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Die Tierfalle

Zwei große bärtige Männer verließen ihr Zeltlager und wandten sich von dem breiten Strom in die Dschungel. Es waren Carl Jenssen und Sven Malbihn; beide hatten sich in den Jahren wenig verändert, seit ihnen Akut und Korak, der sich ihnen ja hatte anschließen wollen, jenen bösen Schrecken eingejagt.

Sie hatten jedes Jahr wieder ihre Streifzüge in die Dschungel unternommen, das heißt mit den Eingeborenen Geschäfte gemacht oder deren Elfenbeinlager geplündert, kostbare Tiere erlegt oder eingefangen, und auch andere Weiße in den entlegenen Waldgebieten herumgeführt, die sie nun in jeder Hinsicht genau kannten. Nur die Landstriche, die der Scheich unsicher machte, mieden sie seit jener fehlgeschlagenen nächtlichen Unternehmung ängstlich.

Diesmal hatten sie sich zwar etwas näher an dessen Dorf herangewagt, doch fühlten sie sich noch durchaus sicher, da weite unbewohnte Dschungelstrecken wie ein fester Riegel zwischen ihren neuen Jagdgründen und dem Dorf des alten Arabers lagen. Obendrein wußten sie, daß Kovudoo und dessen Leute auf den Scheich alles andere als gut zu sprechen waren, weil er vor einiger Zeit deren Dorf geplündert, ja sogar viele Einwohner niedergemacht hatte.

In diesem Jahre wollten Jenssen und Malbihn in erster Linie Tiere für einen europäischen zoologischen Garten einfangen; sie waren jetzt auf dem Wege nach einer Falle, die ihnen einige große Paviane einbringen sollte, wie sie in dieser Gegend besonders häufig vorkamen. Sie merkten auch bald, daß ihre Bemühungen diesmal mit Erfolg gekrönt waren, denn das Bellen und Schreien von ein paar hundert Pavianen konnte nichts anderes bedeuten, als daß einer oder auch mehrere in die Falle gegangen waren.

Endlich konnten die beiden die Stätte der aufgeregten Szene überblicken und stellten zu ihrer Freude fest, daß alles ihren Erwartungen entsprach: Ein großes Männchen zerrte wie wahnsinnig an dem Stahlgitter des Käfigs, in dem es sich gefangen hatte. Draußen trieben sich Hunderte von Pavianen schreiend, bellend und schnatternd herum und suchten ihren gefangenen Genossen durch wütende Schläge, Rütteln und Schütteln an dem Gitter zu befreien.

Weder die Schweden noch die Paviane hatten indessen den halbnackten jungen Menschen gewahrt, der fast zur gleichen Zeit wie Jenssen und Malbihn aufgetaucht war und aus seinem Versteck im Blattdickicht eines nahen Baumes dem Treiben der Paviane mit gespannter Aufmerksamkeit zuschaute.

Koraks Beziehungen zu den Pavianen waren nie übermäßig freundlich gewesen. Begegnete man einander zufällig, tat man sich zwar nichts zuleide, hielt aber immer gewissermaßen die Faust in der Tasche geballt. Die Paviane und Akut gingen gewöhnlich steifbeinig und brummend hintereinander her, bis sich ihre Wege ohnedies wieder trennten; Korak dagegen hatte sich im ganzen neutral verhalten, wenn auch schließlich bei solchen Gelegenheiten immer von seinen Zähnen etwas mehr als sonst zu sehen war. Jedenfalls berührte ihn die mißliche Lage des Paviankönigs an sich gar nicht irgendwie unangenehm; die bloße Neugierde hatte ihn zu einer kurzen Unterbrechung seiner Dschungelwanderung bestimmt. Seine Augen schweiften bald hierhin, bald dahin, und mit einem Male fiel ihm auf, daß sich nicht weit von ihm, unten im Dickicht, etwas eigenartig Buntes bewegte, das ganz und gar nicht dahin paßte. Menschen? Er mußte auf der Hut sein. Wo kamen diese Kerle denn her und was hatten sie überhaupt im Reiche der Mangani zu suchen? Korak pirschte sich vorsichtig nach der anderen Seite um sie herum; er wollte sich diese neuen Eindringlinge erst mal etwas näher ansehen und dabei vor allem auch den Wind von drüben her in die Nase bekommen. Aber seine Augen flammten auf, als er in den beiden die Weißen erkannte, die ihn vor Jahren mit Gewehrgeknatter empfangen.

