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Der »elfte« Löwe

Als Akut gewahrte, daß der Junge sich nicht an ihn herangehalten hatte, kehrte er sofort um. Vielleicht war er wieder in Gefahr. Er mußte ihn jedenfalls suchen. Nach kurzer Zeit bot sich ihm indessen ein Anblick, der ihn mehr als stutzig machte und erst einmal abwarten ließ. Was für eine seltsame Gestalt kam denn da oben in den Bäumen gerade auf ihn zu? Sollte das wirklich Jack sein ...? Und doch, er war es. In seinen Händen trug er einen langen Speer, auf seinem Rücken hing ein länglicher Schild, genau so einer, wie ihn die Schwarzen, von denen sie heute angegriffen worden, gehabt hatten; die Fußgelenke und Arme waren mit Ringen aus Eisen und Kupfer geschmückt, und in dem Leinenschurz, der sich in Falten um die Lenden des Jungen schlang, steckte ein Messer.

Sowie Jack den Affen von ferne erkannte, eilte er ihm in schnellstem Tempo entgegen, denn er brannte geradezu darauf, ihm seine Trophäen vorzuführen. Stolz leuchtete aus seinen Augen, als er dann jedes neue Beutestück von dem Affen gebührend gewürdigt wissen wollte, und mit prahlender Stimme schilderte er hastig seine Heldentat bis in alle Einzelheiten.

Ja, mit den bloßen Händen und mit meinen Zähnen habe ich ihm den Garaus gemacht! betonte er schließlich nochmals und fuhr dann fort: Meine Freunde hatten sie sein sollen, doch sie wollten das gerade Gegenteil. Gut, jetzt habe ich einen Speer, jetzt will ich auch Numa beweisen, was es heißt, mich zum Feind zu haben! Akut, paß auf: Nur die Weißen und die großen Menschenaffen sind unsere Freunde; wir wollen sehen, daß wir sie irgendwo finden. Allen anderen müssen wir aus dem Wege gehen oder ... wir müssen sie einfach töten. So viel habe ich nun aus dem Dschungelleben gelernt. –

Sie wanderten also zunächst in einem größeren Bogen um das Dorf, dessen Bewohner ihnen so grimmig entgegengestürmt waren, und setzten ihren Marsch nach der Küste fort. Jack war immer wieder ganz stolz auf seine neuen Waffen und auf den schimmernden Schmuck. Er übte sich unermüdlich im Gebrauch des Speeres, suchte sich bald hier, bald da ein Ziel, indessen man sich mühsam den Weg durch die Wildnis bahnte, und wurde so schließlich dank der jugendlichen Elastizität seiner Muskeln sehr rasch in die Geheimnisse dieser Waffe völlig eingeweiht. Inzwischen versäumte auch Akut nicht, ihn weiter in seine Schule zu nehmen. Bald lagen die Spuren, die das Dschungelleben überall in Erde, Baum und Busch einzeichnete, klar und deutlich wie die Lettern eines aufgeschlagenen Buches vor seinen scharfen Augen, und all die anderen geheimen Spuren, die an den abgestumpften Sinnen zivilisierter Menschen ohne weiteres vorübergleiten und sogar seinem wilden Vetter oft halb rätselhaft blieben oder gar entgingen, wurden ihm vertraut, als seien sie seine besten Freunde. Er witterte gleichsam mit tödlicher Sicherheit all die unzähligen Pflanzenfresser, die in der Waldwildnis und auf den weiten offenen Flächen hausten, er konnte immer genau sagen, ob ein Tier nahte oder davoneilte – und dies einzig und allein, weil seine Sinne genau zu unterscheiden vermochten, ob die Witterung sich verstärkte oder ob sie immer schwächer wurde. Nicht einmal seine Augen brauchte er erst zu Hilfe zu rufen, wenn er selbst bei Gegenwind genau herausbekommen wollte, ob zwei Löwen oder etwa vier im Hinterhalt lauerten, ob hundert Meter entfernt oder auch eine halbe Meile.

