie hatte sie über den tieferen Sinn dieser Worte gegrübelt, sie wußte nur, daß es sehr nett war, wenn man liebevoll behandelt wurde, und das war alles. O, es war hübsch, wenn die anderen gütig und freundlich zu einem waren, und sie hatte doch früher so wenig oder nie dies Glück spüren dürfen.

Sag mir bitte, daß du mich auch liebst, daß du ...

Seine Lippen sanken über ihr Antlitz, und im nächsten Augenblick hätten sie ihren blühenden Mund berührt, wäre nicht auf einmal ... Koraks Bild wie eine Vision deutlich vor ihren Augen gestanden. Sie sah Koraks sonnenverbranntes Gesicht, sie fühlte seiner Lippen heißen Kuß auf den ihren – und eben in jenem Augenblick glaubte sie zum ersten Male zu ahnen, was lieben heißt. Sie wehrte Morison sanft ab.

Ich bin mir nicht klar, sprach sie mit leidenschaftsloser Stimme, ob ich Sie liebe. Warten wir also ab. Ich meine, es ist noch reichlich Zeit. Ich bin noch zu jung, um an eine Heirat zu denken, und ich weiß nicht, ob ich mich in London oder Paris überhaupt wohl fühlen könnte. Ich meine fast, mir ist bange vor den Menschen da drüben.

Meriem stand auf. Koraks Bild schwebte ihr noch immer vor.

Gute Nacht nun! Es ist doch ein zu köstliches Gefühl, hier bleiben zu können – und sie deutete mit einer leichten und doch überaus vielsagenden Handbewegung nach dem sternfunkelnden Himmel, dem Mond, der sein Silberlicht weithin über die Ebene goß, bis dorthin, wo die dichten schwarzen Schatten der Dschungel wie undurchdringliche Mauern herübergrüßten. Oh – – wie ich dieses Land und diese Natur liebe!

Sie würden London noch viel mehr lieben, warf Morison mit gewichtiger Miene ein. Und, Meriem, London würde Sie mit seiner Liebe überschütten! Sie wären eine vielgepriesene Schönheit in den Metropolen Europas. Die ganze Welt läge zu Ihren Füßen ...

Gute Nacht denn! nickte sie nochmals und verschwand.

Mr. Morison griff nach seiner Zigarettendose – – – und sah lächelnd dem feinen blauen Rauchwölkchen nach, das der Nachtwind im Mondlicht zerflattern ließ.


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