Die beiden Weißen erhoben sich und suchten die anderen Paviane durch lautes Schreien von der Falle zu verscheuchen. Als das nichts half, nahm der eine sein Gewehr und feuerte mitten in die Pavianherde, die sofort sichtlich bestürzt und verwirrt auseinanderstob. Anfangs meinte Korak, die Paviane würden nun ihrerseits zum Angriff übergehen, allein, als das Feuer aus zwei Gewehren ununterbrochen auf sie niederhagelte, flüchteten sie sich Hals über Kopf in das Baumdickicht. Die Europäer rückten näher an die Falle heran. Wahrscheinlich würden sie jetzt den Paviankönig töten, dachte Korak. Nun lag ihm, wie gesagt, an sich nichts an diesem Pavian, doch für diese beiden Weißen hatte er gleich gar nichts übrig. Und dann: Der Pavian hatte ihm nie nach dem Leben getrachtet; aber diese weißen Bösewichte ...? Der König war immerhin sein Nachbar in der über alles geliebten Dschungel – und diese Weißen? Fremdlinge und Räuber waren sie. Er hatte sich folglich für den Pavian und gegen diese Menschen zu entscheiden. Außerdem kannte er die Sprache der Paviane, weil sie der Sprache der großen Menschenaffen fast ganz und gar glich.

Drüben am jenseitigen Rande der Lichtung hatte sich der aufgeregte Pavianschwarm gesammelt und schien dem weiteren Verlauf der Tragödie gespannt zu folgen. Korak rief jetzt laut zu ihnen hinüber. Die Weißen fuhren sofort herum und suchten mit ihren Augen die Bäume hinter sich ab, da sie vermuteten, daß ein heimtückischer Pavian sich außen um sie herumgeschlichen habe. Allein sie hatten kein Glück, denn Korak schwieg sofort und war im dichten Laubwerk wohlgeborgen. Dann erhob er von neuem seine Stimme.

Ich bin der »Töter«, rief er zu den Pavianen hinüber. Diese Männer sind meine und eure Feinde. Ich will euch euren König befreien helfen. Wenn ihr seht, daß ich auf sie losstürze, brecht alle auf einmal aus dem Dickicht hervor. Nieder mit den Fremdlingen! Wir müssen sie verjagen und euren König befreien!

Und sofort hallte wie in einem Chor die Antwort der Paviane herüber: Wir tun, was du willst, Korak!

Ein Sprung, und Korak war vom Baume herunter und stürmte auf die beiden Schweden. Dreihundert Paviane folgten seinem Beispiel wie auf einen Schlag. Beim Anblick des halbnackten weißen Kriegers, der mit erhobenem Speer auf sie zustürzte, legten Jenssen und Malbihn die Gewehre an und feuerten. Doch in der Aufregung hatten sie schlecht gezielt. Die Schüsse gingen fehl, und im nächsten Augenblick brauste auch schon die Pavianherde heran. Die einzige Rettung bestand jetzt in sofortiger Flucht. Bald wichen sie nach rechts, bald wichen sie nach links aus, aber immer waren die rasenden Paviane hinter ihnen her. Ab und zu sprang der eine oder andere ihnen wütend in den Nacken, und wenn er mit Mühe und Not abgeschüttelt war, stürzte schon ein anderer Peiniger heran. Die beiden wären jedenfalls kaum mit dem Leben davongekommen, würden sie nicht nach ein paar hundert Metern auf ihre Askari gestoßen sein, die sofort helfend eingriffen.

Korak hatte sich nicht weiter um die beiden Weißen gekümmert, als sie einmal wie gehetztes Wild davonrannten. Die Hauptsache war für ihn jetzt der gefangene Pavian. Die Verschlüsse der Falltür, die von den Pavianen nicht einmal bemerkt worden waren, enthüllten dem menschlichen Verstand des »Töters« ohne weiteres ihre Geheimnisse, und im nächsten Augenblick betrat der Paviankönig wieder das Reich der Freiheit. Nicht ein Sterbenswörtchen von Dank oder dergleichen bekam Korak zu hören ... und Korak hatte dies auch nicht anders erwartet. Er wußte jedoch genau, daß keiner der Paviane ihm diesen Dienst, den er ihrem König getan, je vergessen würde. Das stand fest, und weiter brauchte er keine Bestätigung oder Anerkennung. In erster Linie hatte ihn ja auch das Verlangen, den beiden mißliebigen Weißen einen Schabernack zu spielen, zu diesem Rettungsakt getrieben, und übrigens würden die Paviane ihm ohnehin kaum je ernstlich helfen können.