Viel davon hatte ihm Akut beigebracht, doch bei weitem mehr lag ihm gleichsam im Blute; es war dies jenes eigenartige instinktive Ahnen und Erkennen, das er von seinem Vater ererbt. Und nun liebte er das Dschungelleben erst recht! Verstand und Sinne lagen in beständigem Kampf mit den vielen Todfeinden, die bei Tag und Nacht am Wege lauern, und verlangten nach immer größeren Abenteuern, wie sie jeder, in dessen Adern überhaupt noch das frische rote Blut der ersten Menschen rollt, sich wünscht. Ja, er liebte dies Leben hier, und doch war er wieder auch nicht so selbstsüchtig, daß er darüber die Stimme in seinem Inneren überhörte, die ihm seine abenteuerliche Flucht nach Afrika als ein Unrecht vorhielt. In seinem Herzen lebte die Liebe zu Vater und Mutter; sie lebte im wahrsten Sinne des Wortes, und so konnte ihm das auch keine reine Freude sein, was den Eltern zweifellos manch' bittere Stunde bereitete. Er blieb deshalb auch fest bei seinem Entschluß, einen Küstenort ausfindig zu machen, von dem aus die Verbindung mit seinen Eltern wieder aufgenommen, und seine Rückkehr nach London durch Geldüberweisung sichergestellt werden konnte. So viel würde er nachher von seinen Eltern schon erreichen, daß er einmal auf einige Zeit nach den afrikanischen Besitzungen seines Vaters, über die er zufällig daheim ein paar nicht für ihn bestimmte Angaben aufgefangen, beurlaubt würde. Das wäre dann eine für alle befriedigende Lösung und wenigstens besser, als das ganze Leben lang in den Fesseln der Zivilisation schmachten zu müssen.

So war er schon recht zufrieden, daß man wieder der Küste zu marschierte, genoß die Freiheit und die Freuden der Wildnis in vollen Zügen und fühlte dabei, wie ihm die drückende Last immer mehr vom Herzen fiel, denn er war sich bewußt, daß er alles Menschenmögliche tat, um wieder zu seinen Eltern zurückzukehren. Vorwärts schweifte sein Blick vor allem; dort mußte er ja endlich wieder Weißen begegnen, Menschen wie er selbst und wie er sie sich jetzt nur zu oft als Kameraden gewünscht hätte. Es war doch nicht einfach, immer nur mit dem alten Affen auszukommen. Auch der Zusammenstoß mit den Schwarzen machte ihm immer noch Kopfzerbrechen. Mit so unschuldig-freundlicher Miene, mit geradezu kindlich-offenem Wesen und mit unzweideutigem Willkommengruß war er ihnen entgegengegangen – und die Antwort? O, seine jugendlichen Ideale waren stark erschüttert, es war ihm alles wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Der Schwarze war jedenfalls nicht mehr sein Bruder, er war ihm nichts anderes als ein Feind, der blutdürstig die Dschungel durchstreift, nichts anderes als ein Raubtier, nur daß er auf zwei Füßen statt auf allen Vieren daherkam.

So ging ein Tag nach dem anderen dahin, und im Laufen und Jagen und Klettern wuchsen Muskelkraft und Gewandtheit, daß selbst der phlegmatische Akut bald seinen gelehrigen Schüler ob seiner Tapferkeit geradezu bewundern mußte. Jack wurde sogar im Vollgefühl seiner Kräfte allzu stolz auf sein Können und ließ sich so erneut zur Unvorsichtigkeit verleiten. Erhobenen Hauptes schritt er durch die Dschungel und forderte damit die Gefahr oft glatt heraus. Während Akut sich stets sofort in die Bäume hinauf zurückzog, wenn ein Löwe gewittert wurde, lachte Jack dem König der Tiere keck ins Gesicht und folgte ihm. Lange war das Glück ihm dabei hold. Die Löwen, denen er begegnete, mochten sich eben gerade an anderer Beute sattgefressen haben. Oder die offensichtliche Frechheit des Fremdlings, der sich ohne Bedenken in ihre Gebiete hineinwagte, verblüffte sie derart, daß sie wie gebannt stehen blieben und, statt selbst anzugreifen, einfach zuschauten, wie er daherkam und schließlich weiterging. Sei dem nun, wie ihm wolle, die Tatsache bleibt bestehen, daß ihn mehrmals nur ein paar Schritte von einem großen Löwen trennten, und daß er stets unbehelligt vorüberkam. Ein kaum merkliches Knurren war das einzige, worauf diese furchtbaren Dschungeltiere nicht verzichteten.