Korak hörte immer noch den Lärm des zwischen den Pavianen und den Schweden hin- und herwogenden Kampfes; als er dann allmählich in der Ferne verklang, wandte er sich und nahm seine Wanderung nach dem Dorfe Kovudoos wieder auf.

Unterwegs stieß er auf eine Elefantenherde. Auf einer großen Lichtung standen die Tiere, und Korak mußte wohl oder übel seinen Weg auf halber Höhe der Bäume verlassen, weil die Entfernung von Baum zu Baum viel zu weit war. Wie gern schwebte er doch immer hoch in den Zweigen dahin! Er mußte eben jetzt wieder daran denken. Herrlich diese Erhabenheit über das dichtverschlungene Gewirr da unten, wie frei der Blick, wie erfrischend, so von Baum zu Baum zu gleiten, die Kraft und Gewandtheit der Muskeln immer von neuem zu spüren und so die Früchte langer zäher Arbeit an sich selbst alle Tage wieder mit Behagen zu genießen! Fast wie im Flug ging es meist auf diesen Urwaldstraßen dahin, kein Hemmnis und keine beutehungrige Bestie konnten ihn aufhalten ... er lachte der Kreatur, die über Finsternis und Moderdunst des Dschungelgestrüpps zeitlebens nicht hinauskam.

Doch diese offene Lichtung, auf der sich Tantor mit seinen weitgespreizten Ohren und seinem massigen Körper bald hierhin bald dahin schob, mußte er zu ebener Erde kreuzen. Wie ein Zwerg unter Riesen kam er sich vor. Ein großer Elefantenbulle schwang seinen Rüssel in die Höhe und trompetete einen tiefen Warnungslaut hervor. Er hatte gemerkt, daß jemand in sein Revier eingedrungen war und hatte dies nur seinem scharfen Gehör und seiner ausgezeichneten Witterung zu verdanken. Seine Augen waren viel zu schwach und schweiften hilflos von der einen Seite nach der andern. Der ganzen Herde hatte sich große Unruhe bemächtigt. Man war zur Flucht bereit, denn der alte Elefant hatte ... einen Menschen gewittert.

Beruhige dich, Tantor! rief der »Töter«. Ich bin es, Korak, der Tarmangani.

Der Elefant ließ seinen Rüssel sinken, und die Herde gab sich wieder ihrer Ruhe hin, aus der sie so jäh durch das Warnungssignal ihres Führers aufgescheucht worden war. Korak kam dicht an dem großen Elefanten vorüber. Der schlängelte seinen gewundenen Rüssel auf Korak zu und berührte mit ihm fast streichelnd dessen glatte braune Haut.

Korak erwiderte diese freundliche Begrüßung mit einem kräftigen Klaps auf Tantors mächtige Seite. Vor Jahren, ja, da hatte er doch mit diesem Koloß und seiner Herde auf recht gutem Fuße gestanden! Wahrhaftig, diesen gewaltigen Dickhäuter mochte er von allen Dschungeltieren am liebsten leiden: Er war der friedlichste Nachbar und wenn es sein mußte – zugleich auch der allerschrecklichste! Die leichte Antilope hatte keine Angst vor ihm, aber Numa, der Herr der Dschungel, machte gern einen großen Bogen um ihn. –

Zwischen den jüngeren Elefanten, den Weibchen und Kälbern bahnte sich sodann Korak seinen Weg. Ab und zu spürte eines der Tiere Lust, seinen Rüssel an ihm wenigstens sanft auszuprobieren, und schließlich faßte ihn solch ein possierliches »Elefantenkind« in seinem jugendlichen Übermut an den Beinen und setzte ihn ins Gras ... –

Die Nacht war schon hereingebrochen, als Korak im Dorfe Kovudoos anlangte. Dort schlich er hinter den Hütten entlang. Es galt das ganze Dorf planmäßig auszuspionieren und dabei Augen, Ohren und Nase offen zu halten, damit er auf jeden Fall herausbekam, wo Meriem steckte. Natürlich durfte er nicht zu keck vorgehen, denn die Hunde der Eingeborenen schienen bereits Lunte gerochen zu haben, daß jemand im Dorfe war, der nicht hereingehörte. Oft war er nahe daran, ertappt zu werden. Das unablässige Kläffen und Heulen der wachsamen Hunde mahnte jedenfalls zu größerer Vorsicht.