Allein es gibt nicht zwei Löwen, die einander ihrem Charakter und ihrem Temperament nach völlig glichen. Die Unterschiede sind vielmehr nicht minder gering wie bei den Menschen, und es ist noch lange nicht gesagt, daß, sollten zehn Löwen unter den gleichen Bedingungen sich ähnlich verhalten, der elfte nicht aus der Rolle fällt, wenn er es sich gerade in den Kopf gesetzt hat. Er kann denken und sich deshalb eben auch einmal anders als die andern entschließen; er hat ja seinen Verstand und ein empfindliches Nervensystem, das auf fremdartige Eindrücke jeweils ganz verschieden reagiert.

Und eines Tages kam dem Jungen jener elfte Löwe in den Weg. Jack kreuzte gerade eine kleine, dicht mit Grasbüscheln bestandene Lichtung, als er Numa gewahrte.

Schnell, Akut, rief er lachend dem großen Affen, der links neben ihm war, zu. Numa lauert drüben im Gebüsch. Mach', daß du in die Bäume hinaufkommst! Ich, der Sohn des Tarzan, will dich beschützen. Und er lachte gerade heraus und schritt unbekümmert um den Löwen, der noch immer in seinem Versteck lag, weiter.

Der Affe brüllte Jack zornig zu, er solle sofort ausweichen, doch Jack schwang als Antwort herausfordernd seinen Speer und führte gar noch eine Art Kriegstanz auf, als könne er dem König der Tiere gar nicht deutlich genug zeigen, wie sehr er ihn verachtete. Immer näher und näher war er dabei an das furchtbare Raubtier herangekommen. Da ... ein wütendes Knurren – und der Löwe sprang wie ein Blitz aus heiterem Himmel aus seinem Hinterhalt hervor. Kaum zehn Schritte war er noch von Jack entfernt, und was für ein stattliches Exemplar war gerade dieser Löwe! Ein rechter, stolzer Herr und Gebieter der Dschungel und der Wüste! Imponierend wallte die Mähne über seinen Nacken, grausige Fangzähne blitzten drohend aus weitgeöffnetem Rachen, und in seinen gelbgrünen Augen funkelten Haß und Erbitterung.

Der Junge warf einen kurzen Blick auf den armseligen Speer, den seine Hand umklammerte. Was sollte diese Waffe hier ausrichten können? Der Löwe war zweifellos ein anderer Kerl als die, denen er in der letzten Zeit begegnet. Ob er nicht lieber den Rückzug antrat? Doch dazu war es entschieden schon zu spät. Der nächste Baum stand ein paar Meter weiter links. Der Löwe konnte ihm einfach den Weg abschneiden oder über ihn herstürzen, noch ehe er halb drüben sein würde; denn es war kein Zweifel, daß die Bestie im nächsten Augenblick zum Angriff überging; das hätte jeder sich gesagt, der ihr jetzt Auge in Auge gegenübergestanden hätte. Drüben, nur ein paar Meter hinter dem Löwen, wuchs dichtes Dorngestrüpp. Das wäre jetzt die einzige Rettung gewesen – doch Numa stand ja davor!

Tarzans Sohn wog den langen Schaft seines Speeres prüfend in der Hand und warf nochmals einen raschen Blick über den Löwen hinweg auf das Dornengestrüpp. Eine beinahe lächerliche, alberne Idee durchzuckte sein Hirn ... Es war jetzt nicht die Zeit, erst lange das Für und Wider abzuwägen, es gab nur einen einzigen Ausweg: Er mußte das dornige Gestrüpp zu erreichen suchen. Griff der Löwe an, war es schon zu spät; er mußte ihm unbedingt zuvorkommen. Akut und nicht minder der Löwe selbst waren also geradezu verblüfft, als Jack in einem jähen Sprung auf ihn zustürzte. Eine Sekunde rührte sich Numa nicht, so groß war sein Erstaunen – und eben diese Sekunde genügte Jack, um sein tollkühnes Wagen mit einem Trick zu krönen, den er früher auf dem Sportplatz in harmloserer Form geübt hatte.

Er war direkt auf die Bestie losgestürmt, hatte aber dabei seinen Speer so gehalten, daß er quer zu seinem Körper lag. Akut schrie laut auf vor Entsetzen und Bestürzung, wie er das erkannte, während der Löwe mit weit aufgerissenen Augen dem Angriff entgegensah. Er brauchte sich ja nur auf seiner Hinterhand aufzurichten und die Pranken, die einen Büffelschädel einschlagen konnten, auf dieses vorwitzige Geschöpf niedersausen zu lassen und ...

Doch als Tarzans Sohn dicht an seinen Gegner heran war, stemmte er mit einem Male den Speer mit dem dicken Schaftende auf den Boden und schwang sich in jähem kühnen Sprung über Numas Kopf hinüber in die reißenden Arme des Dornbusches, noch ehe die Bestie in ihrer Verwirrung den Trick durchschaut hatte. Jack war gerettet, wiewohl er aus vielen Wunden blutete.

Akut hatte bisher nie solch einen »Stabhochsprung« gesehen. Er schien jedoch heilfroh, daß alles gut abgegangen war, und schwang sich jetzt im sicheren Bereich seines Baumes prahlend auf und nieder, wobei er den schmählich getäuschten Löwen mit allerhand Schimpfworten verhöhnte. Der Junge suchte sich indessen in seinem Dornenwall noch besser zu verschanzen. Wohl rissen ihm die spitzen Stacheln neue Wunden, doch das war schließlich das Schlimmste nicht. Er hatte sich selbst das Leben gerettet, das war die Hauptsache, wenn er dafür nun auch sein gerüttelt Maß an Schmerzen tragen mußte! Erst schien es, als wolle der Löwe überhaupt nicht das Feld räumen. Aber nach einer vollen Stunde hatte es die grimme Bestie endlich satt, vergeblich auf der Lauer zu bleiben, und trottete in majestätischer Haltung quer über die Lichtung davon.

Sowie das Tier außer Sicht war, zwängte sich Jack mühsam aus den wirren Dornbüschen heraus, was natürlich nicht ohne neue Martern für seinen so schon arg zerfetzten Körper abging. –

Es dauerte einige Zeit, bis sich diese Wunden ganz schlossen. Sie hielten ihm alle Tage wieder vor Augen, daß er hatte ordentlich Lehrgeld zahlen müssen. Zudem mochte sich ihm das Furchtbare jenes Augenblicks, da er um ein Haar dem Rachen Numas nicht mehr entgangen wäre, für sein ganzes Leben als warnendes Beispiel eingeprägt haben, nie wieder leichtfertig das Schicksal herauszufordern.

Manch kühnes Wagnis hatte er in seinem ferneren Leben zu bestehen; doch nur in den Fällen, in denen es das Schlußglied in der Kette einer genau berechneten Tat war, verließ er sich wieder auf seine Geschicklichkeit im Stabhochsprung.

Die beiden mußten nun einige Tage Halt machen, weil Jack mit seinen schmerzhaften Verletzungen wenigstens zunächst einer gewissen Schonung bedurfte. Der große Menschenaffe beleckte ab und zu die Wunden seines jungen Freundes, und das war auch die einzige Linderung. Immerhin schien alles ziemlich rasch zu heilen; er hatte ja gesunde Haut und gesundes Blut, die in derartigen Fällen in erster Linie eine schnelle Genesung garantieren.

Sowie er einigermaßen wieder bei Kräften war, setzten die beiden ihren Marsch nach der Küste fort. Jack glaubte merkwürdigerweise zu ahnen, daß irgend etwas Erfreuliches in der Luft lag.