Korak war schon ziemlich hinter der letzten Hütte am Ende der langen Dorfstraße, als er mit einem Male ganz deutlich spürte, daß Meriem in der Nähe sein mußte. Wie ein Jagdhund schnupperte er, mit der Nase dicht an der Strohwand der Hütte. Es gab keinen Zweifel: Meriem war hier. Er schlich sich langsam um die Hütte herum, doch der Eingang war nicht frei. Ein stämmiger Neger, mit langem Speer bewaffnet, hockte an der Tür zum Gefängnis der kleinen Meriem. Scharf und silhouettenhaft hob sich sein breiter Rücken gegen den roten Feuerschein des Dorflagerfeuers ab. Er war allein, und bis zu den nächsten Dorfgenossen am Lagerfeuer hatte er immerhin zwanzig bis dreißig Meter. Wollte Korak jetzt in die Hütte, mußte er den Wächter irgendwie zum Schweigen bringen oder, ohne daß er es merkte, vorbeizukommen suchen. Im ersten Falle würde er damit ganz sicher die Krieger am Lagerfeuer alarmiert und damit das ganze Dorf auf sich gehetzt haben. Und der zweite Weg schien erst recht undurchführbar – für jeden der Leser wie für mich. Aber nicht für Korak, den »Töter«, der nicht wie jedermann war.

Der Schwarze saß etwa einen halben Meter vom Hütteneingang entfernt. Ob Korak nicht doch unbemerkt hinter dem breiten Rücken des wilden Kriegers vorüberkam? Mußte sich nicht der Feuerschein von drüben ebenso wie auf der ebenholzschwarzen Haut des Eingeborenen auch auf seinem lichtbraunen Körper widerspiegeln? Und wenn dann zufällig einer der vielen Schwarzen drüben an ihrem Lagerfeuer die Straße entlangblickte, mußte er sicher diese große, in Licht getauchte Gestalt gewahren, die langsam heranschlich.

Doch Korak verließ sich darauf, daß die Schwarzen weiter so eifrig in ihren Abendklatsch versunken waren, und daß die allzugrellen Flammen dicht vor ihren Augen ihnen die genauere Beobachtung des in Nacht gehüllten Dorfendes verwehrten oder zum mindesten erschwerten.

Dicht an der Hüttenwand schob sich der »Töter« immer näher und näher an den Posten heran, ohne daß es auch nur einmal in der trockenen Strohverkleidung raschelte. Wie ein Wurm hatte er sich herangewunden; er stand dicht hinter dem Schwarzen und fühlte dessen Körperwärme seine Knie streifen. Er hörte jeden Atemzug und wunderte sich nur immer wieder, daß der dumme Kerl nicht schon längst erschreckt aufgefahren war. Im Gegenteil, der Schwarze saß wie vorhin nichtsahnend da.

Korak bewegte sich kaum mehr als zwei Fingerbreit auf einmal vorwärts, dann wartete er stets wieder ein paar Sekunden, ehe er sich weiterschlängelte. Der Schwarze riß laut gähnend den Mund auf, rekelte sich, dehnte und streckte seine Arme über seinem Kopfe. Korak blieb wie zu Stein erstarrt stehen. Noch ein Schritt nur, und er mußte in der Hütte sein. Der Schwarze ließ die Arme wieder sinken und schien es sich etwas bequemer einrichten zu wollen. Hinter ihm war der Türpfosten; der hatte schon oft sein müdes Haupt gestützt, und so lehnte er sich auch heute zurück, um den langweiligen Wachdienst durch ein wenn auch verbotenes Schläfchen zu versüßen.

Doch statt auf das gewohnte harte »Kissen« trafen Kopf und Schultern auf die warmen weichen Beine Koraks. Was war das? Er wollte eben seiner Bestürzung in einem Aufschrei Luft machen, als bereits stählerne Finger seinen Hals drosselten. Der Schwarze wehrte sich mit Händen und Füßen, um die heimtückische Kreatur, die ihn gepackt, abzuschütteln und niederzuwerfen, doch all seine Anstrengungen waren vergeblich ... Korak lehnte den Ohnmächtigen an den Türpfosten, in der Dunkelheit sah es aus, als hocke er noch immer wachend auf seinem Posten. Dann wandte sich der Affenmensch und glitt leise in das Dunkel der Hütte.