Und schließlich kam auch der langersehnte Augenblick. Man arbeitete sich gerade mühsam im unteren Geäst üppig umrankter Urwaldriesen vorwärts, als Jack mit seinen scharfen Augen zwar nicht mehr frische, aber doch noch deutliche Spuren entdeckte. Sein Herz zersprang ihm fast vor Freude, denn die Spuren mußten von Menschen herrühren – von richtigen Menschen, von Weißen! Zwischen den Abdrücken nackter Füße waren einwandfrei die Umrisse von Schuhen zu erkennen, wie sie nur von Weißen getragen wurden. Die Spuren der anscheinend starken Karawane führten nordwärts, kreuzten also die Richtung, die der Affe und Jack nach der Küste zu bisher eingehalten, in einem rechten Winkel.

Es war kaum zu bezweifeln, daß diese Weißen die nächste Kolonistensiedlung an der Küste kennen würden, wenn sie sich nicht gar schon selbst im weiteren Verlauf ihres Marsches dahin gewandt hatten. Jedenfalls schien es Jack der Mühe wert zu sein, ihnen nachzueilen –, und wenn er sich damit bloß den Spaß leisten sollte, einmal wieder Menschen seinesgleichen die Hand zu schütteln. Er war Feuer und Flamme für diesen Abstecher und drängte Akut mit dem ganzen Ungestüm seiner jugendlichen Begeisterung, sich unverzüglich an der Verfolgung jener Unbekannten zu beteiligen. Akut erhob allerlei Einwände; es war klar, er wollte von Menschen und gar von den Weißen überhaupt nichts wissen. Für ihn war Jack auch ein Affe, er war einer seiner Stammesgenossen, denn sein Vater war ja der König der Menschenaffen gewesen. Immer wieder suchte er ihn von seinem Vorhaben abzuraten und wies ihn schließlich noch darauf hin, daß sie bald ihre eigenen Stammesgenossen gefunden haben müßten, die ihn, wenn er erst ein paar Jahre älter wäre, als Nachfolger seines Vaters zu ihrem König machen würden. Allein Jack blieb bei seiner Ansicht. Er bestand darauf, daß er jetzt unbedingt einmal wieder mit Weißen sprechen müsse, zumal er seinen Eltern wenigstens ein Lebenszeichen von sich zukommen lassen wolle. Akut hatte genau hingehört. Jetzt wußte er es, sein Tierverstand genügte vollauf, um ihm die wahren Pläne des Knaben zu enthüllen: Jack wollte einfach zu seinesgleichen zurückkehren.

Der alte Affe war über diese Entdeckung recht betrübt, denn er liebte den Jungen, wie er früher dessen Vater geliebt; ja mehr noch: Er lief ihm nach, wie ein Hund seinem Herrn, in einer geradezu rührenden Treue und Anhänglichkeit. Er hatte in seinem Affenhirn und in seinem Affenherzen immer die Hoffnung genährt, daß er und der Junge sich nie wieder trennen müßten, – und nun sollte es mit einem Male um all seine schönen Zukunftspläne geschehen sein? Es war trostlos, und doch beschloß er, Jack die Treue zu halten und ihn jetzt seinem Wunsche gemäß bei der Verfolgung der Safari und der weißen Menschen nicht im Stich zu lassen. Gut, er würde ihn begleiten, wohin er immer wollte, und mochte es der letzte gemeinsame Marsch sein.

Die Spuren waren nur ein paar Tage alt, als die beiden sie entdeckten. Die Karawane kam auch sicher sehr langsam voran, weil dichtes Gestrüpp und Schlingpflanzen die schwerbepackten Träger auf Schritt und Tritt hemmen mußten, und so konnte man damit rechnen, sie schon in wenigen Stunden einzuholen. Für Akut und Jack war solch ein »Marsch« eine Kleinigkeit. Ihre Muskeln waren ja geschmeidig und kräftig genug, sie trugen den Körper hoch über dem Wirrwarr der üppigen Bodenvegetation von Baum zu Baum, Meile auf Meile.

Der Junge war immer seinem getreuen Gefährten voraus. Eine seltsame Unruhe und eine dunkle Ahnung bestimmten ihn dazu; außerdem wußte er ja, daß es dem Affen nur schmerzlich war, wenn man das Ziel wirklich erreichte. So entdeckte denn auch der Knabe als erster die Nachhut der Karawane und die Weißen, auf die er es vor allem abgesehen hatte.

Vor ihnen sah er etwa ein Dutzend schwerbeladene schwarze Träger sich mühsam auf dem unwegsamen Pfad dahinschleppen. Ab und zu blieben einige etwas zurück, doch das bekam ihnen schlecht. Mochten die armen Kerle müde oder krank sein, wer fragte darnach? Die schwarzen Aufseher der Nachhut hieben auf sie ein und, wenn sie dann gar noch zusammenbrachen, bekamen sie ein paar ordentliche Fußtritte, wurden mit rohem Griff wieder hochgerissen und von neuem vorwärts getrieben. Die beiden Weißen waren Hünengestalten mit unglaublich dicken blonden Bärten, hinter denen das Gesicht beinahe vollständig verschwand.

Der Junge wollte die Weißen eben mit einem lauten Freudenschrei begrüßen, da mußte er Zeuge eines Vorfalls sein, der ihm gleichsam die Stimme im Munde erstarren ließ. Die Wut packte ihn, als er sah, wie die Weißen mit einem Male schwere Peitschen auf die nackten Träger niedersausen ließen. Schändlich, wie sie diese armen Teufel so brutal behandeln konnten, die unter ihrer Last schier zusammenbrachen. Und was für eine Last! Kein Mensch konnte so bepackt selbst am frühen Morgen mit frischen Kräften ein paar Stunden marschieren.

Ab und zu hielten die Weißen und die Leute der Nachhut nach rückwärts Ausschau, als ob von da jeden Augenblick ein längst erwarteter Angriff einsetzen könne. Der Junge, der erst auf seinem Ausguck eine Weile gewartet hatte, als er die Karawane einmal in der Nähe wußte, folgte jetzt langsam nach, um jenes böse Schauspiel genauer beobachten zu können. Akut war inzwischen auch herangekommen; wohl erschrak er weniger über diese abscheuliche Szene als Jack, aber in seiner Brust ballten sich dafür um so rascher Zorn und Wut über diese zwecklose Quälerei hilfloser Sklaven. Er sah Jack verwundert an.

Warum rennst du denn nicht hin? fragte er. Das sind doch ebensolche Geschöpfe wie du; nun hast du sie ja eingeholt! Warum begrüßt du sie nicht?

Das sind ja Teufel, stieß der Junge mit verhaltenem Zorn hervor. Meinst du, ich möchte mit solchen Kerlen was zu tun haben? Und wenn ich es doch wollte: Sie sollten nur einmal in meiner Gegenwart ihre Leute so prügeln wie jetzt, ich stürzte über sie her und machte sie kalt!

Er schien einen Augenblick zu überlegen, ehe er fortfuhr: Halt, Akut, ich kann sie immerhin fragen, wie wir zum nächsten Hafen kommen. Nachher lassen wir sie ihrer Wege gehen.

Der Affe schwieg, indessen sich der Knabe schon nach unten schwang und dann schnellen Schritts auf die Safari zuging. Kaum hundert Meter mochte er zurückgelegt haben, als ihn einer der beiden Weißen entdeckte. Der Mann schrie laut auf, legte sein Gewehr auf Jack an und feuerte. Die Kugel sauste jedoch dicht vor den Füßen des Knaben in den Boden und wirbelte nur ein paar harmlose Blätter und Grasfetzen empor. Doch damit waren die schwarzen Askari der Nachhut und der andere Weiße alarmiert, und im nächsten Augenblick knatterte es an allen Ecken und Enden.

Jack war sofort hinter einen Baum gesprungen. Man feuerte also ins Blaue hinein, und das war kein Wunder!

Panikartig – als würden sie von Tod und Teufel gehetzt – hatten Karl Jenssen und Sven Malbihn sich in jener Nacht auf die Flucht gemacht. Tag für Tag glaubten sie den Scheich und seine blutdürstige Gefolgschaft dicht auf ihren Fersen, und bei jedem geringsten Geräusch, das ihnen die Dschungel aus ihren Tiefen nachsandte, meinten sie, ihr Stündlein habe geschlagen. Ihre Nerven waren nur mehr wie Zwirnsfäden, und selbst den Schwarzen tanzten die Schreckensgespenster stets vor den Augen. Und wie nun mit einem Male dieser nackte, weiße Krieger lautlos aus den Dschungelgründen hervordrang, die sie eben noch durchquert, mußte die Bombe platzen. Das bißchen Nervenkraft, über das Malbihn gerade noch verfügte, zersprang wie Glas in tausend Splitter: Ein erschütternder Schrei, ein Schuß – und er, der den Fremdling zuerst gesehen, hatte alle anderen mitgerissen.