Meriem! flüsterte er.

Korak! Mein Korak! Am liebsten hätte Meriem laut aufgeschrien, doch sie fürchtete, die Schwarzen draußen stutzig zu machen, und barg ihre Freude in einem halbunterdrückten Schluchzen.

Der Junge kniete nieder, durchschnitt die Fesseln um Handgelenke und Füße, half dem Mädchen in die Höhe und führte es nach der Tür. Draußen saß der ohnmächtige Schwarze noch immer auf seinem Posten. Zu seinen Füßen wälzte sich jetzt heulend ein Dorfhund, wie sie die Eingeborenen im Dorfe als Haustiere hielten. Sobald er die beiden an der Tür gewahrte, knurrte er bösartig und, wie er erst den weißen Fremdling richtig witterte, fing er wütend zu bellen an. Die Krieger am nächsten Lagerfeuer fuhren auf und suchten sich sofort über die Ursache dieser Ruhestörung klar zu werden. Es war ausgeschlossen, daß ihnen die weißleuchtenden Flüchtlingsgestalten in diesem Augenblick entgehen konnten.

Korak verschwand rasch im Schatten der Hütte und zog Meriem nach. Allein es war schon zu spät gewesen. Den Schwarzen war die ganze Sache doch zu verdächtig vorgekommen. Etwa ein Dutzend stürzte heran, sie wollten genau sehen, was los war. Der Hund blieb laut kläffend Korak dicht auf den Fersen und mußte so den Verfolgern unfehlbar auf die Spur helfen. Und so oft auch Korak dem lästigen Köter mit seinem langen Speer den Garaus machen wollte: Das Tier war anscheinend an solche Behandlung gewöhnt und verstand es ausgezeichnet, jedem Stoß oder Schlag geschickt auszuweichen. Die anderen Schwarzen waren durch das Geschrei und das plötzliche Davonrennen ihrer Dorfgenossen wie auf einen Schlag alarmiert. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Zuerst entdeckte man den bewußtlosen Wachposten. Man ahnte nichts Gutes – und als dann einer der Beherztesten sich in das Innere der Hütte wagte und die Gefangene nicht mehr vorfand, schwankten die bestürzten Schwarzen zwischen abergläubischer Furcht und grenzenloser Wut. Allein – ein leibhaftiger Gegner oder böser Geist war nicht zu sehen, und so gewannen Mut und Rachgier die Oberhand. Man stieß die Tapfersten vor sich her und drängte um die Hütte herum nach, immer in der Richtung, aus der das heisere Bellen herübergellte. Bald hatten sie auch den frechen Eindringling erreicht und waren erstaunt, in ihm nur einen bewaffneten Weißen mit ihrer Gefangenen zu erkennen. Als sie aber merkten, daß sie den Übeltäter vor sich hatten, der schon so oft Schrecken und Unheil über die Ihren und das Dorf gebracht, stürmten sie wie toll heran. Sie meinten überdies, er fühle sich schon von ihnen in die Enge getrieben und müsse im nächsten Augenblick erledigt sein ...

Sowie Korak gesehen, daß man ihn entdeckt hatte, hob er Meriem auf den Rücken und suchte in denkbar schnellstem Tempo den Baum zu erreichen, der ihm und Meriem den Weg in die Freiheit verhieß. Das Mädchen war jedoch nicht leicht, und so kam er langsamer vorwärts als er gehofft. Aber Meriem konnte sich kaum aufrecht halten, geschweige denn ihm in der gebotenen Eile folgen. Man hatte sie zu lange gefesselt im Zelte liegen lassen, der Blutkreislauf mußte mehr als einmal fast völlig gestockt haben, und es kam ihm vor, als seien ihr die Beine wie Blei so schwer.