Allein nach ein paar Minuten hatte sich der Sturm gelegt, weil schließlich auch die schlimmste Kopflosigkeit einmal ihr Ende haben muß. Man versuchte langsam dahinterzukommen, wem diese große Kraftanstrengung eigentlich gegolten hatte, und dabei stellte sich heraus, daß einzig und allein Malbihn etwas wirklich Verdächtiges gesehen hatte. Einige Schwarze behaupteten zwar auch, ganz deutlich eine fremdartige Gestalt beobachtet zu haben, doch wichen die Beschreibungen dermaßen von einander ab, daß Jenssen, der überhaupt nichts zu Gesicht bekommen hatte, die ganze Geschichte doch mit einer ziemlichen Portion Mißtrauen betrachtete. Einer der Schwarzen wollte ganz genau wissen, daß das »Ding« über drei Meter groß gewesen sei; es habe zwar einen Körper wie jeder Mensch gehabt, aber einen – Elefantenkopf! Wieder ein anderer bestand hartnäckig darauf, drei riesengroße Araber mit langen schwarzen Bärten gesehen zu haben ... –

Als man schließlich der allgemeinen Nervosität Herr geworden war und die Nachhut vorschickte, um den Feind in seiner Stellung aufzustöbern, fand man ... nichts; denn Akut und der Junge hatten sich inzwischen eiligst aus dem Bereich der verderbenspeienden Gewehre zurückgezogen. Jack war sehr, sehr niedergeschlagen. Er hatte ja noch nicht einmal jene beschämend unfreundliche und unerwartete Haltung der Schwarzen von neulich verwunden, geschweige denn verstanden, und da mußten ihn jetzt auch noch Männer seiner eigenen Rasse und Farbe weit schlimmer und unwürdiger empfangen!

Das sind die kleineren Bestien, die vom Schrecken gepackt vor mir fliehen! murmelte er halb vor sich hin. Die größeren Bestien aber sind die, die mich in Stücke reißen wollen, wenn sie mich nur sehen. Die Schwarzen wollten mich töten, mit Speeren oder Pfeilen. Und die Weißen, die meinesgleichen sein sollen, ha, die haben auf mich geschossen und mich fortgejagt. Ist denn alle Kreatur auf der weiten Welt mir feind? Hat Tarzans Sohn außer Akut keinen Freund mehr?

Der alte Affe schmiegte sich dichter an ihn.

Die großen Affen sind noch da, du! begann er. Nur die großen Affen wollen auch die Freunde von Akuts Freund sein, nur sie werden Tarzans Sohn gerne bei sich aufnehmen. Du hast es gesehen: Die Menschen mögen dich nicht leiden, komm, wir wollen jetzt aufbrechen und sehen, daß wir bald unsere Stammesgenossen, die großen Affen, finden!

Die Sprache der großen Affen ist als eine Kombination von einsilbigen Kehllauten und allerhand Gesten zu denken. Nun kann man zwar das, was die Tiere sagen, nicht buchstäblich sagen, nicht buchstäblich in unsere Menschensprachen verdolmetschen, doch soviel steht nach Menschenermessen fest, daß die eben erwähnten Worte genau wiedergeben, was Akut seinem Freunde in jener Stunde zu sagen hatte.

Stumm gingen die beiden dann einige Zeit nebeneinander. Der Junge war tief in Gedanken versunken, Gedanken, in denen Haß und Wut und Rachgier die Oberhand hatten. Schließlich brach er das Schweigen.

Gut, abgemacht. Akut! sagte er mit fester Stimme. Wir wollen sehen, daß wir unsere Freunde, die großen Affen, finden!


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