Wäre dies nicht gewesen, die beiden würden im Nu entkommen sein, denn Meriem gab in ihrer Gewandtheit und Schnelligkeit Korak nicht mehr viel nach, ja sie war in der Dschungelkletterei fast ebensogut zu Hause wie ihr Gefährte. Doch mit dem Mädchen auf dem Rücken war es Korak unmöglich, mit voller Geschwindigkeit davonzujagen und gleichzeitig sich gegen das kläffende Hundepack mit Erfolg zu wehren. Er hatte noch nicht die Hälfte der Strecke bis zu dem rettenden Baum zurückgelegt, als eine ganze Hundemeute, herangelockt durch das Gebell des ersten Verfolgers und von ihren Herren gehetzt, ihm in die Quere kam, nach den Beinen schnappte und ihn schließlich zum Straucheln brachte. Wie Hyänen stürzten sie über ihn her. Als er gerade halbwegs wieder auf den Beinen war, hatten ihn die Schwarzen umzingelt.

Einige machten sich sofort über Meriem her. Sie kratzte und biß ... aber ein Schlag auf den Kopf, und man hatte die Gefangene wieder in der Gewalt. Mit dem Affenmenschen würde man freilich nicht so leicht fertig werden, meinten sie; denn wiewohl die Hunde und die stärksten Krieger ihm hart zusetzten, war es ihm doch gelungen, aufzuspringen. Und nun boxte er; links und rechts sauste seine geballte Faust in die Negerfratzen. Was kümmerten ihn die Hunde jetzt? So oft sich einer gar zu dreist wieder in Greifweite wagte, bedurfte es nur einer blitzschnellen Handbewegung ...

Ein ebenholzschwarzer Herkules hatte ihm einen gehörigen Schlag mit seinem knorrigen Knüttel zugedacht, doch Korak packte die willkommene Waffe noch rechtzeitig und entriß sie ihm. Nun sollten die Schwarzen erst richtig erfahren, wie sich die elastischen Muskeln unter der straffen braunen Haut dieses unheimlichen Riesen für die Grobheiten seiner Gegner bedanken konnten. Wie ein zu wilder Kampfwut gereizter Elefantenkoloß stürzte er auf sie los, bald hierhin, bald dahin, und schlug die wenigen nieder, die noch so verwegen waren, ihm entgegenzutreten. Traf ihn nicht noch ein wohlgezielter Speer, so mußte er das ganze Dorf auf- und davonjagen und sich die Gefangene leicht zurückerobern. Allein der alte Kovudoo war nicht der Mann, der sich so leichten Kaufes um die Summe bringen ließ, die der Scheich als Lösegeld für das Mädchen geben würde. Er sah, daß seine Leute vor allem deshalb so schlecht abschnitten, weil man die Kräfte in lauter Einzelvorstößen zersplitterte. Zwei Mann wurden deshalb mit der unmittelbaren Bewachung der Gefangenen betraut. Die anderen rief er zurück, sammelte sie um sich zur Sicherung der kostbaren Gefangenen und befahl, daß niemand seinen Platz verlassen sollte. Der Affenmensch mochte sich nur an dieser in Waffen starrenden Menschenbarrikade den Kopf einrennen.

Korak stürmte auch immer und immer wieder heran, wurde aber jedesmal zurückgeschlagen. Schon blutete er aus vielen Wunden. Es war Zeit, sich auf einen anderen Ausweg zu besinnen. Er merkte, wie seine Kräfte nachließen, wie das Blut ihm vom Kopf bis zu den Füßen niederrann ... Es war bitter, aber es half nichts: Er mußte sich eingestehen, daß er allein seiner Meriem jetzt keine Hilfe mehr bringen konnte.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er rief das Mädchen laut beim Namen. Sie hatte ihn gehört und gab Antwort. Nur gut, sie war also wieder bei Bewußtsein.

Korak geht jetzt, schrie er laut hinüber, damit sie es auf alle Fälle verstünde. Aber er wird bestimmt wieder kommen und dich aus der Hand der Gomangani befreien. Leb' wohl, meine Meriem. Korak wird dich holen!

Leb wohl auch du! rief Meriem zurück. Meriem wartet mit Sehnsucht auf den Tag, an dem du wiederkommst.

Blitzschnell und ehe die Schwarzen es auch nur ahnen, geschweige denn verhindern konnten, raste Korak davon. Quer durch das Dorf erst und dann hinüber zu dem Urwaldriesen, von dem aus er seinen Weg in das Dorf Kovudoos genommen. Ein Sprung – und er war wieder auf seiner »Landstraße« im Geäst der Bäume. Wohl war ihm der Speerhagel seiner Verfolger nachgesaust; doch ein höhnisches Lachen aus der dunklen Dschungel war das einzige Ergebnis.


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